Eigentlich wollte ich dieses Wochenende nach Aachen verreisen. Da aber die Unteilbar-Demo angekündigt war, verschiebe ich mein Vorhaben. Ich hatte mich schon geärgert, dass ich nicht auf der Veranstaltung in Chemnitz sein konnte.
Morgens grundiere ich schnell noch die Wände, die wir bald streichen wollen, dann esse ich zu Mittag und mache mich etwas verspätet auf den Weg, mich der Demo anzuschließen.
Wie kauft man in Berlin ein ermäßigtes Monatsticket für 6 bis 14jährige?
Als Eltern hat man das Glück immer mal wieder ein erstes Mal zu erleben. In unserem Fall: ein Schülerticket kaufen (wollen)
(bzw. ganz korrekt: Ein ermäßigtes Monatsticket für ein Kind kaufen wollen!)
Mir war schon in den letzten Schulwochen klar, dass ich das brauchen würde, denn die Ferienbetreuung ist einige Kilometer von unserer Wohnung entfernt und wir würden deswegen Tram fahren müssen.
Weil die Kinder schon seit einiger Zeit 6 Jahre alt sind und wir immer mal wieder für Einzelfahrten ein ermäßigtes Ticket gekauft hatten, dachte ich mir aber: „Wir kaufen für unser Grundschulkind öfter mal eine ermäßigte Fahrkarte, wenn wir also ein Monatsticket brauchen, gehe ich an den Automaten und kaufe eine ermäßigte Monatskarte.“
Eine Woche Wien reicht leider nicht, um Wien wirklich kennenzulernen. Aber das Wien, das ich in der einen Woche kennengelernt habe, die ich da war, hat mir sehr gefallen.
Ich habe in vielen Situationen einen Lochkrampf bekommen. Das Wort Lochkrampf gefällt mir ausgesprochen gut. Ich hab es in der U-Bahn gehört. Da hat eine Frau in ihr Telefon gesagt „Und dann hoab I oan Lochkrampf bekommen.“ Seitdem ist Lochkrampf mein Lieblingswort.
Ich stelle mir vor, wie ein Beamter plötzlich bei der Verrichtung seiner Arbeit einen Lochkrampf bekommt. Eigentlich wollte er nur ein bestimmtes Formular abheften und nimmt den Locher in die Hand und dann bekommt er einen Lochkrampf und locht das Formular zu Konfetti. Das Konfetti wirft er aus dem Fenster auf die Straße, es rieselt leise auf den Gehweg, wird vom Wind ein wenig verteilt und unten läuft einer, der schaut hoch und denkt sich: „Da hat schon wieder einer einen Lochkrampf gehabt“ und geht kopfschüttelnd weiter.
Nicht dass man mich hier falsch versteht. Ich liebe diese Sprache. Ich habe die Serie Braunschlag nur geschaut, weil mir die Sprache so gut gefällt. V.a. wenn die Österreicher schimpfen. Dann sagen sie „Oahschloch!“ und das finde ich jedes Mal wieder toll.
Ich frage mich immer, wie ich in ihren Ohren klinge. Ob es so klingt wie für meine italienischen Verwandten. Die immer sagen, dass Deutsch KRATZ RRRAKATZ BRRRAAARATZ! klingt. Sehr unschön also und auch sehr hart.
Jedenfalls neben der Aussprache gibt es tatsächlich sogenannte „Austriazismen„. Worte, die in Österreich ganz anders sind als in Deutschland. Manchmal versteht man sie, manchmal aber auch gar nicht.
Ich musste z.B. tatsächlich googeln was ein Vogerlsalat mit Paradeisern ist.
Interessant fand ich umgekehrt z.B. dass ich in einem Café einen Möhren-Muffin bestellt habe und die Bedienung mich ein wenig ratlos angeschaut hat und mir dann vorgeschlagen hat: „Das haben wir leider nicht. Ich kann ihnen aber einen Karotten-Muffin anbieten.“
Überhaupt wurde ich eigentlich nie verstanden. Wahrscheinlich weil man schon alles falsch gemacht hat, wenn man in ein Geschäft kommt und nicht „Grüß Gott“ sondern „Guten Tag“ sagt.
Sobald man dann erstmal „Guten Tag“ gesagt hat, ist klar: die spricht kein ordentliches Deutsch. Wahrscheinlich eine, die es versucht, aber nicht so gut kann. Man nickt dann freundlich und redet Englisch mit mir.
Das hat mich sehr gefreut. In England auf der anderen Seite, habe ich noch nicht mal „Hello“ gesagt und werde immer gefragt „Are you from Germany?“.
Doch zurück zu den Wienern. Die Wiener sprechen nicht nur schön und meistens ein paar Takte langsamer als ich es von den Deutschen kenne, sie sind auch wahnsinnig entspannt.
Irre. Die Autofahrer z.B. – die fahren nicht wie die Verrückten, sondern man hat den Eindruck sie achten auf die anderen Verkehrsteilnehmer. An Zebrastreifen wird gehalten und nicht nur das! Sie bremsen auch vorher schon ab. Nicht so wie die Berliner, die gerne nochmal Gas geben und dann genervt halten, wenn man doch gedenkt die Straße zu kreuzen.
Auch habe ich mehrere Male beobachtet, dass die Ampel auf grün sprang und das erste Auto nicht sofort losgefahren ist. In Berlin wird man da nach 10 Millisekunden durch hupen freundlich erinnert, dass es doch schon zehn ganze Millisekunden grün ist. Die Wiener warten einfach.
Es geht immer schön nach der Reihe und alle sind furchtbar freundlich.
