Die Kinder der anderen

Freunde braucht man nicht unbedingt. Hauptsache man hat gut erzogene Kinder, die freiwillig Zähne putzen, alleine ins Bett gehen und morgens die Zeitung holen.

In Erziehungsfragen mischt man sich nicht ein. So sehe ich das jedenfalls. Ich würde anderen nie ungefragt irgendwelche Tipps und Verbesserungsvorschläge geben. Nie, nie, nie. Das erhält Freundschaften.

Allerdings ist nichts dagegen einzuwenden mal mit guten Beispiel voraus zu gehen. Dann sehen die anderen einfach mal, wie toll ihre Kinder sein könnten, wenn sie sie nur ordnungsgemäß erzögen.

Als wir in den Scubes übernachtet haben, bot sich eine Möglichkeit bei der wir den anderen Übernachtungsgästen mit Kind ein gutes Vorbild sein konnten. Während deren Kinder nämlich um 22 Uhr immer noch aus den Scubes plärrten, schliefen unsere Wonneproppen schon seit zwei Stunden. Wir haben vorher vor den Augen der anderen gemeinsam Zähne geputzt, dabei hat natürlich keines unserer Kinder geschrieen. Dann haben unsere Kinder die Schlafanzüge angezogen und haben sich hingelegt.

Wir saßen ab da vor den Scubes und haben Wein getrunken und den anderen dabei zugeschaut wie erst die Väter geschickt worden sind, die Kinder bettfertig zu machen, dann die Mütter hinzukamen, um die Kinder ein siebtes Mal hinzulegen bis schließlich gegen Mitternacht alle anderen Kinder schliefen.

Wir sind dann ins Bett und haben bis 10.30 Uhr geschlafen. Wir hätten freilich noch länger geschlafen, wäre da nicht seit 6.30 Uhr der Lärm der anderen Kinder gewesen. Da die Kinder dann aber schon wach waren, haben wir sie geschickt und Kaffee und Brötchen zu holen.

Komischerweise waren die anderen übrigens total unfreundlich zu uns und wollten nichts mit uns zu tun haben. Warum? Das weiß nur der Wind.

Erlebnis-Kosmetik

Gibt man bei mir in die Suche „Geiz“ ein, bekommt man bestimmt 200 Beiträge zu dem Thema. Deswegen nutze ich verschiedene Gutscheinportale, um mir den ein oder anderen Luxus zum günstigen Preis zu gönnen – wohlwissend dass die Unternehmen, die diese Gutscheine ausgeben, die Hälfte an den Gutscheinseitenbetreiber abdrücken und den Preis meistens um gut 60% senken.

Aber was solls. Jeder hat so seine dunklen Seiten.

Jedenfalls gehört der Besuch beim Kosmetiker für mich zu diesen Luxusdingen, die ich mir zum vollen Preis niemals leisten würde. Wenn man also jeden Monat zu einem neuen Kosmetiker geht, erlebt man viele aufregende Dinge.

Heute z.B.. Ich muss ehrlicherweise sagen, heute habe ich ganz kurz überlegt, ob ich gehe und zwar schon beim Anblick der Außentür. Kein Schild, nur ein ausgedruckter Zettel der an die Innenseite der Außentür geklebt war.

Da die Tür verschlossen war und es keine Klingel gab, klopfe ich leise an die Tür. Ein Vorhang geht auf und durch die verschlossene Tür brüllt eine stark blondierte Frau: „ESSE ISTE NOCH NISCHTE ÖLF!“.  Ich schaue verwundert und nach einigen Sekunden des Zögerns, öffnet die blonde Frau die Tür. „Aufa meine Uhra ist es ACHT vor ölf!“.

Ich zucke mit den Schultern. Wir schauen uns an. „Na gutte, dann setze sie sisch“.

Der Kosmetiksalon ist ein Raum, abgetrennt durch einige Vorhänge. Erinnert mich ein bißchen an die amerikanischen Notaufnahmen, die man so aus dem Fernsehen kennt.

