Das Gegenteil von Spitzer ist nicht stumpfer

Ich freue mich, dass es neben dem viel diskutierten, sehr lauten Manfred Spitzer nun zwei sanfte Stimmen gibt, die mit „Netzgemüse“ einen Gegenpol zum Thema Das-Internet-ist-der-Untergang-des-Abendlandes-und-wird-unsere-Kinder-alle-verderben gibt.

„Doch ein Zurück in eine Welt vor dem Internet […] gibt es nicht mehr. Es nützt daher wenig, sich gegen eine Welt mit Internet zu wehren, stattdessen sollten wir uns mit ihr beschäftigen, sie kennen(lernen), sie aktiv zum Besten formen und uns gemeinsam mit unseren Kindern: kümmern.“

Netzgemüse, Seite 145

Damit ist im Grunde eigentlich alles gesagt. Jedenfalls über das Internet und unsere Elternaufgaben.

Ich habe Netzgemüse sehr gerne gelesen. Ein bißchen hatte ich mich als Internetsüchtige Bloggerin und Mutter bereits mit dem Thema auseinander gesetzt und vieles, was beschrieben wird, ist ohnehin nicht neu für mich. Ich kenne und benutze Facebook, Twitter, YouTube und noch einige andere Plattformen seit einigen Jahren – auch erinnere ich mich lebhaft an Lebensphasen, in denen ich eher damit beschäftigt war, bei Monkey Island weiter zu kommen, als meine Französischvokabeln zu lernen. Mir ist auch durchaus der Reiz – das Suchtpotential – bewusst und dennoch habe ich durch das Buch noch einiges gelernt. Ich möchte das Buch aber auch all denjenigen wärmstens empfehlen, die sich im Gegensatz zu mir im Internet nicht zuhause fühlen – ja, die vielleicht sogar eher Berührungsängste mit dem Internet haben.

Für mich persönlich ist das Buch so wunderbar, weil es völlig unaufgeregt berichtet. Es ist hype- und hysteriefrei. Zudem hat es etwas, was ich sehr schätze: Es zeugt von einem durchweg respektvollen Miteinander zwischen Eltern und Kindern. Gut zu sehen an Kapitelüberschriften wie Vertraue deinem Kind so wie dir selbst (S. 247ff) und Tschüss, Kontrolle! Hallo, Gemeinsamkeit! (S. 260ff).

Ich habe z.B. sehr gerne Jesper Juuls Das kompetente Kind und Herbert Renz-Polsters Kinder verstehen gelesen. Beide haben gemeinsam, dass Kinder nicht als Tabula Rasa gesehen werden, die von den ach so erfahrenen und klugen, niemals irrenden Eltern geformt werden müssen. Diese Autoren gehen davon aus, dass Kinder gut und richtig sind und nicht erst zu irgendwas gemacht werden müssen. Die meisten Bücher dieser Art beschäftigen sich aber eher mit Kindern im Alter von 0 – 6. Bücher, die sich mit der Eltern-Kinder-Lebenswelt jenseits des Schuleintritts beschäftigen, sind rar. Das ist ein weiterer Grund warum ich Netzgemüse gerne gelesen habe.

Mir geht wirklich das Herz auf, wenn ich lesen kann, dass es andere Eltern gibt, die ihre Kinder ernst nehmen, die ihnen vertrauen, die sie begleiten und stärken. In vielen Gesprächen mit anderen Eltern bin ich erschüttert, wie wenig Kindern vertraut wird und ich finde es nach wie vor befremdlich, dass die Welt des Internets offenbar als parallel existierend neben der echten Welt gesehen wird. Auch das arbeitet Netzgemüse wunderbar heraus. Warum sollen im Internet andere Regeln gelten? Warum soll man dort anders kommunizieren, vertrauen, misstrauen, hinterfragen etc.

D.h. Netzgemüse bejubelt nicht das Internet sondern es führt LerserInnen zu den verschiedenen Haupthaltestationen des Internets und beleuchtet viele Aspekte – sowohl Chancen als auch Risiken und es gibt Beispiele, wie man mit eben diesen umgehen kann. Völlig undogmatisch.

Ich freue mich, dass es neben dem viel diskutierten, sehr lauten Manfred Spitzer nun zwei sanfte Stimmen gibt, die einen Gegenpol zum Thema Das-Internet-ist-der-Untergang-des-Abendlandes-und-wird-unsere-Kinder-alle-verderben gibt.

Quapsel – Quaputzi – Quappo – Quaxo!

Pädagogisch wertvolle Fernsehsendungen: Heute, die Pokemon (und warum Biene Maja nichts für Kinder ist!)

Ich habe Kinder unterschiedlichen Geschlechts. Das erweitert zumindest die Bandbreite dessen, was man im Fernsehen zu sehen bekommt. Konkret bedeutet das, dass man eben nicht nur Transformers oder Pokemon sondern auch Prinzessin Lillyfee anschauen muss. Pokemon sind schon ziemlich schlimm. Denn – falls das hier jemand nicht weiß – Pokemon können nicht sprechen, sie können nur ihren eigenen Namen sagen. Das schränkt die Tiefe der Dialoge etwas ein.

