Ich finde es ziemlich schwierig Kinderfilme zu finden, die ich gerne mit meinen Kindern anschauen möchte.
Im Grunde suche ich ständig Methadon für Studio Ghibli Filme: Wunderbare, zauberhafte gleichberechtigte Charaktere, warmherzige nicht allzu spannungsreiche Geschichten.
Mich nervt es z.B. maßlos, dass ein Großteil der gängigen Kinderfilme v.a. männliche Protagonisten haben, die im allerbesten Fall einen weiblichen Sidekick aufweisen können. Dieser Sidekick darf dann süß sein, vielleicht ein bisschen witzig, aber gleichwertig (wie das Wort schon sagt) eben nicht [1].
Viele künstlerische Filme (folgt den Filmempfehlungen des Kinderfilmblogs), nehmen meine wenig fernsehschauenden Kinder emotional zu sehr mit. Bei O Menino O Mundo z.B. haben die Kinder Rotz und Wasser geheult und ich war hin und her gerissen, ob wir abbrechen (dann aber die Anspannung in den Kindern lassen) oder die Auflösung am Ende schauen, so dass die kleinen Herzen ihren Frieden finden.
Wie gesagt, es gibt tausende von tollen Kinderfilmen, die aber für sensible Kinder emotional schnell zu viel werden. Es bleibt also das Problem Filme zu finden, die ich gut finde (u.a. weil sie auch eine gute Botschaft vermitteln), die aber gleichzeitig nicht zu sehr mitnehmen.
Umso mehr freue ich mich, wenn ich dann ab und an total unerwartet Filme sehe, die eine große Diversität und eine unterhaltsame Story haben. Storks z.B. kann ich wärmstens empfehlen.
Eine sehr technikaffine weibliche Hauptdarstellerin (Tulip) erlebt bei dem Versuch ein versehentlich „produziertes“ Baby an die ursprünglichen Bestellereltern zu liefern gemeinsam mit einem Storch (Junior) lustige Abenteuer. Im Film haben die Baby alle erdenklichen Haut- und Haarfarben und die Familien reichen von Alleinerziehenden, über gleichgeschlechtliche Paare bis Großfamilien. Ganz abgesehen davon ist der Film (die Wölfe!) sehr witzig und der Soundtrack dazu toll!
Jedenfalls, gestern haben wir Sing gesehen und auch dieser Film ist mir sehr nachgegangen.
Tatsächlich gibt es sehr ausgewogen weibliche wie männliche Charaktere, die alle über sich hinaus wachsen und das auf eine sehr schöne Art und Weise.
Die Story ist schnell erzählt: Der Koala Buster Moon ist erfolglloser Betreiber eines alten Theaters und versucht mit einer Castingshow einen letzten Anlauf das verschuldete Etablissement zu retten. Aufgrund eines kleinen Unfalls werden die Werbeflyer mit einem Preisgeld von 100.000 statt 1.000 Euro in der Stadt verteilt.
Das Interesse ist natürlich riesengroß und am Ende begleitet man eine kleine Auswahl von begnadeten Freizeitsängerinnen und -sängern.
Da ist die Schweinemama Rosita, die ein unsichtbares Leben als Hausfrau fristet, kaum wahrgenommen vom gestressten Büroschweinegatten und den 25 Schweinekindern.
Ebenfalls im Schatten ihres egomanen Partners lebt Ash, ein Stachelschweinmädchen, das Punkrock liebt.
Außerdem mit dabei Meena, ein soziophobisches Elefantenmädchen, sowie Johnny ein Gorillateenager, der nicht in die Fußspuren seines Vaters treten möchte und die überhebliche, spielsüchtige Maus Mike.
Sie alle treten (Spoiler!) am Ende nicht gegeneinander sondern miteinander auf und werden als Individuen sichtbar.
(Größtes Identifikationspotential hatte für mich natürlich die Schweinemama, die, um proben zu können, eine Ehemann- und Kinderversorgungsmaschine baut und deren Nichtanwesenheit solange alles läuft, nicht mal bemerkt wird).
Jedenfalls: Heute Morgen kam noch Kind 2.0 und ergänzte: „Ist Dir aufgefallen, dass alle unterschiedlich alt sind? Und dass sie so sein dürfen wie sie sind und sogar die Mädchen nicht schlank und süß sein müssen?“
In der Tat spielen zwei ältere Damen mit (die 200jährige Chamäleondame Matilda Crawly und die Gesangslegende Nana Noodleman) und Schweine und Elefantenmädchen sind einfach wie sie sind: sehr groß, stark und massig.
(Anders z.B. in Zoomania, wo das Hasenmädchen niedlich und zart ist, die Tiger Sixpacks haben und die Sängerin am Ende auch sexy sein muss – wobei ich den Film wirklich auch sehr gerne mochte, aber ich fand es schön, dass bei Sing keine Weiblichkeitsüberzeichnung und kein Spielen mit Klischees nötig war…)
Kurz gesagt: Sing hat mich überrascht (zumal immer noch gilt: Mir gehen Gesangsszenen in Filmen sehr schnell auf die Nerven).
Für weitere Empfehlungen bin ich offen, lasst gerne eure Tipps da!
[1] Manchmal gibt es sogar so absurde Dinge wie dass eine Comicverfilmung den gleichberechtigten weiblichen Part einschrumpft (aktuell Valerian – ursprünglich Valerian und Veronique).
Da fällt mir auch wieder ein: Hoffentlich sind die Kinder bald alt genug für Force Awakens und UIUIUI dieses Jahr geht es weiter mit Rey!
Wißt ihr noch? Damals die Loom Gummis? Einen nicht unbeträchtlichen Teil meiner Altersvorsorge habe ich in ca. 200.000 Loom Gummis angelegt [1].