Ich habe versucht zu verstehen woran das liegen könnte und was in Berlin so stresst, dass eigentlich alle immer kurz vor dem Nervenzusammenbruch stehen.
Wien ist mit 1,8 Mio Einwohnerinnen und Einwohnern wirklich keine kleine Stadt. Auch ist alles viel, viel enger als in Berlin. Daran kann es also nicht liegen.
Berliner Gehsteige sind ja sehr breit und dann die Straße… hier in Wien kann ich die Irisfarbe der Person im gegenüberliegenden Haus sehen, so nah ist das andere Haus.
(Übrigens gegenüber von unserer Ferienwohnung ist eine Versicherungsgesellschaft. Dort sitzen die ganzen Mitarbeiter in Anzügen vor ihren Rechnern und schauen ein wenig traurig. Manche fläzen sich auch wichtigtuerisch in ihre Bürostühle und telefonieren mit ausladenden Gesten über ihre Headsets. Ich tanze dann auf unserer Seite einen Tanz, der dem I-told-you-so-Tanz von Scrubs nachempfunden ist, den aber in der Variante Ich-hab-Urlaub-und-ihr-ja-nihich bis dann einer ans Fenster tritt und „Du Oahschloch!“ schreit. So süß!!)
Diverse österreichische Filme, die ich gesehen habe (eigentlich ausschließlich Ulrich Seidl Filme), legen ja nahe, dass die Österreicher ein wenig speziell sind und auch das ein oder andere dunkle Geheimnis haben.
Das ist mir jedenfalls gleich in den Kopf geschossen, als ich vom Flughafen mit der S-Bahn in die Innenstadt fuhr. Die U- und S-Bahnen haben nämlich Haltegriffe, die so eine Mischung aus Sado-Maso- und Metzger-Aufhängung sind.
Der Eindruck hat sich dann bestärkt, als ich heute eine gute Stunde eine Frau im Amalienbad (das ist so schön! Geht da mal hin!) beim „Schwimmen“ beobachtet habe. Ich schreibe Schwimmen in Anführungszeichen, weil sie hatte irgendwas schweres um den Bauch und ist dann recht mühsam durch das Wasser geschritten. Aufrecht, die Beine so als würde sie laufen, die Arme ein wenig wie es die Hunde beim Schwimmen machen. Dabei hat sie ihren Kopf sehr weit aus dem Wasser gestreckt (sie war sehr bunt geschminkt und auch die Haare waren sehr fesch gemacht) und sie murmelte Dinge vor sich her. Verstanden habe ich nichts, obwohl ich einige Zeit sehr langsam neben ihr geschwommen bin. Sie sah angestrengt aus, aber auch sehr freudig. So als würde sie sehr hart und konzentriert an einem Orgasmus arbeiten.
Jedenfalls das Sado-Maso-Gehängsel und der Eindruck dieser Frau, legen die Vermutung nahe, dass die Wiener sich vielleicht an anderen Dingen abarbeiten als die Berliner.
Vielleicht ist es auch nur das gute Essen. Allein Brot und Brötchen (gut doppelt so teuer wie in Berlin) sind der Wahnsinn. Ganz zu schweigen von all den anderen Speisen wie Wiener Schnitzel, Tafelspitz, die ganzen Suppen, das Gulasch und die Torten.
Vielleicht finde ich es noch raus. Ich bleib‘ dran.
In der Kantine, in der ich mittags esse, gibt es einen Mitarbeiter, der jeden Gast, der hineinkommt, mit einem fröhlich-lauten „Hallo! Schön, dass Du da bist!“, begrüßt.
Neu im Unternehmen, gehe ich ab und an alleine Mittag essen und fühle mich etwas einsam. Wenn der Kantinen-Mitarbeiter mir seine Begrüßung zuschmettert, schrecke ich kurz hoch und muss lächeln. Er macht das inbrünstig und überzeugend und ich fühle mich wahrgenommen und gewertschätzt. Das fühlt sich gut an.
An dieses Gefühl musste ich denken, als ich neulich bei der Bahnhofsmission hinter der Theke stand und Essen an Obdachlose ausgegeben habe.
Als ich mich zum Einsatz gemeldet hatte, war ich ein bisschen ängstlich. Ich wusste nicht so genau, was auf mich wartet und ich habe gedacht, dass die meisten wahrscheinlich stark alkoholisiert sind und vielleicht auch rumpöbeln.
Als um 12 Uhr das erste Mal die Tür aufgeht und die Obdachlosen eintreten, blicke ich ausnahmslos in freundliche Gesichter. Die meisten schauen mich direkt an – nur sehr wenige vermeiden den Blickkontakt.
Das Essen, das wir heute verteilen, kommt hauptsächlich von einer bekannten Berliner Feinkost-Kette. Es gibt viel, aber nicht das selbe für jeden. Ich gebe eine warme Mahlzeit aus, ein Sandwich, ein Stück Obst, ein Stück Gebäck und einen Nachtisch.
„Bitte den Grießbrei mit gerösteten Mandeln.“ Ich krame im Kühlregal, meine Hände greifen etwas, ich ziehe es heraus: Grießbrei-Vanille. „Nein, bitte den mit den Mandeln.“ Ich krame weiter. So geht das Mensch für Mensch. Ich bekomme eine Essensmarke und frage dann z.B. „Himbeer Mascarpone oder Chia-Pudding?“ Ganz am Anfang kommt mir das komisch vor, auch dass manche sehr rigoros darauf bestehen den Teller links und nicht den oben rechts zu bekommen. Sollten sie nicht froh sein, überhaupt was zu bekommen?, huscht mir durch den Kopf. Es dauert aber nicht lange bevor mir aufgeht: Nein, sollen sie nicht. Sie müssen mit so wenig leben, immer mit dem zufrieden sein was kommt, wenn sie hier einmal wählen können, dann sollen sie wählen dürfen. Natürlich. Ich schäme mich für meine Arroganz. Ich will auch wählen können. Warum sollte das ein Obdachloser nicht dürfen?
