Homöopathie, der Teufel – Schulmedizin, der Teufel

Die Schulmedizin ist teilweise genauso doof wie Homöopathie. So!

Gerade ist es wieder schick, sich kritisch über Homöopathie zu äußern. Zum Beispiel „Über die weite Verbreitung von geschütteltem Wasser und von Stärkekugeln“ oder „Die Homöopathie-Lüge: So gefährlich ist die Lehre von den weißen Kügelchen

Und ich muss sagen, ohne die klassische Medizin wäre ich seit 29 Jahren tot. Mit 8 hatte ich einen Blinddarmdurchbruch. Ich bin also alleine deswegen dankbar, dass es die Schulmedizin gibt.

In letzter Zeit habe ich jedoch die Erfahrung gemacht, dass Schulmedizin oder zumindest, die Ärzte, die mir so begegnen mit ihrer klassischen Ausbildung und v.a. mit ihrer Haltung an Grenzen stoßen. Ich vermute, das ist der Grund warum die Homöopathie so boomt. Sie spendet Hoffnung und das ist manchmal, wenn man krank ist, sehr wichtig.

Die Schulmediziner (der Kamm, der Kamm! Ich schere alle über einen Kamm – in den Kommentaren bitte darüber beschweren) haben meist eine Spezialisierung und auf diese Spezialisierung sind sie so fokussiert , dass sie den Blick für das Ganze völlig verlieren.

Einen Vorfall, der dies schön illustriert, schilderte ich bereits 2007:

[…] So entschloss ich mich in der 37. Woche einige Stufen zu übersehen und meinen Fuß wie in einem asiatischen Horrorfilm um 180 Grad zu verdrehen und mir zur Abwechslung mal die chirurgische Abteilung der Notaufnahme anzuschauen.
Dort schilderte ich den Vorfall und man wollte gleich röntgen, was ich mit einer schüchternen Nachfrage, ob man das denn während einer Schwangerschaft so mache, unterbrach. Ach? Schwanger sei ich? Ja, 9. Monat. Große Verwunderung. Ach!
Ja während der letzten Wochen einer Schwangerschaft sei es ganz normal dicke Gelenke und Wasserfüße zu haben. Natürlich schätze ich bei Ärzten einen gewissen Sinn für Normalität jedoch konnte ich es mir nicht verkneifen darauf hinzuweisen, dass das Beschränktsein der Schwellung auf eine Körperseite plus der vorangehende Treppensturz ein gewisser Hinweis auf ein extern verursachte Verletzung sein könnte […].

Zunächst war ich für den Arzt ausschließlich ein Fuß. Fuß kaputt = röntgen. Als er erfahren hat, dass ich schwanger bin, war ich eine Schwangere. Fuß dick = Wasser in den Beinen. Dazwischen gab es nichts.

Eine viel unerfreulichere Erfahrung habe ich neulich gemacht. Da hatte ich nämlich eine rechtsseitige Gesichtslähmung. Sie begann mit Geschmacksstörungen, die ich zunächst gar nicht zuordnen konnte. Dann „schlief“ mir die Unterseite des Gesichts ein und schließlich erreichte die Lähmung mein Auge. Als mir am 3. Tag das Essen aus dem Gesicht fiel, entschied ich mich, die Notaufnahme (es war Wochenende) aufzusuchen. Zum Thema Gesichtslähmung fallen einem leider nur hässliche Dinge wie Schlaganfall oder Gehirnhautentzündung ein.  Der freundliche Neurologe machte seine neurolgische Untersuchung und empfahl eine Lumbalpunktion, um entzündliche Gehirnkrankheiten auszuschließen. Man konnte nichts finden, gab mir Cortison und schickte mich zum Hausarzt.

Der hatte natürlich rein gar keine Ahnung. Wo sowas her kommt, hach das kann viele Gründe haben (zählt ein Paar gräßliche auf) und wie lange das dauert, wer weiß es, wer weiß das schon. Ich hatte natürlich gegoogelt. Von einer Ohrenentzündung vielleicht? Ich hatte zwei Wochen starken Druck auf den Ohren. Ah Ohrenentzündung ja, das könnte es sein. Ich ging zur HNO Ärztin. Der Gehörgang gerötet, jaja, aber sonst, man weiß es nicht, man weiß es nicht. In der Zwischenzeit war mein rechtes Auge, das nicht mehr eigenständig blinzeln konnte, so ausgetrocknet, dass ich 1,5 Stunden beim Augenarzt wartete, um zu erfahren, dass ich Augentropfen nehmen könnte.

Die Ohrenentzündung soll es nicht gewesen sein. Borreliose vielleicht? Ich ging wieder zum Hausarzt. Ah ja, das könnte man mal testen. Borreliose war es auch nicht. Meine chronische Nebenhöhlenentzündung, könnte die was damit zu tun haben? Der HNO Arzt sagt, man weiß es nicht, man weiß es nicht. Theoretisch könnte es sein. Aber unwahrscheinlich.