Eine Folge Pokemon anzuschauen, erinnert mich sehr an die Ebbinghausschen sinnlosen Silben-Experimente zum Erfassen von Gedächtnisleistung. „Quaxo! Quaxo! Quaxo!“ Alle 648 Pokemon und deren Transformationen auseinander halten zu können, ist tatsächlich gar nicht so einfach.

Das alles mag die Gedächtnisleistung schulen. Es lindert aber nicht die Qualen, die ich beim Mitschauen erleiden muss. Andere Protagonisten, wie Prinzessin Lillifee, die eine Schweinefreundin namens Pupsi hat, sind leider nicht einfacher zu ertragen. Die komplexeren Dialoge lauten beispielsweise: „Was ist los Prinzessin Lillyfee?“ „Ach! Ich bin so traurig, ich habe sogar vergessen meine Frühstücksmilch rosa zu zaubern.“

Als ich das alles nicht mehr ausgehalten habe, dachte ich, meine Kinder müßten die Qualitätskinderserien meiner eigenen Kindheit anschauen. Heidi, Pinocchio und vielleicht Biene Maja. Die Erstausstrahlung von Biene Maja, habe ich sehr wahrscheinlich gar nicht mitbekommen, die war 1976. Da war ich erst ein Jahr. Wobei in den 70ern war man eher sorglos. Da haben die Eltern im Auto geraucht und wir Kinder sprangen im Kofferraum durch die Gegend. Vermutlich hat man mich da auch mit 10 Monaten Biene Maja schauen lassen. Sitzen konnte ich immerhin schon und das sollte zum Fernsehen reichen.

Ich hatte Biene Maja seit den frühen 80ern nicht mehr gesehen. Alles an was ich mich erinnerte, schien mir pädagogisch höcht wertvoll. Eine Biene, Mitglied eines Bienenschwarms, schlau und doch immer auf das Überleben der Gemeinschaft bedacht. Überhaupt Bienen eine super Sache – ein Matriarchat angeführt von einer Bienenkönigin, die Gelehrten so wie Biene Majas Lehrerin Kassandra alles Frauen… was könnte da an Biene Maja falsch sein?

Biene Maja war die erfolgreichste Kinderserie im ZDF. Bei der Erstausstrahlung schauten im Schnitt über 4 Millionen Kinder zu. Biene Maja, die in der Original-Anime-Serie übrigens mitsubachi maya no boken heißt, war die erste deutsch-österreichisch-japanische Coproduktion. Angestoßen wurde die Verfilmung der Romanvorlage von Josef Göhlen, dem damaligen Leiter des Kinder- und Jugendprogramms des ZDF, der sich in den USA in einem Motel mit dem Zeichner Marty Murphy traf, um Details der Zusammenarbeit auszubaldowern.

Marty Murphy wurde übrigens später einer der bekanntesten Karikaturisten im Playboy. Hätte ich das vorher gewußt, hätte ich die Kinder natürlich NIEMALS Biene Maja schauen lassen.

Die erste Staffel von Biene Maja beginnt mit der Folge „Maja wird geboren“. Kassandra möchte in den Bienenstock, um bei der Geburt dabei zu sein und wird von zwei Soldaten abgehalten, die den Befehl haben, niemanden herein zu lassen. Nach längerer Diskussion, darf Kassandara passieren. Die Bienen schlüpfen – alle nur eine nicht und das ist Maja, die quasi schon während ihrer Geburt reaktantes Verhalten zeigt. Ab da läuft die Biene Maja nur herum, fragt den Erwachsenen Löcher in den Bauch und macht nie was sie machen soll. Durch ihr leichtsinniges und naives Verhalten befindet sie sich ständig in Lebensgefahr. Schlimmer noch, sie gefährdet durch ihr uneinsichtiges Wesen permanent  die körperliche und seelische Unversehrtheit ihrer Freunde.

Der Grashüpfer Flip begleitet die Serien als Sprecher und statt das Ganze dann pädagogisch noch mal zusammenzufassen: „Ja, die Biene Maja hat viel Unsinn gemacht, aber jetzt hat sie was gelernt, das nächste Mal hört sie auf die erfahrenen Altbienen und bringt mit ihrem sorglosen ausschließlich auf Vergnügen ausgerichteten Verhalten nicht den ganzen Bienenstock in Gefahr!“ NEIN da sagt der noch: „Ja schade, diesmal hat sich die Biene Maja erwischen lassen, aber das passiert ihr nächstes Mal hoffentlich nicht, da muss sie einfach besser aufpassen!“

Nach nur drei Folgen sind wir wieder auf Pokemon umgestiegen. Zwar sind die Dialoge nicht so differenziert, aber wenigstens lernen die Kinder nicht so einen Unsinn, wie alles zu hinterfragen oder selbstständig die Welt zu erkunden – denn sie sind viel zu beschäftigt damit die 648 Pokemon und deren Entwicklungen sowie einzelne Attacken auswendig zu lernen. Das schult das Gedächtnis, fördert die Konzentrationsfährigkeit und das komplexe Denken und wenn man als Eltern dann endlich einsichtig ist – auch die motorischen Fähigkeiten sofern man das Pokemon-Spiel samt Nintendo DS kauft.

