Nutzen Sie ihre Potentiale!

Der volkspsychologische Mund behauptet unverwüstlich, dass nur 15% des Gehirns aktiv genutzt werden.
Als Fachstudierte glaubte ich natürlich, dass diese Aussage völliger Humbug ist. Dann bekam ich ein Kind und jetzt bin ich vom Wahrheitsgehalt dieser Aussage absolut überzeugt.
Die nicht aktiv genutzen 85% benötigt man nämlich gar nicht für vegetative Zwecke wie atmen, Aufrechterhaltung der Körperkerntemperatur oder zum Verdauen. Nein, sie liegen tatsächlich total nutzlos brach bis man ein Kind bekommt. Erst dann werden sie eingesetzt.
Der nur 24 Stunden andauernde Tag eines Erdenmenschens ist nämlich sonst völlig ungeeignet all das zu tun, was man tun muss, wenn man Kinder hat.
Als kinderloser Single musste man ja nicht viel tun. Schlafen 10 Stunden, arbeiten 10 Stunden, 4 Stunden Freizeit gestalten, fertig.
Mit Kind ist an eine solche Aufteilung nicht mehr zu denken. Allein schon die Nahrungsaufnahme, die früher maximal 30 Minuten beim Italiener in Anspruch nahm, erstreckt sich samt Vorbereitung auf ca. 7 Stunden.
Gedanken über die Art des Essens machen: 1 Stunde
Einkaufen fahren und geplante Besorgungen (mit Kind!) machen: 2 Stunden; auch wenn man sich entschieden hat eine Scheibe Brot mit Wurst zu essen.
Einkäufe mit kleineren Unterbrechungen einräumen: 1 Stunde
Kochen: 1 Stunde
Essen mit Baby: 1 Stunde
Hinterher Putzen: 1 Stunde
Körperhygiene, Wohnung in Schuss halten, Spielplatzausflüge etc. Da kommt man auf gut 75,3 Stunden. Deswegen muss man die meisten Dinge parallel erledigen. Z.B. kann man super gleichzeitig kochen, telefonieren, putzen, ToDo-Listen erstellen, Hobbys wie lesen nachgehen und ein rückenstärkendes Workout durchführen.
Jedenfalls wenn man weiblichen Geschlechts ist. Als Mann geht das evolutionsbedingt nicht. Ein Mann, der Jahrtausende lang mit Lauern auf das Abendessen im Gebüsch verbracht hat, der steht z.B. am Herd und muss den Reis bewachen und rühren, als würde der jede Sekunde aus dem Topf springen und sich samt der Fleischeinlage auf die Seychellen verdrücken
Folglich können nur knapp 20% des geplanten Tagespensums abgearbeitet werden, was nach spätestens einer Woche dazu führt, dass der Vater mit dem vier Monate alten Kind wieder wie früher beim Italiener sitzt und versucht dem Zögling Pizza zuzufüttern.

Batzen

Seit meinem 28. Lebensjahr bin ich nahezu komplexfrei. Sehr hartnäckig hielt sich mein Batzen-Komplex. Die Induzierung des Komplexes ist eindeutig nachvollziehbar und betrifft auch andere weibliche Mitglieder meiner Familie.
Als ich nämlich ein Baby war und aussah wie eine zusammengestauchte Weißwurst, nannte meine Mutter meine dicken Ringelfettbeinchen Bätzchen.
Das Fett verwuchs sich, doch das Wort verlor lediglich seine Verniedlichung. Wenn ich heute Bilder aus meinen Teenagerzeiten sehe, hätte ich ob meiner wunderbaren langen und sehr schlanken Beine locker bei den Bewerberinnen von Germanys Next Topmodel mitstaksen können. Dennoch nannte meine Mutter meine Beine Batzen.
Das war zu viel für meine zarte, pubertierende Teenagerseele. Die Batzen folgten mir an jeden Ort. Sätze wie „Ach, im Bikini kommen Deine schönen Batzen so richtig zur Geltung“ oder „Der Rock betont Deine Batzen ganz bezaubernd“ ließen mich einen ausgesprochenen Schlabberhosenfreund werden.
Als ich neulich mein Kind wickelte, entwich mir tatsächlich: „Ohhhh, Du hast ja süße Bätzchen!“ Ich habe mich sofort mehrere Stunden ausgepeitscht.

