Geht euch doch selbstverwirklichen, ich geh arbeiten

Es gibt so Sachen, die bringen mich in fünf Sekunden auf 180. Das Video gehört dazu. Mit hübschen Bildern untermalt fordert die Stimme von Alan Watts dazu auf, im Leben das zu tun, was man machen möchte und seine Zeit nicht mit dem zu verschwenden, auf das man keine Lust hat und dass man vor allem nie etwas tut nur um Geld zu verdienen.

„What would you like to do if money were no object?“

Yo, dann würde ich Bücher schreiben und mein drölfzehntes Buch wäre ein Kinderbuch und das würde ich gerne illustrieren. Ich male nämlich total gerne und gut und naja das mit dem Schreiben, das wird jetzt keine Überraschung gewesen sein.

Als kleines Mädchen wollte ich Schauspielerin werden und nach dem Abi eigentlich Bio-Chemie studieren.

Wenn ich jetzt noch mal 20 wäre, dann würde ich auf jeden Fall Informatik studieren wollen.

Einen Dachgarten hätte ich auch gerne.

Und fünf Kinder.

Ist aber alles anders gekommen und wenn es nach dem Lust-Prinzip geht, dann kann ich sagen, ich mache im Schnitt eine Stunde am Tag Dinge, auf die ich wirklich Lust habe.

Die anderen 23 Stunden mache ich Dinge, die ich machen muss. Größter völlig unnützer Zeitfresser ist das Schlafen. Gefolgt von Arbeiten. Entweder direkt bezahlt durch einen Arbeitgeber oder aber unbezahlte Familienarbeit. Zehn Maschinen Wäsche wasche ich im Schnitt pro Woche. Die hänge ich dann auf und falte sie, um sie in den Schrank zu legen. Ich gehe mindestens zwei Mal in der Woche einkaufen und bereite mindestens zwei Mal am Tag ein Essen zu. Zwischendrin räume ich in der Woche vier Mal die Spülmaschine ein und aus. Ich putze die Wohnung, sauge und mindestens fünf Mal pro Woche wische ich noch einen Kinderpo ab. Davor stehe ich im Schnitt unendlich lange fünfzehn Minuten neben dem Kind, dass behauptet nicht kacken zu können, wenn ich nicht die Hand halte, was ich WIRKLICH nicht möchte, aber dann meistens tue weil ich sonst nämlich länger als zwanzig Minuten im Bad verbringe, wo doch irgendein scheiß Formular darauf wartet verstanden und aufgefüllt zu werden, damit ich einen Kindergarten oder Hortplatz bekomme, um arbeiten gehen zu können. Alles ätzend.

Dabei ist mir durchaus bewusst, wie gut es mir dabei geht. Wir sind gesund, haben eine schöne Wohnung, unsere Arbeitsbedingungen sind hervorragend, ich habe tolle Kollegen etc. etc. Ich brauche nur zehn Minuten irgendein Nachrichtenmagazin zu schauen oder einige Minuten Themenradio hören und schon weiß ich, ich gehöre zu den 10% (?) äußerst privilegierten Menschen dieser Erde.

Und dann sehe ich so ein Video und jemand sagt drei Mal „You will spend your life completely wasting your time. You will be doing things you don’t like in order to go on living to do things you don’t like…“ und das macht mich aggressiv. Es liegt mir fern alle Träumer, Idealisten und Romantiker zu beschimpfen, aber mir gehen solche Aussagen wirklich auf die Nerven.

Wahrscheinlich weil mir alles, das schwarz-weiß gemalt wird, auf die Nerven geht. Denn was bei dem Video übersehen wird, ist dass die meisten sich gar keine Vorstellung machen, was es wirklich bedeutet einer Passion nachzugehen. Denn selbst wenn man das täte, befände man sich nicht 24 Stunden im Flow-Zustand. Außerdem wünschen sich Kinder und Jugendliche natürlich alle das zu werden, was sie sich in ihrer Phantasie ausmalen können. Da möchte ein Mädchen vielleicht Tierärztin werden, weil es Tiere liebt. Ganz bestimmt will es aber nicht Tierärtzin werden, weil es in den Gedärmen von Kühen rumwühlen oder z.B. schwer kranke Tiere einschläfern möchte. Das Leben ist sehr hässlich wenn man es nüchtern anschaut.

Aber für mich geht es nicht darum. Es geht weder darum, das zu tun, was man unbedingt tun möchte und es geht auch nicht darum, die Dinge realistisch zu sehen. Es geht darum die Ausnahmen zu sehen.

Am Stück betrachtet ist mein Leben unendlich langweilig. Ich stehe um 6 Uhr auf, ich gehe in die Arbeit, ich komme nach Hause, kümmere mich um Kinder- und Familienzeug und gegen 20 Uhr bin ich so erschöpft, dass ich nicht selten mit den Kindern einschlafe. Jeden Tag. Nur dass ich am Wochenende nicht arbeiten gehe, sondern die Hausarbeiten nachhole, die unter der Woche liegen geblieben sind.