Ich nehme also zwei Wochen Cortison und irgendwann wird es besser. Zum MRT soll ich gehen, ein Tumor könnte es sein. Nachdem ich acht radiologische Praxen angerufen habe, bekomme ich sechs Wochen später einen Termin. So ein Tumor naja unwahrscheinlich, deswegen eilts ja nicht. Dass einen diese Option etwas beunruhigt – Pech.

Kurze Zeit später steht Kind 3.0 morgens auf – besser gesagt, will aufstehen, kann aber nicht. Den ganzen Tag schafft es keinen einzigen Schritt. Es krabbelt tapfer, doch es hat offensichtlich Schmerzen. Abends gehen wir zum Kinderarzt, der Gelenkschnupfen diagnostiziert. Wir weisen auf eine rote Stelle am Fuß und dass das Kind über Fußschmerzen berichtet, um uns anschließend anzuhören, wenn wir doch alles besser wüßten und unserem Kind das einreden, dann sei das auch kein Wunder, wenn das Kind sowas sagen würde. Zwei Tage später kann das Kind immer noch nicht laufen. Nachts weint es furchtbar und den Fuß hält es seltsam verbogen. Wir gehen in eine chirurgische Praxis. Man stellt eine Entzündung fest. Ein Insektenstich, der sich bakteriell infiziert hat. Wir bekommen ein Mittelchen und einen Verband. Weitere zwei Tage später kann das Kind immer noch nicht laufen, es weint und weint. Wir gehen wieder zum Arzt. Hm ja, gebrochen könnte der Fuß vielleicht sein. DAS SAGEN SIE NACH EINER WOCHE???!!! Man röntgt – doch – genaues weiß man nicht. Ich meine Hallo? Hokuspokus? Wo lebe ich denn? Wieso kann man das nicht sehen? Vorsichtshalber legt man einen Gips an. Das Kind blüht auf und kann zumindest wieder krabbeln. KLONK KONK KLONK. Eine Woche später wird der Gips entfernt und drei Tage später kann das Kind wieder laufen. Was hatte es? Das steht in den Sternen. Die Ärztin sagt: „Seien sie froh, dass es fort ist, hoffen sie, dass es nicht wieder kommt.“

Dafür waren wir bei drei Ärzten. Drei Mal hat meine Krankenkasse Geld überwiesen. Wir haben insgesamt 4,5 Stunden in Wartezimmern gewartet.

Oh Mann, ich verstehe sie, die Leute, die an Homoöpathie glauben. Wenn man sich sogar völlig von der Schulmedizin abwendet. Wenn man zum Heilpraktiker oder zu jemanden geht, der eine TCM Ausbildung hat, wird man wenigstens ernst genommen. Meiner Erfahrung nach wird zugehört. Man ist nicht nur ein Fuß oder eine Gesichtslähmung – man ist ein Mensch in irgendeinem Kontext und das versuchen diese Menschen zu berücksichtigen. Tatsächlich liegt darin vielleicht oft der Schlüssel. Es gibt viel weniger dieses Gefälle „Gott in Weiß“ und „der nichtswissende Patient“.

Ich habe das Gefühl, dass viele Ärzte ihren Beruf nach einigen Jahren gar nicht mehr ernst nehmen. Wahrscheinlich treten pro Fachrichting rund 30 verschiedene Krankheitsbilder zu 80% auf und die restlichen 20%, die haben einfach Pech. Da liest kein Arzt zwischen dem ersten und zweiten Besuch nochmal etwas nach. Bestenfalls machen das die engagierten Neulinge, weil sie noch bescheiden und demütig sind. Wenn man erstmal sein festes Klientel hat und zwanzig Jahre eine Praxis betreibt, kann man gut auf die anstrengenden 20% verzichten. Viele haben offensichtlich auch Probleme ihre Grenzen zu sehen und an weitere fachkundige Menschen zu überweisen (siehe der selbstherrliche Kinderarzt).

Vielleicht ist es an der Zeit die extremen Positionen zu verlassen und einen Mittelweg zu gehen. SO muss es ja auch nicht sein, nech?

Quelle: Kaltmamsell ihre Kommentare

 

Ach und BINGO!

WOP WOP WOPWOP

Hermann Ebbinghaus (1850 – 1909), Professor der Psychologie, gilt als Entdecker der Vergessenskurve. In seinem – zumindest unter PsychologiestudentInnen bekannten – Experiment ließ er Studenten sinnlose Silben, d.h. beliebige Konsonant-Vokal-Konsonant-Kombinationen auswendig lernen, um so Aufschluss über das Fassungsvermögen des Kurzzeitgedächtnis zu erhalten.
Das war seinerzeit revolutionär. Denn die anderen Psychologen (Freud und seine Gefolgschaft) behaupteten einfach Dinge und wären nie auf die Idee gekommen, Thesen durch einen experimentellen Aufbau zu beweisen.

Ich denke, es ist kein Zufall, dass der einzige Sohn einer Diplom-Psychologin, den ich kenne, über hundert Jahre später eines Abends die Idee hatte, eine ganze Reihe sinnloser Silben auswendig zu lernen.

