Das ganze Jahr über erzieht man die Kinder. Macht Vorgaben, gibt Richtlinien, korrigiert und ermahnt. Natürlich alles nur in bester Absicht. Doch der sprichwörtlich Bewanderte weiß, der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.
Deswegen sind Ausnahmen wichtig. Alle fünf Jahre z.B. darf Kind 1.0 einen Film mit uns ansehen. Um die Seltenheit dieses Ereignisses wissend, verbringt es ein gutes Quartal mit der Filmauswahl und entscheidet sich dann spontan für eine aktuelle DVD und schafft damit eine nicht unbanale Herausforderung für die Eltern.
Denn aktuelle Filme sind eigentlich immer ausgeliehen und lassen sich leider nicht reservieren.
So klemme ich mir im Morgengrauen meinen Schlafsack unter den Arm, befülle die Thermoskanne mit Espresso und mache mich auf zur Videothek. Dort lege ich mich vor den Eingang und drücke mir die Nase an der Scheibe platt. Ein einziges Ausleihkärtchen für Ratatoille kann ich erspähen.
Es ist fünf Uhr und die letzten Jugendlichen finden ihren Weg von einem anstrengenden Ausgehabend nach Hause. Mitleidig schauen sie mich an und gelegentlich wirft einer eine Münze in den leeren Becher vor mir.
Noch sechs Stunden bis die Videothek öffnet. Doch ich werde den Film mit nach Hause bringen, das Kind wird glücklich sein, es wird dankbar sein, es wird ab da tun, was wir verlangen, es wird nie mehr widersprechen, es wird uns lieben, unsere Opfer zu schätzen wissen … doch halt! Dankbarkeit bei einem Kind? Ich muss eingeschlafen sein. Benommen reibe ich meine Augen und stelle fest, die Tür vor mir ist geöffnet. Gerade übersteigt mich ein ca. zwei Meter großer Kerl und peilt das Regal an, in wechem die von mir begehrte Ausleihkarte steckt.
Ich robbe im Schlafsack so schnell ich kann in den Laden. Indem ich mich um die eigene Achse rolle, erhöhe ich die Geschwindigkeit. 5 km/h, 10 km/h, 15 km/h. Endlich schnell genug, um dem Mann die Füße unter den Beinen wegzukegeln. Während er wie ein gefällter Baum zur Seite kippt, streife ich den Schlafsack ab und hechte an seine Hand. Noch hält er die Karte fest umschlossen, doch als ich ihm reinbeiße, kann er nicht standhalten. Die Karte segelt zu Boden, ich fange sie und eile zur Ausleihe.
Der Typ ist mit dem Kopf an den überdimensionierten Spiderman gefallen, der an der Ecke des Raumes den Film bewirbt.
Besser so für uns beide, denke ich und eile mit der DVD nach Hause, wo Kind 1.0 gespannt wartet.
Während der Film läuft, hole ich uns Erfrischungsgetränke aus der Küche als mein Blick zum Fenster des Hinterhofs schweift. Dort sehe ich gegenüber, eine Etage unter uns just den Koloss von eben, wie er mit hängenden Schultern zwischen vier weinenden Kindern steht.
Fast überkommt mich Mitleid, doch dann lasse ich das Rollo runter. Wäre er eben früher aufgestanden. Das Leben ist kein Ponyhof.
Kategorie: Kinder Kinder
Praktische Anwendungen zur Theorie des subjektiven Zeiterlebens
In einer halben Stunde wird der Übernachtungsbesuch von Kind 1.0 abgeholt. Wir sitzen beim Frühstück:
Kind 1.0: Wann wird Klausi abgeholt?
Nuf: In 30 Minuten…
Kind 1.0: Waaaaaaaas? Schooon?
[Denkpause]
Kind 1.0: Klausi, dann lass uns nichts spielen, so vergeht die Zeit langsamer.
Hör‘ auf die Eltern, sei kein Pferd
Manchmal durchleben Kinder das selbe, auch wenn der Altersunterschied ungefähr sechs Jahre beträgt. Während dem einen lustig die Zähne ausfallen, warten wir beim anderen, dass dort Beißerchen erscheinen.
Gemeinsam sind sie leidenschaftliche Teilhaber am täglichen Elternquälritual Zähne putzen.
Während das Großkind am Becken mit der Zahnbürste jongliert, dabei Fliegen erschlägt und Zahnpasta ißt, steht das Kleinkind mit zugekniffenem Mund und geschlossenen Augen in einer Ecke gekauert und tut so, als sei es allen elterlichen Aufforderungen gegenüber taub.
Ab und zu blinzelt es, um zu sehen, welchen Blödsinn das Geschwister veranstaltet und fällt dann nach kurzem, hysterischem Lachen wieder in Stasis.
Beim großen Kind hilft es meist nur mit elterlichem Kopfstimmengesang im falschen Moment zu drohen. Wenn es hört, dass wir in Anwesenheit von Ritschi oder Tärränz, den Coolen der Schule, peinliche Verhaltensweisen an den Tag legen werden, putzt es meist die sieben verbliebenen Milchzähne blitzeblank.