Eine Ode an die Unbeschwertheit

Ewige Optimisten finden sogar positives an Falten: Wer keine Falten hat, der lacht zu wenig, heißt es. Tatsächlich ist es so, dass das Äußere Aufschluss über die Persönlichkeit gibt. Deswegen bin ich voller Mitleid für all die runtergehungerten Frauen, die man nicht nur in Hollywoodfilmen sieht. Denn hervorragende Knochen sind für mich Symbol einer generellen Lebensfreundlosigkeit. 45 Kilo bei einer Körpergröße von 1,70 m wiegt man nicht aus Veranlagung sondern aus einer speziellen Leidenschaftslosigkeit allem Essbaren gegenüber oder weil man sich grundsätzlich alles versagt.
Wer sich bis auf die Knochen hungert, der geißelt und kontrolliert sich auch sonst gerne. Man mümmelt notgedrungen einen dressinglosen Salat oder ein mageres, blutiges Steak – Spaß hat man bei dieser Ernährungsvariante ganz sicherlich nicht. Niemals verbringt man einen Abend im Kreise der Freundinnen mit drei verschiedenen Ben & Jerry’s-Eissorten, die man mit Schokosoße und Sahne garniert. Selbst wenn man es aus gesellschaftlichem Druck täte, die darauf folgende Woche sähe sicherlich mager aus.
Ja und deswegen (Achtung Bogen!) finde ich Gina-Lisa toll. Sie mag wohl nicht dem  Schönheitsdiktat der derzeitigen modischen Strömung entsprechen – dafür hat sie eines ganz sicher: eine äußerst unbeschwerte, fröhliche Ausstrahlung und von allem zu viel: zu braun, zu viel Make-up, Haare zu lang, zu blond – na und?
Wenigstens fristet sie ihr Dasein nicht mit verkniffenen Lippen und neidvollen Blicken, sondern kann prollig mit ihrer wunderbaren Whiskystimme röhren oder lachen, als hätte sie gerade vier Schachteln Zigaretten geraucht.
An einem ausgelassenen Abend würde ich mich wahrscheinlich sogar zu der Aussage hinreißen lassen, dass sie der MCWinkel unter den Models ist. Der spaltet schließlich auch die Gemüter.
Deswegen ein Hoch auf Gina-Lisa, ein Hoch auf alle Menschen, die Spaß haben und ein Hoch auf alle unmöglichen fellbesetzten Mäntel!

Gina-Lisa Symbolbild

Kleinwalsorgen

Es gibt viele Frauen, die Kleidergröße 34 tragen und sich trotzdem fett finden.
Dysmorphophobie nennt man das. Ich weiß nicht, ob das umgekehrt auch existiert, also man ist keine Gerte, denkt das aber und greift munter zur 36 obwohl man eigentlich weiß, dass man nicht reinpasst.
An so was leide ich zur Zeit. Ich schaue die 40 an und denke, ah wah! da passte ja zweimal rein und greife zur 36. In der Umkleidekabine bekomme ich das Teil entweder nicht über die Hüfte oder aber ich stecke obenrum fest, so dass ich fieberhaft überlege, was nun zu tun ist. Nach einer Angestellten rufen? Hoffen, dass man das Baby so ranhängen kann, dass es mir durch geschicktes Herumwirbeln das Kleidungsstück vom Leib reißt? Blind in der Handtasche wühlen und den Partner anrufen: Hallo Schatz, ich bin bei [Beliebiger Bekleidungsladen], hol’ mich hier raus! ?
So wäre das vermutlich noch lange weitergegangen, wäre eine Verkäuferin nicht endlich mal ehrlich gewesen. Da trage ich munter ein schönes Kleidchen Größe 36 zur Kabine, als sie aus ihrem Beobachtungseck wie eine Spinne auf ihr Opfer springt, mir das Teil aus der Hand reißt und für alle anderen Kaufinteressierten deutlich hörbar verkündet: Da passen sie doch gar nicht rein, sorry, das nehme ich gleich mal wieder mit und mich mit weit geöffnetem Mund in der Mitte des Raumes stehen lässt.
Noch bäumt sich mein Inneres auf und denkt, das hol’ ich mir wieder, der werd‘ ich zeigen, wie ich da nicht reinpasse! als just in jedem Moment eine atemberaubend schöne 20jährige, Echtkleidungsgröße 34/36 in einem noch lungenentleerenderen Kleid an mir vorbei zum Spiegel gleitet.
Schau, krächzt eine Schicksalsparze Schau, so siehst Du nicht aus! NICHT NICHT NICHT!
Alles klar. Alles klar meine Lieben! Alles klar!!! kreische ich, ziehe von dannen und lese selbstwertdienliche Literatur: Bodo der Wal