Nadje-nen ta-saro un ingan djoggin‘ yodja
Koppí handjane yo-yur-ane pumkio i-nen yodja
Bamí oomio shim-djang itü gauo djinen yodja
Güron-ban john ihnen yodja

Nach nur 297 Wiederholungen konnte er diese Passage fehlerfrei reproduzieren. Die Silben hatte er aus einem koreanischen Lied transkribiert, das in den letzten Monaten unerwartet weltweit Bekanntheit erlangte. Es handelt sich um den K-Pop-Song „Gangnam Style“ eines südkoreanischen Millionärsohns mit dem Künstlernamen Psy (Der Name kann ebenfalls keine Koninzidenz sein!). Das Video, welches im Juli auf Youtube eingestellt wurde, ging bereits zwei Monate später als das Video mit den meisten Likes in der Geschichte des Videoportals in das Guinness-Buch der Rekorde ein. Der unfassbare Erfolg ist u.a. auf einen Tweet von Katy Perry zurückzuführen.

[blackbirdpie url=“http://twitter.com/katyperry/status/237841455782182912″]

Jedenfalls schaffte das Video den Sprung so in die USA und verbreitete sich von dort aus weltweit. Es handelt von dem Stadtteil Gangnam in Seoul. Gangnam ist die wohlhabendste Gegend in ganz Südkorea. Wer etwas auf sich hält und es sich leisten kann – wohnt dort. Der Song ist eine Parodie auf die Lebensweise in diesem Millionärsbezirk bzw. er kritisiert die sich rasant weiterentwickelnde Marktwirtschaft in Südkorea und das Auseinanderdriften von Arm und Reich*.

Zurück zu meinem Psychologinnensohnfreund. Es ist nämlich so, dass er in einer Band „singt“. Um das „singt“ in Anführungszeichen zu erläutern, muss ich noch etwas ausholen. Ich bin völlig unmusikalisch. Eigentlich noch mehr – wenn es ein Pendant zu Dyskalkulie und Legasthenie im Musikbereich – also Dysmusikalie – gibt, dann leide ich darunter. Ich kann nicht singen, ich kann keine Melodien erkennen, habe keine Ahnung von Rhythmus und wenn mal einer den Text beim Singen vergisst – ich höre das nicht. Bei Sendungen wie The Voice of Germany (die ich selbstverständlich nur zu Forschungszwecken ansehe), bin ich jedes Mal erstaunt, wenn ein Jurymitglied so etwas sagt wie „Ich habe mich nicht rumgedreht, weil du den Text vergessen hast und du dann auch total rausgekommen bist…“ ICH höre sowas nicht. Nie.

Ob jemand also gut oder schlecht singt, ich bin bestimmt nicht die Richtige das zu beurteilen. Jetzt ist es bei meinem Freund so, dass er ein bißchen singt und hier dingens E-Gitarre spielt (was ich aus den Stücken auch nicht raushören kann) und das hat er mir mal erzählt. Wann immer er mir ein Musikstück als Beispiel zugeschickt hat, ich war WIRKLICH hochmotiviert es zu hören. Bislang habe ich es nie länger als 10 Sekunden ausgehalten. Denn wenn ich schon kein Ohr für die weichen Töne und die zarten Emotionen in der Musik habe, bei dieser Art von Musik (Metal) höre ich nur WaaaahhhhhhhhHHHHAAAA RAAAAHHHHHWWWHHHHHH GRRAAAHHHH wwaaahhhhh.

Ich freue mich deswegen sehr, dass er jetzt mit seiner Band einen Song gemacht hat, den ich von Sekunde eins bis zum Ende durchhören kann. Sogar mehrere Male. Es ist nämlich eine etwas flottere Version des oben beschriebenen Gangnam Style.

Ohrwürmer bekommt man übrigens nur weg, wenn man das Fragment, das sich in Gedanken immer wieder wiederholt, vervollständigt. Deswegen für alle zum Mitsingen der Refrain:

Oppan Kangnam Style
Kangnam Style

Arümdäwoo sarangse rowo
Küre no (hey) Kürebaro no (hey)

Arümdäwoo sarangse rowo
Küre no (hey) Kürebaro no (hey)
Tschiküm b’ta rente kaji kabul-kä-kä-kä-kä

[zum Video mit Untertiteln (!)]

Ziel der Band ist es übrigens, dass das Video seinen Weg zu Psy zurück findet. Wer es unter dem Hashtag #opening4psy teilt, trägt dazu bei. Meine Lieblingsszene ist übrigens die Aufzugszene.