Nach den Loom Gummis zog über uns ein Star Wars Hype hinweg, dann bedeckte uns die Pokémon Karten Welle und nun sind es die Fidget Spinner.
(Fidget heißt übrigens „Zappelphilip“)
Vor ca. zwei Wochen kam Kind 3.0 zu mir und wollte einen FidschuhtSpinna. Ähnlich wie damals bei den Bauer Räinschan, habe ich einige Zeit gebraucht um herauszubekommen, was das sein könnte.
Der Weg wie diese Dinge in die Welt und dann zu Kind 3.0 finden, ist gleichermaßen mysteriös wie bemerkenswert.
Noch lange bevor das erste Kind einen Fidget Spinner hatte, erzählten sich die Kinder Legenden. Es gäbe welche, mit denen könne man Gemüse schneiden!
Ein sehr gutes Argument, um das Ding den Eltern schmackhaft zu machen: „Wenn Du mir eins kaufst, kann ich Dir helfen Zucchini zu schneiden. Auch Äpfel und Möhren sind kein Problem!“ versicherte mir Kind 3.0.
Wenig später kam das Kind von der Schule und berichtete von unglaublichen Kunststücken, die man mit den Fidget Spinnern machen könne. In A-M-E-R-I-K-A (!) gäbe es Kinder, die den Spinner drehend von einem Finger auf den anderen springen lassen könnten.
Zum Weltkindertag hatten dann plötzlich gefühlte 3/4 aller Kinder einen Fidget Spinner.
Da die Kinder bei uns zum Kindertag nichts bekommen, musste das arme Kind 3.0 sein gesamtes Taschengeld ausgeben, um sich einen eigenen Spinner zu kaufen: „Mama, Du weißt doch. Ich mag gerne die neuen Sachen ganz am Anfang mitmachen!“.
Early Adopter nennt man sowas wohl.
Wie es dann an Schulen mit allen Neuerungen und Dingen ist, die Kinder über die Maßen begeistern – schon am nächsten Tag waren die Spinner verboten [2].
Aber noch mal einen Schritt zurück.
Was ist ein Fidget Spinner?
Ein Fidget Spinner ist eine Art Kreisel, den man auf einem Finger balancieren kann. In der Mitte befindet sich ein Kugellager und außen – je nach Bauart – Flügel mit kleinen Gewichten. Der Spinner wird angedreht und dreht dann einige Sekunden (oder Minuten).
Wo kommt der Fidget Spinner her?
Die Urform wurde in den 90ern von Catherine Hettinger erfunden. Die Kosten für das Patent konnte sie aber nur acht Jahre tragen. Sie trat mit ihrer Idee an verschiedene Spielzeugfirmen und tatsächlich hat Hasbro das Spielzeug Anfang der 2000er mit einigen Kunden verprobt, da die Idee die Probekunden nicht überzeugte, nahm man jedoch Abstand von ihr.
In den USA wurden die Fidget Spinner übrigens genauso schnell verurteilt wie in Deutschland (Kulturpessimismus folgt den selben Regeln). Ein Kind läuft auf den Finger Spinner fokussiert fast vor ein Auto. Klarer Fall von: Das Spielzeug ist vom Teufel. Die armen Kinder sind besessen! An nichts anderes können sie mehr denken. Sie spielen den ganzen Tag damit. Verbieten!
(Ich frage mich wirklich, wann irgendwer mal drauf kommt, dass es vielleicht ein völlig normaler Teil der Kindheit und Jugend ist, sich exzessiv mit DIngen zu beschäftigen und über die Maßen begeisterungsfähig zu sein… und sich dann im nächsten Schritt zu fragen, wie man das vielleicht nutzen könnte… )
Ich finde es jedenfalls faszinierend, was man alles damit machen kann.
(Bestimmt kommt da bald noch was besseres von Bea Beste)
Irre ist auch die Varianz der Fidget Spinners. Sie leuchten, glitzern, klingeln:
Deswegen to keep a long story short: Vielleicht mal mit den Kindern begeistern, statt zu rufen: Wasn Scheiß! Wie nutzlos! Gefährlich! Untergang des Abendlandes!
[1] Das sei den Skeptikern meines letzten Blogbeitrags zur Beruhigung gesagt. Ich habe eine Mischstrategie, was meine Altersvorsorge angeht: Riester Rente, Aktien, Häuser, Goldbarren, Loom Gummis und zwei Tonnen Schleichtiere.
[2] Wie ich diese Kultur hasse! Statt Dinge aufzunehmen, die Kinder begeistern: VERBOT!
Niemals wollte ich Dinge sagen, die meine Eltern gesagt haben. Doch ach! Es ist so schwer mit den guten Vorsätzen. Wie oft z.B. denke ich „Für jedes Mama ne Mark und ich wäre reich!“
„Mama?“
„MAMA?“
„MMAAAMAAA!“
„MAAAMAAA!!1!“
„Mama?“
Allein zwischen Feierabend und Bettbringzeit würde ich eine stattliche Summe dazu verdienen. Auf den Monat hochgerechnet, könnte ich meine offiziell bezahlte Arbeitszeit um gut die Hälfte reduzieren und meinen Lebensstandard dennoch halten. Ach was! Ein stattlicher Urlaub mit allem Pipapo wäre drin!
Auch wollte ich nie Kulturpessimistin werden. Ich wollte immer mit dem technischen Fortschritt mithalten. Jede relevante Plattform kennen, nicht aufhören Apps zu testen, meine Mikrowelle mit ihren 542 Programmen bedienen können, offen für jede Neuerung sein, mir immer klar machen, dass es oft Bequemlichkeit ist, die einen daran hindert am Puls der Zeit zu bleiben, niemals nicht in die Das-haben-wir-schon-immer-so/Das-haben-wir-noch-nie-so-gemacht-Mentalität verfallen… doch ach. Ach. ACH.