Wenn ich den Auflösungsgrad der Betrachtung erhöhe, finde ich es wundervoll. Da schlüpft morgens mindestens ein kleines Wesen in mein Bett, das mich liebt, obwohl ich es mindestens zehn mal am Tag anmeckere … auf dem Weg in die Arbeit kann ich Musik hören. So laut wie ich möchte und auch genau das was ich möchte. Am Nachmittag kann ich auf Parkbänken in der Sonne sitzen. Es gibt natürlich noch viel, viel mehr gute Momente in meinem Tag – aber mir reichen allein diese drei um meinen Tag nicht als „totally wasted“ anzusehen. Im Gegensatz zum Rat des Videos möchte ich nicht lieber ein kurzes Leben führen, in dem ich aber mache, was mir gefällt als ein langes Leben „spended in a miserable way“.

Wahrscheinlich macht mich das Video in wenigen Sekunden so unendlich aggressiv weil es mein durchschnittliches Leben abwertet. Weil es mir aufzwingt immer glücklich sein zu müssen, immer erfüllt, immer inspiriert.

Ich habe das Gefühl, das eine solche Erwartung Menschen unglücklich macht. Ich kenne das z.B. von den Beziehungserwartungen einiger FreundInnen. Die erwarten, dass die Liebe ihres Lebens eines Tages in ihr Leben tritt, dass dieses Gefühl sie wegträgt wie so oft in schmalzigen Hollywoodfilmen dargestellt. Ein Teil von ihnen hat so einen Mann oder so eine Frau tatsächlich getroffen, die große romantische Liebe und dann sind sie sogar zuzsammengekommen und einige Zeit zusammengeblieben. Doch dann sind irgendwann die Hormone weg, der Alltag ist da und dann ist die Beziehung am Ende. Aber nicht weil die beiden nicht zusammenpassen, weil sie keine gemeinsame Zukunft haben oder weil es keine Grundlage für die Liebe gibt, sondern einfach weil die Liebe und der Beziehungsverlauf nicht ihren Idealvorstellungen entspricht. Weil es Krisen gibt, weil man sich streitet, weil man nicht alles am anderen liebt, vielleicht einfach weil der andere morgens im Bett müffelt oder weil er die Gabel falsch in die Hand nimmt oder die Zahnpastatube falsch ausdrückt – und dann ist es aus mit der Liebe.

Das finde ich sehr bedauerlich und in meiner Wahrnehmung kommt das von diesen verschrobenen romantischen oder idealisierenden Beziehungs- und Liebesvorstellungen.

Äh ja und deswegen MACHEN MicH diEse VIdeOS AGGressiV!!!

(Gar nicht so lange her, dass ich bereits darüber schrieb)

 

Raise the level of excitement even higher!!11!

dunkel
Symbolbild Restaurant Innenraum

Die Unsicht-Bar heißt so, weil man für andere unsichtbar wird. Taub wird man allerdings nicht. Das scheint den Kellnern in der Unsicht-Bar nicht ganz klar zu sein. Wir saßen an einem Tisch, der an einer Hauptverkehrsstraße zwischen Gastraum und Küche stand. Da rasten die Kellnerinnen und Kellner mit ihren Servierwagen vorbei. Ich wurde insgesamt fünf Mal angestoßen. Links hinter mir waren Getränkekisten, die lautstark umsortiert wurden. (Wie praktisch, dass man in einem stockfinsteren Raum keine gesonderten Abstellräume benötigt). Rechts hinter mir war ein leerer Tisch an dem einige Kellner saßen und sich angeregt unterhielten. Ab und an riefen sie den anderen vorbei eilenden Kellnerinnen und Kellnern lustige Sachen zu. Einer der Kellner servierte rappend. Einer schnalzte ununterbrochen. Insgesamt war es ziemlich laut. Ich schätze, rund 50 Leute teilten den Raum in der Dunkelheit mit uns.*

Ich hatte meinen Mann zum Hochzeitstag diesen Besuch in der Dunkel-Bar geschenkt. Er ist ein großer Romantiker. Er mag sowas. Ich hasse sowas. Ich hasse unkontrollierbare Situationen und ich bin der komplizierteste Esser der Welt. Nicht mal meine Eltern können sich merken was ich esse und was nicht. Darüberhinaus habe ich einige ausgewachsene Essensphobien. Ich kann auch nach vielen Jahren des aktiven Obstberührens reinen Gewissens sagen: ich würde nach wie vor eher eine Vogelspinne als eine Mandarine essen.

Außerdem hasse ich Anfassen. Fremde anfassen finde ich besonders gräßlich.

Was ich aber am allermeisten hasse, ist in der Öffentlichkeit aufs Klo gehen. Ich hasse das schon sehend in normalen Restuarants. Ich habe immer diese Wahnvorstellung, dass ich die Toilette nicht finde und mich dann alle komsich anschauen. Wie peinlich!

Im Dunkelrestaurant kann man nicht alleine Pipi machen gehen. Man muss dann nach dem Kellner rufen und der führt einen zur Toilette. „Hallo? Hallo? Herr Kellner! Ich muss mal pullllääärn!!!“ W I E   S C H R E C K L I C H!

Ideale Voraussetzungen um mal ein Dunkelrestaurant zu besuchen. Aber was solls. Für die Liebe tut man so einiges und bestimmt würde mein Mann wie ein Ferengi alles für mich vorkauen und nur den Essensbrei wieder auf meinen Teller würgen, von dem er sicher wüßte, dass er mir schmeckt. Auch er ist bereit so allerhand für die Liebe zu tun.

