The Barn Roastery hat also wieder eine neue Einschränkung für Eltern gefunden. 2012 wurden Poller gegen Kinderwagen aufgestellt. Natürlich aus Gründen des Brandschutz. Jetzt die Botschaft: In meinem Laden wird nicht gestillt, weil es sich um ein gehobeneres Etablissement handelt.
In den Replys dann Argumente wie: Na und? Es gibt doch genug andere Läden in der Gegend. Geht man da eben nicht mehr hin, was solls?
Oder: Was ist denn gegen kinderfreie Einrichtungen zu sagen? Warum soll es die nicht geben?
Ich finde es einfach diskriminierend mit solchen Maßnahmen und Vorgaben Eltern und Kinder auszuschließen. Wo sind da die Grenzen? Wen darf man wie ausschließen?
Was zur Hölle kann denn daran stören, dass eine Mutter ihr Kind stillt? Wie oft kommt das vor? Wie kann ich mir diese Rösterei vorstellen? Alles voll mit Frauen, die an beiden Brüsten Säuglinge haben? Der Boden voll Muttermilchpfützen?
Ganz bestimmt nicht (nicht mal im Prenzlauer Berg). Um also 2 (?) stillende Mütter pro Woche (? Monat?) aus der Rösterei fernzuhalten ein Verbot aussprechen? Ist das wirklich nötig?
Bescheuert ist das! (So bescheuert im Übrigen, wie einem zahlenden Gast Vorgaben zu machen, wie er seinen Kaffee zu trinken hat, by the way).
Mich nervt diese Kinderfeindlichkeit (grundsätzlich) und ich sehe darin auch eine Entmündigung der Eltern. Was kann denn der wirkliche Grund sein? Kinder, die im Laden rumrennen, die Theke anfassen? Hinter die Theke greifen? Babys, die schreien (vielleicht weil sie hungrig sind, da würde ja helfen… doch ach ne, das ist dann ja verboten…)
Wie im oben, etwas älteren Artikel schon gesagt: Für mich ist das Zauberwort gegenseitige Rücksichtnahme. Wenn der Anblick stillender Mütter im Café den Chef (oder andere Gäste verstört), wieso nicht einen nicht so gut einsehbaren Stillplatz anbieten? Ein schöner großer Ohrensessel? Wenn Kleinkinder, die rumlaufen, stören: Wieso nicht ein paar Stifte und Ausmalbilder bereit legen? Und im Gegenzug davon ausgehen, dass Eltern sehr wohl Rücksicht nehmen können und ihre Kinder bitten, am Platz zu bleiben, nicht alles anzufassen etc.
Ich verstehe es nicht. Macht doch einen Online-Shop, wenn ihr von Menschen genervt seid. Weil Eltern (stillende Mütter inklusive) und Kinder sind Menschen und sie haben ein Recht in jeden x-beliebigen Laden gehen zu können, wie alle anderen auch.
Oder doch mal nen Laden aufmachen, in dem Männer mit Bärten unerwünscht sind?
Vielleicht mal eine Rösterei in Mitte aufmachen die keine Männer mit Bart bedient und gucken was passiert.
Heute völlig unspektakulärer 0815 Freitag (und eigentlich ist Freitag fast mein Lieblingswochentag).
Wir laufen in den Kindergarten. Früher sind wir oft faul eine Station Tram gefahren. Jetzt kostet Kind 3.0 – also laufen wir. Ich habe mir fest vorgenommen, sobald es etwas wärmer ist wieder mehr Fahrrad zu fahren. Kind 3.0 soll bis zum Sommer so sicher sein, dass wir kleinere Radtouren machen können. Irgendwie war ich da bislang nicht richtig „hinterher“…
Am Weg finden wir ein neues Kunstwerk. Ziemlich groß sogar. Ich schätze 80 mal 80 cm? Die Pilze habe ich schon öfter gesehen, allerdings eher klein.
Das Kind ist abgegeben. Das Abschiedsritual verlangt, dass außen an die Fenster der Kita Auftragsarbeiten erstellt werden. Heute ist Kind 3.0 tolerant drauf und macht keine detailreichen Vorgaben. Wir dürfen Monster ohne weitere Spezifikation malen.
Weil die Kinder vom Vater abgeholt werden, kann ich freitags lange arbeiten. Das wiederum bedeutet, ich muss nicht früh ins Büro, was seinerseits bedeutet, ich kann bummeln und frühstücken gehen.
Wenn ich im Büro ankomme, mache ich ziemlich exakt immer dasselbe: Licht an, Fenster auf, Rechner aufklappen. Sonst steht nur ein bisschen Lego am Tisch. Papierordner habe ich keine. Ich habe ein Notizbuch und sonst alles digital. Der Tisch ist immer komplett frei. Ich mag Ordnung :)
Tatsächlich habe ich heute mal dran gedacht, mir mein Essen von Zuhause mitzunehmen. Oft friere ich Reste ein und freue mich dann über selbstgekochtes Essen. Sieht vielleicht nicht sooo toll aus, schmeckt aber super. Ich mag Kreuzkümmel und Zimt in der Bolognese.
Als ich das Büro verlasse, ist es bereits dunkel. Ich fühle mich so als wenn es eine gute Idee wäre ohne Umwege ins Bett zu gehen.
Leider muss ich noch den Wocheneinkauf machen. D.h. ich mache ihn lieber am Abend nach der Arbeit als mir das Wochenende mit den Kindern dadurch zu vermiesen. Es gibt Mairübchen! (Nicht im Bild)
Das dauerte wieder alles viel länger als gedacht. Ich war insgesamt in drei Geschäften. Jetzt bin ich wirklich, wirklich hungrig. Ich schnippele mir eine Möhre, ein Stückchen Mairübchen, rolle eine Scheibe Schinken und nehme einen Rest Emmentaler. Muss. Essen. Sonst. UUAAARRRR!!!
