Jodhpur-Stiefeletten

Es ist so: Ich wollte nie, dass unsere Kinder in geschlechtsspezifische Rollenvorlagen gepresst werden. Im Hause Nuf waren die Farben Rosa und Hellblau verboten. Brachte ein Familienmitglied geschlechtsspezifische Merchandiseartikel mit nach Hause, gab es zwei Jahre Hausarrest. Tat ein Besucher das selbe, wurde nach einem langen Vortrag über geschlechtsneutrale Erziehung und negative Beeinflussung der Charakterentwicklung durch Konsumartikel mit mangelnder Genderneutralität die Freundschaft für die selbe Zeitspanne vorübergehend ausgesetzt.

Wenige Jahre später sind es die Kinder, die uns alles verbieten, was nicht eindeutig einem Klischee entspricht. Wie bei den Borg ist auch hier Widerstand völlig zwecklos. Nach Rosa, Hellblau, Hello Kitty, Barbie, Transformers, Power Ranger, etc. dachte ich nicht, dass es eine Steigerung gibt. Es gibt sie aber und sie heißt Pferd.

Mit Pferden kenne ich mich ungefähr so gut aus wie mit dem kambodschanischen Gesundheitssystem. Nein, halt, da habe ich mal eine Dokumentation auf Arte gesehen – also eher wie mit Techniken des Phosphatabbaus in Nauru.

Pferde sind mir fremd. Wenn ich an einem Pferd vorbei komme und es grüßt zeitgleich ein anderes Pferd, denke ich, es will mich auffressen. Ich schaue mir die Zähne an und bin mir sicher, wenn Pferde alleine sind, dann zupfen sie nicht Grashalme von der Wiese oder knabbern Möhren – nein – dann fressen sie Menschen, die sie vorher durch ihren unschuldigen Pferdeblick auf die Weide gelockt haben.

Kind 2.0, Körperhöhe 110 cm weiß das nicht. Anders kann ich mir nicht erklären wie es so arglos auf die gut doppelt so großen Lebewesen zuspringt und sie freudig füttert. Zudem schleppt es seit Wochen Pferdeliteratur an und ich muss mir dann die Zunge an Begriffen wie Jodhpur-Stiefeletten und Chaps brechen. Der ganze Fachtext ist durchzogen von seltsamen Begriffen, die mein Lesetempo stetig verlangsamen bis es schließlich ganz zum Stillstand kommt und ich laut buchstabiere wie ein Erstklässler Kardätsche „K A R D Ä T S C H E“. Vier Millisekunden später habe ich das Wort schon wieder vergessen. Am Reiterhof mache ich deswegen keine besonders gute Figur.

„Welche von den Dingern hier muss Kind 2.0 noch mal nehmen?“

„Die Wurzelbürste“

„Kann man damit auch die Augen sauber reiben?“

„…“

Kind 2.0 hat mit der Unterstützung von Kind 1.0 jetzt ein Pony-Fach-Know-how-Video recherchiert, das ich anschauen und auswendig lernen muss. Hab es bislang noch nicht länger als bis Sekunde 10 geschafft. Da fängt die Musik an und ich bekomme ein nervöses Zucken im rechten Auge und falle in einen katatonen Zustand.

Wie so oft mit Kindern – am Ende hilft nichts und so bleibt mir nur das Gute am Thema Reiten zu sehen, was da wäre:

1. Wenn ich mich in der Nähe von Pferden aufhalte, muss ich nicht mehr zum Blutschröpfen, um mein Blut frisch und flüssig zu halten. Die Mengen an Blut, die mir Pferdemücken absaugen, entsprechen ungefähr einer monatlichen Blutspende.

2. Empfinde ich es nicht mehr als Beleidigung wenn man zu mir sagt, ich sei eine Schabracke. Schließlich gibt es durchaus attraktive Satteldecken.

My little Alien von Mari Kasurinen

Quelle des Bildes „My little Alien“ von Mari Kasurinen

Und? Schläft es schon durch?