Bei Sprachnachrichten hört es eben auf.
Es gibt einfach Grenzen!
MAN MUSS AUCH NICHT JEDEN SCHEISS MITMACHEN!
Früher ging es auch ohne. Da haben wir noch getippt! Sogar bevor es die Smartphones gab! Selbst da haben wir uns SMS geschickt. Wir haben die Zifferntasten als Buchstabenauswahl genutzt, mussten teilweise 3x auf die Taste drücken, bis endlich der gewünschte Buchstabe erschien und es gab gar keine Wortvorschläge. Wir haben jeden fucking einzelnen Buchstaben ausgewählt! Jedes Wort einzeln und bis ganz zu Ende getippt. So war das damals! Disziplin hatten wir! Durchhaltevermögen! Ehrgeiz! Echter Kommunikationswille!
Außerdem hat das SMS-Schreiben Geld gekostet. 30 Cent pro Nachricht.
Wir haben uns also gut überlegt, was wir schreiben.
160 Zeichen, die eine Aussage hatten.
Niemand hätte einfach einen Smiley geschickt oder „OMG lol“. Niemand! 3 SMS = eine Woche Taschengeld!
In der Zwischenzeit hat sich vieles geändert und ich bin auf dem Stand, dass ich einfach nur froh wäre, wenn die JUGEND VON HEUTZUTAGE wenigstens „lol“ schreiben würde. Wenn sie überhaupt schreiben würde. Aber das tut sie nicht! Sie redet! Sie schreibt nicht mehr. Sie schickt Sprachnachrichten.
Sie ist zu faul! Also das hätte es früher bei uns nicht gegeben. So schwer ist das doch nicht. HIMMELHERRGOTT! Wie lange dauert es denn zu tippen: „Kann ich noch zu Lisa? Ich bin 17 Uhr wieder da.“ Fünf verdammte Sekunden. Fünf Sekunden! FÜNF!
Aber nein. Die Jugend von heutzutage schickt lieber Sprachnachrichten.
(Wenigstens weiß ich jetzt was diese jungen Menschen machen, die ihre Telefone waagrecht vor ihre Münder halten während sie durch die Gegend laufen.)
Danke Merkel!
Sprachnachrichten nerven. Sie nerven! Ich höre sie nicht ab. Ich höre sie nie ab. Selbst wenn ich Kopfhörer hätte. Sie entsprechen einfach nicht meinen Kommunikationsgewohnheiten und die sind hier schließlich der Maßstab.
Sprachnachrichten sind Trump! Sprachnachrichten sind Kim Jong-un! Sprachnachrichten sind Sauron.
Ich hatte es gefühlte zwanzig Mal mit dem Hinweis: „So funny!“ in meiner Timeline. Als ich das Video anschaute, waren meine Erwartungen groß. Statt amüsiert, war ich aber verwundet. Was soll daran lustig sein?
Ein Vater führt ein Skype (?) Interview mit der BBC und im Hintergrund erscheinen seine Kinder. Er schiebt das ältere Kind ohne Hinzusehen weg, das Baby erscheint, einige Sekunden später slidet die Mutter um die Ecke, sammelt hektisch die Kinder ein, das Interview geht weiter.
Lustig fand ichs nicht. Mir fehlte etwas der Galgenhumor (oder wie man das nennt, wenn etwas schief geht und man trotzdem drüber lacht).
Also tweete ich:
Ich mache die Spassbremse des Tages: ich habe nicht gelacht, weil ich seine Reaktion so unherzlich (?) finde. https://t.co/RcNmOzbYm1
Sekunden später bereue ich es aber irgendwie. Eigentlich ist es doch auch eine Botschaft an die Welt, dass mal ein Vater im Homeoffice sitzt und bei der Arbeit in aller Öffentlichkeit von seinen Kindern gestört wird.
Der Moderator bei BBC nimmt es seinerseits sehr gelassen.
Und während ich eigentlich dafür kämpfe, dass sich Männer auch mehr als Väter sichtbar werden und es somit auch Normalität wird, dass sie als Teil der Familie in Erscheinung treten, meckere ich, dass er sein Kind ohne Hinzusehen weggeschoben hat.
Asche auf mein Haupt.
Schlimmer noch. Weil die erscheinende Frau im Hintergrund so panisch reagiert, nehme ich an, es sei die Kinderfrau, die jetzt um ihren Job bangt.
Dass es tatsächlich die Mutter Jung-a Kim Kelly ist, kommt mir nicht in den Sinn.
Einer Kurzrecherche zu folge handelt es sich aber um die Mutter.
Went to vote (in S Kor) w/ my wife. Poll station pic attached. Very smooth & rapid. What a difference from US voting! pic.twitter.com/p2rmIHqz
Auch wird mir gesagt, dass die Kinder auf koreanisch sagen: „Was ist denn, Mama?“ (Das koreanische Wort „Mama“ klingt wie [Omma])
Wahrscheinlich hatte ich im Hinterkopf auch das beschämenswerte Vorurteil, dass ein weißer Professor natürlich eine Migrantin als Nanny hat.
Alles sehr haarsträubend, denn es ist schließlich ein in Südkorea lebender Mann.
Also pfui, Frau Cammarata. Pfui.
Ich schaue mir das Video also noch zehn Mal an und plötzlich sehe ich auch ein Lächeln im Gesicht des Korea-Experten und ich stelle mir vor, dass er nicht aufstehen und das Kind auf den Schoß nehmen konnte, weil im Homeoffice hat schließlich niemand Hosen an und in Unterhose auf BBC ist wahrscheinlich doch peinlicher als die Kinder wortlos wegzuschieben.
Nach acht Mal schauen, meine ich, dass die Mutter die Hose nicht ganz oben hat, irgendwas zwischen Pulli und Hose scheint rosa durch. Wahrscheinlich war sie gerade auf Toilette und da haben sich die Kinder auf die Reise zu Papa gemacht.