Ich setze mich auf den einzigen Stuhl den es dort gibt. Er steht vor der Toilette. Die Blondine rauscht an mir vorbei. Innen höre ich, wie sie das Wasser anstellt. Dann infernalisches Pupsen. Die anschließenden Geräusche versuche ich zu ignorieren indem ich mir die Hände auf die eigenen Ohren klatsche und leise sage: Happy place! Happy place!

Die Kosmetikerin stellt das Wasser aus, öffnet die Tür, eine dezente Wolke der Verwesung schlägt mir entgegen und die Dame sprüht gut 20 Sekunden lang mit einem Raumlufterfrischer Geruchsrichtung Frühling in meine Richtung. HAPPY PLACE! HAPPY PLACE!

Ich darf auf der Liege Platz nehmen, soll mich aber vorher ausziehen. „Ausziehen? Ich hab nen Gutschein für ne Gesichtsbehandlung?“ „AUSZIEHE!“. Na gut, denke ich und ziehe mein T-shirt aus. Das muss reichen.

Sie leuchtet mir mit einer Baulampe direkt in die Augen. „OHHHH ARRGGGHH RRRR! Wann ware sie das letzte Malle?“ Ich denke: „Hat sie Hände gewaschen? Hat sie die Hände gewaschen?“ und kläre sie über meinen letzten Besuch beim Kosmetiker auf.

Sehr schlechte Haut, hätte ich. Da sei quasi fast nix zu machen. Pfuscher seien zuletzt am Werk gewesen. In Berlin könne ja jeder Kosmetiker werden. Erweiterte Kapillare hätte ich. Alles in allem ziemlich furchtbar.

Sie drückt mir ohne Vorankündigung zwei Wattepads auf die Augen. Dann schmiert sie mir seltsam riechende Dinge ins Gesicht und verlässt mich. Natürlich ohne etwas zu sagen. Ich versuche, weil ich nichts sehen kann, zu erlauschen was sie wohl macht. Eine Tür ist geöffnet worden. Zum Hof. Ich vermute sie steht an der Wand und raucht. Es riecht jedenfalls so. Dann höre ich Getrippel und Gekichere. Etwas pickst mir ins Gesicht. Lautes Gelächter, schnelle Schritte. Eine Tür wird zugeschlagen.

Ich warte. Wie lange wohl die Maske einwirken muss? Während ich grübele, bekomme ich merkwürdige Gedanken und sehe Schlagzeilen in Tageszeitschriften: „Hilfe kam nach sechs Stunden. Berlinerin verlassen im Kosmetiksalon.“, „Ahnungslose Berlinerin bei angeblicher Kosmetikerin mit Flüssigedding eingerieben.“ und am Ende „Die Geliebte des Serienmörders bekennt: Das habe sie alles nicht gewollt!“.

Leichte Panik steigt in mir hoch. Doch noch ehe ich vom Behandlungsstuhl aufstehen kann, kommt die Kosmetikerin zurück. Sie beginnt jetzt unter Flutlicht an mir rumzuquetschen. Ich atme mich wie bei den Geburten in Trance, was sie zu schätzen weiß: „Andärä Kundän habene an diesrrr Stelle geweinet.“

Am Ende meiner preisgünstigen Behandlung wanke ich rot, verquollen und glänzend wie eine Speckschwarte aus dem Beautysalon. 24 Stunden solle ich das so lassen. Ich bete, dass mir auf dem Weg nach Hause niemand begegnet, den ich kenne.

Symbolbild Speckschwarte

Symbolbild: Speckschwarte

P.S. Wer Namen und Telefonnummer des Ladens haben möchte, um auch mal was spannendes zu erleben, bitte in den Kommentaren melden.

Welches Schweinerl wärens denn gern?

Treue Leser meines Blogs wissen, dass ich nicht seit jeher Kinderfan bin. Ich bin eher in die Kindersache reingeschlittert und irgendwann war mein psychologisches Interesse geweckt. Glücklicherweise habe ich an einer Uni studiert, die viel von Einzelfallanalyse hält. Eine ordentliche Grundgesamtheit n, die wissenschaftlich reliable und valide Allgemeinaussagen liefert, wäre ich zu gebären nicht imstande gewesen.