Meine Vorstellung von Dunkelrestaurant war so: Wir kommen dahin, halten uns an den Händen und speisen in der Dunkelheit. Dabei schärfen sich unsere Sinne. Wir entdecken, wie schön unsere Stimmen sind, wir streicheln unsere Hände und schmecken Dinge, die wir vorher noch nie geschmeckt haben. Nebenher lernen wir was über das Blindsein. Ein winziges bißchen vielleicht. Jemand erläutert uns wie man ißt, welche Tricks es gibt. Wir erleben welche Herausforderungen zu bewältigen sind.

Begrüßt wurden wir von Misanthropen. Allerdings kann man den Damen am Checkin nicht vorwerfen, sie hätten nicht gelächelt. Im Gegenteil, das Lächeln war grimassenhaft ins Gesicht gemeißelt. Sie beteten wie Automaten mit aufgesetzter Freundlichkeit immer wieder auf ganz besonders lieblose Weise die immer gleichen Sätze runter: Sie bekommen eine Speisekarte. Stopp. Sie suchen sich was aus. Stopp. Sie bestellen ihr Menü und das erste Getränk bei mir. Stopp. Dann holt sie ihr Kellner ab. Stopp.

Foto
Raise the level of excitement even higher!!11!

So wie beschrieben, passierte alles. Wir warteten 25 Minuten ohne Getränk in unverrutschbaren Riesensesseln auf unseren Kellner. Der stellte sich namentlich vor und eilte Richtung Dunkel. An der Lichtschleuse angekommen, wurde uns erklärt, es gehe jetzt in einer Polonaise zum Tisch. Wir traten mit der Hand an der Schulter des Kellners ins Dunkel und wurden umspült von einer Woge Lärm und stickiger Luft.
Die Einweisung am Tisch lautete: Eingießen selbst. Finger ins Glas, dann merkt man wie voll es ist. Gabel, Messer, Löffel links und rechts. Dessertlöffel oben. Hier ihre Vorspeise.

(Achtung! Spolier! Auf der Menükarte heißt das „Eine Kostprobe aztekischer Männlichkeit gebettet auf ein vielfarbig geschmücktes Grün“)

Die Vorspeise war bei mir ein ungewürzter Endiviensalat mit Rote Beete. Glücklicherweise hatte mein Mann sich für ein anderes Menü entschieden. Er schenkte mir einen Balsamicopilz und zwei Hobel Käse.

Der Hauptgang war okay. Die Nachspeise jo – süß, nä.

Nach ca. zwei Minuten gab ich alle Versuche auf gesittet mit Messer und Gabel zu essen. Selbst wenn ich mal ein Stückchen Essen traf, fiel es mir so oft von der Gabel, dass ich absehbar nicht satt werden würde. Da es glücklicherweise dunkel war, benutzte ich meine Hände. Nach zwei Stunden hatte ich meine Hände in Rote Beete, Fleisch, unterschiedliche Gemüse und Ahornsirup getaucht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich nicht die einzige war, die das kultivierte Essen aufgab. Feuchte Tücher oder ähnliche Hilfsmittel gab es auch auf Anfrage nicht. So blieb mir nichts anderes, als meine Finger exzentrisch abzulecken und mir Papierserviette an die fettverschmierten Finger zu rubbeln. Eine andere Methode hatten meine Vorgänger, hauptsächlich Rechtshänder, entdeckt: Essensreste unter der Armlehne des Stuhls abreiben. Auch ein sehr sinnliches Erlebnis.

Nach zwei Stunden waren wir fertig und ließen uns vom Kellner wieder ans Licht bringen. Von dort wird man an die Kasse geschleust. Zahlen schien das Wichtigste zu sein. Bezahlt haben wir deutlich über 100 Euro. Menschen, die mich kennen werden wissen, ich habe noch nie in meinem ganzen Leben so viel Geld für Essen ausgegeben. Erst wenn man seine Kreditkarte brav durch den Leseschlitz gezogen hat, darf man hinter einer Säule schauen, was man eigentlich gegessen hat.

Bei dem Menü, das ich bestellt hatte,  wurden Satespieße angepriesen. Die hatte ich definitiv nicht bekommen. Anstattdessen hatte man mir die Vorspeise des vegetarischen Menüs serviert. Ich informierte das Servicepersonals darüber – schließlich gab es einen deutlichen preislichen Unterschied zwischen den beiden Menüs. Statt „Das tut mir leid, das leite ich weiter“  bekam ich ein „Sind sie sich sicher?“ Das fand ich ziemlich frech. Ich mag ja wenig sensibel sein aber Rote Beete kann ich auch blind von Satespießen unterscheiden.

Gelungener Witz, den ich hiermit würdige.
Gelungener Witz, den ich hiermit würdige.

Zusammenfassend kann man sagen: ich war noch nie teurer, mittelmäßger und herzloser Essen. Das Konzept der Dunkel-Bar ist ganz und gar nicht Menschen zu erfreuen und als treue Kunden zu binden. Was die Dunkel-Bar gerne möchte ist: in einem glatten, reduzierten Prozess eine maximale Masse an nie wieder kehrenden Menschen durch die Restaurantmaschinerie zu schleusen. Und wenn man es so sieht, dann kann man sagen: Bravo! Ziel zu 100% erreicht.