Biene Maja gibt es übrigens 2013 mit 78 neuen Folgen im ZDF zu sehen. Damit sie in die heutige Zeit passt, ist sie „rund, etwas greller und vor allem dreidimensional„. Da die alte Anime-Serie den heutigen Sehgewohnheiten von Kindern nicht mehr entspricht, ist sie schneller geschnitten und wird durch eine „dynamische Erzählweise“ belebt.

Experiment Aufwachteller

In den frühen 80ern war es vergleichsweise einfach auszuschlafen. Deswegen pädagogisch wertvoll ausprobiert: den Ausschlafteller.

Als ich klein war, konnten meine Eltern immer ausschlafen. Ich bin einfach um 5 Uhr wach geworden und habe fern gesehen bis sie aufstanden. Das war manchmal so lange, dass ich freiwillig den Frühstückstisch gedeckt habe, weil mir beim Fernsehen langweilig wurde. Obwohls mir nicht geschadet hat und ich trotzdem groß geworden bin, möchte ich das bei meinen Kindern nicht. Allein schon weil es nicht nur einen Sender gibt, auf dem Kindersachen laufen sondern zehn und darüber hinaus weitere zwanzig Sender auf denen 24 Stunden Dinge laufen, die Kinder besser gar nicht sehen. Es gibt auch noch sieben bis dreizehn weitere Gründe warum ich das nicht möchte.

Ich schätze, im Schnitt schlafe ich jede Nacht sechs Stunden. Wenn diese sechs Stunden ohne Unterbrechung sind, dann fühle ich mich am nächsten Morgen sogar frisch.

Dem jüngsten Kind sind die Stunden meiner nächtlichen Ruhezeit ziemlich egal. Es steht atomzeituhrgleich IMMER um 5.58 Uhr auf. Wenn ich also erst spät ins Bett komme, die üblichen sechs Stunden eher vier werden und zusätzlich zwischen eins bis drei Kinder in unserem Bett quer liegen, dann halluziniere ich, dass es irgendeine Lösung für mein Ausschlafproblem geben könnte.

In einer bekannten Elternzeitschrift wird in diesem Kontext ein „Ausschlafteller“ vorgestellt. Man solle einfach für den nächsten Morgen ein Tellerchen für den Nachwuchs anrichten, der schon leer gegessen werden könnte, während die Eltern selig weiterschlafen. Das würde den morgendlichen Hunger ein wenig stillen und stelle gleichzeitig eine schöne Beschäftigung dar. Offen für Vorschläge jeder Art, habe ich das heute ausprobiert. Als ich gegen 1 Uhr ins Bett ging, packte ich einige Maiswaffeln und Rosinen sowie andere getrocknete Früchte auf ein Tellerchen und deckte dieses mit einem zweiten Tellerchen ab. Als Kind 3.0 pünktlich 5.58 Uhr erwachte und fröhlich trompetete: „Alle aufstääähn, isch bin wahaaach!„, wälzte ich mich zur Seite und hauchte: „Auf dem Teppich im Kinderzimmer wartet eine kleine Überraschung auf Dich. Geh doch schon mal dahin und spiele dann ein bißchen.“

Das Kind, sehr interessiert, marschierte gen Kinderzimmer. „WO IS EINE ÜBERRASCHUNK? MAMAAAAAA???!
„Am Teppich steht was zu Essen.“
Und die Überraschunk??
„Das ist die Überraschung.“
Ich höre, wie Kind 3.0 den Teller lüftet und murmelt „Maiswaffel? MAMA, IST DE MAISWAFFL DA ÜBERRASCHUNK?
„Ja, und die Rosinen. Kannst Du alles essen und dann spielen. Ich schlafe jetzt noch.“
Ich höre knabbern, ziehe meine Decke über die Schulter und will gerade die Augen schließen, als Kind 3.o „Kansch auch was trinken?“ Verdammt, daran hätte ich denken müssen. Ich stehe auf, fülle Wasser in eine Trinkflasche, überreiche sie dem Kind und schluffe wieder ins Bett. Das Kind trinkt „Is das nur Wassa? MAMAAAA?“ Ich versuche mich ruhig zu verhalten. „MAMAAAA, ISCH WILL ABER MILSCHSAFTSCHORLÄ!*
„Gibts jetzt nicht, ich möchte schlafen.“
Es folgen 90 Sekunden Ruhe. „Kanne isch was bauen?
„Ja, natürlich“
Ich höre Legosteingeklapper. Das Kind tappt ins Schlafzimmer. „Kannst Du das zusammen bauen?
„Nein, ich möchte schlafen“
RÄÄHHHBÄÄÄHHHH
„OK, ich baue das jetzt zusammen, dann lässt Du mich aber schlafen.“ Ich baue unter Anleitung drei Schiffe und ein U-Boot mit Pferdeanhänger. Das Kind schlappt ins Kinderzimmer zurück.
Sind die Sinen alle fur misch?
(…)
Nach einer Stunde gebe ich auf und trotte wie ein Automat ins Kinderzimmer. Das Kind schmiegt sich liebevoll an mein Bein und fragt mit warmer Stimme: „Hast Du gut ausgeschlafen Mama?“ Der Ärger verfliegt und ein weiterer Tag mit blutunterlaufenen Augen und der Hoffnung auf einen Mittagsschlaf beginnt.