Wenn man Kinder hat, dann gibt es Fragen, die total nerven. In den Top Ten ist die Frage „Und? Schläft es schon durch?“ Alltime Spitzenreiter. Das letzte Mal wurde mir diese Frage wenige Tage nach der Geburt von Kind 3.0 gestellt.
Ich habe geantwortet: „Nein, aber ich mache mir keine Sorgen. Mein Mann ist 38 und der schläft auch noch nicht durch…“

Durchschlafen. Erziehungsziel Nummer eins.

Die allerwenigsten Kinder schlafen einfach durch. Mir ist auch kein Rat bekannt, der Kinder dazu bringt durchzuschlafen. Es passiert, wenn es passiert. Über das Durchschlafen gibt es also im Grunde nichts zu schreiben. Über die Art und Weise wie man die Nächte mit seinen Kindern verbringt hingegen schon.

Klar hat man mit kleinen Kindern zu wenig Schlaf. Klar, es wäre toll einfach so mal acht Stunden am Stück zu schlafen. V.a. wenn man berufstätig ist. Für den Wunsch habe ich vollstes Verständnis. Evolutionär bedingt, so meine Überzeugung, bleibt es in den allermeisten Fällen jedoch beim Wunsch.
Ich würde furchtbar gerne etwas völlig undogmatisches und wertfreies über das Schlafen schreiben. Ich fürchte aber, es wird mir nicht gelingen.

Kinder schreien zu lassen und zu erzwingen dass sie alleine im eigenen Bett im eigenen Zimmer schlafen, finde ich persönlich furchtbar und glaube auch nicht, dass es den Babys besonders gut tut.

Mich haben nachhaltig zwei Bücher beeindruckt. Das eine „In Liebe wachsen“ und das andere „Kinder verstehen“. Beide haben in mir das Verständnis wachsen lassen, dass Kinder, v.a. Säuglinge nicht einfach durchschlafen. Ich habe aufgehört darauf zu warten, ich zähle nicht mehr, wie oft wir nachts wach weden und es ist mir auch wirklich egal. Am Ende einer jeden Nacht fängt einfach ein neuer Morgen an.

Ich bin großer Freund des Familienbetts. Die ersten Monate haben unsere Kinder direkt in unserem Bett geschlafen und dann in einem Kinderbettchen welches direkt an unser Bett anschließt. Sie waren da die ersten Jahre und haben irgendwann ein eigenes Zimmer samt Bett bekommen und dort schlafen sie jetzt meistens und v.a. freiwillig.
Für uns als Eltern hat das nur Vorteile und unsere Kinder wirken auf mich angstfrei und fröhlich. Das Familienbett erleichtert z.B. ungemein das nächtliche Stillen. Ich wälze mich nur zur Seite (meistens werde ich nicht mal richtig wach) und wir schlafen gemeinsam wieder ein.
Es freut den Vater, der tagsüber mehr als 10 Stunden unterwegs ist und wirklich wenig Zeit mit den Kindern verbringen kann. So ein freudig strahlendes Baby am Morgen fördert doch sehr das Vergessen einer anstrengenden Nacht. Denn trotz des Familienbetts können Nächte natürlich anstrengend sein. Ich habe aber das Gefühl, dass es weniger anstrengend ist.
Woher ich das weiß? Beim ersten Kind habe ich tatsächlich versucht das Neugeborene mehr oder weniger rasch ans eigene Bett zu gewöhnen (Ratgebern der Risikominimierung von SIDS und gesellschaftlichen Zwängen geschuldet). Ich erinnere mich an die Qualen nachts aufzustehen, neben dem Bettchen zu wachen, das Baby nicht rauszunehmen, meine mütterlichen Gefühle zu übergehen, etc. Nach unendlichen drei Wochen habe ich aufgegeben und es tut mir heute noch leid, dass ich es versucht habe.
Die Babys ins Elternbett zu holen, fördert für mich in erster Linie nicht das Durchschlafen sondern das Seelenheil und zwar für Babys und Eltern.

Wie gesagt, macht es wie ihr wollt. Denen, die aber die geringsten Zweifel haben, ich kann sie nur bestärken: Nehmt die Kleinen in Euer Bett, an Euren Körper und schaut, ob ihr Euch damit besser fühlt.