 

 

 

* „Das Restaurant hat eine Fläche von 250qm mit 65 Tischen (!), wo zeitgleich ca. 170 Gäste platz haben

Andere Stimmen: „Das Essen ist auch nach unserer Meinung nur Kantinnenqualität.“ und „Störend fand ich von Anfang an die lauten Walkie-Talkie Anweisungen an die Kellner, gesessen haben wir auf simplen Stapelstühlen. Insgesamt eine eher unruhige Kantinen-Atmosphäre.“ und „Ankunft im überfüllten Vorraum und Check-In (nicht Begrüßung) nach Warten in einer Schlange. […]  wurden wir dann […] in den den Gastraum geführt, der uns mit einem akustischen Eindruck zwischen Bahnhofshalle und Okoberfestbierzelt empfing und der über die gut zwei Stunde anhielt, die wir für das Essen brauchten. Wände und Tische machten einen etwas klebrigen Eindruck, das Bier war warm, das Essen – nun ja – ok.“

Vielleicht lädt uns die Konkurrenz, das Nocti Vagus, mal zum Vergleich ein. Die scheinen zumindest im aktiven Dialog zu ihren Kunden zu stehen und an Feedback interessiert zu sein.

Die Überschrift des Blogartikels ist ein Zitat aus der englischen Speisekarte (siehe  gelbes Bild in der Mitte des Artikels)

Buon Natale!

Ich wünsche allen frohe Weihnachten und danke euch für das schöne Blogjahr.

Liebe Leserinnen und Leser, liebe Kommentatorinnen und Kommentatoren, liebe Verlinkerinnen und Verlinker, liebe empörte Besucherinnen und Besucher,

ich wünsche Euch allen frohe Weihnachten und einen nachsichtigen Blick auf die Welt.

Ich möchte Euch an dieser Stelle für all das danken, das ihr mir einfach so geschenkt habt. Die vielen Tipps und auch die vielen Kommentare, die Blogeinträge noch lustiger gemacht haben oder mich dazu gebracht haben Dinge nochmal zu überdenken oder sie in einem anderen Licht zu sehen oder Aspekten meine Aufmerksamkeit zu schenken, die ich bislang übersehen habe oder die mir völlig unbekannt waren. Ich danke Euch!

Mein lückenloser Lebenslauf

Christoph Koch schreibt über Lücken im Lebenslauf – Zeiten in denen man einfach mal gar nichts gemacht hat und warum das eigentlich gar nicht so schlimm ist und führt den Werdegang von Steve Jobs und Andreas Altmann als Beispiel ins Feld.

Ein anderes Beispiel, warum man sich für Gammelmonate – ja vielleicht sogar Gammeljahre – wirklich nicht zu schämen braucht, ist Andreas Altmann. Der Bestsellerautor von »Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend« fing erst mit dem Schreiben an, als er 38 war.

Der Artikel ist gut geschrieben und natürlich stimmt es, dass man sich wegen einiger Monate, die man mal nicht arbeitet, nicht verrückt machen soll. Jedoch gefallen mir zwei Aspekte daran nicht:

Erstens: Die allerwenigsten von uns werden jemals ähnliches vollbringen wie Steve Jobs oder Andreas Altmann. Das sind die Ausnahmen unter den Ausnahmen. Den Glauben zu sähen, dass wir alle Chancen auf ähnliche Biographien haben, fühlt sich irgendwie falsch an. Wir sind nicht Steve Jobs. Wir sind durchschnittiche Menschen mit durchschnittlichen Begabungen, die durchschnittlich viel Glück oder Pech haben. Die meisten von uns werden einfach irgendeinen Job machen, der Geld bringt (Manchen wird nicht mal das vergönnt sein). Wenn man Glück hat, macht man ihn gerne. Aber selbst die Jobs, die man gerne macht, machen nicht ununterbrochen Spaß. Ich mag es irgendwie nicht Kindern und Jugendlichen diesen „Ihr könnt ALLES werden“-Floh ins Ohr zu setzen. Wir werden nicht alle reich und berühmt.

Das ist sehr spaßbremsig, ich weiß. Ich werde meinen Kindern ganz bestimmt nicht sagen: „DU kannst kein Künstler/Sänger/Autor/… werden.“ Können Sie gerne werden. Warum nicht. Aber ich werde ihnen nicht sagen, dass sie bestimmt den Durchbruch schaffen werden. Ich werde ihnen eher sowas sagen wie: „Klar kannst Du Musiker werden, warum nicht? Aber sei Dir klar darüber, dass das finanziell kein Spaß wird. Du wirst wahrscheinlich von der Hand in den Mund leben und manchmal vielleicht sogar gar kein Geld haben. Vermutlich wirst du dich zehn Jahre anstrengen, bevor überhaupt irgendwas passiert.“

Ich werde sie unterstützen und bestärken, aber mir geht dieses illusorische Vergleichen auf die Nerven.

Ein ganz anderer Aspekt an dem „Mach doch mal ne Auszeit – einfach so“ ist das Finanzielle. Ich habe mein Studium so schnell wie möglich beendet und dann angefangen zu arbeiten, weil ich Geld brauchte. Ich habe von 800 Mark im Monat gelebt. Mehr konnte ich neben dem Studium nicht verdienen. Ich habe Jobs gemacht für die ich pro Stunde 7,40 DM verdient habe. Ich habe jede Baumarktinventur mitgemacht, die zusätzlich am Wochenende aufzugabeln war. In den Semesterferien habe ich durchgearbeitet. Die gräßlichsten Jobs. Nach Abschluss meines Studiums habe ich Nachtschicht gearbeitet, weil das mehr Geld gab und dann habe ich unterbezahlte Praktika gemacht, bei denen ich 60 Stunden gearbeitet habe und hätte mein damaliger Freund mich nicht finanziell unterstützt – ich hätte nicht davon leben können. Ich finde es sehr luxuriös mal eine Auszeit zu nehmen und ich habe es (damals) nie geschafft vorher etwas dafür beiseite zu legen. Schulden wollte ich nicht machen. Also habe ich gearbeitet um einerseits Geld zu verdienen und mir andererseits eine Perspektive zu schaffen später mal (finanziell) sorglos leben zu können und im Idealfall das Geld zu haben, meinen Kindern den ein oder anderen Nebenjob zu ersparen.