—–
*Auf mehrmalige Rückfrage eine Begriffsklärung: „Milchsaftschorle“, ist ein Konstrukt, das Kind 3.0 erfunden hat: Es stellt ein hypothetisches Getränk dar, das nach dem Abstillen dargereicht wird, um den Übergang zur herkömmlichen Saftschorle zu erleichtern. Kind 3.0 verlangt seit dem 18. Lebensmonat danach.

Es ist nirgendwo so schön wie daheim – schon gar nicht im Urlaub

Korsika ist uneingeschränkt zu empfehlen.

Mit Abschluss unseres letzten Urlaubs haben wir uns geschworen, nie wieder Urlaub zu machen. Das lässt sich schon an den Bildern erahnen. Ich will jetzt nicht behaupten, dass ich das schon wusste bevor wir losfuhren, aber sagen wir mal, es schwante mir bereits.

Erstens: Ich hasse Hitze. Alles was 23 Grad überschreitet, ist für mich unerträglich. Ich vegetiere dahin, ich halte es nicht aus. Ich hasse schwitzen. Ich hasse Sonne. Ich hasse extreme Helligkeit. ICH wollte nach Norwegen! Aber ich bin kompromissbereit und anpassungsfähig und weil alle unbedingt in den Süden wollten – BITTE DANN EBEN SCHWITZEN!

Zweitens: Ich möchte jetzt nicht sagen, ich hätte Vorurteile gegen das französischsprachige Ausland, aber sagen wir so: In meiner Jugend war mir während diverser Frankreichaufenthalte bereits aufgefallen, dass man es sehr genau mit der Aussprache nimmt und dass, wer den Subjonctif nicht hundert prozentig beherrscht, meistens nicht beachtet oder gar bedient wird. So auch diesen Urlaub. Da kann man sieben Jahre Französisch in der Schule gehabt und immer 14 Punkte geschrieben haben – einen nasalen Laut verschluckt – und der Kommunikationspartner kennt keine Gnade. Auch nicht bei Kindern. Wenn die aus Versehen „un baguette“ statt „une baguette“ bestellen, dann lautet die Antwort „QUOI???!???“ Wenn das Kind dann winselnd mit einem Euro winkt, mit dem Finger die Zahl Eins anzeigt und auf die Baguettes in der Auslage deutet, gibt es dennoch kein Erbarmen. Es wird mit dem Besen aus der Boulangerie gescheucht.

Drittens: Campen mit fünf Kindern in einer Altersspanne von Baby bis Pubertät ist ein Alptraum! Nächstes Mal nehmen wir unsere wii, die Playstation und alle sonstigen elektronischen Unterhaltungsgeräte mit. Das haben die anderen Campingplatzbesucher auch so gemacht. Immer war irgendwem schrecklich langweilig, oder jemand hatte Hunger oder Durst oder alles gleichzeitig. Dann musste es für Kind A Apfelsaftschorle sein, das nächste bestand auf Quittensaft und Kind C und D wollten unbedingt Spreequell medium, weil das andere Mineralwasser nicht schmeckt. Wenn dann alle hatten, was sie wollten, stieß Kind E seine Saftschorle um und es begann das Geputze. Hinterher hatte man eine Ameisenautobahn quer über den Essensplatz.

Zur Krönung kostete Eis 3 in Worten DREI Euro und zwar pro Kugel. Oder man gönnte sich das günstige Magnum für 4,90 – sofern es denn ein Stileis sein sollte. Folglich mieden wir die Zivilisation und haben gelernt, dass man eigentlich einen Eisschrank kauft und diesen zu Beginn des Urlaubs mit selbst erworbenen Eis bestückt, das man portionsweise raus geben kann.

Wenn man an den Strand wollte (20 Meter Entfernung), brauchte man dafür 1,5 Stunden. Denn man musste die Kinder ja vorher noch eincremen (!!!). Zu Beginn wurde das Eincremen noch mit Geheule begleitet, doch dann lieh ich mir ein Smartphone eines anderen Urlaubers und zeigte den Kindern das Bild des LKW-Fahrers, der vergaß seine dem Sonnenlicht ausgesetzte Körperhälfte täglich mit SF 50 zu schützen.

Viertens: Campen generell ist total doof. Es sei denn, man steht auf den natürlichen Look und zwar v.a. was den Anblick sanitärer Anlagen angeht. Nicht selten habe ich mir gewünscht noch oder schon wieder im Windelalter zu sein oder einfach an furchtbaren Verstopfungen zu leiden und einfach nach 21 Tagen… aber lassen wir das.