Wer immer noch nicht genug sinnlose Silben gehört und gelernt hat, der möge doch bitte die Namen der 22 Unterbezirke von Gangnam auswendig lernen und mir zur re:publica 2013 vortragen:

Apgujeong-dong
Cheongdam-dong
Daechi 1-dong
Daechi 2-dong
Daechi 4-dong
Dogok 1-dong
Dogok 2-dong
Gaepo 1-dong
Gaepo 2-dong
Gaepo 4-dong
Irwon 1-dong
Irwon 2-dong
Irwon bon-dong
Nonhyeon 1-dong
Nonhyeon 2-dong
Samseong 1-dong
Samseong 2-dong
Segok-dong
Sinsa-dong
Suseo-dong
Yeoksam 1-dong
Yeoksam 2-dong

*alle Angaben wie immer frei erfunden
**Rein interessehalber: Liest hier jemand mit, der koreanisch kann? Kann man verstehen, was gesungen wird?

Mein lückenloser Lebenslauf

Christoph Koch schreibt über Lücken im Lebenslauf – Zeiten in denen man einfach mal gar nichts gemacht hat und warum das eigentlich gar nicht so schlimm ist und führt den Werdegang von Steve Jobs und Andreas Altmann als Beispiel ins Feld.

Ein anderes Beispiel, warum man sich für Gammelmonate – ja vielleicht sogar Gammeljahre – wirklich nicht zu schämen braucht, ist Andreas Altmann. Der Bestsellerautor von »Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend« fing erst mit dem Schreiben an, als er 38 war.

Der Artikel ist gut geschrieben und natürlich stimmt es, dass man sich wegen einiger Monate, die man mal nicht arbeitet, nicht verrückt machen soll. Jedoch gefallen mir zwei Aspekte daran nicht:

Erstens: Die allerwenigsten von uns werden jemals ähnliches vollbringen wie Steve Jobs oder Andreas Altmann. Das sind die Ausnahmen unter den Ausnahmen. Den Glauben zu sähen, dass wir alle Chancen auf ähnliche Biographien haben, fühlt sich irgendwie falsch an. Wir sind nicht Steve Jobs. Wir sind durchschnittiche Menschen mit durchschnittlichen Begabungen, die durchschnittlich viel Glück oder Pech haben. Die meisten von uns werden einfach irgendeinen Job machen, der Geld bringt (Manchen wird nicht mal das vergönnt sein). Wenn man Glück hat, macht man ihn gerne. Aber selbst die Jobs, die man gerne macht, machen nicht ununterbrochen Spaß. Ich mag es irgendwie nicht Kindern und Jugendlichen diesen „Ihr könnt ALLES werden“-Floh ins Ohr zu setzen. Wir werden nicht alle reich und berühmt.

Das ist sehr spaßbremsig, ich weiß. Ich werde meinen Kindern ganz bestimmt nicht sagen: „DU kannst kein Künstler/Sänger/Autor/… werden.“ Können Sie gerne werden. Warum nicht. Aber ich werde ihnen nicht sagen, dass sie bestimmt den Durchbruch schaffen werden. Ich werde ihnen eher sowas sagen wie: „Klar kannst Du Musiker werden, warum nicht? Aber sei Dir klar darüber, dass das finanziell kein Spaß wird. Du wirst wahrscheinlich von der Hand in den Mund leben und manchmal vielleicht sogar gar kein Geld haben. Vermutlich wirst du dich zehn Jahre anstrengen, bevor überhaupt irgendwas passiert.“

Ich werde sie unterstützen und bestärken, aber mir geht dieses illusorische Vergleichen auf die Nerven.

Ein ganz anderer Aspekt an dem „Mach doch mal ne Auszeit – einfach so“ ist das Finanzielle. Ich habe mein Studium so schnell wie möglich beendet und dann angefangen zu arbeiten, weil ich Geld brauchte. Ich habe von 800 Mark im Monat gelebt. Mehr konnte ich neben dem Studium nicht verdienen. Ich habe Jobs gemacht für die ich pro Stunde 7,40 DM verdient habe. Ich habe jede Baumarktinventur mitgemacht, die zusätzlich am Wochenende aufzugabeln war. In den Semesterferien habe ich durchgearbeitet. Die gräßlichsten Jobs. Nach Abschluss meines Studiums habe ich Nachtschicht gearbeitet, weil das mehr Geld gab und dann habe ich unterbezahlte Praktika gemacht, bei denen ich 60 Stunden gearbeitet habe und hätte mein damaliger Freund mich nicht finanziell unterstützt – ich hätte nicht davon leben können. Ich finde es sehr luxuriös mal eine Auszeit zu nehmen und ich habe es (damals) nie geschafft vorher etwas dafür beiseite zu legen. Schulden wollte ich nicht machen. Also habe ich gearbeitet um einerseits Geld zu verdienen und mir andererseits eine Perspektive zu schaffen später mal (finanziell) sorglos leben zu können und im Idealfall das Geld zu haben, meinen Kindern den ein oder anderen Nebenjob zu ersparen.

Jetzt habe ich einen soliden Job. Ich habe nicht jeden Tag Spaß – aber es gibt sehr viele Aspekte, die mir an meinem Arbeitsleben gefallen. Manchmal denke ich, es wäre schön einen Beruf zu haben, in dem ich mehr schreiben könnte – aber dann lese ich Artikel wie den von Kathrin Passig und das macht mich demütig. Wenn jemand, der so klug und begabt ist, so zu kämpfen* hat, was wäre dann bitte mein Schicksal?