Jetzt habe ich einen soliden Job. Ich habe nicht jeden Tag Spaß – aber es gibt sehr viele Aspekte, die mir an meinem Arbeitsleben gefallen. Manchmal denke ich, es wäre schön einen Beruf zu haben, in dem ich mehr schreiben könnte – aber dann lese ich Artikel wie den von Kathrin Passig und das macht mich demütig. Wenn jemand, der so klug und begabt ist, so zu kämpfen* hat, was wäre dann bitte mein Schicksal?

Ich bin vom Thema abgekommen: Ich glaube auch, dass die ein oder andere Lücke im Lebenslauf nicht schlimm ist – aber dies immer damit zu verknüpfen, dass man sich das auch mal leisten soll oder dass Lücken fast schon ein Indikator sind, dass einem eine großartige Zukunft erwartet – nun – das ist Quatsch.

Ich hatte dieses Jahr eine ernüchternde Einsicht: Wenn ich in dem Beruf arbeiten würde, in dem ich meine gerne arbeiten zu wollen, würde ich so gut wie nichts verdienen und das würde mir nicht gefallen. Das war schockierend. Bekommt man doch von allen Seiten dieses Selbstverwirklichungdingens eingehämmert. Anscheinend geht es anderen ähnlich. Anke Gröner schrieb vor einigen Monaten „Anfang des Jahres begann ich, mich in Jobbörsen umzusehen, die irgendwas mit der Oper zu tun haben, aber mir wurde relativ schnell klar, dass ich a) doch zu gerne Geld verdiene, als in diesem Bereich zu arbeiten und b) ich Oper lieber weiter als Zuschauerin wahrnehmen möchte anstatt hinter den Kulissen im Marketing oder in der PR.

(Davon abgesehen bin ich viel zu ängstlich mein Leben auf den Kopf zu stellen – weswegen ich Anke Gröner, die jetzt wieder studiert, sehr bewundere.)

 

Nachtrag: * „Kämpfen“ im Sinne von einen Vollzeitjob haben und trotzdem nicht so viel verdienen, dass man völlig sorglos davon leben und im besten Fall auch noch ausreichend Altersvorsorge betreiben kann – v.a. als Selbständige/r nicht. Ich habe das „ganz normales deutsches Durchschnittseinkommen“ im Text sehr wohl gelesen und finde es eben erschütternd, dass von so einem Gehalt zum Teil ganze Familien ernährt werden müssen.

Kathrin Passig sieht das anders:

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Ich bin ein Lesefreund

Das Internet ist voller Lesesüchtigen. Trotzdem verlose ich im Rahmen des Welttag des Buches einige Exemplare „Die Vermessung der Welt“.

Heute, am 23. April, ist Welttag des Buches. In diesem Rahmen konnte man sich bewerben Lesefreund zu werden und eines seiner eigenen Lieblingsbücher in 30facher Ausgabe zum Weiterverschenken gewinnen. Verschenkt werden sollen sie an „gerade die, die wenig, selten oder gar nicht lesen“.

Weil ich zu meiner großen Freude gewonnen habe, nehme ich an, das damit unter anderem Menschen im Internet gemeint sind. Diese digitalen Banausen, die Print nicht mehr würdigen und Teil der berüchtigten Alles-für-Lau-Kultur sind, wie aktuell geführte Debatten zum Urheberrecht nahe legen. Jetzt ist das Internet in meiner Wahrnehmung aber voll von Lesefreunden. Eigentlich ist das Internet ein einziges Sammelsurium an Lesesüchtigen. Menschen, die nicht nur Abends oder auf dem Weg zur Arbeit in den öffentlichen Verkehrsmitteln lesen sondern wann immer es geht. Morgens beim Aufstehen, beim Frühstück, auf dem Weg in die Arbeit, in der Mittagspause, nach der Arbeit, am Abend, am Wochenende, bei Familienfesten und notfalls auch am Klo.

Deswegen ist das Internet ein ganz schlechter Ort Menschen zu finden, die wenig oder fast gar nicht lesen. Ich habe also lieber im echten Leben nach diesen Menschen gesucht, die Die Vermessung der Welt von Daniel Kehlmann immer noch nicht gelesen haben, obwohl es schon 2005 herausgekommen ist und millionenfach verkauft zu den wichtigsten Werken der deutschen Nachkriegsliteratur gehört.

Die Vermessung der Welt habe ich die ersten zwei Tage nach der Geburt von Kind 3.0 gelesen. Kind 3.0 auf der einen Seite des Stillkissens, das Buch auf der anderen. Ich las es quasi auf Ex – auch in der Hoffnung dass Kind 3.0 so zu einem schrägen, allwissenden Mathematikprofessor wird, weil es quasi die Grundlagen dazu mit der Milch aufsaugt (und wenn das nicht, dann wenigstens zu einem Bestsellerautor).