Auch Kochen war furchtbar. Entweder alles war voll korsischen Staub oder aber man kochte versehentlich Teile der regionalen Fauna und Flora mit.

So blickten wir traurig und sehnsüchtig zu den Mobile Homes, die ausschließlich von Parisern angemietet wurden. Zur Hauptsaison kosten die nämlich rund 1.000 Euro die Woche. Jemand, der in Paris wohnt, mag denken: „Ah bon marché!“ – für uns waren sie in dieser Preislage leider völlig unerschwinglich.

Fünftens: Man zwang mich v.a. im Landesinneren zu sportlichen Aktivitäten. Sport hasse ich allerdings fast noch mehr als Sonnenlicht. Während der Flußwanderungen bohrten sich mehrere Äste in meine Oberschenkel und hinterließen eitrige Wunden. Meine Knie schlug ich mir blau und blutig als ich eines der Kinder, das versehentlich abgerutscht und ins Wasser gefallen war, retten musste. Stechmücken und Käfer, deren Bisse beinahe 14 Tage juckten, gaben mir den Rest.

Ich könnte die Liste noch unendlich fortführen, aber es genügt sicherlich festzustellen, dass die Kinder ab dem 14. Urlaubstag nicht mehr zu überreden waren, an den Strand zu gehen. Sie vermissten ihre gewohnte Umgebung so sehr, dass sich die Kleinsten lieber im Straßendreck einer als Terrain de Jeux ausgegebenen Brachfläche wälzten, als schwimmen zu gehen.

Die Rückfahrt dauerte dann statt der geplanten 10 Stunden bis zum ersten Zwischenstopp 22 Stunden. Vor Erschöpfung fuhren wie aus Versehen in Mailand rein, statt um Mailand herum und mussten in der Schweiz halten und für fünf Kaltgetränke unseren gemeinsamen Jahresbonus ausgeben. Danach brüllten die Kinder auf den Rücksitzen ausdauernd bei ca. 160 dB.

Nächstes Jahr also Brandenburg. Maximal.

(Dieser Eintrag ist frisch nach der Rückkehr erstellt. Das ist mein wahres Ich. Der Humor kommt erst in 14 Tagen.)

Landleben

Für einen kurzen Moment dachte ich darüber nach, ob es schön wäre ein Wochenendhaus zu haben. Dann stach mich eine Mücke.


Mindestens einmal im Jahr zieht es uns aufs Land. Der Kinder wegen. Die armen Stadtkinder sollen auch mal erfahren was Freiheit bedeutet, wie schön es ist, durch ein Roggenfeld zu rennen (möglichst schneller als der Bauer, den man damit verärgert).

Von seinen Geschwistern erfährt Kind 3.0 dass es eine zutrauliche Katze geben soll. Deswegen befüllt es gleich nach unserer Ankunft den Napf, der vor der Haustür steht mit Katzenfutter und legte sich auf die Katzenlauer. Regungslos verharrt es im Halbdunkel des Fliederbaumes und hofft, dass sich irgendwann die Katze der Nachbarin zeigen würde.

Als es dämmert, gibt unser Jüngstes auf und bohrt kleine Löcher in den Boden. In diese legt es die unangetasteten Katzentrockenfutterkroketten und gießt jede einzelne gewissenhaft. Ein Katzenfutterbaum möge dort wachsen, murmelt es, als es die bepflanzten Mulden mit Humus überschüttet.

In der Zwischenzeit betrachtet Kind 1.0 sehr lange ein Poster, das im Inneren des Wochenendhäuschens hängt und stellt fest: „Xsara Picasso ist aber nicht alt geworden. Wahrscheinlich waren die dicken Finger an seinem frühen Tod schuld.“

Am zweiten Tag erscheint an unserem Gartentor überraschenderweise ein Junge im Alter von Kind 1.0. Er ist außer sich vor Freude. Noch nie hat er ein anderes Kind im Dorf gesehen. Seit seiner Geburt fahren seine Eltern mit ihm Sommer wie Winter, Wochenende für Wochenende in das Brandenburger Hinterland. Früher hätte es noch Ziegen gegeben, auf denen er hatte reiten können, aber die seien jetzt tot. Der Zahnfehlstellungen wegen. Die Ziegenzahnspange hätte 6.000 Euro gekostet. Man habe die Ziegen dann lieber eingeschläfert. Ob er denn immer alleine sei? Im Grunde ja, berichtet der Junge. Es gäbe in den Nachbarsdörfern Kinder, er hätte sie alle mindestens einmal gesehen, aber die hießen alle Uwe, so wie ihre Väter und Onkel und irgendwie seien sie komisch. Der Junge führt uns zu seinem Hof. Dort leben drei Wollschweine. Ich schätze, dass sie fünfzig Jahre alt sind. Ihr Fell ist grau. Jedes einzelne wiegt 600 kg. Sie sind unfassbar riesig und ihre fußballgroßen Rüssel beschnüffeln gierig unser Kind 3.0, das ich nicht mehr unbeaufsichtigt lasse. Ich denke, wenn ich mich rumdrehe, fressen sie Kind 3.0 auf. In einem Haps. Ich habe Animal Farm von George Orwell gelesen, lasse ich sie wissen, mir macht ihr nichts vor.