Ich bin vom Thema abgekommen: Ich glaube auch, dass die ein oder andere Lücke im Lebenslauf nicht schlimm ist – aber dies immer damit zu verknüpfen, dass man sich das auch mal leisten soll oder dass Lücken fast schon ein Indikator sind, dass einem eine großartige Zukunft erwartet – nun – das ist Quatsch.

Ich hatte dieses Jahr eine ernüchternde Einsicht: Wenn ich in dem Beruf arbeiten würde, in dem ich meine gerne arbeiten zu wollen, würde ich so gut wie nichts verdienen und das würde mir nicht gefallen. Das war schockierend. Bekommt man doch von allen Seiten dieses Selbstverwirklichungdingens eingehämmert. Anscheinend geht es anderen ähnlich. Anke Gröner schrieb vor einigen Monaten „Anfang des Jahres begann ich, mich in Jobbörsen umzusehen, die irgendwas mit der Oper zu tun haben, aber mir wurde relativ schnell klar, dass ich a) doch zu gerne Geld verdiene, als in diesem Bereich zu arbeiten und b) ich Oper lieber weiter als Zuschauerin wahrnehmen möchte anstatt hinter den Kulissen im Marketing oder in der PR.

(Davon abgesehen bin ich viel zu ängstlich mein Leben auf den Kopf zu stellen – weswegen ich Anke Gröner, die jetzt wieder studiert, sehr bewundere.)

 

Nachtrag: * „Kämpfen“ im Sinne von einen Vollzeitjob haben und trotzdem nicht so viel verdienen, dass man völlig sorglos davon leben und im besten Fall auch noch ausreichend Altersvorsorge betreiben kann – v.a. als Selbständige/r nicht. Ich habe das „ganz normales deutsches Durchschnittseinkommen“ im Text sehr wohl gelesen und finde es eben erschütternd, dass von so einem Gehalt zum Teil ganze Familien ernährt werden müssen.

Kathrin Passig sieht das anders:

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Lieblingstweets 10/12

https://twitter.com/twittschicat/status/255588033020170241

Mein Motto für den letzten Monat (das unten stehende bitte, nicht das oben stehende):

(Würde ich zur rp13 gerne mal als Flashmob am Brunnen am Straußberger Platz ausprobieren.)

 

Lieblingstweets 09/12

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Quapsel – Quaputzi – Quappo – Quaxo!

Pädagogisch wertvolle Fernsehsendungen: Heute, die Pokemon (und warum Biene Maja nichts für Kinder ist!)

Ich habe Kinder unterschiedlichen Geschlechts. Das erweitert zumindest die Bandbreite dessen, was man im Fernsehen zu sehen bekommt. Konkret bedeutet das, dass man eben nicht nur Transformers oder Pokemon sondern auch Prinzessin Lillyfee anschauen muss. Pokemon sind schon ziemlich schlimm. Denn – falls das hier jemand nicht weiß – Pokemon können nicht sprechen, sie können nur ihren eigenen Namen sagen. Das schränkt die Tiefe der Dialoge etwas ein.

Eine Folge Pokemon anzuschauen, erinnert mich sehr an die Ebbinghausschen sinnlosen Silben-Experimente zum Erfassen von Gedächtnisleistung. „Quaxo! Quaxo! Quaxo!“ Alle 648 Pokemon und deren Transformationen auseinander halten zu können, ist tatsächlich gar nicht so einfach.

Das alles mag die Gedächtnisleistung schulen. Es lindert aber nicht die Qualen, die ich beim Mitschauen erleiden muss. Andere Protagonisten, wie Prinzessin Lillifee, die eine Schweinefreundin namens Pupsi hat, sind leider nicht einfacher zu ertragen. Die komplexeren Dialoge lauten beispielsweise: „Was ist los Prinzessin Lillyfee?“ „Ach! Ich bin so traurig, ich habe sogar vergessen meine Frühstücksmilch rosa zu zaubern.“

Als ich das alles nicht mehr ausgehalten habe, dachte ich, meine Kinder müßten die Qualitätskinderserien meiner eigenen Kindheit anschauen. Heidi, Pinocchio und vielleicht Biene Maja. Die Erstausstrahlung von Biene Maja, habe ich sehr wahrscheinlich gar nicht mitbekommen, die war 1976. Da war ich erst ein Jahr. Wobei in den 70ern war man eher sorglos. Da haben die Eltern im Auto geraucht und wir Kinder sprangen im Kofferraum durch die Gegend. Vermutlich hat man mich da auch mit 10 Monaten Biene Maja schauen lassen. Sitzen konnte ich immerhin schon und das sollte zum Fernsehen reichen.