Babybett

Levelboss Baby LeChuck

Recherchen zufolge habe ich 1993 mein letztes Computerspiel gespielt. Es war ein Picture Adventure und hieß Day of the Tentacle. Davor hatte mich für den Vorgänger Maniac Mansion und für Monkey Island begeistert und ich kann mich noch gut daran erinnern mit wie viel Herzklopfen ich nach siebenmaligem Rückfragen endlich die Tür zum Papageien öffnete und dass ich eigentlich fest eingeplant hatte, mein erstes Kind unabhängig vom Geschlecht Guybrush Threepwood zu nennen.

Computerspielen war damals wahnsinnig aufregend. Es zeichnete sich schon früh ab, dass Computerspielen an sich viel zu aufregend für mein zartes Nervenkostüm war. Mehr als die Hälfte meiner Spielzeit blieb ich Passivspielerin. Es begann alles in den 80ern als der erste Junge meiner Klasse einen Computer zuhause hatte. Leider habe ich nie wieder was von dem Jungen gehört, ich bin mir aber sicher, dass er ein super Software-Entwickler geworden ist. Er hatte eine große Brille und diesen ein Kubikmeter großen Kasten mit pizzagroßen Disketten und er ermahnte mich immer: Nix anfassen.
Da saß ich also und schaute ihm beim Spielen zu und er erklärte mir fachmännisch wie die einzelnen Rätsel zu lösen seien. Ich glaube, es gab damals nicht mal Bilder sondern nur Text und erst am Ende der Grundschulzeit pixelige Spiele.
Jedenfalls hatte ich eine kurze Phase des selbst Spielens, die bis in die 90er reinreichte und als dann die Spielkonsolen erfunden wurden und man bei bestimmten Spielen nicht weiter kam, wenn man nicht 10 Jahre Spielerfahrung mitbrachte, setzte ich mich wieder daneben und fieberte bei den anderen mit.

Nun, was ich eigentlich sagen wollte. Manchmal waren die Rätsel der Picture Adventures wahnsinnig schwer zu lösen. Man musste z.B. einem Pferd ein Physikbuch vorlesen, so dass es sich dermaßen langweilte, dass es sein Gebiss rausnahm und in ein Glas legte und mit dem Gebiss konnte man anschließend irgendwas anderes tolles machen. Natürlich hatte ich zu dieser Zeit noch kein eigenes Internet, aber ein Bekannter eines Bekannten in Berlin hatte das und den riefen wir dann an und fragten wie man weiterkommt. Einige Jahre später, war es schon der erste Bekannte selbst, der ins Internet konnte und wir suchten Foren auf, um die Lösung selbst herauszufinden.

Daran muss ich täglich denken wenn ich mit Kind 3.0 den Tag verbringe. Kind 3.0 ist nämlich ein einziges Adventure. Ein sehr vertracktes dazu.
Es isst z.B. nur, wenn es zwei Löffel hat. Ein Löffel muss einen langen Stiel haben und der andere muss blau sein. Man beginnt zu füttern, es füttert sich ein bisschen selbst und dann stoppt es plötzlich. Es isst erst weiter, wenn es zwischendrin drei Mal von einer Maiswaffel abbeißen darf. Das funktioniert eine Woche. Ohne Vorwarnung rekalibriert sich das Baby und das morgendliche Füttern funktioniert irgendwie anders. Ich probiere dann wild alles aus, klicke nehme verschiedene Gegenstände in die Hand, versuche sie zu kombinieren und dann zack plötzlich funktioniert was total abgefahrenes und ich komme eine Runde weiter.

Neben den Rätseln gibt es reine Geschicklichkeitspassagen. Windelwechsel z.B. Das Baby rennt vor mir weg oder quetscht sich in Nischen und beißt, wenn ich es rausholen möchte. Manchmal reißt es sich die Windel selbst ab und pullert innerhalb von wenigen Minuten mehrere Duzend Male in verschiedene Zimmerecken so dass ich mit dem Wischlappen hinter ihm herrenne und gleichzeitig versuche die neue Windel anzulegen.
So wie vor 20 Jahren liegen mir die Rätsel eher als die Geschicklichkeitsspiele. Die Rätsel löse ich selbst, organisiere mir Lösungen von anderen SpielerInnen oder lese in Foren nach.
Die Geschicklichkeitsaufgaben lasse ich gerne meinen Mann machen.
Soll einer mal sagen Computerspiele seien nicht lebensrelevant. Ohne die Monkey Island Serie hätte ich keines meiner Kinder vernünftig aufziehen können.