Alles in allem ganz normaler Familienalltag. Alltag wie ich ihn mir eigentlich in der Öffentlichkeit wünsche. Nicht dieser unrealistische und polierte Werbequatsch. Nicht die Väter im Anzug, die so tun als hätten sie keine Familie. Nicht die Väter, die nie gefragt werden: Ist denn die Kinderbetreuung sicher gestellt? Nicht die Väter, die für ihre Kinder irgendwie fremd sind sondern eben Papa, bei dem man im Homeoffice auch mal rein schauen kann, was da los ist.
Marion und James Kelly ist heute etwas geglückt, womit sich Parteien und Medien derzeit etwas schwer tun: Sie haben ein Bild geschaffen, mit dem sich eine ganze Generation identifizieren kann.
P.S. Marion ist das Mädchen im gelben Pulli. James das Baby.
Wir sind bislang jeden Tag ein Stück um den See gelaufen. Eine Art Promenade oder einen richtigen Uferweg gibt es nicht. Es sind eher Trampelpfade, die vereinzelt von Privatgrundstücken, die direkt ans Wasser reichen, unterbrochen werden.
Ich finde erstaunlich, dass es so nah an Berlin einen so großen See gibt, der nicht komplett zugebaut ist.
Die paar Häuser, die hier stehen, weisen eine rätselhafte Architektur auf. Entweder sie sind aus dunklem Holz und erinnern mich an den Schwarzwald – nur dass sie aussehen wie eilig von Hand zusammengezimmert oder es sind völlig geschmacklose Prunkvillen, die wie aus einem Katalog bestellt aussehen. Ohne Charme, Charakter und Stil. Groß, kalt, pastellig, vier Säulen zum See.
Ich stelle mir vor wie wohlhabende Menschen gelangweilt in einem Fertigvillenkatalog blättern: Villa Rimini, 450.000 Euro, Villa Miracolo 570.000 Euro, Palazzo Pomposo 320.000 Euro.
Ein Stückchen näher zu unserem Feriendomizil gibt es Häuschen im skandinavischen Stil (steht zumindest auf der Immobilienanzeige). Sie kosten nur 220.000 Euro. Wenn man so wie ich, die Berliner Immobilienpreise gewöhnt ist und dann sieht, dass man für nur 220.000 Euro ein 90 qm großes, neues Häuschen direkt an einem See haben kann, dann beschleicht einen der Gedanke: Ach, so ein Häuschen… ach was, ZWEI Häuschen… das könnte man sich locker leisten. Nullprozentfinanzierung (denn kein Schwein schafft es bei den Lebenshaltungskosten auch noch Geld anzusparen), schon in 40 Jahren abgezahlt und dann hat man es schön hier, wenn man alt ist bzw. es bleiben einem mit etwas Glück noch ein bis zwei Jahre, die man das Häuschen schuldenfrei genießen kann, bevor man stirbt.
Es hat geschneit und alle Wege sind geräumt. Wirklich alle. Ich schaue gegen 6 Uhr morgens aus unserem Schlafzimmerfenster, selbst der Weg neben unserem Parkplatz ist geräumt. Der Gehweg, die Straße, die Hauptstraße sowieso, der Trampelpfad zum Bäcker.
Wie machen die das?
Bzw. wie kann es sein, dass die Berliner Unternehmen, die für den Winterdienst in der Hauptstadt zuständig sind, es nie gebacken bekommen?
Geräumte Gehwege! In Berlin walzt man die Schneedecke platt und dann streut man wie irre Kies (oder wie das heißt) drüber.
Das macht man jeden Morgen an dem es schneit. Wie eine Lasagne aus geplättetem Schnee und Streu.
Wenn es taut, ist alles voller Matsch und es liegen Tonnen an Streu herum. Ist der ganze Schnee verschwunden, kommen Männer mit Laubbläsern (ich schwöre, ich habe das wirklich mehrere Male gesehen!) und pusten den Streu maximal ineffizient an die Wegesränder, von wo aus er irgendwann verschwindet.
Vielleicht könnte die Berliner sich ja mal einen Winderdienst Experten aus Brandenburg ausleihen und die machen dann ein Bootcamp zum Thema Schnee.
Wahrscheinlich haben die Brandenburger einfach die geilere Technik. Echtzeitkarten mit automatisch ausgelösten Räum-Alarmen, wenn die Temperatur unter 4 Grad fällt.
Ich denke, der Brandenburger Winterdienst sitzt wie anderswo die Feuerwehr in einem Winterdienstquartier und wenn die Wetter-App Schneegefahr meldet, dann springen alle von ihren Plätzen direkt in die Stiefel, um die die Schneehosen schon drapiert sind und fahren mit ihren Räumfahrzeugen los.
Elektroräumfahrzeuge müssen es sein, denn ich habe hier noch nie ein Geräusch gehört.
Überhaupt. Diese Stille hier macht mich völlig verrückt. Zum Glück haben wir die Kinder dabei, die ständig rumschreien, weil sie im Schnee spielen. „Schau mal, Mama. Mama, Mama, Mama! MAAAAMA.“
Ich denke an meine Mutter mit ihrem Spruch: „Für jedes Mama ne Mark und ich bin Millionärin!“
Aber im Ernst, außer unseren Kindern macht hier niemand Krach. Die Menschen nicht, die Fahrzeuge nicht (weil es einfach keine gibt), kein Laut aus den winterschlafenden Häusern, in den Restaurants sind wir alleine.
Einmal flog eine Kohlmeise auf unsere Terrasse. Die Kinder waren ganz aufgeregt. „NATUR! MAMAMAAAAA! KOMM! SCHAU MAL EIN VOGEL!“ Er macht „piep“, es klang wie ein sehr rabiates PIEP. Wahrscheinlich hat er die Kinder geschimpft weil sie so laut waren.