Ich habe nicht viele Möglichkeiten joggen zu gehen unter der Woche. Also überwinde ich mich und quetsche mich in die Jogginklamotten. Seit der Herzsache war ich sehr sporadisch laufen. Vielleicht schaffe ich es ja wieder regelmäßiger. Heute jogge ich das 1. Mal mit Brille. Sonst habe ich immer Kontaktlinsen genommen. Es geht erstaunlich gut. Genaugenommen ist es kein Untesrschied zu sonst. Die Strecke ist allerdings nur kurz.
Ich hole die Kinder beim Vater ab und wir fahren mit der U-Bahn nach Hause.
Zuhause dann das übliche: Schlafanzug anziehen, Zähne putzen, vorlesen. Die letzten Tage durfte ich immer Lustiges Taschenbuch vorlesen. Das gefällt mir viel besser als Coni oder die andren Dinge, die die Kinder so begeistern…
Im Urlaub ist mir auch schon aufgefallen, dass sich die Kinderinteressen und meine Interessen langsam annähern. Auch Gesellschaftsspiele werden komplexer und machen (mir) mehr Spaß. „Große“ Kinder haben, ist cool.
Für den Weisheitspodcast haben wir eine Themenliste. Seit Wochen steht darin „Warum soll man Männer nicht loben, wenn sie Windeln wechseln?“
Die Frage ist natürlich zu einfach gestellt. Richtig müsste sie lauten „Warum soll man Väter nicht loben, wenn sie ausnahmsweise mal Windeln bei ihrem eigenen Kind wechseln?“.
Daran musste ich denken, als ich gestern die Schlagzeile „Tochter krank – Vizekanzler nimmt sich frei“ las. Ein berufstätiger Mann nimmt sich frei, um sich um seine Tochter zu kümmern – Schlagzeile!
Im Artikel steht ausserdem das Zitat „Ich bin in den nächsten Tagen häufiger zu Hause, weil meine Frau den Spruch, dass ich immer ganz Wichtiges zu tun hätte, wenn’s zu Hause mal Probleme gibt, nur begrenzt erträgt„.
Er ist also nicht da, weil er sich für das gemeinsame Kind mitverantwortlich fühlt?
Weiter steht im Artikel „Es ist nicht das erste Mal, dass Gabriel offensiv mit seiner Vaterschaft umgeht – was seinem Image zumindest nicht schaden dürfte.“ Denn! Vor zwei Jahren (!) kündigte er an, dass er an einem (!) Nachmittag in der Woche frei nimmt, um seine Tochter vom Kindergarten abzuholen.
Ob jetzt Herr Gabriel selbst seine Leistung als Vater so in der Öffentlichkeit dargestellt haben möchte oder nicht, sei mal dahin gestellt. Interessant ist der Umstand alleine, dass es eine Schlagzeile wert ist, wenn ein Vater (in einer wichtigen beruflichen Position), sich um seine kranke Tochter kümmert.
„Während Väter gefeiert werden, wenn sie nur den kleinen Finger rühren, wird von Müttern wie selbstverständlich erwartet, dass sie nach der Geburt eines Kindes ihre persönlichen Bedürfnisse zurückstellen und im Zweifelsfall auch komplett alleine für das Kind sorgen.“
und
„Bei genauerem Hinsehen und Nachfragen wird deutlich, dass die unsichtbaren Arbeiten dennoch fast immer ausschließlich an der Mutter hängen bleiben. In einer Auseinandersetzung um feministische Vaterschaft muss deshalb auch über „unsichtbare Arbeit“ gesprochen werden: Wer bleibt zuhause, wenn das Kind krank ist? Wer wird vom Kindergarten angerufen, wenn es dem Kind nicht gut geht? Wer hat im Blick, wann die nächste Impfung oder Vorsorgeuntersuchung bei der Kinderärztin ansteht und ob sich noch genügend passende Klamotten im Kinderkleiderschrank befinden? Wer geht mit dem Kind neue Schuhe (auch Hausschuhe für die Kita) kaufen? Wer besorgt das Geburtstagsgeschenk für den Kindergeburtstag? Und wer fordert immer wieder Gespräche darüber ein, wie das Ganze aufzuteilen ist?“
In meinem Maternal Gatekeeping Artikel schreibe ich auch über diese Aufgaben und über meine persönliche Erfahrung irgendwann von genau diesen Aufgaben und Verantwortlichkeiten erschlagen worden zu sein.
Um auf die Einstiegsfrage zurück zu kommen: Ich glaube diese Einstellung, dass ein Vater gelobt werden sollte, wenn er sich beteiligt, kommt genau von dieser Geisteshaltung, die mir immer wieder begegnet: Die Frau/Mutter wird in den meisten Fällen nämlich als Hauptverantwortliche in Sachen Elternarbeit gesehen. Gleichberechtigung und/oder Beteiligung bedeutet für viele Männer: die Frau erstellt To Do Listen und delegiert einzelne Aufgaben an den Mann. Der erledigt sie und weil er ja was für die Frau tut, ist ihm zu danken. Der Frau ist nicht zu danken, denn die übernimmt zwar die Verantwortung, die Planung und einen Hauptteil der Aufgaben, aber es ist eben ihre per Geburt zugeteilte Aufgabe Mutter und Familienmanagerin zu sein. Sie leistet ihr Soll.
„Es gibt tatsächlich einen Unterschied zwischen der Vater- und der Mutterrolle: Der Vater kann entscheiden, ob er sich an der Elternarbeit beteiligen möchte oder nicht. Die Mutter hat diese Option nicht. Eine Mutter, die sich der Elternarbeit verweigert, ist eine Rabenmutter, ein schlechter Mensch. Ein Vater lediglich nicht modern eingestellt, kein „neuer Vater“.