Mir macht die Essensausgabe und der Kontakt zu den Menschen Spaß. Es gibt jeden Tag mehrere Zyklen, in denen Essen ausgegeben wird. Ich bleibe auch das nächste Mal an meiner Position. Meine Kolleginnen und Kollegen, die heute ebenfalls freiwillig helfen, stehen an der Spülmaschine, sortieren Kleiderspenden, geben Kaffee und Tee aus und füllen die Teller auf.
Wir sind da, um eine ganze Reihe an ehrenamtlich tätiger Menschen (und Festangestellten) zu unterstützen.
Da sind zum Beispiel einige vornehme, ältere Damen, die sagen, dass sie hier sind, weil sie es so gut haben im Leben und dass sie ihre Rente nutzen wollen, um das Leben anderer ein bisschen besser zu machen.
Mir tut es gut, das zu hören. Es ist gut zu wissen, dass es nicht immer um Gewinnmaximierung geht. Es gibt viele freiwillige Helferinnen und Helfer. Menschen, die Kleidung spenden, Menschen, die kostenlos Haare schneiden, Menschen, die Essen bringen.
Die Obdachlosen, die die Mitarbeiter der Bahnhofsmission Gäste nennen, stellen schlicht und ergreifend eine Normalverteilung von Menschen dar, die man auch sonst trifft. Einige gesprächig, manche zu Scherzen aufgelegt („Wo bleibt bitte mein Schaschlik, das ich vor dreißig Minuten bestellt habe?“), andere schüchtern. Paare, die füreinander bestellen, dynamische und auch langsame Menschen, junge Menschen, alte Menschen, etwas verlotterte Menschen und auch Menschen, die so gepflegt und sauber aussehen, dass man sich wundert, was sie hier in der Bahnhofsmission tun.
Es ist Sommer, Monatsanfang. Die Stimmung ist überraschend gut. Tatsächlich ist das nicht immer so. Verständlicherweise. Am Anfang des Monats haben manche Menschen, die obdachlos sind, noch ihr Arbeitslosengeld II und auch sind die Mitmenschen am Anfang eines Monats spendabler als am Ende des Monats.
Wie oft habe ich schon gedacht als ich in der S- und U-Bahn oder vor Einkaufsläden angebettelt wurde: „Man kann ja schließlich nicht jedem was geben!“ und folglich nichts gegeben.
Ich habe es jetzt zwei Wochen ausprobiert und jedem, der gebettelt hat, einen Euro gegeben: 5 Euro hat mich das gekostet. Man kann vielleicht nicht, aber mir geht auf: Ich kann durchaus.
Tatsächlich muss man aber nicht immer Geld geben. Ins Gesicht sehen und überhaupt auf die Menschen reagieren, hilft auch. Ich hab mich mal mit einem Obdachlosen unterhalten, der sagte mir, für ihn ist das schlimmste nicht das auf der Straße leben, sondern das unsichtbar sein.
Seitdem überwinde ich meine eigene Angst und auch mein Unbehagen, dass es mir so viel besser geht und grüße.
Ich will mir die Schicksale der Menschen, die auf der Straße leben und dort seit vielen Jahren leben, gar nicht ausmalen (einige kann man in dem Blog Unbeachtet nachlesen). Wie man sich vor schlimmen Krankheiten sicher währt, währt man sich auch sicher davor so aus der Gesellschaft zu fallen.
80% der Obdachlosen leiden unter psychischen Erkrankungen, erzählt die Sozialarbeiterin der Stadtmission.
Wie heftig diese Erkrankungen Menschen aus dem Alltag katapultieren können, vermag man sich gesund nicht vorstellen. Ich denke oft daran wie mich aus der Bahn geworfen hat, dass meine Freundin überraschend starb. In der Folgewoche hatte ich eine Herzmuskelentzündung an der ich nur durch einen Zufall nicht gestorben bin. Im Nachheinen denke ich, ich hatte sowas wie das Broken Heart Syndrom. Dabei war es „nur“ eine liebe Freundin. Was, wenn der Partner oder sogar die eigenen Kinder sterben?
Ja, es gibt Schicksale, die ein Leben unwideruflichen aus dem Takt bringen können.
Als studierte Psychologin, die einiges an Praxiserfahrung in der Neuropsychiatrie und in der Allgemeinen Psychiatrie gesammelt hat, kann ich nur sagen: Man kann es nicht verstehen, wenn man es nicht gesehen hat und selbst dann ist es noch schwer zu begreifen.
Die Menschen, die heute in der Bahnhofsmission erschienen sind, sind ganz bestimmt die, die geistig einigermaßen beieinander sind. Sie können sich orientieren, motivieren und koordinieren. Sie wissen um wieviel Uhr es Essen gibt, sie wissen, wo es das Essen gibt.
Es gibt einige Hilfsangebote in Berlin – aber es gibt auch eine Menge Menschen, die gar nicht mehr in der Lage sind, sie in Anspruch zu nehmen. Das darf man nicht vergessen.
Es gibt keine zuverlässigen Zahlen von Obdachlosen in Berlin. Bei der Bahnhofsmission geht man von 6.000 aus.