Ich hatte Biene Maja seit den frühen 80ern nicht mehr gesehen. Alles an was ich mich erinnerte, schien mir pädagogisch höcht wertvoll. Eine Biene, Mitglied eines Bienenschwarms, schlau und doch immer auf das Überleben der Gemeinschaft bedacht. Überhaupt Bienen eine super Sache – ein Matriarchat angeführt von einer Bienenkönigin, die Gelehrten so wie Biene Majas Lehrerin Kassandra alles Frauen… was könnte da an Biene Maja falsch sein?

Biene Maja war die erfolgreichste Kinderserie im ZDF. Bei der Erstausstrahlung schauten im Schnitt über 4 Millionen Kinder zu. Biene Maja, die in der Original-Anime-Serie übrigens mitsubachi maya no boken heißt, war die erste deutsch-österreichisch-japanische Coproduktion. Angestoßen wurde die Verfilmung der Romanvorlage von Josef Göhlen, dem damaligen Leiter des Kinder- und Jugendprogramms des ZDF, der sich in den USA in einem Motel mit dem Zeichner Marty Murphy traf, um Details der Zusammenarbeit auszubaldowern.

Marty Murphy wurde übrigens später einer der bekanntesten Karikaturisten im Playboy. Hätte ich das vorher gewußt, hätte ich die Kinder natürlich NIEMALS Biene Maja schauen lassen.

Die erste Staffel von Biene Maja beginnt mit der Folge „Maja wird geboren“. Kassandra möchte in den Bienenstock, um bei der Geburt dabei zu sein und wird von zwei Soldaten abgehalten, die den Befehl haben, niemanden herein zu lassen. Nach längerer Diskussion, darf Kassandara passieren. Die Bienen schlüpfen – alle nur eine nicht und das ist Maja, die quasi schon während ihrer Geburt reaktantes Verhalten zeigt. Ab da läuft die Biene Maja nur herum, fragt den Erwachsenen Löcher in den Bauch und macht nie was sie machen soll. Durch ihr leichtsinniges und naives Verhalten befindet sie sich ständig in Lebensgefahr. Schlimmer noch, sie gefährdet durch ihr uneinsichtiges Wesen permanent  die körperliche und seelische Unversehrtheit ihrer Freunde.

Der Grashüpfer Flip begleitet die Serien als Sprecher und statt das Ganze dann pädagogisch noch mal zusammenzufassen: „Ja, die Biene Maja hat viel Unsinn gemacht, aber jetzt hat sie was gelernt, das nächste Mal hört sie auf die erfahrenen Altbienen und bringt mit ihrem sorglosen ausschließlich auf Vergnügen ausgerichteten Verhalten nicht den ganzen Bienenstock in Gefahr!“ NEIN da sagt der noch: „Ja schade, diesmal hat sich die Biene Maja erwischen lassen, aber das passiert ihr nächstes Mal hoffentlich nicht, da muss sie einfach besser aufpassen!“

Nach nur drei Folgen sind wir wieder auf Pokemon umgestiegen. Zwar sind die Dialoge nicht so differenziert, aber wenigstens lernen die Kinder nicht so einen Unsinn, wie alles zu hinterfragen oder selbstständig die Welt zu erkunden – denn sie sind viel zu beschäftigt damit die 648 Pokemon und deren Entwicklungen sowie einzelne Attacken auswendig zu lernen. Das schult das Gedächtnis, fördert die Konzentrationsfährigkeit und das komplexe Denken und wenn man als Eltern dann endlich einsichtig ist – auch die motorischen Fähigkeiten sofern man das Pokemon-Spiel samt Nintendo DS kauft.

Biene Maja gibt es übrigens 2013 mit 78 neuen Folgen im ZDF zu sehen. Damit sie in die heutige Zeit passt, ist sie „rund, etwas greller und vor allem dreidimensional„. Da die alte Anime-Serie den heutigen Sehgewohnheiten von Kindern nicht mehr entspricht, ist sie schneller geschnitten und wird durch eine „dynamische Erzählweise“ belebt.

Experiment Aufwachteller

In den frühen 80ern war es vergleichsweise einfach auszuschlafen. Deswegen pädagogisch wertvoll ausprobiert: den Ausschlafteller.

Als ich klein war, konnten meine Eltern immer ausschlafen. Ich bin einfach um 5 Uhr wach geworden und habe fern gesehen bis sie aufstanden. Das war manchmal so lange, dass ich freiwillig den Frühstückstisch gedeckt habe, weil mir beim Fernsehen langweilig wurde. Obwohls mir nicht geschadet hat und ich trotzdem groß geworden bin, möchte ich das bei meinen Kindern nicht. Allein schon weil es nicht nur einen Sender gibt, auf dem Kindersachen laufen sondern zehn und darüber hinaus weitere zwanzig Sender auf denen 24 Stunden Dinge laufen, die Kinder besser gar nicht sehen. Es gibt auch noch sieben bis dreizehn weitere Gründe warum ich das nicht möchte.

Ich schätze, im Schnitt schlafe ich jede Nacht sechs Stunden. Wenn diese sechs Stunden ohne Unterbrechung sind, dann fühle ich mich am nächsten Morgen sogar frisch.