Die Ausgangsbedingungen für die Bewertung ihrer Elternarbeit sind verschieden: Alles, was die Mutter tut, ist selbstverständlich. Sie hat schließlich einen Mutterinstinkt. Man geht davon aus, dass sie alles kann. Es liegt ihr in den Genen. Mutterschaft ist ein ganz natürliches Verhalten. Es wird erwartet. Lob gibt es nicht. Denn selbst wenn die Mutter allen Pflichten nachkommt, erreicht sie nur eines: Sie trifft die Erwartungen.
Beim Vater ist die gesellschaftliche Messlatte in Sachen Elternschaft eine ganz andere: Alles, was er tut, ist „on top“. Er tut es freiwillig. Ihm gilt Dank für seinen Einsatz.“
„Es geht dabei nicht nur um die anfallende Arbeit, sondern auch um die psychische Belastung, die es mit sich bringt, eine so große Verantwortung für die gesamte Existenz eines anderen Menschen zu tragen. Bei der Lektüre von „Fritzi und ich“ ist mir (ich bin ja keine Mutter) sehr klar geworden, dass es ein großer Unterschied ist, ob ich jemand anderen beim Kindererziehen unterstütze, selbst wenn ich das in erheblichem Ausmaß tue, oder ob ich die Person bin, an der letztlich alles hängt.“
Und deswegen bin ich am Ende immer wieder genervt, wenn es eine Schlagzeile wert ist, wenn ein Vater ausnahmsweise mal seine Elternaufgaben ernst nimmt oder wie oben beschrieben mal Windeln wechselt, mal auf den Spielplatz geht, mal sein Kind abholt, mal abends vorliest und denke, dass er dafür kein ausdrückliches Lob verdient.
Ganz anders ist es für mich, wenn man sich die Aufgaben wirklich gleichwertig aufteilt. Wenn man Verantwortung teilt, wenn man miteinander verhandelt was, wann, für wen gut ist. Wenn auch der Vater die „unsichtbaren Aufgaben“ übernimmt. Denn durch das Gleichgewicht entsteht gegenseitige Wertschätzung und Dankbarkeit. Für mich ist das mit dem Lob dann eine ganz andere Sache.
Am Ende halte ich den Vorbild-Effekt, den man unserem Vizekanzler unterstellen könnte auch für zu vernachlässigen und stimme nicht mit der folgenden Haltung überein.
Auch wenn es arm ist, dass die Gabriel-Nummer eine Meldung wert ist, glaube ich, dass sie wertvoll ist. Deswegen: https://t.co/dySgvb5TlT
„Wer will, dass kinderfreundliche und familienfreundliche Politik gemacht wird, muss auch oben ansetzen, bei den Vorbildern. Deswegen gefällt mir auch, wie Manuela Schwesig ihre zweite Elternzeit organisiert hat – nämlich mit ihrem Ehemann, der sich um das Baby kümmern wird. Wir brauchen dringend Vorbilder, Pioniere in der Politik, die solche Themen vorantreiben. Drum habe ich durchaus Respekt für Sigmar Gabriel, der für dieses Zuhausebleiben wahrscheinlich von etlichen Menschen belächelt werden wird oder dem (vielleicht durchaus zu Recht) taktische Motive dafür unterstellt werden. Er hätte ja auch einfach Zuhause bleiben können, ohne das über sein Büro mitteilen zu lassen, vermute ich mal.“
Ich glaube nicht, dass diese Art Berichterstattung in irgendeiner Form dazu beiträgt, dass
a) Väter sich mehr an der Elternarbeit beteiligen („Ahhh, wenn der Herr Gabriel das macht, dann könnte ich ja auch mal?“ Really???) oder
b) dadurch ein Argument bei ihrem Arbeitgeber bekommen, sich mehr an der Elternarbeit beteiligen zu können („Der Herr Gabriel kann sich aber auch frei nehmen!“ „Ah, ok, ja, dann überdenken wir hier im Betrieb nochmal unsere familienfeindliche Einstellung!“).*
Ich glaube nicht, dass das so passiert und diese Art Berichterstattung zeigt mir wie unendlich weit der Weg zur Gleichberechtigung noch ist.
*Im Übrigen: Es wird ja immer so getan, als wenn Arbeitgeber es ohne weiteres akzeptieren, dass Mütter ihren Elternaufgaben nachkommen, sich um kranke Kinder kümmern, in Elternzeit gehen und früher nach Hause gehen, um auf den Elternabend zu kommen und als ob das bei Vätern dann plötzlich ein ganz anderes Thema sei.
Das ist in meinen Augen auch Unsinn, v.a. dann wenn es um eine ähnliche Position in der Hierarchie geht! Ein Arbeitgeber ist entweder familienfreundlich, dann gestattet er das Müttern wie Vätern und schafft enspechende Strukturen oder aber er ist es nicht, dann gibt es Diskussionen, Hürden, Degradierungen, Mobbing (Aber das Thema wäre wieder ein ganz eigener Blogartikel…)
Nachtrag:
Ich mag ja Diskussion und setze mich gerne mit weiteren Aspekten auseinander. Deswegen aus den Kommentaren hochgezogen der Artikel „Lob der Superpapas„:
„Vielleicht sollte man das Ganze überhaupt weniger als Diskurs begreifen, sondern als eine Art Erziehung. Und da würden Mütter ja auch nicht erwarten, dass ihre Kinder von ganz allein und stillschweigend Dinge lernen und sich ändern. Bei Kindern gehen wir selbstverständlich so vor: Wenn das Kind das erste Mal allein den Löffel in den Mund steckt, die Hose anzieht, das Zimmer aufräumt, die Schulmappe packt – jedesmal wird es lauthals gelobt. Niemand sagt: “Ist ja wohl keine große Sache, selber essen, das macht doch jeder!” Oder “Wurde ja wohl mal Zeit, dass du dich selbst anziehst, das ist ja wohl eine Selbstverständlichkeit!”“
Auf die Weihnachtspostkarte für meinen Vater habe ich geschrieben: „Wir fahren am 26. zum Chaos Communication Congress, Du kannst uns dann zuwinken, wenn du uns in der Tagesschau siehst.“ Als wir kurz telefonierten, klang mein Vater ganz erstaunt, weil ich dieses Jahr die Kinder mitnehmen wollte. Mir tat es letztes Jahr schon fast leid, die Kinder nicht mitgenommen zu haben.