So betrieb ich die ersten Jahre zunächst Schwellenforschung, wobei mich v.a. die Schwellen von Erwachsenen im Vergleich zu denen der Kinder interessierten. Nehmen wir die Schwelle, mit der man Wiederholungen erträgt.

Kind 1.0 fand es z.B. sehr lustig auf dem Bett herum zu springen und „Miau miau“ zu schreien. Mir fiel gleich auf, dass Kind 1.0 das sehr lange, sehr lustig fand. Also gesellte ich mich dazu und schrie ebenfalls „Miau miau“ und registrierte unmerklich die Anzahl der Wiederholungen.

Schnell bemerkte ich, dass mein Forschungsgeist, mein Wille und einige andere dringend notwendige Fähigkeiten zum Abschluss dieses Experiments nicht ausreichend ausgeprägt waren. Ich musste mehrere Testreihen bei n=276 Wiederholungen abbrechen. Als Teilergebnis meiner wissenschaftlichen Studie konnte ich immerhin festhalten, dass meine Schwelle bei ca. zwölf Mal „Miau miau“ schreien und hüpfen erreicht war. Die Schwelle des Kindes, wie gesagt, ist trotz jahrelanger intensiver Forschungsarbeit bislang nicht wissenschaftlich zu ermitteln.

Interessanter noch als die Schwellenforschung erweist es sich, motivationale Hintergründe des Miau miau Schreiens zu ergründen. Zumindest diese Frage ist psychologisch einfach zu beantworten. Die Kinder haben noch kein stabiles Selbstvertrauen. Dieses bildet sich erst im Verlauf ihrer Entwicklung mit der steigenden Anzahl an Erfolgserlebnissen. Wenn sie Dinge wiederholen, stabilisieren sie ihre Erfahrungen und es ist ihnen nach und nach möglich einen stabilen Erwartungshorizont zu bilden, was sich positiv auf das Selbstbewußtsein (sie wissen was passiert! sie können es vorher sagen) und das Kompetenzempfinden auswirkt.

An der Ergründung einer anderen, sehr interessanten Frage forsche ich im Moment. Es ist die Frage des kindlichen Anthropomorphismus: Warum wollen Kinder andere Dinge sein und noch schlimmer warum wollen sie, dass ICH andere Dinge bin.

Jedes unserer Kinder ist früher oder später in diese Phase eingetreten. Dann werde ich mit Fragen der folgenden Art gelöchert:

  • Welcher Powerranger willst Du sein? (und mit dieser Frage ist man noch gut bedient, denn man kann rational nach Farben und/oder Fähigkeiten der einzelnen Powerranger eine Entscheidung treffen)

Schwieriger wird es bei:

  • Welches Pferd willst Du sein?*

Und richtig lange meditieren kann man über die Fragen der folgenden Art:

  • Welcher Stein willst Du sein?

Wer glaubt, dass man einfach zufällig auf eines der zur Auswahl stehenden Objekte zeigt und sagt „Der da“ bzw. „Das da“ und damit ein Kind zufrieden stellen kann, der hat keine Kinder. Die nächste Frage lautet nämlich „Warum?“ und dann gilt es eine ausdifferenzierte Antwort zu geben oder man gelangt in die unendliche Warum-Fragen-Möbius-Schleife.

Jedenfalls ist mir bis zum heutigen Tag völlig rätselhaft welche Kompetenz sich in dieser Personifizierungsphase ausbildet. Ich hätte eben doch noch ein Aufbaustudium nachlegen sollen.

Welcher Stein willst Du sein?

———

*Glücklicherweise gibt es das Internet, das alle Fragen beantwortet. Falls man also vom Kind gefragt wird, welches Pferd man sein möchte, einfach schnell den Test machen. Bei der Powerrangerfrage gibt es übrigens auch Hilfe.