Bodo war ein großer Wal, war nicht gerade schlank und schmal.
Alle anderen waren klein, Bodo war sehr oft allein.
Und die anderen Tiere lachten bloß: »Zum Spielen bist Du viel zu groß!«
Nur der Goldfisch blieb noch da »Zum Spielen bist Du wunderbar!«
»Bin ich denn nicht viel zu dick?« »Dicke Wale find ich schick!«
Und sie lachten und sie schwammen, spielten dicke Wale fangen
Die drei anderen guckten zu. Und bereuten es im Nu.
»Woll’n wir wieder Freunde sein? Ist doch egal, ob groß, ob klein …?«
»Klar,« sagt Bodo »Komm’ doch her! Freunde sein ist gar nicht schwer!«

Bodo und ich

Pipieinfach!

Bislang habe ich mein Leben mehr oder minder sportfrei verbracht. Sport ist albern und ich hasse es, fremde Menschen schwitzen zu sehen. Geschweige denn mir ihre vor Schweiß triefenden Achselhaare anzuschauen, wenn sie die Arme in die Luft recken.
Doch jetzt habe ich ein Kind bekommen und sehe aus wie eine Quaddel. Zum Quaddelsein bin ich noch zu unverheiratet und so muss ich mich Wohl oder Übel ein wenig in Form bringen.
Das Kursangebot mit Baby ist in Berlin reichhaltig. Und so habe ich mich in meiner Unerfahrenheit in Aerobic plus Baby eingeschrieben und leider auch schon im Voraus die Kursgebühren bezahlt.
Aerobic ist an sich ganz lustig. Ich mag 80er-Jahre Musik und zapple fröhlich gegen den Takt der Musik und spreche mir vor „Ich bin Jane Fonda, ich bin Jane Fonda und eines Tages, da bin ich Alex Owens aus Flash Dance. Ich tanze dann in einer leeren Halle und kippe mir einen Eimer Wasser über den Körper und dann lieben mich alle Männer!“.
Leider habe ich ein Problem. Mangels Kleinhirn (es muss eine organische Ursache haben), bin ich nicht in der Lage Rhythmus zu halten und/oder Arme und Beine getrennt voneinander zu koordinieren.
Das war eigentlich kein Problem. Erwachsene zeigen schließlich sozial erwünschtes Verhalten und deswegen hat noch nie jemand über mich gelacht. Bis – ja bis eines Tages der 3 jährige Sohn der Aerobiclehrerin dabei war.
Am Anfang spielt er artig mit Autos, dann beobachtet er die Szenerie, um schließlich aufzuspringen und zu schreien: „Ähhhhhhh das ist ja voll pipieinfach, das kann ja jedes Kind!“
Da ihm langweilig ist, macht er mit. Leider ist er besser als ich. Während er die Hände im Takt der Musik durch die Luft wirbelt, ruft er: „Pipieinfach, pipieinfach, pipieinfaaaaach!“
Doch dann erstarrt er mitten in der Bewegung. Er hat mich entdeckt. Er beobachtet mich. Ich fange an zu schwitzen. Er kneift seine Augen zusammen.
„Eigentlich kann das jedes Kind“, sagt er und schaut dabei in meine Richtung. Langsam hebt er den Zeigefinger. „Jedes Kind … “ Ich schließe meine Augen und denke angestrengt neinneinneinnein sags nicht, sags bitte nicht! “ …außer DIE DA!“
Der Boden öffnet sich, fumb. Ich verschwinde.