Ich glaube, für meine Kinder sollte es ebenso so selbstverständlich sein Programmieren zu können, wie es selbstverständlich sein sollte, Englisch zu können. Die Kinder mit auf den 32c3 zu nehmen, erschien mir deswegen naheliegend. Weil sie dort eine Vorstellung davon bekommen können, was programmieren alles bedeuten kann und wie konkrete Ergebnisse aussehen (und dass es nicht unbedingt „langweilig“ sein muss). Für mich ist es so toll dorthin zu gehen, weil man eine Vorstellung von der Vielfalt und Kreativität bekommen kann.
Wir fuhren also schon am 26. nach Hamburg, um uns unsere Bändchen zu holen. Im Eingangsbereich war ein kleines Areal eingezäunt und darin gefangen einige Weihnachtsmannfiguren. Über dem Areal stand: Gated Santas (das Motto des diesjährigen Kongresses „Gated Communities“), free one (äh oder so ähnlich). Die Kinder waren ab da eigentlich kaum noch zu irgendwas zu bewegen. Die Santas mussten erstmal alle befreit werden. Anschließend mussten sie so zusammen gestellt werden, dass jeder Santa einen Freund hatte.
Wir hatten schon lange unsere Eintrittsbändchen, die Kinder hingegen wären gerne noch ein paar Stündchen dort geblieben. Letztendlich konnten sie nur überredet werden, sich einige Meter zu bewegen, indem wir das Bällebad im Kidspace anpriesen.
Das Bällebad wurde dann ausprobiert und in den höchsten Tönen gelobt. Ob das cooler sei als im Smaland, fragte ich erstaunt. Zumindest in meiner Kindheit gab es nämlich nichts tolleres als das IKEA Bällebad. „Ja! Viiiiel besser“, riefen die Kinder im Kanon. Es sei ordentlich tief, man könne tauchen, eine Kerze reinmachen, einen Anker und sogar eine ARSCHBO… außerdem würde es am Grund gut riechen. Das Smaland Bällebad stinke bestialisch. Kein Kind wolle dort tauchen.
Wir mussten dann auch nur vier bis fünf Mal sagen, dass wir jetzt gehen wollten und wirklich, wirklich morgen wiederkommen würden und die Kinder dann vier Tage lang hier bleiben dürften.
Am Tag 1 des Kongresses nahmen wir die Kinder mit in die Opening Session, die auf Englisch war. Ich stellte dabei erstaunt fest, dass sogar Kind 3.0 passiv einige Bröckchen Englisch verstand. Erstaunlich was man erreichen kann, wenn die Kinder im Alltag einfach viel Englisch hören. Die ersten 20 Minuten Begrüßung übersetzten wir. (Es wäre im Übrigen möglich gewesen ein DECT Telefon mitzunehmen und den Übersetzungsdienst zu nutzen, da ich aber keines mit Kopfhöreranschluss hatte, habe ich keins mitgenommen).
Den Rest der Rede spielten die Kinder dann am Tablet. Am Ende haben die beiden (wir haben nur Kind 2.0 und 3.0 mitgenommen) gut die 1,5 Stunden durchgehalten, was mich sehr zuversichtlich für die nächsten Tage stimmte, denn mehr als 3-4 Vorträge am Tag schaffe ich selbst meistens auch nicht.
Die nächsten Stunden haben sich die Kinder im Kidspace beschäftigt. Neben dem Bällebad gibt es dort einen kleinen Kletterbereich, die Santas von Tag 0 wackeln dort durch die Gegend, es wurden verschiedene Workshops angeboten, ein Augmented Reality Sandkasten war zu bewundern (und zu durchwühlen), mit der eigenen Stimme konnte Sound Pong gespielt werden, es fuhren immer mal wieder exotische Robotergefährte vorbei und es gab zwei Sitzkletterreitesel. Außerdem lässt es sich wunderbar in den Sofaecken und auf den Sitzkissenlandschaften rumtollen oder chillen (sehr wichtig für Kinder ab 11). Außerdem gibt es genug Tische, an denen die Kinder gut malen können und zu guter letzt gab es sogar USB-Armbänder für die Kinder mit denen die Kinder angeblich (wir haben noch keine weiteren Infos) Hörspiele sammeln und hören können.
Kind 3.0 wollte dann doch gerne, dass ich bei ihm bleibe, was aber völlig in Ordnung war, denn auch ich habs dort ganz bequem und kann immerhin per Stream die Vorträge mitverfolgen. Genau genommen ist es dort im Lounge Bereich eigentlich bequemer als in den Vortragssälen.
Nach sieben Stunden waren wir dann aber doch müde und sind in unser Feriendomizil zurück gekehrt. Tag 1 ist geschafft und wir bestellen uns jetzt eine Pizza. Alles in allem ein super Tag. Ich bin völlig platt (was sich in meinen Formulierungen bemerkbar macht, ächts) und die Kinder haben immer noch ziemlich viel Energie. Unfassbar. Morgen ist Junghackertag und wir planen pünktlich um 10 Uhr dort zu erscheinen. Erstaunlicherweise ist es zu Kongresszeiten immer sehr schwer vor 12 Uhr irgendwo zu sein. Wie schaffen wir das im Alltag? Auch heute haben wir es nur sehr knapp zu 11 Uhr geschafft.
Unser Kindergarten plant kleine Aktivitäten mit Flüchtlingskindern. Heute wollen wir mit einigen Plätzchen backen und ihnen ein bisschen Abwechslung zum Alltag bieten. Eine Erzieherin und ich haben die Aufgabe die Kinder abzuholen. Die Mutter, die das eigentlich machen sollte, weil sie wohl schon Kontakt zu einigen Familien hatte, ist leider verhindert.