Da das kleine Kind noch nicht unter präpubertäten Gruppenzwängen leidet, nützt Drohen nichts. Wir putzen also lieber dessen Stofffreunden die Stoffzähne und hoffen, dass es haben will, was Schnüffi der Hase hat: strahlend weiße Schneidezähne.
Das Baby, durchaus interessiert an den Vorgängen des Stofftiermaulschrubbens, öffnet den Mund natürlich nicht.
Das einzige was wir erreichen, ist, dass das Baby am nächsten Morgen beim Wort Zähneputzen den Hasen holt und uns stolz überreicht.
Abends schauen wir uns dann Kariesbilder im Internet an und hoffen, dass sich endlich das freiwillige und verständige Zähneputzen einstellt.
Aua, aua!
In unserem Hinterhof wohnt der größte Stecher Berlins. Jedenfalls wenn es nach dem Paarungsgebrüll geht, das durch die Lüfte schallt. An sich ist es nicht störend, wenn andere Menschen sich besteigen – nur manchmal, z.B. wenn das sieben Mal am Tag passieren und die weibliche Beteiligte erst Arien kreischen muss bis sich das erlösende männliche Grunzen hinzugesellt, dann bin ich ein wenig genervt.
Zumal doch meistens von anderen Nachbarn unterstützend geklatscht und gepfiffen wird. Dann muss das doch schneller gehen!
Ein wenig unangenehm ist es mir auch, wenn ich ob der Geräuschkulisse ständig lügen muss.
– Was passiert da im Hinterhof?, fragt Kind 1.0 ängstlich.
– Nun, ähhhh, nichts nichts!
– Das muss ich unbedingt sehen, da hat jemand schlimme Schmerzen!
– Aller Wahrscheinlichkeit nach eher nicht.
– DOCH! Jetzt hör’ doch mal. Da tut sich jemand ganz dolle weh.
– Äh, das ist vermutlich im Fernsehen…
– Und was schauen die da?
– Ähhhhh vielleicht jemand, der schwere Gewichte stemmt?
– Nä.
– Ein Bergsteiger auf 5000 Meter.
– Nä, so klingt das nicht.
Ich schließe die Fenster.
– Klingt echt schlimm.
– Hmmm, wollen wir jetzt Power Ranger spielen?
– Die armen Menschen!
– Ja, ja, denke ich.
Unter der Woche sollte ficken einfach vor 20 Uhr, wenn die Kinder ins Bettchen gehen, verboten sein. Ehrlich mal.
Halloween-Stopp
Dinge, die bei uns keine Tradition haben, sollen auch keine Tradition werden. Dafür sorge ich. Schon letztes Jahr klingelte es am 31.Oktober an unserer Tür und eine Horde dilettantisch geschminkter Kinder verlangte Süßes.
Damit ich nicht Jahr für Jahr meine kostbaren Süßigkeitsvorräte an das Pubertätsprekariat abgeben muss, habe ich mir dieses Jahr was ganz Besonderes ausgedacht.
Ich drehe mir die Haare auf Lockenwickler, trage eine Schlammmaske auf, reibe mir Zwiebeln unter die Achseln, verteile Hackfleischstückchen zwischen meinen Zähnen und wische mit meiner ältesten Jogginghose schnell noch die Breireste der letzten Tage auf, bevor ich sie anziehe. Dann warte ich.
Tatsächlich! Kurz vor 20 Uhr höre ich das ersehnte Türläuten. Ich stecke noch schnell die letzte Pupu-Windel in die Hosentasche und öffne mit grimmiger Miene.
Vor mir stehen Freddy Krüger, Jason Hockey und der Scream-Mörder. Ich kann ihre Gesichter nicht sehen, aber aufgrund ihrer Größe schätze ich sie auf maximal zwölf.
Stille im Hausflur. Der Mutigste sagt mit zögernder Stimme „Süßes sonst gibt’s Saueres“.
Darauf habe ich natürlich gewartet und kontere mit: „Ik hab nüscht Süßes, dann nehm ik wohl dit Saure wa?“.
Was können sie schon Saueres für mich haben? Junior-Jason wird wohl kaum mit seiner Baby-Kettensäge die Tür in Stücke sägen, lache ich in mich hinein.
Doch wie so oft habe ich die Jugend unterschätzt.
Einer zückt eine Stimmgabel, die er gegen den Türrahmen schlägt. Die anderen ahmen den Ton nach.
„Ahhhhhhhhhh“ singen sie gemeinsam und dann krakeelen sie mit den grauenerregenden Stimmen des Stimmbruchs Es ist ein Ros’ entsprungen.
Sieg des guten Geschmacks
Wenn es zu einer Kommunikation der folgenden Art zwischen Kind 1.0 und mir kommt, weiß ich: Geschmackstechnisch haben wir was erreicht!