Ich mochte v.a. die Charakterzeichnung der Hauptfiguren und irgendwann ist mir aufgegangen, dass Carl Friedrich Gauß und Alexander von Humboldt wohl die ersten portraitierenswerten Nerds waren, wie sie in den erfolgreichen und modernen Nerd-Serien wie The IT Crowd oder The Bing Bang Theory dargestellt werden. (Mit dem kleinen Unterschied, dass es statt des klassischen Stupid Girls unter den Antagonisten einfach gar keine Frau gab, wenn ich mich recht erinnere).

Mir gefiel unter anderem das Tempo der Erzählung. Es folgt der Art wie man Achtzehnhundertirgendwas reiste. Unglaublich langsam und zum Teil sehr anstrengend. Genau das aber gibt dem Leser die Gelegenheit die Hauptcharaktere kennzulernen und in deren Wahrnehmungs- und Denkmuster einzutauchen. Ich habe im Anschluss an das Buch angefangen über Gauß zu lesen, weil mich interessiert hat, wie viel Fiktion dem Buchcharakter angedichtet wurde. Sehr sympathisch erschien mir seine ihm oft unterstellte Arroganz, wenn er nach Erfindung bestimmter Apparaturen behauptete, er habe das schon Jahre zuvor erfunden, jedoch wegen Irrelevanz nicht veröffentlicht. Tatsächlich geben seine Tagebücher Hinweise darauf, dass Gauß damit nicht angab, sondern er vieles wirklich schon erfunden hatte, bevor ein anderer es erfand bzw. öffentlich präsentierte.

Wie dem auch sei, ich liebe dieses Buch sehr, allem voran weil es zum größten Teil in indirekter Rede geschrieben ist und mir so wirklich ermöglicht hat Teil der Geschichte und nicht nur Danabenstehende zu sein.

Natürlich möchte ich dem Internet, an dem mir viel liegt, ebenfalls einige Exemplare zukommen lassen. Deswegen verschenke ich die letzten zehn Bücher hier. Wer Interesse hat, in den Kommentaren melden. Damit ich Kontakt wegen der Postadresse aufnehmen kann, bitte Emailadresse hinterlassen. Ich schicke das Buch per Buchsendung oder (da hätte ich Euch besonders lieb), drücke es Euch auf der re:publica (zu der ja das komplette Internet geht) in die Hand. Sollte es mehr Interessenten als Bücher geben, wähle ich per Los aus. Es werden alle Interessenten bis einschließlich Freitag, den 27.4.2012 um 24h für die Verlosung berücksichtigt. Bestechungen aller Art werden gerne angehört und auf Attraktivität geprüft.

Die Gewinner heißen:

Andy, Ole, Timo, regenrot, Tula Scribachina, Marcel, Jane, Phiala, Claudia und Sarion. Ich schicke Euch eine Mail. Fröhliches Lesen!

Wo sind die Neologismen wenn man sie braucht?

Beim Internetings fehlen mir die Worte.

Neulich, als ich über Internetsucht erzählen sollte, habe ich mir fast einen Knoten in die Zunge gemacht, weil ich keine adäquaten Worte hatte. Die Sprache hat sich bei mir zumindest den Gegebenheiten noch nicht angepasst. Die meisten Formulierungen rund ums Internet klingen furchtbar, weil sie einfach nicht mehr den Kern der Sache treffen.

Ich gehe jetzt ins Internet. Zeit im Internet verbringen. Ich gehe jetzt online. Leute, die viel Zeit im Internet verbringen. Leute, die das Internet verwenden. Leute, die das Internet benutzen. Die Netzgemeinde? Die digitale Gesellschaft? Die Digital Natives?

Fast alle sprachliche Formulierungen teilen die Vorstellung, dass es eine „reale Welt“ und eine „Internetwelt“ gibt, dass es „echte“ Menschen/soziale Beziehungen gibt und „virtuelle“ Menschen/soziale Beziehungen und sie werten dabei. Das Echte ist nämlich gut und das Virtuelle irgendwie zweitrangig.

Pjotr Czerski hat das  zugrunde liegende Denkproblem vor längerem mit „Wir, die Netz-Kinder“ wesentlich blumiger und treffender dargestellt. Allerdings ist es jetzt an der Zeit neue Worte zu finden für dieses Internetdings. Nur welche?

 

Online Talk bei DRadio Wissen

Am Samstag zwischen 11.00 und 12.00 Uhr war ich bei DRadio Wissen beim Online Talk zum Thema Eltern im Netz.

Gestern war ich gemeinsam mit Franziska Bluhm (franziskript) und Nina Pagalies (wortwusel.net) im Online Talk bei Daniel Fiene und Herrn Pähler im Radio zu hören.

Nach dem Studium hatte ich den großen Traum ein Volontariat beim Radio zu ergattern. Das war natürlich unmöglich. Ich hab mir jedenfalls das Radio als geschäftiges Gewusel vorgestellt, eher so wie einen Bienenstock. Meine einzigen beiden Radioerfahrungen – hier und bei Radio Fritz bei trackback – haben mich eines Besseren belehrt. Während bei trackback der Moderator Marcus Richter noch anwesend war und mir sehr freundlich alles erklärt hat, war ich gestern im RIAS-Gebäude alleine. Alle anderen saßen in Köln. Ich wurde in ein Zimmer gesteckt, in dem Kopfhörer lagen und diese Mikrophone, die mich an die 20er Jahre erinnern und im anderen Zimmer schaute ein Techniker ratlos auf Knöpfe und erklärte mir rein gar nichts. Macht aber nichts, denn im Wesentlichen war es eine Telefonkonferenz und diese Art der Kommunikation ist mir bereits bekannt.