Wir stehen in der zur Notunterkunft umfunktionierten Sporthalle. Einer der arabisch sprechenden Männer vom Sicherheitsdienst sammelt derweil Kinder für uns ein. In zwei, drei Sätzen beschreibt er Eltern unser Vorhaben. Die meisten nicken einfach. Manchmal wird nachgefragt wie alt die Kinder sein sollen. Wer Lust hat, ist willkommen, sagen wir. Den Gesten entnehme ich, dass die Kinder sich anziehen sollen. Die meisten von denen, die er anspricht, laufen in ihre Bettenburgen. Tatsächlich sehen die Hochbetten aus wie kleine Burgen. Die Familien haben sie zusammengerückt und nach außen durch Decken abgeschirmt. Sehr viel Privatsphäre gibt es in der Unterkunft nicht.
Nach und nach kommen Kinder unterschiedlichen Alters. Ein Mädchen gibt mir die Hand, ein anderes zieht an den Schnüren meiner Kapuze. Ich sage unbeholfen: „I am Patricia“ und deute auf mich und dann fragend auf die Kinder. Sie sagen mir ihre Namen. Manche kann ich gleich aussprechen, andere auch nach drei Versuchen nicht. Die Kinder lachen und sagen mir die schwierigen Namen immer wieder vor. Sie sind geduldig und nachsichtig.
Als die Gruppe fertig ist, gehen wir los in die Kita. Die Kinder laufen fröhlich hin und her und ich bewundere ihre Unbesorgtheit. Sie wissen nicht wo es hingeht und bestimmt auch nicht so genau was wir vorhaben. Ich zähle die Kinder am Weg ungefähr 20 Mal. Zum Glück sind zwei Mütter mitgekommen. Rechts und links habe ich zwei große Mädchen. Ich frage: „Do you speak English?“ „No“, antworten beide und dann können sie doch so gut Englisch, dass ich verstehe woher sie kommen, wie alt sie sind und ob sie Geschwister haben.
Im Kindergarten warten einige Erzieherinnen und eine andere Mutter aus der Kita mit ihrem Kind. Die Kinder stürmen in die Räume und beginnen ohne eine Millisekunde zu zögern damit den vorbereiteten Teig zu bearbeiten. Sie rollen und kneten, einige essen den Teig, andere drücken Löcher hinein, es ist ein emsiges hin- und her. Zwei Jungs nehmen sich Teigrollen und schwenken sie wie große Keulen. Sie lachen dabei laut. Die Kinder suchen sich Ausstechförmchen aus, legen sie auf den Tisch und füllen sie mit Teig. Es entstehen mehrere Duzend ca. 3 cm hohe Plätzchenburger. Wie wunderbar!
In weniger als 20 Minuten sind an die sechs Bleche voll. Ich werde immer wieder gerufen: „Hey Iam! Iam!“ Ich brauche ca. zehn Sekunden um zu verstehen, dass ich gemeint bin. Mir werden Plätzchenkunstwerke gezeigt. Ich soll sie nehmen und aufs Blech legen. Ohne Sprache werde ich gefragt, wo ist das Badezimmer zum Händewaschen, was sind das für Tiere und Gegenstände. Vielleicht kennen sie Elche und Glocken gar nicht? Ich sage die Worte, mache Geräusche, die Kinder lachen, eins hält meine Hand.
Es gibt Tee. Die Kinder riechen erst an der Kanne und dann geben mir die, die den Geruch wohl OK finden, Zeichen, dass ich eingießen darf. Die ersten Plätzchen sind fertig, ich will sie zum vorbereiteten Dekoriertisch bringen, aber die ersten drei Teller werden einfach leer gegessen. Die dicken Plätzchen sind alle was geworden. Außen goldgelb und innen schön weich. Wir futtern also Plätzchen als eines der Kinder die Streusel nimmt und auf die noch ungebackenen Plätzchen wirft. Andere Kinder greifen auch in die Deko und alles wird verteilt, während andere das alles schön festklopfen. Zuckerschrifttuben werden ausgedrückt und in den Teig geknetet, der jetzt rot und grün und blau ist. Die Kinder essen Rosinen und Nüsse und formen weitere Plätzchen aus der bunten Teigmasse.
Ich muss lachen und merke wieder wie toll Kinder sind, wie sie einem zeigen, dass es neben dem einen Weg im eigenen Kopf immer noch hundert andere gibt.
In der Zwischenzeit haben die jüngeren Kinder keine Lust mehr und erkunden die anderen Räume. Sie gehen spielen während die älteren weiter eifrig ausrollen, ausstechen und dekorieren. Sie sind so wie alle Kinder (wie sollen sie auch anders sein), denke ich. Alle Menschen sind gleich. Es klingt vielleicht kitschig, aber ich wünschte das könnten alle Menschen erkennen, wenn sie die Gelegenheit haben fremde Kinder zu beobachten.
Um vier müssen die Kinder zurück, heute Abend sind die Familien bei deutschen Familien zum Essen eingeladen. Überhaupt war ich überwältigt von dem Engagement der Menschen rund um die Flüchtlingsunterkunft. Viel zu lange habe ich die ekelhaften Facebook-Kommentare von menschenfeindlichen Arschlöchern für die allgemeine Realität gehalten. Hier sehe ich, dass es auch anders geht. Das macht mir ein sehr warmes Gefühl. Viele der Leute kenne ich direkt oder um zwei, drei Ecken. Ich freue mich zu dieser Gemeinschaft zu gehören.
Wie dem auch sei. Heute Abend bleiben mir die „Iam, Iam“-Rufe im Kopf und ich versuche mir etwas von der Unverwüstlichkeit der Kinder zu behalten, von der Freude und der Energie, dem Forscherdrang und der Offenheit. Nächstes Mal nehme ich meine eigenen Kinder mit. Ich glaube, sie können noch viel bessere Brücken bauen als wir Erwachsene.