Während ich sie betrachte, frage ich mich. Was macht man wenn eines dieser Halbtonner verendet? Wie viel Uwes braucht es, um ein einziges totes Schwein auf den Kompost zu zerren. Wie ist seine biologische Halbwertszeit? Oder muss man es zersägen? Aber was macht man mit den Einzelteilen?

Am Abend sitzen wir vor dem Haus und schauen den Hornissen zu. Einige Spinnen gesellen sich zu uns. Ich schlage im 10-Sekunden-Takt Mücken tot und denke: „Ach so ein Wochenendhaus *klatsch*, das wäre schon was *klatsch*. Unsere Kinder könnten auch auf Ziegen reiten *klatsch* und ich würde Gemüse anbauen *klatsch*. Zucchini zum Beispiel *klatschklatsch* und dann gäbe es jeden Tag Zucchinisuppe, gebratene Zucchini, gedünstete *klatsch* Zucchini, marinierte Zucchini *klatsch* und *klatsch* vielleicht auch Zucchiniauflauf. Hach! Das wäre *klatsch* echt schön.“

Tägliches Instant-Karma

Es wäre so schön, wenn ich eines Tages vorlesen dürfte was mir gefällt.

Die Karmatheorie geht davon aus, dass jedes Verhalten eine Folge hat. Jede Übeltat wird umgehend abgestraft. Ich glaube daran und ich bemühe mich wirklich, wirklich ein guter Mensch zu sein.

Leider schaffe ich es nie den ganzen Tag Gutes zu tun und nicht zu lügen. Man kennt das ja. Die Kollegin im neuen Kleid, das aussieht wie Omis eilig übergeworfene Häkeltischdecke. Kaum hat man nach dem Schock des Anblicks wieder Luft, verlassen die Worte: „Oh, wo hast Du das denn her? Das sieht aber … interessant aus“ den eigenen Mund und zack hat man gelogen.

So ist es nicht weiter verwunderlich, dass der ausgleichende Weltengeist am Abend Rache nimmt und Eltern dazu zwingt immer und immer wieder die grauenhaftesten, unrhythmischsten und langweiligsten Bücher vorzulesen. Dem Kinderlosen sei versichert, egal wie sehr man sich um das geistig anspruchsvolle Kinderbuchregal bemüht, am Ende finden doch Conni, traumhafte Prinzessinnengeschichten, Bob der Baumeister und Disneys schönste Märchensammlung den Weg in die eigenen vier Wände. Zum Entzücken der Kinder und zum Leid der Eltern.

Da steht man hoffnungsvoll vor der Leseecke und die kleine Kinderhand greift Abend für Abend nach dem schlimmsten aller Bücher. Gnädige Kinder varieren wenigstens, doch in im Alter zwischen 3 und 5 sind Kinder entwicklungspsychologisch bedingt zwanghaft und wollen bar jeder Rücksicht die immerselbe Geschichte hören. Abend für Abend für Abend für Abend.

Kind 3.0 ist zur Zeit in Aräll (Arielle) verliebt und so habe ich bereits mehrere Duzend Mal Arielle gelesen. Dabei ist Kind 3.0 sehr ungnädig. Es merkt sofort wenn ich eine der 42 Seiten „aus Versehen“ überblättere oder wenn ich einen Satz anders lese, um einen Verleser auszugleichen und mich selbst vom Einschlafen abzuhalten. Sekunden zuvor schläfrig, die Augen auf Halbmast, schreckt es hellwach hoch und ist erst wieder zu beruhigen, wenn ich ordnungsgemäß ablese.

Montag: „Was wollen wir heute lesen?“ „ARRRÄÄÄÄLL!“

Dienstag: „Hey, schau mal wäre es nicht schön, wenn wir …“ „Aräll“

Mittwoch: „Wollen wir heute nicht mal…“ „Arrr-äll!“

Donnerstag: „Lust ein Hörspiel zu hören?“ „Ärähähäll lesen.“

Freitag: „Soll ich Dir mein iPhone zum Spielen geben? Kopfschütteln, wortloses Deuten auf das Arielle-Buch.

Samstag: Mutter mit Tränen in den Augen. Kind, emotionslos: „Aräll“

Sonntag: „…“ „Aräll, Mama, Du weißt das!“

Wenn die Kinder schlafen, kann man endlich Franziska (1, 2, 3), Ritter BodobertWilli Wiberg-Bücher und Ein Nilpferd kommt selten allein lesen.

Singen in der Tonlage einer Hundepfeife

Über die vergeblichen Bemühungen meine Kinder zur Musikalität zu erziehen.