Ich hab nur einen Tag geholfen. Ich mache das immer wieder mal zu verschiedenen Anlässen, ich spende auch regelmäßig (wenn Geld übrig ist, Geld – ansonsten regelmäßig Sachspenden). Mir hilft das zu verstehen mit wie viel Glück ich gesegnet bin, es hilft mir auch mit den Kindern zu sprechen und ein Bewusstsein zu schaffen, dass man helfen und teilen kann und dass gerade das Teilen am Ende glücklich machen kann oder dass es immer Wege gibt, wie man von seinem Glück etwas an andere zurück geben kann.
Manchmal ist es so eine Art Ringtausch. Mir tut jemand was Gutes, ich tue jemanden was Gutes und der tut wieder jemand anderes was Gutes.
Ich glaube, es ist nicht gut, seine Augen vor Armut und Bedürftigkeit zu verschließen. Man muss sie offen halten, auch wenn es unangenehm ist (weil man auch erkennt, dass man nicht grundsätzlich Dinge zum besseren wenden kann sondern nur im Kleinen).
Am Sonntag bin ich mal wieder einem meiner Lieblingshobbys nachgegangen: dem Schlangestehen
Vier Stunden stand ich damals für die MoMa Ausstellung (und hatte Glück – denn nie wieder war die Wartezeit so kurz während der gesamten Ausstellungsdauer!), fast eine Stunde für den Photography Playground, anderthalb Stunden für Frida Kahlo, eine Stunde für Olafur Eliasson.
Wie dem auch sei: es hat sich jedes Mal gelohnt – so auch für THE HAUS.
THE HAUS ist die fresheste* Urban Art Galerie – ever! Auf dich warten 108 überkrasse Kunsträume zum Anschauen, Fühlen, Erleben und Erinnern. Alles geschaffen von 165 Künstlern aus Berlin und der ganzen Welt. Doch sei dir bewusst, dass THE HAUS geschaffen wurde, um zerstört zu werden – Ende Mai schließt THE HAUS seine Pforten und die Abrissbirne folgt!
Also: Es handelt sich um ein altes Bankgebäude, das im Juni abgerissen werden wird. Bis dahin wurde das Gebäude 165 Künstlerinnen und Künstlern überlassen, die dort 108 Räume auf fünf Etagen gestaltet haben.
Wo? Nürnberger Str. 68 (quasi gegenüber des Aquariums)
Wann? Jetzt bis 31. Mai, Dienstag bis Sonntag 10 bis 20 Uhr
Wir standen so ein Stündchen, aber das war wirklich sehr OK, denn was man dafür bekommt, sind verhältnismäßig leere Räume, die man dann auch wirklich in Ruhe entdecken kann.
Aus der Frida Kahlo Ausstellung habe ich optisch v.a. Hinterköpfe mitgenommen. Das war im THE HAUS gar nicht so. Die 199 Leute, die rein dürfen, verteilen sich gut auf die Räume.
Was mich etwas genervt hat, war das Gebot die Handys in Tüten zu packen. Ich finde ja, man kann erwachsenen Menschen auch einfach sagen: „Leute, Handy bitte in die Tasche.“
In allen Reportagen zu THE HAUS und auch dort in der Schlange gabs immer einen kulturpessimistischen Vortrag darüber, dass Handys nerven, dass sie den Kunstgenuss kaputt machen, dass niemand mehr hinschaut, dass alle nur knipsen und dann weiterziehen.
Finde ich argumentativ total albern. Selbst wenn: Was geht das eine andere Person an, wie ich Kunst verdaue?
(Tatsächlich drucke ich immer einige Fotos aus und klebe sie in unser Familientagebuch, wo wir festhalten, wem welches Kunstwerk von wem warum am besten gefallen hat. Ich google dann die Künstlerinnen und Künstler, folge ihren Seiten oder instagram-Streams und habe dann zukünftig auf dem Schirm, wo sie wieder ausstellen.)
Was ich verstehen könnte, wäre ein Argument derart, dass fotografiert und verbreitet wird, ohne dass die Künstlerinnen und Künstler Anerkennung dafür bekommen oder dass sie auf dem Foto oft nicht genannt werden. Damit bringt es ihnen ja nichts, wenn tausende von Menschen ihre Werke liken und teilen.
Ich finde aber, sowas kann man auch anders lösen. Twittername oder Facebookseite z.B. an die Räume, Schilder mit Hashtags, die man verwenden kann etc.
Die Ausstellung selbst (keine Fotos, ihr müsst selbst hingehen, das Buch zur Ausstellung, das ich sehr gerne gekauft hätte, war schon 8 Stunden nach Ausstellungseröffnung ausverkauft und kann auch nur vor Ort und nicht im Internet gekauft werden…) war wirklich sehr sehenswert.
Ein Großteil Graffiti, viel Kunst mit Klebebändern, Gips, ein Raum, der mich an den Nebelraum von Olafur Eliasson erinnert hat, Bäume, Moos, Laub und mein persönliches Highlight – eine Art Höhle mit leuchtenden Blüten und flirrenden Kiefernadeln.
Ich hab leider ein sehr schlechtes Gedächtnis und konnte mir wegen des Fotoverbots auch nicht die Namen der Künstlerinnen und Künstler „notieren“, sonst hätte ich die hier gerne verlinkt. Nach über 100 Räumen, kann ich leider auch nicht über die Homepage rekonstruieren wer wo ausgestellt hat.
Sehr schön auch die Filme, die dort gezeigt wurden. U.a. über Ad-Busting. Ad-Busting war mir bislang unbekannt und ich musste wirklich laut lachen als ich das Schredderprojekt von Farewell gesehen habe, der an diese Werbekästen, die Werbeplakate rauf- und runterfahren, einfach Cutter anbaut und sie so zu großen Schreddermaschinen umfunktioniert.
Die ganze Serie „Urban Explorers“ auf ARTE Creative kann ich sehr empfehlen!