Gerade ging wieder ein Artikel durch meine Timeline, den ich sehr gerne gelesen habe: Es ging um das Joberfüllungsparadigma, sprich um die Vorstellung ein Job müsse erfüllen. Der Artikel heisst: Warum man für seinen Job nicht brennen muss.
Er handelt von einem Herzchirurgen, der aus Passion LKW-Fahrer wird (Spoiler: und das am Ende wegen des Wettbewerbs in der Branche wieder aufgibt):
„Solche inspirierenden Geschichten richten Schaden an. Sie suggerieren, dass niemand sich im Arbeitsleben mit weniger als dem makellosen Glück zufrieden geben dürfte. Dass jeder etwas ändern muss, der seinen Job nicht mit bis an Besinnungslosigkeit grenzender Leidenschaft ausübt. Über Generationen hat dieser Leidenschaftszwang einen Schleier des Unglücklichseins gelegt. Millionen Menschen sitzen jeden Tag im Büro, stehen am Fließband oder kriechen für ihren Job auf dem Boden herum und fragen sich: „Was läuft falsch bei mir, wenn ich dabei keine Leidenschaft verspüre?“ Sie suchen, grübeln und trauern, weil in ihrem Leben offenbar „etwas nicht stimmt“.“
Ich habe gerade erst gestern gedacht, dieser ewige Glückszwang, er ist so ermüdend und dumm – und dass obwohl ich mich gerade glücklicher denn je fühle (jaja Leben und Widersprüche).
Wie kommt das?
Ich habe die letzten Jahre meinen Perfektionismusdrang – ja, ich weiß nicht genau wie man das sagt – aufgegeben. Ich weiß nicht mal, ob das ein bewußtes, gesteuertes Loslassen war. Vielleicht war es auch ein wenig Resignation. So wie wenn man ein Ungetüm an der Leine hat und über die Zeit merkt, dass man es ohnehin nicht bändigen kann. Ich glaube, es hat so stark gezogen und gezerrt, dass ich die Leine loslassen musste.
Jedenfalls: Es gibt kaum noch Perfektionismus in meinem Leben.
Die Wohnung sieht mal schön aus und mal chaotisch. Ich sehe mal schön aus und mal chaotisch. Die Kinder sehen mal schön aus und chaotisch. Meine Beziehungen sehen mal schön aus und mal chaotisch.
Ich habe keine abstrusen Ziele mehr. Mal geht es mir gut und wenn es mir mal nicht gut geht, dann ist das so. Der eine Einbruch reißt nicht alles andere ein. Er ist eine Ausnahme (die mehr oder weniger oft und mal länger und mal kürzer anhält).
Abends liege ich oft im Bett neben meinen Kindern und wir reden über den Tag und wir haben uns angewöhnt uns gegenseitig zu fragen: „Was war das schönste heute am Tag?“
Manchmal ist mein Impuls stark übellaunig zu sagen: Es war alles blöd. Zu früh aufgestanden, keine Zeit, nur Stress, langweilige Pflichterledigungen, der Paketbote hat mal wieder nicht geklingelt. (Bei den Kindern ist das genauso: Der Paul hat geschubst, die Clara hat nicht geteilt, die Lehrerin doofe Hausaufgaben aufgegeben, die Mama hat nie Zeit zum Spielen.)
Also bohren wir nach: War wirklich ALLES doof? WIRKLICH WIRKLICH?
Und dann kommen sie, die schönen Dinge: Heute morgen war es schon hell als wir in die Schule gelaufen sind. Es gab süßes Frühstück im Kindergarten. Der Kollege hat mir einen Kaffee mitgekocht. Ich habe Zeit gehabt eine Folge meiner Lieblingsserie zu schauen.
Und plötzlich kehrt sich dieses Glücksding langsam um. Die kleinen Momente werden sichtbar. Und damit muss ich keinen großen Zielen hinterherhecheln. An jedem beliebigen Morgen gibt es eine neue Chance auf einen guten Tag und die guten Momente und Tage fädele ich mir auf eine Kette.
(Was mir dann rückblickend sehr hilft, ist zusätzlich meine Vergesslichkeit. Ich merke mir die schönen Erlebnisse, dem Rest schenke ich weniger Beachtung.)
Mich tragen die kleinen Worte und Gesten durch den Alltag. Kind 3.0, das erst zappelnd und grölend nach sieben Aufforderungen 20 min lang die Zähne putzt und dann völlig unvermittelt seine Hand auf meine legt und sagt: „Isch mag disch, Mama.“
Kind 2.0, das mich nach einem langen, stressigen Arbeitstag zuhause mit: „Warum bist du heute so spät, Mama? Ich hab mich so dolle gelangweilt, ich hab die Wäsche vom Wäscheständer wegsortiert.“ begrüßt.
Mein Freund, der auch noch nach 24 Uhr zu mir kommt (und nicht in sein eigenes, sehr viel näheres Bett fällt), damit wir zusammen in einem Bett kuscheln können, wohlwissend, dass bei uns der Tag um 6 Uhr startet (was bei ihm nicht zwangsläufig so ist). Eine Freundin, die mir völlig unerwartet einen Nikolausgruß schickt. Ein fremdes Kind in der U-Bahn, das über mich lacht, weil ich ihm heimlich Grimassen schneide… der Alltag ist voll von Glück. Wirklich fast jeden Tag.
Ich musste nur lernen das zu sehen und ich hoffe, ich kann mir das erhalten.
Ilva trifft auf ein sprechendes Eichhörnchen. Dass das am Ende sogar sprechen kann, wundert sie dann irgendwie auch nicht sonderlich.
Eine weihnachtliche Vorlesegeschichte, für Kinder ab hmmm 5 (?)