Folgt man der Logik der TeilnehmerInnen der ersten Auswahlrunde bei „Deutschland sucht den Superstar“ und ähnlichen Casting-Formaten, hätte ich eigentlich eine Karriere als Sängerin anstreben müssen.  Jedenfalls eine der Art, bei der Dieter Bohlen nachfragt, ob man nicht schon mal jemanden vorgesungen habe und ob der einem nicht gesagt hätte, wie grauenhaft man klinge. Kind 1.0 hat mein Singtalent in jungen Jahren, weitaus sensibler als es Dieter Bohlen je vermag, ganz gut zusammengefasst mit: „Weißt Du, es wäre mir lieber wenn Du zum Einschlafen nicht mehr selbst singen würdest. Vielleicht versuchen wir es mal mit einer CD?“.

Dennoch werde ich nicht müde mit meinen Kindern zu singen. Ich bin der festen Überzeugung, dass Singen sehr wichtig für die Menschwerdung ist. Jedoch komme ich im Alltag sehr selten dazu und wie gesagt, meine eigene Musikalität lässt rational gesehen zu wünschen übrig.

Ich kam folglich schon mehrere Male auf die Idee das Thema Musik outzusourcen und mich an einen Fremdanbieter für Kindertralala zu wenden. Kompetenzen über die man selbst nicht verfügt, muss man im Zweifelsfall dazukaufen.

Nach dem zehnten Versuch letzte Woche, werde ich doch auf den vor Jahren von Kind 1.0 gegebenen Rat zurückgreifen und die musikalische Erziehung über das CD-Abspielgerät abdecken.

Da packte ich nämlich Kind 2.0 und 3.0 und meldete uns zu einer Probestunde bei einem Kurs mit dem schönen Namen Hausmusik an. Hausmusik, das klang irgendwie entfernt nach MTV Unplugged, nach Moderne und nach einem lockeren Rahmen. Was wir jedoch vorfanden, war das übliche Modell Kindermusikkurs: Eine Frau, die ausschließlich in Kopfstimme Lieder vorsingt, die man gut und gerne drei Oktaven tiefer singen könnte (jedenfalls wenn das Ziel ist, das nicht nur Hundepfeifen mitsingen können), militärische Regelungen wie sich die Kinder zu bewegen haben (und v.a. wie nicht!) und die immer gleichen Lieder. Ja kennt denn der Volksmund pro Saison nur drei Lieder? Himmelherrgott gibt es denn keine zeitgemäßen Lieder? Kann man nicht mal ein bißchen Reinald Grebe singen? Oder Wir sind Helden oder ein Paar peinliche Zeilen Mia trällern? Warum ist noch nie ein musikalisch talentierter Mensch auf die Idee gekommen nicht das 0815-Kindermusikprogramm abzuspulen?

Kind 2.0 reagierte auf den grausigen Musikkurs mit apathischem Hin- und Hergeschaukle und Kind 3.0 grölte sechzig Minuten durchgehend: ISCH SINGE NISCH! ISCH SIIIINGE NISCH!!!

Als die Kursleiterin mich am Ende des Kurses fragte, ob wir nun den Vertrag unterschreiben wollen und ich noch nach diplomatisch ausweichenden Worten suchte, kam mir Kind 2.0 zuvor und antwortete: „Weißt Du, das hat keinen Spaß gemacht. Ich singe lieber weiter beim Capoeira. Da haben wir eine Berimbau und ein Pandeiro und mein Lehrer kann echt gut singen.“

Erziehen heißt Dranbleiben

Erziehungstipps von der Expertin. Heute, wie man Kinder zum Händewaschen motiviert.

Bevor ich Kinder hatte, war ich der festen Überzeugung, dass es Mittel und Wege gäbe, sie zu erziehen. Etwas mehr als zehn Jahre später weiß ich: das ist totaler Quatsch.
Nehmen wir das Beispiel Hygieneerziehung und hier die vergleichsweise kleine Aufgabe: Hände waschen.
Als ich Kind 1.0 kennen lernte, dachte ich, es genüge ein gutes Vorbild zu sein. Vor dem Essen rief ich voller Elan: Hände waaaschen! Sprang auf und wusch mir die Hände. Kind 1.0 schaute nicht mal in meine Richtung. Kann ja nicht alles sofort klappen, beruhigte ich mich und wiederholte mein Ritual täglich mehrere Male, vierzehn Tage lang.
42 Versuche später, variierte ich mein Vorgehen: Hääände waaaschen! Wer kooommt mit?
Keine Reaktion von Kind 1.0.
Weitere 50 Male später: Komm, Kind 1.0 wir gehen Hände waschen.
Murren.
431 Male später war immer noch keine Eigenmotivation zu erkennen.
(Kind 1.0 war beinahe drei Jahre alt, als ich es kennen lernte muss ich dazu sagen. Nicht dass jemand denkt, ich hätte von einem Säugling verlangt Hände zu waschen.)
Gut, dachte ich. Dann die Sache mit der Vernunft.
Schau Kind 1.0 Hände waschen ist wichtig, weil [kindgerechter Vortrag über die Verbreitung von Krankheitserregern, die Errungenschaften des Alexander Flemings und über die Berechtigung des Robert-Koch Instituts].
Keine Reaktion. Auch mehrmaliges an die Vernunft appellieren blieb erfolglos.
Ich entwickelte als findige Psychologin ein Bonussystem. Selbständiges Händewaschen vor dem Essen = 2 Punkte; selbständiges Händewaschen nach dem Toilettengang = 3 Punkte. Bereites Händewaschen nach Aufforderung = 1 Punkt. Alle 10 Punkte = 1 Eis.
Ein Jahr später hatte das Kind noch kein Eis zusammen.
OK, OK, OK! In der Zwischenzeit las ich Jesper Juuls „Das kompetente Kind“ und lernte, Kinder wollen kooperieren. Das bestehende Bonussystem war somit tödlich für die Motivation. Die Sache musste herum gedreht werden. Man unterstellt dem Kind Gutes und zieht Punkte für den unwahrscheinlichen Fall, dass das Kind doch nicht kooperieren möchte, Punkte ab.
Jede Woche erhielt das Kind 100 Punkte, die es in der darauf folgenden Woche einlösen könnte. Vergessenes Händewaschen = -2 Punkte. Händewaschen nach Aufforderung verweigern= -1 Punkt.
Am Ende der Woche hatte das Kind -345 Punkte.
Gut, gut. Schulz von Thun also. Ich betonte bei unserer Kommunikation nicht mehr die Sachebene (Bakterien, Hygiene) und nicht die Apellebene (Tu es doch endlich!!!) sondern versteifte mich auf die emotionale Ebene (Mami wäre wirklich sehr glücklich, wenn Du die ba-ba Hände waschen würdest!).
Auch das prallte an Kind 1.0 ab.
So vergingen die Jahre.
– Hast Du Hände gewaschen?
– Ja!
– Wie kannst Du das ohne Wasser? Ich habe das Waschbecken kontrolliert.
– grummelmurmel