[scooby doo]

Wir unternehmen ganz gerne Sachen mit den Kindern. Deswegen haben wir am Wochenende den neuen Scube-Park ausprobiert. Bei den Scubes handelt es sich um ca. sieben qm große Quader, in denen bis zu vier Betten Platz finden. Das attraktive an den Scubes ist ihr Standort. Die ersten ihrer Art stehen im Prinzenbad.
Zufällig gab es ein wirklich günstiges Angebot, das unserem gerne geizig bemessenen Budget sehr entgegen kam. Sollte sich zum selben Preis noch mal die Gelegenheit ergeben, würden wir die Sache gerne wiederholen.
Man bezieht während der offiziellen Öffnungszeiten des Prinzenbades einen der fünf (geplant waren ursprünglich vierzig) Scubes. Wir haben uns für den vordersten entschieden, weil der im Gegensatz zu den anderen im Schatten steht. Zu viert passt man locker rein. Sofern man seine Ansprüche vom Camping ableitet, hat man es dort auch bequem.
Da die Scubes erst kurze Zeit dort stehen, fallen einem relativ schnell ein Paar kleine Verbesserungen ein, die man vornehmen könnte. Ein Mückengitter vor dem immer geöffneten Belüftungsfenster. Einen Spiegel, ein kleine Möglichkeit Dinge abzulegen, eine Treppe oder zumindest eine Stufe zum obersten Bett und ein Fußabstreifer vor dem Eingang zum Beispiel.
Strom gab es im Gegensatz zur Information auf der Website leider noch keinen im Scube – jedoch war das kein Problem, weil der „Betreuer“ vor Ort nicht nur sehr freundlich sondern auch stets bemüht war, Lösungen für auftretende Problemchen zu finden.
Eine Kabeltrommel tuts glücklicherweise auch, wenn man z.B. seine bestromte Kühltruhe mitbringt.
Das Gelände der Scubes ist vom Rest des Prinzenbades durch einen Zaun abgetrennt. Das war sehr angenehm, denn die kleinen Kinder können das Gelände erkunden und spielen ohne dass sie verloren gehen oder irgendetwas passiert wenn man mal fünf Minuten in einem der Liegestühle oder in der Hängematte die Augen schließt.
Das Tor zum Prinzenbad samt dessen sanitärer Anlagen ist ausschließlich während der Öffnungszeiten geöffnet. D.h. die Duschen oder eine „richtige“ Toilette kann man nur zwischen 7 und 20 Uhr benutzen. Für den Rest der Zeit steht eine mobile Toilette auf dem Gelände.
Einmal benutzt, benutzt man die aber aufgrund des extremen Gestanks kein zweites Mal.
Auch fehlt es an Möglichkeiten mal einen benutzten Teller abzuspülen oder sich mal die Hände zu waschen. Allerdings muss man dazu sagen, dass in den nächsten Wochen wohl ordentliche Toiletten sowie eine Dusche gebaut werden.
Alles in allem trotzdem eine nette Abwechslung fürs Wochenende. Zwei Tage und eine Nacht dort fühlen sich an wie eine Woche und gleich nach dem Aufstehen schwimmen zu können, das vermittelt echtes Urlaubsgefühl.
Man muss aber ganz klar sagen, mit 2 Erwachsenen und 2 Kindern 94 Euro pro Nacht zu zahlen (wie auf der Website angegeben), das wäre gemessen an dem Standard der derzeit geboten wird, doch ein bisschen wild.
Gegen ein urbanes Gefühl (will heißen, alle 5 bis 10 Minuten fährt die ca. 30 Meter entfernte U 1 scheppernd vorbei) darf man auch nichts haben.
Zu dem vollen Preis könnte man vielleicht 2-3 von 5 möglichen Sternen vergeben. Für weniger verlangt man auch weniger und dann wären vier Sterne möglich. Ein Stern zur Bestnote kostet die fehlende Möglichkeit die Blase zu entleeren ohne dabei das Gefühl zu haben sterben zu müssen.
Ein extra Herzchen bringt der Umstand dass man Abends mit dem Mann außerhalb der eigenen vier Wände gemütlich bei Kerzenschein Wein trinken und dabei den wilden Kaninchen zuschauen kann, die das Areal des Prinzenbads übernehmen.
Ich glaube, jetzt war mir ganz kurz romantisch!