Der schönste Laden in Berlin

Koperni-Kuss, so heißt der schönste Laden in Berlin, achwas in Deutschland, DER WELT!
Ich weiß gar nicht wie lange es ihn schon gibt, aber wer noch nicht da war, sollte unbedingt mal hin. Wenn man ein kleines Geschenk für eine Freundin sucht, für das Patenkind, für die eigenen Kinder, für Kindergeburtstage, für sich selbst, für Mutti oder einfach Dekolücken in der Wohnung hat – unbedingt dort hingehen. Man findet immer was.

Besonders bezaubernd auch die Besitzerin, die dezent berät, einen auch einfach schauen lässst, dabei charmant das Kind und gegebenenfalls auch eine ganze Kinderhorde bespaßt. Wenn man fündig geworden ist, zaubert sie die herzallerliebste Verpackung. Ich kann wirklich gar nicht aufhören zu lobhudeln, weil der Laden so bezaubernd ist.
Gleichzeitig ist der Laden übrigens ein Café mit Spielecke.
Wer seinen Besuch unterbringen möchte, kann über fewo.direkt.de eine der beiden Ferienwohnungen mieten, die, wenn man den Fotos im Schaufenster glauben mag, nicht weniger liebreizend als das Geschäft sind.
Deswegen: Hingehen, einkaufen, Kaffee trinken, Besuch unterbringen.
Unbedingt.

Koperni-Kuss

Kopernikusstraße 34
10243 Berlin

Tel.: 030-29369141

Öffnungszeiten

Mo-Fr: 11-19 Uhr
Sa 11-17 Uhr

Schmutz, Gliedertiere und Schürfwunden

Es soll sie ja geben, die Menschen, die lieber auf dem Land leben möchten. Wenn mir wenig klar ist im Leben, dann das: Ich gehöre nicht zu ihnen.
Selbst auf dem Land groß geworden, kann ich mir wenig ätzenderes vorstellen. Xenophobe Menschen, Güllegestank und Kehrwoche.

Gelegentlich wenn mein Zyklus mich hormonell verwirrt, kommen mir doch Zweifel. Die armen Kinder! Nie bauen sie Staudämme an winzigen Bächlein. Nie fischen sie Kaulquappen. Insekten sind ihnen fremd und Bäume kennen sie nur aus Büchern.
Dann frage ich eine liebe Bekannte, die ein Häuschen im tiefsten Brandenburg besitzt, ob wir selbiges mal für ein Wochenende leihen können.

Das Häuschen ist ein Traum für jeden Romantiker. Wie vom Maler Janosch illustriert, gibt es keine gerade Linie an ihm. Jede Ecke hat ein Spinnweben, jeder Topf eine Delle, keine zwei Tassen sind gleich. Es gibt kein warmes Wasser, nicht mal eine Toilette, lediglich ein Plumpsklo mit Rindenschrot kann es bieten.
Nachts pfeift der Wind durch die Fensterritzen und die Igel machen Geräusche, dass man denkt, die Trolle kommen gleich und holen die Kinder.

Am Freitag berichtete ich den Kindern freudestrahlend von meiner grandiosen Idee und schilderte ihnen das Häuschen. Kind 2.0 fing sofort an zu weinen, weil es angst hatte, dass die Spinnen es beim Pipi machen in den Po beißen würden. Das ältere Kind 1.0 wusste es schnell zu beruhigen, indem es versicherte, dass Spinnen nicht beißen und dass wenn überhaupt es höchstens von einer Ratte gebissen werde oder aber von einem Wolf auf dem Weg zur Toilette verschlungen würde. Kind 1.0 sang dann zu den hysterischen Weinlauten von Kind 2.0 Rainald Grebes Lied Brandenburg.