Ilva blickte aus dem Fenster. Es hatte angefangen zu schneien und sie beobachtete die Schneeflocken wie sie durch die Luft wirbelten und sich lautlos auf dem Fensterbrett niederließen. In zwei Tagen war Weihnachten, das wusste Ilva obwohl sie erst fünf Jahre alt war.
Ilva dachte an letztes Jahr. Da hatte der Weihnachtsmann ihr ein Fahrrad geschenkt. Ein blaues mit einer Tigerlampe vorne und Speichenklickern. Sie konnte es kaum aushalten, es auszuprobieren und als endlich der Schnee geschmolzen war, fuhr sie jeden Tag mit ihrer Mama zum Kindergarten. Egal ob es kalt war oder regnete.
Bei dem Gedanken an Mama, dachte sie wieder an Heilig Abend. Mama und Papa hatten komischerweise nichts vom Weihnachtsmann bekommen. Sie konnte sich das nicht erklären. Eigentlich waren die beiden ganz lieb gewesen. Also einigermaßen. So lieb wie Mamas und Papas eben sein können. Manchmal hatten sie schon rumgemeckert. Morgens zum Beispiel, wenn Ilva bummelte oder am Nachmittag wenn Ilva keine Lust hatte aufzuräumen. Das übliche eben. Am Ende des Tages aber waren Mama und Papa eigentlich immer lieb. Sie lasen ihr und ihrer Schwester eine Gute Nacht Geschichte vor und kuschelten dann mit ihnen. Dann machten sie das Licht aus und sangen noch für jedes Kind ein schönes Lied. Also Papa sang ein schönes Lied. Mama summte dazu weil sie oft den Text vergaß. „Aber Text vergessen kann doch kein Grund sein keine Geschenke zu bekommen?“, grübelte Ilva. So streng war der Weihnachtsmann bestimmt nicht. Was aber war passiert? Ilva starrte angestrengt zum Baum der ihrem Zimmer gegenüber stand. Eine große Kastanie, die jetzt im Winter ganz kahl war. Die Blätter waren alle abgefallen.
Ob Mama und Papa vielleicht vergessen hatten einen Wunschzettel zu schreiben? Das konnte sich Ilva gut vorstellen. Die beiden waren immerzu beschäftigt und selbst am Geburtstag äußerten sie auf Nachfrage nur ganz doofe Wünsche. Mama sagte immer, sie wünsche sich liebe Kinder! Als ob Ilva und ihre Schwester nicht ohnehin total liebe Kinder wären. Und Papa sagte auch nie was vernünftiges. „Was wünschst du dir zum Geburtstag Papa?“ „Weltfrieden. Ansonsten bin ich glücklich.“ Was konnte Ilva schon zum Weltfrieden beitragen? Wenn Mama und Papa dem Weihnachtsmann auch so blöde Antworten gegeben hatten, war ja klar, dass sie nichts bekommen würden.
Ilva fand das gemein. Mama und Papa sollten auch etwas bekommen. Was wenn der Weihnachtsmann dieses Jahr wieder nichts unter den Baum stellte? Sie überlegte. Vorsichtshalber würde sie den beiden ein kleines Geschenk besorgen. Nur was für eins?
Während sie nachdachte, fiel ihr im Baum gegenüber ein Eichhörnchen auf. Es hatte graublaues Fell. Ilva schaute ganz genau hin. Das Eichhörnchen wirkte irgendwie aufgeregt. Es sprang von einem Beinchen auf das andere und Ilva hätte schwören können, dass es mit seinen Vorderpfoten Zeichen gab. Es wedelte die Tatzen hin und her und fuchtelte durch die Luft. Komisches Eichhörnchen.
Ilva blinzelte und plötzlich war das Eichhörnchen verschwunden. Gerade als sie sich ein Buch suchen wollte, hörte sie ein leises Klopfen am Fenster. Sie erschrak, doch als sie zum Fenster schaute, sah sie dort das Eichhörnchen. Sie ging ganz langsam ganz nah an die Glasscheibe. Das Eichhörnchen schien nicht scheu zu sein. Im Gegenteil es schaute Ilva interessiert an. „Lass mich rein!“ Ilva wäre vor Schreck fast umgefallen. Das Eichhörnchen konnte sprechen? So als ob das Eichhörnchen zusätzlich Gedanken lesen könnte, sagte es: „Ja, ja. Ich kann sprechen. Lass mich rein jetzt!“ Eigentlich durfte Ilva die Fenster nicht öffnen, aber dieses Mal machte sie eine Ausnahme. Schließlich begegnet man nicht alle Tage einem sprechenden Nagetier. Vorsichtshalber kippte sie das Fenster nur einen Spalt. Gerade weit genug damit das Eichhörnchen durchschlupfen konnte.
„Hallo, ich bin Nusser. Wie heißt du?“, das Eichhörnchen blickte Ilva fragend an.
„Ich bin Ilva.“
„Hallöchen. Danke fürs Aufmachen. Irgendwie ist mir diesen Winter ständig kalt. Ich weiß auch nicht.“
Ilva starrte das Eichhörnchen an. Es entstand eine unangenehm lange Gesprächspause.
„Und du so?“, fragte das Eichhörnchen.
„Ich … äh ich…“ Ilva wusste erst nicht was sie sagen sollte, aber dann kamen die beiden ins Gespräch und Ilva erzählte unter anderem davon, dass sie gerade darüber nachgedacht hatte, ihren Eltern ein Weihnachtsgeschenk zu machen, weil die letztes Jahr nichts bekommen hätten. Sie erzählte auch, dass sie noch keine Idee hatte, was sie schenken könnte. Nusser und Ilva unterhielten sich sehr gut und bald kam schon raus, dass die Eltern im Flur gerne die Raufasertapete entfernen und ihn gelb streichen würden. Eindeutig keine Arbeit für ein Kind.