Jedenfalls hat es wieder Spaß gemacht und ich bin voller Bewunderung für all jene, die in Interviews nicht ständig äh sagen und auf spontane Fragen vollständige und vernünftige Sätze von sich geben. Kann man das einfach oder lernt man das?

Mehrere Aspekte sind mir geblieben:

1) Ich finde es schade, dass Nina Pagalies nicht viel stärker rausgestellt hat, dass gerade Lyrik für Kinder ein wunderbares Feld ist. Bzw. natürlich hat sie sich stark dafür gemacht, aber sie hätte deutlicher raus stellen können, dass Lyrik und Kinder eben keine exotische sondern eine sehr geeignete Kombination ist. Bei unseren Kindern mache ich die Erfahrung, dass sie unfassbar viele Gedichte und Lieder auswendig können – v.a. bevor sie schreiben können. Es muss ja nicht immer Goethe sein. Peter Fox ist auch Lyrik und begeistert Kinder ohne Ende. Auch wenn es seltsam ist, Vierjährige singen:

Halb Sechs, meine Augen brenn,
Tret auf n‘ Typen der zwischen toten Tauben pennt
Hysterische Bräute keifen und haben Panik,
denn an der Ecke gibt es Stress zwischen Tarek und Sam:
Tarek sagt „Halt’s Maul,
oder ich werd dir ins Gesicht schlagen!“
Sam hat die Hosen voll, aber kann auch nicht nichts sagen –
Die rote Suppe tropft auf den Asphalt

(Peter Fox, Schwarz zu Blau, Stadtaffe)

2) Auch fand ich das Thema Kinder und Netz sehr interessant. Diese Idee alles zu filtern und nur bestimmte Inhalte zugänglich zu machen, ist vielleicht ein guter Einstieg. Ab einem gewissen Alter, schützt man seine Kinder auf diese Art jedoch vor gar nichts mehr. Da geht es dann tatsächlich um Verständnis und Vertrauen schaffen. Vertrauen, dass die Kinder eben bestimmte Inhalte nicht (oder nicht zu viel konsumieren). Irgendwie finde ich es seltsam Kinder in so eine künstliche Blase zu setzen und sie nicht wirklich fit für einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Netz zu machen.

Ich stelle mir immer vor, dass das wie damals mit dem Fernsehen ist. Da gab es drei Sender und feste Kindersendungensendezeiten. Ich durfte Wickie, Heidi und Captain Future sehen und fertig (OMG! Ich bin ausschließlich mit Animes groß geworden!!!) Damit haben meine Eltern meinen Fernsehkonsum inhaltlich wie zeitlich reguliert. (Als Analogie zum gefilterten Netz) Andere Kinder, bei denen ich zu Besuch war, durften entweder anderes anschauen oder aber sie taten es in Abwesenheit der Eltern einfach. Natürlich habe ich aus Neugierde und Gruppendrang auch Verbotenes gesehen (Teufelswerk Videorekorder!). Allerdings war ich wirklich zart besaitet. Mit neun habe ich Gremlins gesehen und wochenlang Nachts furchtbare Angst gehabt. Allerdings konnte ich nicht zu meinen Eltern, weil ich ihnen ja nicht sagen konnte woher meine Ängste kommen. Solche Situationen möchte ich meinen Kindern ersparen und ansonsten hoffe ich, dass sie sich vernünftig selbst regulieren. Ich habe nämlich sonst immer alleine den Fernseher aus gestellt, wenn etwas für mich Gruseliges kam. Irgendwie haben es meine Eltern geschafft mir gute Antennen zu verleihen, so dass ich einschätzen lernte, was für mich geeignet ist und was nicht.

Deswegen hoffe ich, dass wir unsere Kinder vernünftig an das Netz heran führen. Sie lernen damit für die Schule zu arbeiten und Informationen zu recherchieren, die sie interessant finden. Auch sollen sie lernen, dass Informationen gegengecheckt werden. Nicht alles, was in der Zeitung oder in der Wikipedia steht, ist richtig. Über Wikipedia und Co. hinaus lernen wir gemeinsam Seiten kennen, welche die Form von Unterhaltung bieten, die sie sich wünschen. Das Thema soziale Netze spielt aufgrund des Alters noch keine Rolle. Was den Konsum angeht, finde ich es am Anfang sinnvoll Kinder an einen Wohnzimmer-Rechner zu setzen und ihnen nicht gleich einen Computer im eigenen Zimmer zur Verfügung zu stellen und dann leider auch – sich als Erwachsener mäßigen (z.B. Handy beim Essen aus stellen).

Mich interessiert trotzdem: Wie geht ihr mit dem Thema Internet und Kinder um? Einen Eintrag dazu habe ich bei Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach gefunden.