Abends, gegen 24 Uhr, wenn wir ins Bett gehen, öffne ich nochmal das Fenster um Sauerstoff rein zu lassen und horche in die Nacht. Es ist wirklich NICHTS zu hören. Keine entfernte Straße, nicht mal die Straßenlaternen summen.
Zwei Tage gefällt mir das, doch dann fängt es an mich nervös zu machen. Was ist hier eigentlich los? Wo sind die Menschen? Wo sind die Geräusche? Wahrscheinlich werden alle Touristen, die länger als zehn Tage hier sind von irgendeinem Wesen (dem großen Brandenburg Golpsch!) geholt und verschlungen, dann ist wieder Ruhe.
Ich denke an den Liedtext Auszeit von Marteria
Ja ich vermiss diese Stadt
Hab‘ die Bikinis und Frisbees so satt
Morgens beim Aufstehen hilft mir ein Krahn
Ich träum‘ von ’nem Haus mitten auf der Autobahn
Der Abend dämmert, hier schreien keine Lämmer
Kein Druck, keine Pressluft die hämmert
Kann diese Ruhe nicht gebrauchten
Dreh das Radio auf, such den lautesten Sender
Brauch ’n Kiez voll mit Jugendbanden
Kann nur schlafen, wenn neben mir Flugzeuge Landen
Quelle: Marteria „Auszeit“
Ja, das gilt auch für mich. Ich bin Stadtmensch. Diese Ruhe hier ist kaum auszuhalten.
Apropos Ruhe. Wir haben einen Whirlpool. Völlig irre so ein Teil. Eine Eckbadewanne mit 300 Liter Fassungsvermögen. Macht pro Bad 2 Euro 10 Cent wenn ein Liter Wasser 0,7 Cent kostet.
Der Whirlpool hat zwei unterschiedliche Düsen. Blubberdüsen und Jetdüsen, ich nenne sie mal Jetdüsen, weil sie sind so laut wie ein Jet.
Außer uns hat bestimmt niemand in Brandenburg jemals gewagt die Jetdüsen ein zweites Mal anzustellen.
Meine App zeigt tatsächlich 110 Dezibel.
Trotz meiner ersten, nicht so erfreulichen Whirlpoolerfahrung versuche ich es ein zweites Mal mit dem Whirlpool.
Die Düsen brauchen 3000 kW die Stunde, denke ich als ich ins Wasser gleite. Aber was kostet die Welt! Ich habe Urlaub. Heute gönne ich mir einfach den ohrenbetäubenden Krach. Schließlich arbeite ich 30 Stunden die Woche. Irgendwie muss ich mein Geld auch wieder unter die Leute bekommen.
Ich stelle die Jetdüsen also auf volle Pulle. WAHNSINN. Druckmäßig passiert fast nichts, zur Massage völlig ungeeignet, aber der Lärm lockt unser geräuschintensives Kind 3.0 an den Pool.
„YEAAAHHHHHH! HUUUHUUUU! JUHHUUUUUUU!!!!“ schreit es, würde ich messen, vermutlich weitere 20 dB lauter als der Pool.
„WAS IST DAS?“
„EIN WHIRLPOOL!“
„FÜR WAS BRAUCHT MAN DAS?“
„KEINE AHNUNG!!!“
„YEEEAAAAHHHHHHHHHHH. HHHUUUUUUUUIIIHHUUUUUUU!!!“
Während ich also mit schmerzenden Ohren im Whirlpool sitze, denke ich mir, wenn ich irgendein CEO eines Startups wäre, ich würde versuchen rauszubekommen, wer das Marketing für Whirpools gemacht hat.
Das ist doch eine irre Sache. 110 dB ist der Irrsinn laut, bewirkt rein gar nichts, einfach nur LAUT und irgendwer auf diesem Planeten hat es geschafft, das als Wellness zu verkaufen.
Wellness! Muss man sich mal vorstellen. Das ist so als wenn man ein Gerät erfindet, dass einen in den Magen schlägt und es dann für 150 Euro (ist ja nur To Go) an alle Welt als der neuste heiße Scheiss am Wellnessmarkt verkauft. (Immerhin so ein Schlag in den Magen ist viel entspannender als das was man heutzutage jeden verdammten Morgen in den Nachrichten liest).
Ich schreibe mir als Merker auf einen Zettel „Whirlpool Marketing Genie recherchieren“.
Ein anderes Marketinggenie arbeitet in der Touristenbehörde Brandenburgs. Nachdem wir nämlich drei Tage um den See gelaufen sind, denke ich mir: Man könnte ja auch mal was anderes machen und googele „Ausflüge kindertauglich Brandenburg“ und stoße auf eine Seite, die mir eine Wanderung durch die Rauenschen Berge anpreist. Nur zweieinhalb Kilometer vom Waldparkplatz zum Aussichtsturm. Super. Da machen wir.
Es gibt nämlich nicht nur den Aussichtsturm von dem aus man angeblich den Berliner Fernsehturm sehen kann, sondern es gibt auch ACHTUNG zwei Steine.
Ja, Sie haben richtig gelesen. Steine. Große Steine zugebenermaßen – aber es werden tatsächlich Steine als Sehenswürdigkeit angeboten.
Auf der Seite Touristischesuperlative.de lese ich, dass es sich bei einem der beiden Steine um den größten landliegenden Findling Brandenburgs handelt.
Die Steine heißen großer und kleiner Markgrafenstein. Wobei der kleine Markgrafenstein der größere der beiden Steine ist. Natürlich war ursprünglich der größere der beiden Steine der große Markgrafenstein – aber wie Menschen so sind, musste der große Markgrafenstein natürlich zerteilt werden, damit man irgendwas nutzloses herstellen konnte – in dem Fall die große Granitsteinschale im Lustgarten.