Dem jüngsten Kind sind die Stunden meiner nächtlichen Ruhezeit ziemlich egal. Es steht atomzeituhrgleich IMMER um 5.58 Uhr auf. Wenn ich also erst spät ins Bett komme, die üblichen sechs Stunden eher vier werden und zusätzlich zwischen eins bis drei Kinder in unserem Bett quer liegen, dann halluziniere ich, dass es irgendeine Lösung für mein Ausschlafproblem geben könnte.

In einer bekannten Elternzeitschrift wird in diesem Kontext ein „Ausschlafteller“ vorgestellt. Man solle einfach für den nächsten Morgen ein Tellerchen für den Nachwuchs anrichten, der schon leer gegessen werden könnte, während die Eltern selig weiterschlafen. Das würde den morgendlichen Hunger ein wenig stillen und stelle gleichzeitig eine schöne Beschäftigung dar. Offen für Vorschläge jeder Art, habe ich das heute ausprobiert. Als ich gegen 1 Uhr ins Bett ging, packte ich einige Maiswaffeln und Rosinen sowie andere getrocknete Früchte auf ein Tellerchen und deckte dieses mit einem zweiten Tellerchen ab. Als Kind 3.0 pünktlich 5.58 Uhr erwachte und fröhlich trompetete: „Alle aufstääähn, isch bin wahaaach!„, wälzte ich mich zur Seite und hauchte: „Auf dem Teppich im Kinderzimmer wartet eine kleine Überraschung auf Dich. Geh doch schon mal dahin und spiele dann ein bißchen.“

Das Kind, sehr interessiert, marschierte gen Kinderzimmer. „WO IS EINE ÜBERRASCHUNK? MAMAAAAAA???!
„Am Teppich steht was zu Essen.“
Und die Überraschunk??
„Das ist die Überraschung.“
Ich höre, wie Kind 3.0 den Teller lüftet und murmelt „Maiswaffel? MAMA, IST DE MAISWAFFL DA ÜBERRASCHUNK?
„Ja, und die Rosinen. Kannst Du alles essen und dann spielen. Ich schlafe jetzt noch.“
Ich höre knabbern, ziehe meine Decke über die Schulter und will gerade die Augen schließen, als Kind 3.o „Kansch auch was trinken?“ Verdammt, daran hätte ich denken müssen. Ich stehe auf, fülle Wasser in eine Trinkflasche, überreiche sie dem Kind und schluffe wieder ins Bett. Das Kind trinkt „Is das nur Wassa? MAMAAAA?“ Ich versuche mich ruhig zu verhalten. „MAMAAAA, ISCH WILL ABER MILSCHSAFTSCHORLÄ!*
„Gibts jetzt nicht, ich möchte schlafen.“
Es folgen 90 Sekunden Ruhe. „Kanne isch was bauen?
„Ja, natürlich“
Ich höre Legosteingeklapper. Das Kind tappt ins Schlafzimmer. „Kannst Du das zusammen bauen?
„Nein, ich möchte schlafen“
RÄÄHHHBÄÄÄHHHH
„OK, ich baue das jetzt zusammen, dann lässt Du mich aber schlafen.“ Ich baue unter Anleitung drei Schiffe und ein U-Boot mit Pferdeanhänger. Das Kind schlappt ins Kinderzimmer zurück.
Sind die Sinen alle fur misch?
(…)
Nach einer Stunde gebe ich auf und trotte wie ein Automat ins Kinderzimmer. Das Kind schmiegt sich liebevoll an mein Bein und fragt mit warmer Stimme: „Hast Du gut ausgeschlafen Mama?“ Der Ärger verfliegt und ein weiterer Tag mit blutunterlaufenen Augen und der Hoffnung auf einen Mittagsschlaf beginnt.

—–
*Auf mehrmalige Rückfrage eine Begriffsklärung: „Milchsaftschorle“, ist ein Konstrukt, das Kind 3.0 erfunden hat: Es stellt ein hypothetisches Getränk dar, das nach dem Abstillen dargereicht wird, um den Übergang zur herkömmlichen Saftschorle zu erleichtern. Kind 3.0 verlangt seit dem 18. Lebensmonat danach.

Einmal im Jahrzehnt ausgehen

Erstaunlicherweise kann man tatsächlich Spaß haben, wenn man abends ausgeht. Erfrischende Erfahrungen beim Balkan Beats hopsen. Hey, Hey, hey!

Betrachte ich mein Umfeld, scheint das Ausgehen und insbesondere das Tanzengehen, eine allgemein anerkannte und praktizierte Kulturtechnik zu sein. Deswegen verspüre ich alle zehn Jahre den Druck mitzumachen. Ich habe dabei nicht vergessen, dass alle vorangehenden Versuche kläglich gescheitert sind. Es ist nicht so, dass ich mich in der Vergangenheit nicht bemüht hätte, ich habe es mit dem Tanzen bereits kurz vor meinem 30. Geburtstag und auch in der Höhe meiner 20er versucht. Jetzt werde ich bald vierzig und da schien die Zeit wieder reif für eine neue Erfahrung und was soll ich sagen: versehentlich habe ich mich amüsiert.