3) Der Titel der Sendung lautete „Mama-Blogs und Papi-Foren“. Irgendwann kam die Frage nach den Männern bzw. Vätern. Es gäbe ja so viele Mama-Blogs und so wenig Papa-Blogs. Habt ihr auch den Eindruck? Ich nicht. Mir fallen spontan ein:

Herzdamengeschichten
How To Be A Dad
Made by Joel
Die Olsenban.de
Grindblog mit zugehörigem Twitteraccount

Wobei natürlich einige der Links keine Papa-Blogs in dem Sinne sind, dass sie sich nur mit dem Vatersein und dem Kinderhaben beschäftigen. Aber dann hätten sie mich nicht einladen dürfen. Ich empfinde mich überhaupt nicht als Mama-Blog. Ich schreibe über alles was mich interessiert und da meine Kinder im Moment einen großen Teil meines Lebens einnehmen und auch dankbare Geschichtenprodzenten sind, ist hier im Moment viel über Kinder zu lesen. Die meist gelesenen Artikel im letzten Jahr waren aber:

FDP Wahlplakate
Internetabhängig. Ich so – aus Gründen
Über die Psychologie von Katzenpostings
Gastarbeiter und Döner-Morde

Abenteuer Whirlwanne

Was man im Leben wirklich nicht braucht. Auch nicht als MillionärIn: Einen Whirlpool

Neulich war ich einige Tage bei Freunden zu Besuch, die gerade umgezogen sind. In eine Wohnung, die bereits über eine Whirlbadewanne verfügte. Es ist wichtig zu wissen, dass die Wanne bereits vorhanden war. Ich möchte nicht, dass andere denken, ich hätte Freunde, die bescheuert sind.

Bescheuert muss man aber sein, wenn man eine Whirlwanne kauft. Preislich beginnt der Spaß beim Neuerwerb bei ca. 2.000 Euro. Nach oben sind natürlich keine Grenzen gesetzt. Die Modelle tragen Namen wie Lotus oder Blue Moon und suggerieren Entspannung und Erholung. Jeder, der schon mal in so einer Whirlwanne lag, weiß, angemessenere Namen wären Trommelfellruptur oder Fortissimo. Ich wußte das nicht. Ich dachte, als ich die Wanne musterte: „Ach Mensch, nette Idee. Wenn man so mit Kindern abends an die eigenen vier Wände gefesselt ist, dann ist so eine Whrilwanne doch eine schöne Idee. Wenn die Kinder schlafen, legt man sich da rein – womöglich noch gemeinsam mit dem Partner und entspannt ein bißchen.“

Es ergab sich, das meine Freunde tagsüber unterwegs waren und ich mich ein bißchen langweilte. Deswegen entschloss ich mich, die Wanne mal zu testen und ließ sie voll laufen. Dann legte ich mich rein und betätigte den Wasserumwälzschalter. Im gleichen Moment spürte ich einen grauenerregenden Schmerz im linken Oberschenkel. Es dauerte eine Weile bis ich begriff, dass mein Oberschenkel an die Stelle gekommen war, an der das Wasser angesaugt wurde, um zu den acht Düsen wieder raus geschossen zu werden.

Den handtellergroßen Bluterguss, den ich mir so zugezogen hatte, konnte ich jedoch nicht begutachten, weil das Bad innerhalb weniger Sekunden in mehreren Kubikmetern Schaum versank. Ich hatte völlig unerfahren einen tüchtigen Schuss Duschgel in das Becken geschüttet. Als wäre die Sache nicht schon unangenehm genug, stellte ich kurze Zeit später fest, dass ich über und über mit Fetzen eines dünnen Schimmelteppichs übersät war. Die Wanne war – aus Gründen – offensichtlich mehrere Monate – wenn nicht sogar Jahre – nicht benutzt worden. Die stinkenden Schimmelstückchen verklebten meine Augen und ich tastete blind nach der Stopp-Taste. Neben all diesen grässlichen Effekten, machte die Wanne unfassbar laute Geräusche, die ich bislang nur vom Durchzappen bei den N24 Kriegsreportagen kannte. Diesen Monsterapparat konnte man also auf keinen Fall benutzen wenn die Kinder schlafen. Würde man es versuchen, stünden die Kinder innerhalb weniger Sekunden verstört in der Badezimmertür. Man könnte die Wanne überhaupt nie verwenden. Die Nachbarn würden sich beschweren – zurecht! Es war absolut furchtbar! Grauenerregend! WERKAUFTDENNSOWAS?

Ich nestelte blind nach dem Ausschalter, um dem Grauen endlich ein Ende zu setzen und siehe da: Just in diesem Moment als das Gesprudel und Gesprotze, das Rauschen und Tosen ENDLICH aufhörte, setzte die langersehnte Entspannung ein.

 

P.S. Whirlpools nennt man übrigens auch Jacuzzi. Benannt nach den Brüdern Jacuzzi, die Ende der 50er eine portable Hydrotherapie-Pumpe für medizinische Zwecke entwickelten. Die Jacuzzis waren Italiener. Womit wieder bewiesen wäre, dass die Italiener so ziemlich alles erfunden haben.

P.P.S. Das neue Wort zu diesem Artikel lautet Sielhaut. Sielhaut war das, was ich mir im Anschluss an diese Erfahrung vom Körper schrubbte. „Sielhaut ist ein Biofilm, [der in Innenflächen des Wasserdüsensystems eines Whirlpools entstehen kann]. Sie besteht zum überwiegenden Teil aus toter und lebender Biomasse sowie aus anorganischen Bestandteilen.