Scubes im Prinzenbad

Jodhpur-Stiefeletten

Es ist so: Ich wollte nie, dass unsere Kinder in geschlechtsspezifische Rollenvorlagen gepresst werden. Im Hause Nuf waren die Farben Rosa und Hellblau verboten. Brachte ein Familienmitglied geschlechtsspezifische Merchandiseartikel mit nach Hause, gab es zwei Jahre Hausarrest. Tat ein Besucher das selbe, wurde nach einem langen Vortrag über geschlechtsneutrale Erziehung und negative Beeinflussung der Charakterentwicklung durch Konsumartikel mit mangelnder Genderneutralität die Freundschaft für die selbe Zeitspanne vorübergehend ausgesetzt.

Wenige Jahre später sind es die Kinder, die uns alles verbieten, was nicht eindeutig einem Klischee entspricht. Wie bei den Borg ist auch hier Widerstand völlig zwecklos. Nach Rosa, Hellblau, Hello Kitty, Barbie, Transformers, Power Ranger, etc. dachte ich nicht, dass es eine Steigerung gibt. Es gibt sie aber und sie heißt Pferd.

Mit Pferden kenne ich mich ungefähr so gut aus wie mit dem kambodschanischen Gesundheitssystem. Nein, halt, da habe ich mal eine Dokumentation auf Arte gesehen – also eher wie mit Techniken des Phosphatabbaus in Nauru.

Pferde sind mir fremd. Wenn ich an einem Pferd vorbei komme und es grüßt zeitgleich ein anderes Pferd, denke ich, es will mich auffressen. Ich schaue mir die Zähne an und bin mir sicher, wenn Pferde alleine sind, dann zupfen sie nicht Grashalme von der Wiese oder knabbern Möhren – nein – dann fressen sie Menschen, die sie vorher durch ihren unschuldigen Pferdeblick auf die Weide gelockt haben.

Kind 2.0, Körperhöhe 110 cm weiß das nicht. Anders kann ich mir nicht erklären wie es so arglos auf die gut doppelt so großen Lebewesen zuspringt und sie freudig füttert. Zudem schleppt es seit Wochen Pferdeliteratur an und ich muss mir dann die Zunge an Begriffen wie Jodhpur-Stiefeletten und Chaps brechen. Der ganze Fachtext ist durchzogen von seltsamen Begriffen, die mein Lesetempo stetig verlangsamen bis es schließlich ganz zum Stillstand kommt und ich laut buchstabiere wie ein Erstklässler Kardätsche „K A R D Ä T S C H E“. Vier Millisekunden später habe ich das Wort schon wieder vergessen. Am Reiterhof mache ich deswegen keine besonders gute Figur.

„Welche von den Dingern hier muss Kind 2.0 noch mal nehmen?“

„Die Wurzelbürste“

„Kann man damit auch die Augen sauber reiben?“

„…“

Kind 2.0 hat mit der Unterstützung von Kind 1.0 jetzt ein Pony-Fach-Know-how-Video recherchiert, das ich anschauen und auswendig lernen muss. Hab es bislang noch nicht länger als bis Sekunde 10 geschafft. Da fängt die Musik an und ich bekomme ein nervöses Zucken im rechten Auge und falle in einen katatonen Zustand.

Wie so oft mit Kindern – am Ende hilft nichts und so bleibt mir nur das Gute am Thema Reiten zu sehen, was da wäre:

1. Wenn ich mich in der Nähe von Pferden aufhalte, muss ich nicht mehr zum Blutschröpfen, um mein Blut frisch und flüssig zu halten. Die Mengen an Blut, die mir Pferdemücken absaugen, entsprechen ungefähr einer monatlichen Blutspende.

2. Empfinde ich es nicht mehr als Beleidigung wenn man zu mir sagt, ich sei eine Schabracke. Schließlich gibt es durchaus attraktive Satteldecken.