In der Tanzthematik gibt es für mich zwei Hauptproblemfelder. Erstens: Ich stehe sehr gerne sehr früh auf. Am liebsten um fünf. Die Zeit zwischen fünf und sieben Uhr morgens ist für mich die Zeit größter Freiheit. Ich kann Kaffee trinken und meinen RSS-Reader leer lesen. Wenn ich schnell lese und die Körperhygiene auf das Mindestmaß beschränke, kann ich zusätzlich etwas schreiben bevor die Kinder wach werden. Diesen persönlichen Freiraum bezahle ich mit bleierner Müdigkeit ab 22 Uhr. Nach 24 Uhr wegzugehen scheitert folglich meistens daran, dass ich mich bereits in der ersten Tiefschlafphase befinde.

Ein weiteres Problem ist mein Musikgeschmack, der sogar regelmäßig die Algorithmen von Last.fm in die Resignation treibt. Wenn ich tanzen gehe, will sich nie ein Flow einstellen, weil mir mal ein Lied gefällt (Zustand 1=ich tanze) und mal wieder nicht (Zustand 0=ich erstarre zur übellaunigen Salzsäule).

Sich um 23 Uhr irgendwo zum Trinken zu treffen und dann um 1 Uhr tanzen zu gehen, ist somit eine Taktik, die mir ferner kaum sein könnte. Um 23 Uhr direkt in den Club zu gehen ist zwar denkbar uncool, hat aber viele Vorteile. Erstens muss man nur wenige Minuten anstehen um reinzukommen und zweitens bietet die Tanzfläche ausreichend Platz, um avandardistische Modern-Dance Positionen auszuprobieren:

Ich gebe zu, die Stimmung lässt zu solchen Uhrzeiten noch etwas zu wünschen übrig, aber Stimmung wird allgemein überschätzt. In einen Club zu gehen, ist im Grunde eine Aktivität, die einsamer und selbstbezogener kaum sein könnte. Das Kommunizieren findet in erster Linie ohnehin nicht verbal statt. Ich habe schon mal versucht in einem Club einem Interessierten meine Position zum Sozialkonstruktivismus zu erläutern, hatte aber das Gefühl, dass mein Gegenüber nach nur kurzer Zeit das aufrichtige Interesse verlor.

Jedenfalls, um auf den besagten Abend zurück zu kommen. Meine Freundinnen hatten die Idee zu Balkan Beats zu tanzen. Ich hatte keine Ahnung was das genau ist, hatte aber eine außerst positiv konnotierte Assoziation zu der rumänischen Kapelle Fanfare Ciocarlia und war daher bereit eine neue Erfahrung zu machen. Tatsächlich erwies sich der sogenannte Balkan Beat Mix als überaus tanzbar bzw. hüpfbar und als erstmal der ganze Saal hüpfte, passierte, wahrscheinlich gruppendynamisch verursacht, etwas seltsames: ich amüsierte mich und tanzte einfach zum eintönigen Grundrhythmus mit.

Rational betrachtet war alles furchtbar. Der DJ, der im Auflegkurs offensichtlich bei „Wie gestalte ich Übergänge“ krank gewesen ist, die bekloppten Leute, die mit Rotweingläsern in der Hand rumsprangen, dass ich so besudelt wurde, dass ich bald wie der letzte Clochard roch und eine Person im Publikum, die offensichtlich unter starken Blähungen litt.

Allerdings griff eine nie gekannte sorglose Fröhlichkeit um mich, die v.a. meiner Freundin zu Kopfe stieg, die wenige Minuten später eine Bühne erklimmte, um dort weiter zu tanzen. Ich wollte diesen Moment fotografisch festhalten, was von den Bühnentänzern fehlinterpretiert wurde. Man hievte mich freundlich hoch. Es blieb mir nichts anderes als mitzutanzen und das obwohl sich mein Kopf mit wirklich schwierigen Fragen auseinander setzte. Wir tanzten nämlich Sirtaki. Von Sirtaki wußte ich zumindest, dass es sich im engeren Sinne nicht um einen griechischen Volkstanz handelt, sondern dass Sirtaki für den Film Alexis Sobras erfunden wurde, um dem Hauptdarsteller Anthony Quinn, der anscheinend eher tanzunbegabt war, selbiges zu erleichtern. Jedenfalls beschäftigte mich darüber hinaus die Frage, welche Länder neben Griechenland überhaupt zum Balkan gehören. Mir war auch nicht ganz klar, inwiefern die  Triest-Odessa-Linie tatsächlich als geografische Begrenzung für den Balkan zu sehen ist oder nicht.

Meine Gedanken wurden jedoch von einem jungen Mann im Streifenshirt durcheinander gewirbelt, weil er sich gar nicht darum scherte, was mich aktuell bewegte. An diesem Abend fiel ich beschwingt in mein Bett. Es war das erste Mal, dass ich das Gefühl hatte, normal zu sein.