Wir fuhren also am Freitagabend nach Feierabend los und trugen die übermüdeten Kinder durch einen Sturm ins ca. 50qm große Häuschen. Am nächsten Morgen, kaum hatte der Hahn der Nachbarn gegen 4 Uhr gekräht, standen die Kinder auf, zogen sich an und zogen los.
OK, sie wollten sich anziehen und losziehen, nur leider fanden sie nichts passendes.
Ich hatte am Tag zuvor die Wetterlage auf Wetter.de gecheckt und dort gelesen: 16 Grad. Die Windanzeige hatte ich ignoriert und auch sonst war mir zu dem Wetterbericht nicht viel sinnvolles eingefallen.
Für alle Kinder hatte ich Badesachen, mehrere T-Shirts und Sandalen eingepackt.
Jetzt standen die drei weinend und zitternd im Hausflur und schauten mich fragend an. Wir zogen kurzerhand alles was wir überhaupt dabei hatten über die Schlafanzüge und entließen die Kinder in den großzügig bemessenen Garten.
Zwei Minuten später der erste panische Schrei. Kind 2.0 hatte sich schmutzig gemacht. Weitere drei Minuten später der erste Insektenangriff. Wieder drei Minuten später ein blutiges Knie.
So vergingen die ersten Stunden und brachten wenig erbauliches.
Wir Erwachsene wünschten uns beim Anblick des Außenklos die Verstopfungen unserer eigenen Eltern beim Versuch auf fremde Toiletten zu kacken machen.
Nach dem Frühstück jedoch packten wir neuen Mut und tatsächlich das Ist-es-nicht-toll-hier-am-Land-Gefühl stellte sich bald ein.
Wir mähten mit einem analogen Gerät den Rasen, rechten alles zusammen. Die Ränder der Wiese kürzten wir mit Gartenscheren und die Blumen wurden in stundenlanger Kleinstarbeit mit winzigen Gießkannen gewässert. Kind 1.0 kam in einen Mährausch und kürzte gewissenhaft alle Gartenkräuter.
Die Luft roch nach Schnittlauch und Basilikum, wir kochten Nudeln mit Tomatensoße, alle aßen als gäbe es in der kommenden Woche keine Nahrungsmittel mehr. Kind 2.0 und 3.0 verteilten nach alter Manier des Guerilla–Gardening Blumensamen in den Beeten.
Wir fütterten die umliegenden Ziegen, Pferde, Schafe und Nachbarshühner und punkt 20 Uhr fielen die Kinder in Ohnmacht und wachten erst am nächsten Morgen wieder auf.
Wir Eltern saßen bis tief in die Nacht unter einem strahlenden Sternenhimmel, frei jeder Lichtverschmutzung und tranken Gänsewein.
Der darauf folgende Tag verlief ähnlich wundervoll und als ich mir gerade die Hände im Spülbecken beim Spülen verbrühte, weil das Wasser aus dem Wasserkocher wider Erwarten bereits gekocht hatte und ich aus dem Fenster blickte, am Horizont die Kuhherde und unten am Haus Kind 1.0, das gerade versuchte die Nachbarskatze mit einem gellenden KATZIIII KATZIIII anzulocken, da dachte ich einen kurzen Moment: Was wäre es schön auf dem Land zu leben.

Nabelschnurblut spenden

Mit Ausnahme eines Artikels ist die Nido für mich wirklich DAS Elternmagazin und gerade heute habe ich darin wieder etwas gelesen, das mich wirklich betroffen macht. Betroffen weil ich es vorher nicht wusste und weil ich dementsprechend nicht gehandelt habe. Es geht um Nabelschnurblut.
Ich ging bislang davon aus, dass man Nabelschnurblut nur für das eigene Kind sichern kann und da die kommerziellen Firmen, die Nabelschnurblut einlagern mit fraglichen Zukunftsvisionen (in einem Stern-Artikel wird treffend von Dienstleistung ohne realen Nutzen gesprochen) werben und es ohnehin sehr unwahrscheinlich ist, dass eine Eigenspende infrage kommt (die NIDO spricht bei autologen Spenden von 1 auf 200.000 Fällen) und das ganze auch noch recht kostspielig ist, war das für mich nie ein Thema.
Jetzt lese ich allerdings, dass man das Blut auch hätte spenden können und da es ja durchaus anerkannte Einsatzgebiete gibt (Behandlungen bei Erkrankungen des blutbildenden Systems und bei Hauttransplantationen), macht es mich irgendwie betroffen, dass ich aus Unwissen kein einziges Mal spenden konnte und so vielleicht einem anderen, kranken Menschen hätte helfen können.
Es ist ja selten so, dass ich etwas ernstes schreibe, aber, liebe LeserInnen, wenn ihr gerade schwanger seid, informiert Euch bei der Deutschen Knochenmarkspenderdatei gemeinnützige Gesellschaft mbH (DKMS) und spendet und wenn ihr nicht schwanger seid, dann geht doch einfach mal wieder Blut spenden. Das hilft anderen Menschen auch.