Ein bisschen metalustig fand ich auch dem Umstand, dass bei einigen Künstlern, die ihre Kunst v.a. im öffentlichen Raum auf Züge und Gebäude sprühen, stand: Please respect the artwork
Ach, ich klinge jetzt ein wenig übellaunig wie Luise Koschinsky… dabei ist die Ausstellung wirklich absolut großartig. Geht hin.
Man kann sogar in Kunst pullern! (Die Toiletten sind auch komplett umgestaltet, aber offiziell benutzbar – was ein bisschen lustig ist, wenn man wirklich pullern muss und sich an den Kunstinteressierten vorbei quetscht und zu verstehen geben muss, dass man jetzt wirklich mal Pipi müsste)
Ich hab auch gesehen, dass Schwangere, Menschen mit Kleinkindern und sehr alte Leute netterweise aus der Schlange gezogen und vorgelassen werden.
Der Eintritt ist frei und somit ist der Kunstgenuss nicht abhängig davon, ob man sich sowas leisten kann oder nicht. Extraliebe dafür!
(Und alle, die es sich leisten können – am Ende der Ausstellung kann man spenden – was man auch tun sollte – denn Kunst kostet Material und Arbeitszeit).
Wir sind bislang jeden Tag ein Stück um den See gelaufen. Eine Art Promenade oder einen richtigen Uferweg gibt es nicht. Es sind eher Trampelpfade, die vereinzelt von Privatgrundstücken, die direkt ans Wasser reichen, unterbrochen werden.
Ich finde erstaunlich, dass es so nah an Berlin einen so großen See gibt, der nicht komplett zugebaut ist.
Die paar Häuser, die hier stehen, weisen eine rätselhafte Architektur auf. Entweder sie sind aus dunklem Holz und erinnern mich an den Schwarzwald – nur dass sie aussehen wie eilig von Hand zusammengezimmert oder es sind völlig geschmacklose Prunkvillen, die wie aus einem Katalog bestellt aussehen. Ohne Charme, Charakter und Stil. Groß, kalt, pastellig, vier Säulen zum See.
Ich stelle mir vor wie wohlhabende Menschen gelangweilt in einem Fertigvillenkatalog blättern: Villa Rimini, 450.000 Euro, Villa Miracolo 570.000 Euro, Palazzo Pomposo 320.000 Euro.
Ein Stückchen näher zu unserem Feriendomizil gibt es Häuschen im skandinavischen Stil (steht zumindest auf der Immobilienanzeige). Sie kosten nur 220.000 Euro. Wenn man so wie ich, die Berliner Immobilienpreise gewöhnt ist und dann sieht, dass man für nur 220.000 Euro ein 90 qm großes, neues Häuschen direkt an einem See haben kann, dann beschleicht einen der Gedanke: Ach, so ein Häuschen… ach was, ZWEI Häuschen… das könnte man sich locker leisten. Nullprozentfinanzierung (denn kein Schwein schafft es bei den Lebenshaltungskosten auch noch Geld anzusparen), schon in 40 Jahren abgezahlt und dann hat man es schön hier, wenn man alt ist bzw. es bleiben einem mit etwas Glück noch ein bis zwei Jahre, die man das Häuschen schuldenfrei genießen kann, bevor man stirbt.
Es hat geschneit und alle Wege sind geräumt. Wirklich alle. Ich schaue gegen 6 Uhr morgens aus unserem Schlafzimmerfenster, selbst der Weg neben unserem Parkplatz ist geräumt. Der Gehweg, die Straße, die Hauptstraße sowieso, der Trampelpfad zum Bäcker.
Wie machen die das?
Bzw. wie kann es sein, dass die Berliner Unternehmen, die für den Winterdienst in der Hauptstadt zuständig sind, es nie gebacken bekommen?
Geräumte Gehwege! In Berlin walzt man die Schneedecke platt und dann streut man wie irre Kies (oder wie das heißt) drüber.
Das macht man jeden Morgen an dem es schneit. Wie eine Lasagne aus geplättetem Schnee und Streu.
Wenn es taut, ist alles voller Matsch und es liegen Tonnen an Streu herum. Ist der ganze Schnee verschwunden, kommen Männer mit Laubbläsern (ich schwöre, ich habe das wirklich mehrere Male gesehen!) und pusten den Streu maximal ineffizient an die Wegesränder, von wo aus er irgendwann verschwindet.
Vielleicht könnte die Berliner sich ja mal einen Winderdienst Experten aus Brandenburg ausleihen und die machen dann ein Bootcamp zum Thema Schnee.
Wahrscheinlich haben die Brandenburger einfach die geilere Technik. Echtzeitkarten mit automatisch ausgelösten Räum-Alarmen, wenn die Temperatur unter 4 Grad fällt.
Ich denke, der Brandenburger Winterdienst sitzt wie anderswo die Feuerwehr in einem Winterdienstquartier und wenn die Wetter-App Schneegefahr meldet, dann springen alle von ihren Plätzen direkt in die Stiefel, um die die Schneehosen schon drapiert sind und fahren mit ihren Räumfahrzeugen los.
Elektroräumfahrzeuge müssen es sein, denn ich habe hier noch nie ein Geräusch gehört.
Überhaupt. Diese Stille hier macht mich völlig verrückt. Zum Glück haben wir die Kinder dabei, die ständig rumschreien, weil sie im Schnee spielen. „Schau mal, Mama. Mama, Mama, Mama! MAAAAMA.“
Ich denke an meine Mutter mit ihrem Spruch: „Für jedes Mama ne Mark und ich bin Millionärin!“
Aber im Ernst, außer unseren Kindern macht hier niemand Krach. Die Menschen nicht, die Fahrzeuge nicht (weil es einfach keine gibt), kein Laut aus den winterschlafenden Häusern, in den Restaurants sind wir alleine.