Zusammen mit diesem abgeschlagenen Teil wäre der Reststein 800 Tonnen schwer, und – jetzt halten Sie sich bitte fest – damit wäre der Findling auch der größte landliegende (was ist das eigentlich? Was sind wasserliegende Findlinge und kann man die auch besichtigen?) Findling nördlich von Berlin!!!
Jetzt aber ist der kleinere der Markgrafensteine der größte. Umbenannt wurde er trotzdem nicht. Obwohl er viel größer ist, heißt er für immer kleiner Markgrafenstein.
Wie sich der kleine Markgrafenstein damit fühlt, der ja nun seit vielen Jahren der faktisch größere der beiden Steine ist, vermag ich mir nur vorzustellen.
Da kriecht man Jahrhunderte mit einer Moräne von Schweden bis Brandenburg, immer der kleinere der beiden Steinbuddys, hat sich schon damit abgefunden – ich bin eben nur 280 Tonnen schwer – und dann kommt DIE Chance und der Angebergranitklotz, der einem vermutlich nur die ganze Zeit gefolgt ist, um sagen zu können: „WUHUUU, schaut mich an, ich bin ja viel größer!“ wird um 550 Tonnen verkleinert… und dann bleibt man trotzdem für IMMER der kleine Markgrafenstein.
Also das ist kein schönes Schicksal.
Egal wie, wir stapfen durch den Schnee zu den beiden Steinen und machen pflichtbewusst ein Foto.
Ich glaube, damit haben wir im Urlaub alles erreicht was geht.
*Zitat aus dem Lied „Brandenburg“ von Reinald Grebe
Natürlich wäre ich gerne eine gute Mutter. Eine perfekte Mutter. Warmherzig, verständnisvoll, kritisch, aber nicht überkritisch, verlässlich, aber nicht zu gluckig. Ich büke gerne am Wochenende, ich kochte jeden Abend gesundes, wohlschmeckendes Essen, könnte vielleicht sogar nähen, so dass ich unabhängig von der Rosahellblauindustrie den Kindern Kleidung schenken könnte. Ich wäre immer geduldig, nie laut, nie genervt, ein gutes Vorbild.
Nie würde ich vergessen ins Elternheft zu schauen, in den Ferien würde ich immer an die Brotdosen denken. Ich sähe auch nie zerknautscht aus, faltenfrei auch an der Hose, so dass ich jederzeit vorzeigbar wäre.
Peinliche Dinge sagte und täte ich nie, noch nie hätte ich gehört „Du bist die gemeinste Mama der Welt!“ noch nie „Ich mag dich nicht, du bist *******!!!“.
Doch – ach – ich bin all das nicht. Zumindest nicht immer.
Oft bin ich erschöpft, ungeduldig, manchmal vielleicht auch einfach faul. Ich schaffe es nicht meine Bedürfnisse immer hinten an zu stellen. Am Ende, ach, ach, bin ich ein Mensch.
Alle Mütter sind nur mittelmäßige Mütter. Weil sie Frauen, also Menschen sind.
Meine Therapeutin sagt mir das auch immer wieder: Mehr als eine hinreichend gute Mutter können sie nicht sein.
Am Anfang war ich empört. Das ist ja schön faul. Die perfekte Ausrede. Ich bin eben so. Was kann ich dafür?
So ist mein Anspruch an mich selbst nicht. In keinem Bereich. Nicht im Muttersein, nicht im Partnerin sein, nicht als Freundin, nicht im Arbeitskontext.
Mit der Zeit habe ich aber verstanden, dass diese Erkenntnis nicht ausschließt, dass man es nicht trotzdem versucht. Dass man nicht trotzdem jeden Tag versucht es besser zu machen.
An manchen Tagen gehe ich abends eben ins Bett und bin gescheitert. War ungeduldig, habe Dinge vergessen, war zu erschöpft, um aufmerksam zu sein, hab mich falsch verhalten.
Aber dann kommt eben ein neuer Tag und ich kann es wieder versuchen – nur eben nicht auf dem völlig überzogenen, nie zu erreichenden Ideal-Niveau – sondern mit der Erlaubnis zu scheitern und somit auch weichherzig für das Scheitern der anderen zu werden.
Den Perfektionismus in eine Ausstellungsvitrine zu stecken und ihn abzulegen, hat mich weich gemacht. Das tut unglaublich gut.
Der Perfektionismus davor hat mich nämlich streng und hart gemacht. Mit mir und auch mit den anderen, die es sich einfach gestatten zu scheitern, die mit 80% zufrieden sind. Die nicht abends todmüde noch durch die Wohnung kriechen und sie aufräumen. Die morgens nicht noch früher aufstehen, um alles geregelt zu bekommen.
Was fällt denen ein? Sie setzen sich mit einem Glas Wein in das unaufgeräumte Wohnzimmer und essen nach 18 Uhr Kohlenhydrate??!
Für manche ist es vielleicht nicht nachvollziehbar, aber für mich war es lange Zeit eine Qual nicht all dem nachzugehen, was ich dachte, was ich zu erfüllen hätte, von dem ich dachte, ich müsse es tun, weil „man“ es eben so macht.
Es ist ein ewiges Kämpfen gegen Windmühlen, mit zusammengebissenen Zähnen, den eigenen Schmerz, die eigene Erschöpfung, die eigenen Gefühle ignorieren.
Jetzt laufe ich dauerhaft auf 60 – manchmal auf 80%. Nie aber auf 100 und v.a. es tut mir nur noch selten weh, dass ich an den 100% so kläglich scheitere.
Am Ende kann ich jetzt nur hoffen, dass ich zwanzig Jahren nicht doch denke, ach hätte ich mich nur besser zusammengerissen, ach wäre ich disziplinierter gewesen.