– Hände gewaschen?
– Vergessen!
– HÄNDEWASCHEN!
– ____

Ich versuchte alles. Ich hab Kind 1.0 sogar zum Einschlafen 365 Tage lang hintereinander, das Video der Kampagne „Wir gegen Viren“ gezeigt.
Erfolglos.
Kein Betteln, kein Flehen, kein Erklären, kein Bitten. Nichts half. NICHTS. Kind 1.0 wusch sich grundsätzlich nie die Hände. Niemals.
Ich war so verzweifelt.
Es half kein Schreien, kein Drohen, kein Weinen, kein Aufdembodenwälzen, kein Kopfaufdentischschlagen (meinen!), keine Bestechungsversuche.
Kind 1.0 war handwaschresistent.
2009 als die Schweinegrippe grassierte hat es drei Mal Hände gewaschen, glaube ich. Das wars aber schon.
Jetzt ist das Kind bald ein Teenager und ich hatte schon jede Hoffnung aufgegeben. Nur der abendliche Konsum der altgriechischen Heldensagen hielt in mir die Hoffnung wach, dass ich eines Tages einen Angriffspunkt in Sachen Erziehung finden würde. Und tatsächlich. Auch unser Archilleus war verletzlich. Er musste nur zu einem Jüngling heranreifen, damit sich mir seine Schwäche offenbarte.
Die Schwäche hieß Mädchen. Kind 1.0 hasst Mädchen. Sogar die Farbe rosa, die er mit dem weiblichen Geschlecht assoziiert, empfindet es als bedrohlich. Wenn es zu lange etwas rosafarbenes betrachten musste, sucht es einen blauen Gegenstand und lädt sich an ihm wieder auf.
Just als ich diese Erkenntnis hatte, zog gegenüber ein leicht pubertierendes Mädchen ein. Sie schminkte sich schon und sie liebte Rosa. Ein Geschenk des Himmels. Sie wirkte auf mich wie eine von Gott höchst persönlich gesandter rosafarbener Bote der frohen Botschaft, wenn sie vom Flurlicht angestrahlt in unserem Wohnungsdurchgang stand und große rosafarbene Kaugummiblasen blies während sie sich ihre rosaglitzernden Sneaker abtrat.
Ich hörte sie durch die geschlossene Wohnungstür kichern und wenn morgens durch den Spion lugte, sah ich oft wie sie sich pinkglänzenden Lippgloss auftrug bevor sie zur Schule ging.
Dieses Mädchen war das Beste, das mir erziehungstechnisch je passiert ist. Ich traf mit ihr eine zugegebenermaßen nicht ganz billige Vereinbarung.
Das nächste Mal als Kind 1.0 verweigerte die Hände zu waschen, zog ich meinen Joker: Wenn Du nicht die Hände wäschst, hole ich das Nachbarsmädchen und es umarmt Dich.
Ungläubiges Gelächter.
Ich ging rüber und klingelte. Das Mädchen kam raus, trug sich lächelnd den Lippgloss auf und sagte: Kind 1.0, ich möchte Dich umarmen.
Kind 1.0 wechselte die Gesichtsfarbe.
Das Mädchen presste Ober- und Unterlippe aufeinander, um den Gloss besser zu verteilen. Vielleicht will ich Dich auch küssen.
Kind 1.0 begann zu zittern.

Seit diesem Tag haben wir kein Problem* mehr.

*Mit dem Hände waschen. Siehe auch „Kleidung zum Teil täglich wechseln