Einmal flog eine Kohlmeise auf unsere Terrasse. Die Kinder waren ganz aufgeregt. „NATUR! MAMAMAAAAA! KOMM! SCHAU MAL EIN VOGEL!“ Er macht „piep“, es klang wie ein sehr rabiates PIEP. Wahrscheinlich hat er die Kinder geschimpft weil sie so laut waren.
Abends, gegen 24 Uhr, wenn wir ins Bett gehen, öffne ich nochmal das Fenster um Sauerstoff rein zu lassen und horche in die Nacht. Es ist wirklich NICHTS zu hören. Keine entfernte Straße, nicht mal die Straßenlaternen summen.
Zwei Tage gefällt mir das, doch dann fängt es an mich nervös zu machen. Was ist hier eigentlich los? Wo sind die Menschen? Wo sind die Geräusche? Wahrscheinlich werden alle Touristen, die länger als zehn Tage hier sind von irgendeinem Wesen (dem großen Brandenburg Golpsch!) geholt und verschlungen, dann ist wieder Ruhe.
Ich denke an den Liedtext Auszeit von Marteria
Ja ich vermiss diese Stadt
Hab‘ die Bikinis und Frisbees so satt
Morgens beim Aufstehen hilft mir ein Krahn
Ich träum‘ von ’nem Haus mitten auf der Autobahn
Der Abend dämmert, hier schreien keine Lämmer
Kein Druck, keine Pressluft die hämmert
Kann diese Ruhe nicht gebrauchten
Dreh das Radio auf, such den lautesten Sender
Brauch ’n Kiez voll mit Jugendbanden
Kann nur schlafen, wenn neben mir Flugzeuge Landen
Quelle: Marteria „Auszeit“
Ja, das gilt auch für mich. Ich bin Stadtmensch. Diese Ruhe hier ist kaum auszuhalten.
Apropos Ruhe. Wir haben einen Whirlpool. Völlig irre so ein Teil. Eine Eckbadewanne mit 300 Liter Fassungsvermögen. Macht pro Bad 2 Euro 10 Cent wenn ein Liter Wasser 0,7 Cent kostet.
Der Whirlpool hat zwei unterschiedliche Düsen. Blubberdüsen und Jetdüsen, ich nenne sie mal Jetdüsen, weil sie sind so laut wie ein Jet.
Außer uns hat bestimmt niemand in Brandenburg jemals gewagt die Jetdüsen ein zweites Mal anzustellen.
Meine App zeigt tatsächlich 110 Dezibel.
Trotz meiner ersten, nicht so erfreulichen Whirlpoolerfahrung versuche ich es ein zweites Mal mit dem Whirlpool.
Die Düsen brauchen 3000 kW die Stunde, denke ich als ich ins Wasser gleite. Aber was kostet die Welt! Ich habe Urlaub. Heute gönne ich mir einfach den ohrenbetäubenden Krach. Schließlich arbeite ich 30 Stunden die Woche. Irgendwie muss ich mein Geld auch wieder unter die Leute bekommen.
Ich stelle die Jetdüsen also auf volle Pulle. WAHNSINN. Druckmäßig passiert fast nichts, zur Massage völlig ungeeignet, aber der Lärm lockt unser geräuschintensives Kind 3.0 an den Pool.
„YEAAAHHHHHH! HUUUHUUUU! JUHHUUUUUUU!!!!“ schreit es, würde ich messen, vermutlich weitere 20 dB lauter als der Pool.
„WAS IST DAS?“
„EIN WHIRLPOOL!“
„FÜR WAS BRAUCHT MAN DAS?“
„KEINE AHNUNG!!!“
„YEEEAAAAHHHHHHHHHHH. HHHUUUUUUUUIIIHHUUUUUUU!!!“
Während ich also mit schmerzenden Ohren im Whirlpool sitze, denke ich mir, wenn ich irgendein CEO eines Startups wäre, ich würde versuchen rauszubekommen, wer das Marketing für Whirpools gemacht hat.
Das ist doch eine irre Sache. 110 dB ist der Irrsinn laut, bewirkt rein gar nichts, einfach nur LAUT und irgendwer auf diesem Planeten hat es geschafft, das als Wellness zu verkaufen.
Wellness! Muss man sich mal vorstellen. Das ist so als wenn man ein Gerät erfindet, dass einen in den Magen schlägt und es dann für 150 Euro (ist ja nur To Go) an alle Welt als der neuste heiße Scheiss am Wellnessmarkt verkauft. (Immerhin so ein Schlag in den Magen ist viel entspannender als das was man heutzutage jeden verdammten Morgen in den Nachrichten liest).
Ich schreibe mir als Merker auf einen Zettel „Whirlpool Marketing Genie recherchieren“.
Ein anderes Marketinggenie arbeitet in der Touristenbehörde Brandenburgs. Nachdem wir nämlich drei Tage um den See gelaufen sind, denke ich mir: Man könnte ja auch mal was anderes machen und googele „Ausflüge kindertauglich Brandenburg“ und stoße auf eine Seite, die mir eine Wanderung durch die Rauenschen Berge anpreist. Nur zweieinhalb Kilometer vom Waldparkplatz zum Aussichtsturm. Super. Da machen wir.
Es gibt nämlich nicht nur den Aussichtsturm von dem aus man angeblich den Berliner Fernsehturm sehen kann, sondern es gibt auch ACHTUNG zwei Steine.
Ja, Sie haben richtig gelesen. Steine. Große Steine zugebenermaßen – aber es werden tatsächlich Steine als Sehenswürdigkeit angeboten.