My little Alien von Mari Kasurinen

Quelle des Bildes „My little Alien“ von Mari Kasurinen

Schmutz, Gliedertiere und Schürfwunden

Es soll sie ja geben, die Menschen, die lieber auf dem Land leben möchten. Wenn mir wenig klar ist im Leben, dann das: Ich gehöre nicht zu ihnen.
Selbst auf dem Land groß geworden, kann ich mir wenig ätzenderes vorstellen. Xenophobe Menschen, Güllegestank und Kehrwoche.

Gelegentlich wenn mein Zyklus mich hormonell verwirrt, kommen mir doch Zweifel. Die armen Kinder! Nie bauen sie Staudämme an winzigen Bächlein. Nie fischen sie Kaulquappen. Insekten sind ihnen fremd und Bäume kennen sie nur aus Büchern.
Dann frage ich eine liebe Bekannte, die ein Häuschen im tiefsten Brandenburg besitzt, ob wir selbiges mal für ein Wochenende leihen können.

Das Häuschen ist ein Traum für jeden Romantiker. Wie vom Maler Janosch illustriert, gibt es keine gerade Linie an ihm. Jede Ecke hat ein Spinnweben, jeder Topf eine Delle, keine zwei Tassen sind gleich. Es gibt kein warmes Wasser, nicht mal eine Toilette, lediglich ein Plumpsklo mit Rindenschrot kann es bieten.
Nachts pfeift der Wind durch die Fensterritzen und die Igel machen Geräusche, dass man denkt, die Trolle kommen gleich und holen die Kinder.

Am Freitag berichtete ich den Kindern freudestrahlend von meiner grandiosen Idee und schilderte ihnen das Häuschen. Kind 2.0 fing sofort an zu weinen, weil es angst hatte, dass die Spinnen es beim Pipi machen in den Po beißen würden. Das ältere Kind 1.0 wusste es schnell zu beruhigen, indem es versicherte, dass Spinnen nicht beißen und dass wenn überhaupt es höchstens von einer Ratte gebissen werde oder aber von einem Wolf auf dem Weg zur Toilette verschlungen würde. Kind 1.0 sang dann zu den hysterischen Weinlauten von Kind 2.0 Rainald Grebes Lied Brandenburg.

Wir fuhren also am Freitagabend nach Feierabend los und trugen die übermüdeten Kinder durch einen Sturm ins ca. 50qm große Häuschen. Am nächsten Morgen, kaum hatte der Hahn der Nachbarn gegen 4 Uhr gekräht, standen die Kinder auf, zogen sich an und zogen los.
OK, sie wollten sich anziehen und losziehen, nur leider fanden sie nichts passendes.
Ich hatte am Tag zuvor die Wetterlage auf Wetter.de gecheckt und dort gelesen: 16 Grad. Die Windanzeige hatte ich ignoriert und auch sonst war mir zu dem Wetterbericht nicht viel sinnvolles eingefallen.
Für alle Kinder hatte ich Badesachen, mehrere T-Shirts und Sandalen eingepackt.
Jetzt standen die drei weinend und zitternd im Hausflur und schauten mich fragend an. Wir zogen kurzerhand alles was wir überhaupt dabei hatten über die Schlafanzüge und entließen die Kinder in den großzügig bemessenen Garten.
Zwei Minuten später der erste panische Schrei. Kind 2.0 hatte sich schmutzig gemacht. Weitere drei Minuten später der erste Insektenangriff. Wieder drei Minuten später ein blutiges Knie.
So vergingen die ersten Stunden und brachten wenig erbauliches.
Wir Erwachsene wünschten uns beim Anblick des Außenklos die Verstopfungen unserer eigenen Eltern beim Versuch auf fremde Toiletten zu kacken machen.
Nach dem Frühstück jedoch packten wir neuen Mut und tatsächlich das Ist-es-nicht-toll-hier-am-Land-Gefühl stellte sich bald ein.
Wir mähten mit einem analogen Gerät den Rasen, rechten alles zusammen. Die Ränder der Wiese kürzten wir mit Gartenscheren und die Blumen wurden in stundenlanger Kleinstarbeit mit winzigen Gießkannen gewässert. Kind 1.0 kam in einen Mährausch und kürzte gewissenhaft alle Gartenkräuter.
Die Luft roch nach Schnittlauch und Basilikum, wir kochten Nudeln mit Tomatensoße, alle aßen als gäbe es in der kommenden Woche keine Nahrungsmittel mehr. Kind 2.0 und 3.0 verteilten nach alter Manier des Guerilla–Gardening Blumensamen in den Beeten.
Wir fütterten die umliegenden Ziegen, Pferde, Schafe und Nachbarshühner und punkt 20 Uhr fielen die Kinder in Ohnmacht und wachten erst am nächsten Morgen wieder auf.
Wir Eltern saßen bis tief in die Nacht unter einem strahlenden Sternenhimmel, frei jeder Lichtverschmutzung und tranken Gänsewein.
Der darauf folgende Tag verlief ähnlich wundervoll und als ich mir gerade die Hände im Spülbecken beim Spülen verbrühte, weil das Wasser aus dem Wasserkocher wider Erwarten bereits gekocht hatte und ich aus dem Fenster blickte, am Horizont die Kuhherde und unten am Haus Kind 1.0, das gerade versuchte die Nachbarskatze mit einem gellenden KATZIIII KATZIIII anzulocken, da dachte ich einen kurzen Moment: Was wäre es schön auf dem Land zu leben.