Hier eine Liste der Städte bzw. Krankenhäuser bei denen man spenden kann.

Vielleicht fordert ihr auch Informaterial an und reicht das an Eure ehemaligen (Beleg-)Hebammen weiter. Die haben ja gelegentlich mit Nabelschnüren zu tun.

re:publica, Tag 3.0

Da wir für Kind 3.0 erst ab August einen Kindergartenplatz haben, hat sich mein Mann während der re:publica frei genommen. Am ersten Tag haben die Kinder noch nach mir gefragt, am dritten zerrte Kind 3.0 das Kissen aus dem ehelichen Bett, schleppte es zu meinem Mann, der am Computer saß und zeigte das Babyzeichen für Milch. Da sieht man wieder wie flexibel Kinder sind.
Ich muss gestehen, dass ich den letzten freien Vormittag tatsächlich ausschließlich für mich genutzt und total verrückte Sachen gemacht habe. Z.B. habe ich eine Zeitung gelesen und mir 254 verschiedene Brillengestelle auf die Nase gesetzt.

Aus logistischen Gründen war es mir nur möglich drei weitere Programmpunkte mitzuverfolgen. Zum einen den Vortrag von ixDie Zukunft des Internet, der Welt und des ganzen Rests“, der aufgrund seiner bescheidenen Art ein bisschen so was wie ein inverser Sascha Lobo* ist. Aus dem Vortrag habe ich im wesentlichen mitgenommen, was Herbert Grönemeyer schon vor Jahren besungen hat: Bleibt alles anders.

Danach hörte ich der angenehm lauschigen Gesprächsrunde „10 Jahre Blogs in Deutschland“ zu.

Beide Panels haben mich in Erinnerungen schwelgen lassen, als ich Mitte der 80er von meinem Vater einen C16 geschenkt bekam und mir aufregende Spiele in BASIC programmierte. Ich musste auch an die Unizeiten denken, in denen ich mich in Turbo Pascal versuchte und total stolz auf meine erste Emailadresse nuf.wrze.blob234@rz-uniba.de war und es noch nicht mal festgelegte Zitierungsregeln für Quellen aus dem Internet für wissenschaftliche Arbeiten gab und für mich der Metager so was wie die Entdeckung eines bislang übersehenden Planeten in unserem Sonnensystem war. Was war das schön, damals, vor 20 Jahren.

Einen krönenden Abschluss bot der Beitrag von Johnny Haeusler „Was hat das Internet je für uns getan?“, der im ersten Nerdchor weil wir gemeinsam „Bohemian Rhapsody“ sangen. Gefühlsmäßig war ich kurz davor in Tränen der Dankbarkeit auszubrechen. Es ist doch einfach so schön, dass es das Internet gibt und dass sich im Internet alle so lieb haben (*knuddelknuddel*!).

Da ich am Vortrag zuhause meinen Ratgeber „Small-talk – nie wieder sprachlos“ noch mal intensiv durchgeblättert hatte, gelang es mir zudem neun Mal „Hallo“ zu sagen und insgesamt 28 zusammenhängende Sätze mit mehr oder weniger fremden Menschen zu sprechen. Am Abend war ich im hippen Mitte (und das ganz ohne Haarknoten) mit einer kleinen Gruppe Menschen essen. Die Tischplatzsitzuation erinnerte stark an Speeddating, aber da es keine Klingel gab, konnte ich mich etwas länger mit der sehr bezaubernden Maike unterhalten.
Zurück in der Kalkscheune fühlte ich in mir eine gewisse Tanzbereitschaft, die durch den DJ jedoch bis in die letzte Nervenzelle abgetötet wurde. Ich kann mir nicht vorstellen, dass auf einer Ü40 Party in Pasewalk schlimmere Musik aufgelegt werden könnte. Die Steigerung der Musikauswahl würde dann einfach Festival der Volksmusik oder Karnevalssitzung heißen.
Ich trottete also nach Hause.