Viel lieber wäre mir natürlich, dass ich mit meinen Kindern in meiner mittelgut aufgeräumten Wohnung säße, wir uns lachend unterhielten, während wir mittelgute Pizza, selbstbelegt, aber aus ausrollbarem Hefeteig äßen und uns alle einig wären, dass das schon OK so war.
Doch zurück zum Muttersein. Ich beobachte in meinem Umfeld interessiert die Mutter-Kind-Beziehungen der erwachsenen Freunde. Tatsächlich gibt es unter all meinen Freundinnen und Freunden genau drei Mütter, die für mich vorbildhaft sind was das Verhältnis zu ihren Kindern angeht. Sie alle haben etwas gemeinsam: Sie sind bedingungslos da für ihre Kinder wenn sie gebraucht werden und ansonsten – lassen sie ihren Kindern einfach alle Freiheiten.
Auch hierzu findet sich im Interview ein Satz zum Thema „Was macht eine gute Mutter aus?“
Die richtige Distanz. Eine gute Mutter ist eine, die es schafft, die richtige Distanz zu ihrem Kind zu halten. Und von denen gibt es sehr wenige. Ich würde sagen, sie sind so selten wie die Mozarts in der Musik.
Sie wird gefragt, ob sie denn selbst eine gute Mutter ist und sagt:
Nein, ich bin eine schlechte Mutter. Das sage ich immer, damit bin ich fein raus. Tatsächlich kann man das nie wissen. Häufig fällt man Entscheidungen, von denen man Jahre später denkt, das war totaler Blödsinn. Man weiß erst im Alter, ob man nicht alles falsch gemacht hat, nämlich dann, wenn die Kinder immer noch freiwillig zu Besuch kommen.
Jedenfalls, lest das Interview selbst. Es steht viel Gutes darin. Sie redet auch über die sich verändernden Väter, über die Väter, die bessere Väter (im Sinne von engerer Bindung zu den Kindern) werden, weil sie von ihren Partnerinnen getrennt sind, sie redet über Gleichberechtigung, über kulturell geprägte Rollenbilder und über die Rückrollbewegung zur „natürlichen Mutterschaft“.
Kann ich nicht alles unterschreiben, aber 80% und das ist für mich gut genug.
Ich komme aus Köln. Es war eine Frage der Zeit bis alle Feste, die irgendwie mit Verkleiden und Fröhlichkeit zu tun haben, meine Lieblingsfeste würden. Kein Wunder also, dass ich in der Zwischenzeit Halloween sehr gerne mag.
Tatsächlich aber ist mir dieses Türgeklingel zuwider. Es ist so aufdringlich. So intimsphärisch. Also selbige aufbrechend.
Ich habe mich also verweigert und den Kindern alternativ angeboten, dass wir uns der kiezseitig organisierten Gruppe süßigkeitensammelnder Kinder anschließen.
Punkt 18 Uhr sollte es los gehen. (Wobei ich gestehen muss: ich dachte ACHTZEHN UHR, das ist das autonome Friedrichshain, auf die Uhrzeit achtet hier niemand. Bestimmt gehen die nie pünktlich los. Also holte ich die Kinder erst nach dem Sport ab, schminkte sie gemächlich und wir nähten uns noch in aller Ruhe ein paar Kostüme bevor wie dann losschlenderten.)
Die Gruppe kam uns jedenfalls um 17.57 Uhr bereits entgegen. Gut hundert Kinder obwohl es regnete. Alles straff organisiert. Vorneweg die Polizei – der Gruselumzug durfte mitten auf der Straße laufen. Für die Gruppe wurden sechs Repräsentant:innen ausgewählt, welche drei Tonnen mit Tragegriffen transportieren durften.
Diese durften eine vorher festgelegte Strecke ablaufen und einige Geschäfte abklappern, die sich im Vorfeld spendenbereit gemeldet hatten.
Zwischendrin Trommelmusik und Dudelsackgetröte und laute „BONBONREGEN! BONBONREGEN! BONBONREGEN!“ Rufe.
Der Umzug der Schaudergestalten kam immer wieder zum Halt und wenn ausreichend laut die Parole geschrieen wurde, traten Menschen auf die umliegenden Balkone und warfen mehr oder weniger engagiert Süßigkeiten von den Balustraden.
Manche schlapp, andere ganze Packungen entleerend, wieder andere schoben ihren Nachwuchs vor, der gewissenhaft Bonbon für Bonbon hinunterwarf.
Die Kinder sammelten eifrig die bunten Süßigkeiten aus den Regenpfützen und Hundehaufen und warfen sie solidarisch in die Gruppentonnen.
Nach 1,5 Stunden kehrte man ein, verteilte alle Kamellen gerecht auf die 100 Kinder und verbrannte geschwind als Höhepunkt des Abends noch ein Holzpferd.
So entstehen neue Traditionen. Ich glaube nämlich, dass die meisten Anwohner:innen gar nicht wussten, dass sie heute Bonbons von ihren Balkonen werfen sollen. Ich wette daher, dass sie nächstes Jahr gewappnet sein werden und dass wir dann die Regenschirme umdrehen werden und Tonnen an Bonbons sammeln werden.
So wie am Rosenmontag in Köln. Das ist wunderbar! und gefällt mir viel besser als dieses Türgeklingel.
Da ist sie wieder: die Schulbüchereinbindezeit
Die letzten Jahre bin ich schier daran verzweifelt. Selbstklebende Folie klebt bei mir überall nur nicht an dem Buch. Es sei denn man hat schief angefangen. Dann klebt sie für immer. Unentfernbar.
Ausflippen könnte ich da. Und ich schwöre, auch wenn das im Blog vielleicht manchmal nicht so wirkt: Ich bin ein total ruhiger Mensch. Eher etwas verlangsamt. Leicht faultierhaft. Meine Gedanken ruhen sich oft aus und wenn dann der Groschen fällt, ist es meist zu spät.