Auf der Seite Touristischesuperlative.de lese ich, dass es sich bei einem der beiden Steine um den größten landliegenden Findling Brandenburgs handelt.
Die Steine heißen großer und kleiner Markgrafenstein. Wobei der kleine Markgrafenstein der größere der beiden Steine ist. Natürlich war ursprünglich der größere der beiden Steine der große Markgrafenstein – aber wie Menschen so sind, musste der große Markgrafenstein natürlich zerteilt werden, damit man irgendwas nutzloses herstellen konnte – in dem Fall die große Granitsteinschale im Lustgarten.
Zusammen mit diesem abgeschlagenen Teil wäre der Reststein 800 Tonnen schwer, und – jetzt halten Sie sich bitte fest – damit wäre der Findling auch der größte landliegende (was ist das eigentlich? Was sind wasserliegende Findlinge und kann man die auch besichtigen?) Findling nördlich von Berlin!!!
Jetzt aber ist der kleinere der Markgrafensteine der größte. Umbenannt wurde er trotzdem nicht. Obwohl er viel größer ist, heißt er für immer kleiner Markgrafenstein.
Wie sich der kleine Markgrafenstein damit fühlt, der ja nun seit vielen Jahren der faktisch größere der beiden Steine ist, vermag ich mir nur vorzustellen.
Da kriecht man Jahrhunderte mit einer Moräne von Schweden bis Brandenburg, immer der kleinere der beiden Steinbuddys, hat sich schon damit abgefunden – ich bin eben nur 280 Tonnen schwer – und dann kommt DIE Chance und der Angebergranitklotz, der einem vermutlich nur die ganze Zeit gefolgt ist, um sagen zu können: „WUHUUU, schaut mich an, ich bin ja viel größer!“ wird um 550 Tonnen verkleinert… und dann bleibt man trotzdem für IMMER der kleine Markgrafenstein.
Also das ist kein schönes Schicksal.
Egal wie, wir stapfen durch den Schnee zu den beiden Steinen und machen pflichtbewusst ein Foto.
Ich glaube, damit haben wir im Urlaub alles erreicht was geht.
*Zitat aus dem Lied „Brandenburg“ von Reinald Grebe
Ich komme aus Köln. Es war eine Frage der Zeit bis alle Feste, die irgendwie mit Verkleiden und Fröhlichkeit zu tun haben, meine Lieblingsfeste würden. Kein Wunder also, dass ich in der Zwischenzeit Halloween sehr gerne mag.
Tatsächlich aber ist mir dieses Türgeklingel zuwider. Es ist so aufdringlich. So intimsphärisch. Also selbige aufbrechend.
Ich habe mich also verweigert und den Kindern alternativ angeboten, dass wir uns der kiezseitig organisierten Gruppe süßigkeitensammelnder Kinder anschließen.
Punkt 18 Uhr sollte es los gehen. (Wobei ich gestehen muss: ich dachte ACHTZEHN UHR, das ist das autonome Friedrichshain, auf die Uhrzeit achtet hier niemand. Bestimmt gehen die nie pünktlich los. Also holte ich die Kinder erst nach dem Sport ab, schminkte sie gemächlich und wir nähten uns noch in aller Ruhe ein paar Kostüme bevor wie dann losschlenderten.)
Die Gruppe kam uns jedenfalls um 17.57 Uhr bereits entgegen. Gut hundert Kinder obwohl es regnete. Alles straff organisiert. Vorneweg die Polizei – der Gruselumzug durfte mitten auf der Straße laufen. Für die Gruppe wurden sechs Repräsentant:innen ausgewählt, welche drei Tonnen mit Tragegriffen transportieren durften.
Diese durften eine vorher festgelegte Strecke ablaufen und einige Geschäfte abklappern, die sich im Vorfeld spendenbereit gemeldet hatten.
Zwischendrin Trommelmusik und Dudelsackgetröte und laute „BONBONREGEN! BONBONREGEN! BONBONREGEN!“ Rufe.
Der Umzug der Schaudergestalten kam immer wieder zum Halt und wenn ausreichend laut die Parole geschrieen wurde, traten Menschen auf die umliegenden Balkone und warfen mehr oder weniger engagiert Süßigkeiten von den Balustraden.
Manche schlapp, andere ganze Packungen entleerend, wieder andere schoben ihren Nachwuchs vor, der gewissenhaft Bonbon für Bonbon hinunterwarf.
Die Kinder sammelten eifrig die bunten Süßigkeiten aus den Regenpfützen und Hundehaufen und warfen sie solidarisch in die Gruppentonnen.
Nach 1,5 Stunden kehrte man ein, verteilte alle Kamellen gerecht auf die 100 Kinder und verbrannte geschwind als Höhepunkt des Abends noch ein Holzpferd.
So entstehen neue Traditionen. Ich glaube nämlich, dass die meisten Anwohner:innen gar nicht wussten, dass sie heute Bonbons von ihren Balkonen werfen sollen. Ich wette daher, dass sie nächstes Jahr gewappnet sein werden und dass wir dann die Regenschirme umdrehen werden und Tonnen an Bonbons sammeln werden.
So wie am Rosenmontag in Köln. Das ist wunderbar! und gefällt mir viel besser als dieses Türgeklingel.
Großes Hallo an jedem Bahnhof. Wir sind ein fahrender Zoo.
Eine sehr vornehme Dame mit leichtem Schlafzimmerblick blickt träge auf, hebt ihren Arm und winkt dann sehr königlich.
Ein paar Meter weiter steht eine Gruppe Jugendlicher in Baggyjeans mit Basecaps. Einige Sekunden schauen sie ziemlich unbeteiligt, aber dann winken sie auch begeistert.