Fazit: So wie 2009 eine sehr gelungene Veranstaltung, die begrüßenswerter Weise nächstes Jahr an einem anderen – mehr Platz bietenden Ort – stattfinden wird und der ich sehr gerne ein weiteres Mal beiwohnen möchte.

*Durch sinnloses Herumstehen im Hof der Kalkscheune wurde ich unverhinderbar Ohrenzeuge einiger Sascha Lobo Lästereien. Den Kritikern kann ich eine einfache Regel empfehlen: Wenn man Personen total doof findet, einfach Orte aufsuchen, an denen sich diese Personen niemals aufhalten: In Berlin dürften das in diesem Fall ca. 6.500 Haltestellen der BVG sein.

re:publica, Tag 2.0

Der zweite Tag re:publica hat gebracht, was ich mir persönlich von der re:publica verspreche: Inspiration und Spaß. Herausragend im Programm waren für mich der Vortrag von Prof. Gunter Dueck und das Panel „BloggerInnen im Gespräch„, was nicht zuletzt an der charismatischen Julia Probst lag.

Das Blog von Herrn Dueck wurde mir von ehemaligen Studienkollegen bereits ans Herz gelegt, die Bücher werde ich mir sicherlich auch zu Gemüte führen. Herr Dueck hat mich sehr an meinen ehemaligen Professor Dietrich Dörner (unbedingt lesen: Bauplan für eine Seele) erinnert, der gleichsam provokant wie auch geistreich lehrt, schreibt und Vorträge hält.
Für mich ist es eine große Freude so genialen Menschen zuzuhören und ihre Ideen und Ansichten kennen zu lernen. Sie sind für mich im wörtlichen Sinne verrückt aber genau dieses neben der Norm stehen bringt die Lösungen, welche der Gesellschaft heute fehlen. Schon Einstein soll gesagt haben: „Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.“
Für mich sind die im Vortrag angesprochenen Themen von großer gesellschaftlicher Tragweite und wirken gleichzeitig direkt auf mein persönliches Leben. Spätestens mit Schuleintritt von Kind 1.0 (und dem gleichzeitigen Erkennen wie sehr die Schule als Institution bereits in den ersten Jahren versagt, weil sie in überholten Denkstrukturen und Menschenbildern verhaftet ist) wurde uns als Eltern der notwendige Wandel von der Wissensgesellschaft zur „Exzellenzgesellschaft“  gewahr.
Schon als 5 jähriges Kind stellte Kind 1.0 fest: „Wie könnt ihr das alles wissen ohne Internet?“.

Zweites Highlight des Tages war das Panel „BloggerInnen im Gespräch“ . Sehr angenehm moderiert von Philip Banse. Mich hat v.a. das Gespräch mit Julia Probst beeindruckt. Nicht zuletzt weil in unserem Leben die Gebärdensprache – wenn auch nur in Form von Babyzeichen – eine große Rolle spielt. Wenn ich mit meinem Baby gebärde, erlebe ich oft mitleidige Blicke (Ach Herrje! Ist das Kind etwa gehörlos?) und bin mit irrationalen Ängsten konfrontiert (Das Kind lernt doch so nicht sprechen!?). Das Gegenteil ist übrigens der Fall. Beide Kinder mit denen wir gebärdet haben, haben viel früher angefangen zu sprechen und es ist unfassbar welche zusätzlichen Kommunikationsmöglichkeiten sich durch Gebärden eröffnen. Zudem habe ich übrigens den Eindruck dass sich das frühe Gebärden sehr positiv auf das Erinnerungsvermögen und auf die Entwicklung des Selbst auswirken…
Jedenfalls war es sehr interessant kurzzeitig in die Welt der Gehörlosen Einblick zu gewinnen und dafür sensibilisiert zu werden an welche Grenzen Gehörlose im Alltag unnötigerweise stoßen (müssen).

Allein diese beiden Programmpunkte haben den Besuch der re:publica lohnenswert gemacht (alle anderen Programmpunkte, kehre ich aus Platzgründen galant unter den Teppich).