„Aber für ein Eichhörnchen“, fand Nusser. „Na gut, für ein handwerklich begabtes Eichhörnchen…“
Ilva fand das logisch. Wenn es sprechende Eichhörnchen gab (was sie noch nicht wusste), musste es auch handwerklich begabte Eichhörnchen geben (was sie bislang auch nicht wusste). Jetzt mussten die beiden lediglich einen Plan machen, wann und wie genau der Flur verschönert werden sollte. Nachts, das war schnell klar, es sollte schließlich eine Überraschung sein. Ilva müsste es nur fertig bringen und die Haustür in der Nacht zum Heiligen Abend geöffnet lassen. Nusser hatte versprochen die Wandfarbe und alles nötige zu besorgen, nur passte das freilich nicht durch ein gekipptes Fenster. Ilva war sich erst nicht sicher, ob man Wohnungstüren ausnahmsweise offen stehen lassen sollte – aber irgendwie musste der Weihnachtsmann ja auch in die Wohnung, um die Geschenke unter den Baum zu legen und deswegen würde das bestimmt in Ordnung gehen.
Als alle Feinheiten geplant waren, holte Ilva noch ein paar Nüsse aus der Küche und den flauschigen Pelzmantel ihrer Barbie, mit der sie ohnehin nie spielte und gab sie Nusser mit. Nusser schien sichtlich zufrieden und verabschiedete sich fröhlich: „Bis übermorgen!“
Ilva war in der Nacht zu Heilig Abend noch aufgeregter als sonst. Das half ihr wach zu bleiben, bis ihre Eltern schlafen gingen. Sie wartete noch ein paar Minuten und stand dann ganz leise auf und schlich sich in den Flur.
Illustration: Annika Kuhn
Ihr war ein wenig mulmig zumute als sie die Haustür öffnete. Beim Anblick von Nusser, der schon mit einem großen Eimer gelber Farbe bereit stand, war sie sehr erleichtert. Nusser wollte schon losplappern, aber Ilva legte ihren Finger vor die Lippen. „Pscht!“ Das Eichhörnchen nickte und schob sehr leise den Farbeimer in den Flur. Dann bat es um einen Eimer Wasser. Wie gut, dass die Wohnung zwei Etagen hatte und die Eltern ohnehin so gut wie nie was hörten wenn sie schliefen! Ilva füllte einen Eimer mit Wasser. Das Eichhörnchen tauchte seinen Puschelschwanz in das Wasser und bespritzte die Wände mit Wasser. „Man muss die Raufasertapete einweichen, weißt du? So richtig nass!“ Nusser holte immer wieder Wasser nach und veranstaltete eine unfassbare Sauerei. Ilva zweifelte langsam ein bisschen, ob das mit der Flurrenovierung die richtige Idee war.
Eine Stunde später war Nusser fertig. „Hast du ein paar Würmer? Ich bin ganz schön hungrig und das muss jetzt erstmal einweichen.“ „Leider nein. Vielleicht Pilze?“ „Ja, Pilze gehen auch.“
Ilva holte außerdem noch einige Löffel Müsliflocken und eine kleine Portion Cornflakes und so saßen die beiden im pitschnassen Flur und machten ein Nachtpicknick.
Dann, ohne jede Vorwarnung sprang Nusser plötzlich auf und hüpfte an das Ende der Wand, das oben an der Zimmerdecke endete und ließ sich mit ausgefahrenen Krallen bis zum Boden gleiten. Dabei löste sich tatsächlich die Tapete in großen Stücken. Ilva war erstaunt. Wie hypnotisiert beobachtete sie Nusser wie der so nach und nach den ganzen Flur bearbeitete.
Am nächsten Morgen wachte Ilva zusammengerollt auf dem Boden des Flurs auf. Sie musste über das Beobachten des Eichhörnchens so müde geworden sein, dass sie eingeschlafen war. Schließlich war es außerdem sehr spät geworden. Nusser hatte ihr eine Decke übergelegt. Ilva rieb sich ihre Augen und wollte sich gerade das Ergebnis der nächtlichen Bemühungen anschauen, als ihre Eltern in den Flur traten.
„Was es ist denn hier los?“, wunderte sich Mama.
„Das gibt’s ja nicht! Wie hast du das denn gemacht???“, Papa war völlig außer sich.
Tatsächlich, der Flur war fertig und erstrahlte im wunderschönsten Sonnengelb. Alles war sauber und nirgends waren Raufaserreste zu sehen.
Als Ilva sich wieder gefasst hatte – sie war ja selbst sehr überrascht – sagte sie: „Das, das war nicht ich!“
„Sondern?“, fragte Papa.
„Ja, das würde ich jetzt aber auch gerne wissen!“, schob Mama nach.
Ilva überlegte kurz. Die Sache mit Nusser war vielleicht wirklich ein bisschen verrückt.
„Das war der Weihnachtsmann!“
Mama und Papa waren etwas sprachlos, aber dann lachten alle. Mama und Papa gingen davon aus, dass der große Sohn von Papa und seiner ersten Frau geholfen hätte und sagten deswegen nichts weiter. Das war auch OK, das mit dem Eichhörnchen hätten sie vermutlich ohnehin nicht geglaubt. So freuten sich alle und gingen frühstücken.
Ilva bekam noch oft Besuch von Nusser und sie wurden richtig gute Freunde. Es ist wirklich eine gute Sache ein handwerklich begabtes Eichhörnchen zum Freund zu haben!
Die Illustration der Geschichte ist von Annika Kuhn, das ist die Dame, die auch das wunderschöne Buch „Pinipas Abenteuer“ bebildert hat. Nur so als Tipp… falls ihr noch was schönes zu Weihnachten sucht.
P.S. Ich schreibe ja sehr gerne Kindergeschichten zum Vorlesen. Da dachte ich, ich könnte ja mal eine am 1. Adventssonntag veröffentlichen. Ich würde mich freuen, wenn ihr sie euren Kindern vorlest und mir Feedback dalasst, ob die Kinder sich unterhalten gefühlt haben. Mein großer Traum ist es eines Tages ein Kinderbuch zu schreiben…