In unserer Lore hebt ein dicklicher Herr ohne Haare seinen Helm zum Gruß.
Wir rollen noch ein Stück weiter, ich sehe die Treppe zur U-Bahn-Station. Einige Mädchen, die gerade herunter kommen, entdecken uns und kreischen vor Freude. Sie lachen schrill, laufen auf den Bahnsteig und wedeln mit ihren Händen.
Allein dafür lohnt es, die U-Bahn Cabrio Tunnel-Tour in Berlin zu machen. In wirklich jedem Bahnhof, in den wir einfahren, lösen wir Überraschung, Freude und überschwängliches Gewinke aus. Mir geht das Herz auf, wenn ich sehe, wie sich Menschen herzlich lachend zuwinken.
Nicht billig und schwer zu bekommen: Die Tickets
Ich habe fast ein Jahr gebraucht Tickets für diese Fahrt zu ergattern. Alle paar Monate werden einige Tickets online gestellt und sind innerhalb von zwei Tagen vergriffen.
Im Juni hab ich es dann endlich geschafft. Der Preis für die Tour (50 Euro pro Erwachsenen) treibt mir etwas die Tränen in die Augen. Aber ich wollte das unbedingt mal machen.
Tatsächlich „bezahlt“ man von den 50 Euro einen Triebfahrzeugführer, pro Wagon einen Sicherheitsmann, den begeisterten Kommentator, den Einsatz des Sonderwagens, Strom, Diesel, wahrscheinlich irgendwelche wahnwitzigen Versicherungsprämien…
Los geht es am U Bahnhof Deutsche Oper. Die Tour dauert 2,5 Stunden. Wir fahren ca. 20 km/h und legen rund 40 km zurück. Auf der Hälfte der Strecke gibt es eine kurze Pause. Die jetzige Tour verläuft von der U2 über die Tunnel der U7, zur U9, weiter auf der Strecke der U8 und dann zurück über die U7 zum Startbahnhof zurück, der gleichzeitig Endbahnhof ist.
Wir durchkreuzen also Mitte, Friedrichshain, Kreuzberg, Charlottenburg-Wilmersdorf, Tempelhof-Schöneberg und Neukölln. Wir unterqueren (!) die Spree, den Landwehrkanal und die Panke.
Aber ist es wirklich so spannend stundenlang durch dunkle Tunnel zu fahren?
Ja, ist es. Die Komplette Tour über kommentiert ein Moderator, der sowas (und das meine ich sehr freundlich) wie die allwissende Müllhalde der BVG zu sein scheint.
Der Mann scheint tatsächlich alles zu wissen. Er berichtet von Fahrzeugen, Tunnelbauweisen, Streckenverläufen, architektonischen Besonderheiten, Stellwerken, Signalen, Weichen… er weiß historisches zu berichten, kennt Vergleiche aus Peking und San Francisco – es wurde wirklich keine Sekunde langweilig.
Ich fand es sehr spannend zu erfahren, wie U-Bahnen gebaut werden (tatsächlich werden eher Gruben ausgegraben als dass Tunnel gebohrt werden), dass es tatsächlich freigehaltene Trassen gibt, für den zukünftigen U-Bahnbau, wie Beton die letzten Jahrzehnte verbaut wurde, wann welche U-Bahn-Stationen gebaut wurden, warum manche so heruntergekommen aussehen, warum sich die Deckenbauweisen unterschieden, wie sich Politik auf den Bau und die Planung von U-Bahnen auswirkt, wie die U-Bahnen in Zeiten von Ost- und West-Berlin betrieben wurden, wie Fahrten gesteuert werden, welche Probleme es bei unterschiedlichen Schnittstellen gibt, wie tief die einzelnen Linien liegen, dass sie zum Teil unter dem Kanal oder einem See verlaufen, wie schnell U-Bahnen fahren und warum, wie groß die Abstände zwischen einzelnen Stationen es gibt und und und.
Kurz gesagt: Ich fand es so interessant, ich würde am liebsten eine Blogserie oder einen Podcast daraus machen.
Ich finde es wahnsinnig toll diese Details alle zu kennen, denn dann versteht man nämlich erst wie komplex so ein System ist, man lernt als Fahrgast zu verzeihen, dass U-Bahnen ausfallen, dass es gelegentlich Verspätungen oder Verzögerungen gibt.
Was ich bemerkenswert finde ist, dass man in bestimmten Branchen (so z.B. auch bei der Bahn) so viel Begeisterung und Leidenschaft für das Thema bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern spürt.
Der Moderator der Tour berichtete z.B. vom Wissensverlust durch Rente. Oft sind solche Systeme historisch gewachsen und das Wissen wird an keiner Stelle systematisch dokumentiert. So bleiben am Ende einige Rätsel, dessen Antwort niemand mehr kennt. Das ist nicht nur schade sondern tatsächlich auch ein wirtschaftlicher Faktor für das Unternehmen.
(Das ist übrigens nicht alleiniges Problem der BVG. Ähnliches ist mir von der Bahn bekannt. Durch extrem lange Betriebszugehörigkeiten – die meisten lieben ihre Jobs da wirklich – die tägliche Arbeit und die Gestaltung der Prozesse bleibt Dokumentation am Ende oft auf der Strecke.
Ich arbeite im Bereich Wissensmanagement, ich weiß wovon ich spreche.)
Jedenfalls, ich bin schwer begeistert und werde das in ein, zwei Jahren bestimmt nochmal machen, denn die jetzige Strecke weicht aufgrund der Bauarbeiten auf der U5 von der urspünglichen Tour ab. D.h. im Grunde gibt es noch eine andere Tour, die man dann machen kann.