Kind 1.0 im Ringcenter vor dem „Modeladen“ x-it: Oh cool, ein ganzer Laden mit Halloweenklamotten!
Ich breche in schallendes Lachen aus.
Kind 1.0 verunsichert: Äh, oder ist das nur Fasching?
Ausgekuschelt
Um ehrlich zu sein, eine schmerzmittelfreie Geburt ist kein Picknick. Doch muss ich zugeben, dass ich von der körpereigenen Opiatausschüttung beeindruckt war. Rückblickend ist diese Erfahrung gegen das was man während der Stillperiode durchlebt ein laffer Scherz.
Ich war noch nie für meinen Sanftmut und meine Menschenfreundlichkeit bekannt, doch in den ersten sechs Lebensmonaten unseres Babys hätte ich selbst Mutter Theresa alt aussehen lassen können.
Ich quoll vor Verständnis und Nächstenliebe über. Ich war ein lebendes Wattebausch.
Das hat jetzt ein Ende.
Endlich kann ich wieder unfähige Verkäufer anschreien.
Dummen, durchaus voll gehfähigen Menschen hässliche Fäkalwörter zurufen, wenn sie unnötig Aufzüge verstopfen und ich kann andere Kinder ätzend finden.
Damit ich meine eigenen Kinder weiterhin knuffig finden kann, verhaue ich ihnen vorsorglich jeden Abend den Po. Sonst kommt es am Ende noch zu solchen Szenen:
Kind betritt mit Mama heulend den Bus.
– Mama, Luftpallo weg wähehhhääähhh
– Armes, Kind, ja der eine Luftballon ist weg, aber Du hast ja noch den anderen, den gelben!
– Wähhääähääää will abba Luftpallo habe!
– Ja, aber der ist weg!
– Luftpallooooooohooo wähhhäää!
– Da bist Du jetzt sehr traurig was?
– Willä Luftpalloohooo habeeeeäääähhhhwäähh!
– Ja, das verstehe ich, aber der ist weggeflogen.
– Mama rennt ganz schnell, aber Luftpallo weg. WÄÄÄHÄÄÄHÄÄÄÄ!
[Der Dialog zieht sich weitere 17 Stationen hin]
Warum flippt die Mutter nicht aus? Stillt sie noch? Das Kind ist deutlich über zwei. Sie muss das Kind ja nicht schlagen, es wäre doch schon ausreichend den verbliebenen, gelben Luftballon zu zerstechen und das Kind mit einem Schal zu knebeln.
Aber verstehe einer die Erziehungsmethoden der anderen Leute…
Freizeitgestaltungsideen
Als gelangweilte Mutter im Erziehungsurlaub lässt man sich so einiges einfallen damit man seine Zeit nicht ausschließlich mit Stricken Wändeanstarren verbringen muss. Z.B. habe ich kürzlich eine Schulung für Geheimagenten zum Thema Verhörtechniken entwickelt. Um nämlich Informationen aus einem Schulkind zu bekommen, muss man mit allen Wassern gewaschen sein.
Eine prototypische Unterhaltung läuft in der Regel so ab.
Nuf: Na, wer ist Sieger beim Mathewettbewerb geworden?
Kind 1.0: Leider die andere Klasse.
Nuf: Oh, was musste man denn eigentlich tun, um Sieger zu werden?
Kind 1.0: Die Klasse mit den meisten Medaillen ist Sieger geworden.
Nuf: Hm, wie viel Medaillen habt ihr denn gewonnen?
Kind 1.0: Keine.
Nuf: Und die andere, die nicht gewonnen hat.
Kind 1.0: Keine.
Nuf: Aber ihr seid doch nur drei Klassen?
Kind 1.0: Ja.
Nuf: Wenn Du sagst, dass die mit den meisten gewonnen hat, denke ich, dass es auch noch andere – mit weniger Medaillen gab…
Kind 1.0: Gabs ja auch!
Nuf: Ja? Wer denn?
Kind 1.0: Na der Thomas, z.B.
Nuf: Und in welcher Klasse ist der?
Kind 1.0: Bei uns in der Klasse.
Nuf: Aber ich dachte, da hätte keiner eine Medaille gewonnen.
Kind 1.0: Der Thomas hat ja auch zwei gewonnen.
Nuf: Ah. Gabs noch jemanden, der zwei gewonnen hat?
Kind 1.0: Ne. Keiner. Jedenfalls bei uns in der Klasse nicht.
Nuf: Ich dachte Thomas?
Kind 1.0: Achso, der. Ja, der ist aber in der anderen Klasse.
Nuf: Nicht bei Euch?
Kind 1.0: Ne, sonst hätten wir ja gewonnen!
Nuf: Man gewinnt mit zwei Medaillen?
Kind 1.0: Nein, man braucht schon drei oder vier
[…Dialog beliebig fortführbar…]
Frage: Nach welchen Kriterien wird eine Klasse Sieger des Mathewettbewerbs?