Mein Symbol ist der erhobene Zeigefinger in der Luft, der anzeigt, dass mir gerade was eingefallen ist. Ca. eine halbe Stunde zu spät.
So bin ich. Sehr ruhig und langsam.
Aber selbstklebende Folie zum Einbinden von Schulbüchern ist mein Feind, mein Endgegner, in Sekunden pochen meine Schläfen, das Blut rauscht, der Mund wird trocken, die Hände zittern, ich werde zum Einbindehulk.
Ja und wenn ich dann für ein Kind die Bücher eingebunden habe [1] (so schlecht, dass die Lehrerin dem Kind was ins Elternheft schreibt: „Bitte das nächste Mal einen Elternteil die Bücher einbinden lassen“ …), dann kommt die zweite Disziplin: Das Beschriften.
Auf diverse Bücher, Hefte und Plastikhefter muss ich den Namen des Kindes schreiben.
Wer schon mal die dünnen Papierstreifen aus Plastikheftern raus- und v.a. wieder reingepult hat, der weiß wovon ich spreche. (I hear you sister! )
Die Hände werden schwach, die Schrift schwabbelig (wieder ein Eintrag im Elternheft, neinneinnein!).
Und ab 2016 sind alle drei Kinder Schulkinder. Yeah!
Zwei Wochen Urlaub kann ich im Sommer nehmen. Eine zum Urlaub machen, eine um Schulmaterialien vorzubereiten.
Hass. Hass. Hass.
Wo ist das Zeitalter der Digitalisierung geblieben? Warum muss ich Bücher im Umfang einer Dorf-Bibliothek einbinden und beschriften und das Kind muss sie täglich schleppen?
WARUM?
Ein schönes, kleines Ebook täte es doch auch?
Nein, natürlich nicht. In 100 Jahren nicht. Die Kulturpessimisten halten fest am jährlichen Elterfolterritual. (Und ganz ehrlich: Wir müssen jedes Jahr für rund 130 Euro Schulbücher kaufen… das mit dem technischen Endgerät kann keine Frage des Preises sein)
Gut und kultiviert ist eben nur das Papier. Danke Herr Spitzer.
So klebe und beschrifte ich, wie die Goldmarie Betten ausschüttelt. Nur dass ich hinterher durch kein Tor schreite und mit Gold übergossen werde, sondern Einträge ins Elternheft bekomme, die mir sagen, ich soll es besser machen.
Und dann heute, heute ist was wunderbares passiert.
Nach all den Jahren der Tortour habe ich mich überwunden und fertige Buchumschläge gekauft. Weil die auf Twitter mir das gesagt haben: Geh mit den Büchern in einen Laden und suche dir die passenden Umschläge dazu.
Gut, meinen Geiz zu überwinden war nicht leicht. Kostentechnisch ein Gau. Gut zehn Mal so teuer wie die verhasste Klebefolie. Aber was solls. Die Kinder sind im Urlaub – ich muss gerade kein Essen kaufen. Dann esse ich eben mal Kühlschrankreste. Einen kleinen Klumpen Butter. Einen Haps Lavendel vom Balkon. Etwas geraspelte Folie mit Käserinde und schon ist das Konto wieder ausgeglichen.
Und was soll ich sagen? Zwanzig Minuten hab ich gebraucht. ZWANZIG – MINUTEN – statt DREI STUNDEN!
So springe ich also durch die Wohnung. Zahlen schreiend. Wie Rumpelstilzchen. Da blickt der Freund etwas träge in meine Richtung und sagt vier magische Worte:
Ich
habe
eine
Etikettiermaschine.
Wie leicht sich das sagen lässt. Etikettiermaschine.
Er kramt und holt ein Gerät hervor, das aussieht wie einer der übergroßen Taschenrechner mit denen meine Mutter in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts die Buchhaltung gemacht hat. Ratratrat. Brrrrr. Brrrr. Ratrat.
Und da fällt es mir wie Schuppen von den Augen, wie ein Schleier vom Hirn. Die Kinder, sie haben verdammt nochmal alle den selben Namen. Also Nachnamen – und – jetzt kommt es: Ihre Vornamen beginnen alle mit dem selben Buchstaben.
Wie eine Ärztin (einfingrig und mit Nachdruck, so als ob man die Tasten einer Schreibmaschine anschlägt) gebe ich den Namen ein: „T. Cammarata“. Ich beginne mit den Materialien des ältesten Kindes. „T PUNKT CAMMARATA, Klasse drölzig A“ und da höre ich eine Stimme, an der Zimmerdecke tut sich ein Riss auf, ein Licht kommt auf mich zu – ich – bin – erleuchtet.
Ab jetzt bis in alle Zukunft spare ich Arbeit. Wenn das eine Kind aus der höheren Klasse eine Klasse weiterrückt, muss ich nur noch die bereits eingebundenen und beschrifteten Materialien von dem einen in den anderen Schulranzen legen.
Fertig.
FERTIG!
VERSTEHEN SIE?
Wieviel Zeit man spart?
Ratratrat. „T. Cammarata“.
Wenn Sie also gerade schwanger sind – die Bedeutung eines Namens, der Klang, die Schreibweise, das Verhunzungspotential, die Schreibarkeit am Spielplatz – es. ist. alles. egal.
Hauptsache gleicher Anfangsbuchstabe.
Das ist mein Rat.
Ich bin leidgeprüfte und erfahrene Mutter.
Hören Sie auf mich.
[1] Drei Stunden brauche ich im Schnitt
Der Rückblick 2015
ICH weiss jetzt was mit diesen "unauffälligen Nachbarn" passiert & was sie zu Monstern werden lässt #schulbüchereinbinden