Filme, nacherzählt

Für mich die beste Veranstaltung des Jahres und zwar Jahr für Jahr: Das Festival des nacherzählten Films. Seit es existiert, gehe ich hin. Nur 2009 musste ich es ausfallen lassen weil Kind 3.0 zu den Festivaltagen geboren wurde*.
Das Prinzip ist ganz einfach: Ein oder mehrere Redner erzählen etwas nach, das verfilmt wurde. Hilfsmittel aller Art sind unzulässig. Es spielt jedoch keine Rolle, ob man ein Film, eine Serie, ein Musikvideo, das eigene Hochzeitsvideo, eine Dokumentation oder eine Werbung nacherzählen möchte.
Das Ergebnis ist faszinierend. Von Bud Spencer Filmen, über Tierdokumentationen, Filme, die kein Mensch kennt, bis hin zu 50er Jahre Serien – alles wird nacherzählt, nachgesungen oder sogar pantomimisch dargestellt. Ich habe in all den Jahren noch keinen Beitrag gesehen, den ich als schlecht empfunden habe. Ich habe Tränen gelacht und geweint. Das Festival ist ganz wunderbar.
Anscheinend finden das andere auch, denn die Zuschauerzahlen steigen, nur an Nacherzählern mangelt es (zumindest im Vorfeld, so dass die Organisation des Festivals erschwert wird).
Glücklicherweise melden sich im Laufe der beiden Festivalabende weitere Freiwillige, so dass auch in diesem Jahr auf 27 Nacherzählungen präsentiert wurden.
Ich bewundere die Nacherzähler und besonders diejenigen, die sogar spontan auf die Bühne kommen. Jahr für Jahr nehme ich wunderbare Inspirationen für Serien und Filme mit und mir bleiben (film)begeisterte Menschen mit einer unglaublichen Ausstrahlung und Präsenz in Erinnerung.
Am liebsten würde ich jedem einzelnen Nacherzähler nach dem Festival um den Hals fallen und mich tausend Mal bedanken.
Meine absoluten Favoriten in diesem Jahr waren „Invictus“ und „Missfits (Serie)“, sowie der Dauerbrenner „Vom Winde verweht“. Danke für diese beiden tollen Abende!

Hier einige sehr grandiose Beispiele:
Herr der Ringe 1-3 (1. Teil) und Texas Chainsaw Massacre

 

Gewinner der silbernen Linde Januar 2011: Andres Blumenthal „Mamma Mia!

*Übrigens nicht unbedingt ein Grund, denn es gibt eine Nacherzählerin, die sich zum errechneten Geburtstermin mal locker flockig auf die Bühne gestellt hat und ihren Lieblingsfilm nacherzählt hat.