In 6,66 Stunden sind wir fertig

Als wir hörten, dass alle Fenster in unserer Wohnung ausgetauscht werden sollten, hatten wir die tolle Idee, dass wir doch gleich ein wenig renovieren könnten. In einigen Zimmern haben wir Raufasertapete. Das finde ich ganz und gar grässlich. Deswegen sollte sie entfernt werden und danach würden wir alles weiß streichen.

Als ich Freunden von unserem Vorhaben berichtete, stimmten sie unabhängig voneinander einen gleichlautenden Klagegesang an: „Nein, tuhut das nicht, es ist so furchtbar, das schrähäcklichste, das man mahachen kann! [Chor, etwas flotter: Lasst die Raufaser dran, lasst sie dran!]“

Dabei hatten wir einen guten Plan. Zunächst verteilten wir die Aufgaben: Mein Mann würde sich Urlaub nehmen und alles handwerkliche übernehmen. Ich würde weiter arbeiten gehen und mich um unseren Nachwuchs kümmern. Damit wir am Abend und Morgen nicht im Weg rumstünden, zögen wir zu Freunden.

Zur weiteren Einstimmung auf die zu erledigenden Aufgaben, bereitete sich mein Mann wochenlang durch intensives Studium von Do it yourself You Tube Videos vor.

Eine Woche planten wir ein und die ersten Tage würde ich mit den Kindern zu Freunden ziehen. Danach wäre das meiste erledigt und wir könnten wieder beim Vater sein. Wir würden für den Rest einen Fachmann engagieren und dann wäre am darauf folgenden Wochenende alles erledigt.

Am Wochenende vor dem Renovierungsstart räumten wir alle frei liegenden Gegenstände in Kartons, schoben die leeren Möbel in die Zimmermitte und entfernten Nägel und Schrauben in der Wand. Dann machte mein Mann eine vorsichtige Probekratzung.

Die Probekratzung ergab, dass sich die Wand relativ zügig freischaben ließ. Innerhalb von einer Stunde, waren 6 Quadratmeter entfernt. Wir hatten die Wandflächen vorher akribisch vermessen und festgestellt, dass jedes Zimmer 40 Quadratmeter Wandfläche hatte. Grob gerechnet wäre ein Zimmer also in 6,66 Stunden erledigt. Selbst wenn man zwanzig Prozent Puffer dazu addierte, wären wir spätestens Mittwoch fertig.

Am Montag packte ich mein Köfferchen, nahm die Kinder und zog aus. Mein Mann hingegen griff sich ein Parfümflakon, füllte Raufaserablöseflüssigkeit zu 25 Euro den Liter hinein und begann bedächtig die Raufaser einzunebeln. Mit einem Poussiereisen kratzte er zärtlich die Raufaser von der Wand.

Am Dienstag kam Kind 1.0 dazu, um zu helfen. Kind 1.0 hatte sich die ganzen höchst informativen Renovierungsvideos des Internets gar nicht angesehen, packte sich eine Spachtel, kratzte diese quer über die Raufasertapete und zog bahnenweise die Raufasertapete ab. Nach 30 Minuten hatte es ca. 20 Quadratmeter Wand frei gelegt.

Als ich am Mittwoch erneut nach dem Rechten sah, befand sich mein Mann immer noch in Schockstarre. Ich gab ihm eine zärtliche Ohrfeige und zog zwei weitere Tage mit den Kindern zu Freunden. Während ich abends auf deren Couch lungerte, die Hauskatze mir meine Beine wärmte und der Hausherr Cocktails darreichte, gedachte ich meines Mannes.

Ich stellte mir meinen Mann in der zugigen Wohnung vor: Alle Fenster waren bereits rausgebrochen, zum Einbau der neuen Fenster waren die Handwerker noch nicht gekommen. In der Mitte des Wohnzimmers, eine kleine brennende Tonne, wo er sich zitternd seine Hände wärmen konnte. Es beginnt zu schneien und bevor er seine Arbeit wieder aufnimmt, schippt er den Schnee ins Kinderzimmer.

Zwei Wochen später war er fertig. Länger hätte ich es auch wirklich nicht bei den Freunden ausgehalten. Jeden Abend Modern Family schauend bekocht und mit Süßigkeiten gemästet zu werden, das ist auf Dauer kaum zu ertragen.

Es folgten zwei Tage grundieren, zwei weitere Tage Löcher mit Gips ausbessern und dann kam der Maler. Bei der Erstbegehung hatte er gesagt: „Nein, tuhut das nicht, es ist so furchtbar, das schrähäcklichste, das man mahachen kann!“. Als er kam nachdem die Raufaser entfernt war, fragte er mitfühlend: „Wollt ihr all die Löcher so behalten?“ und als er fertig gestrichen hatte, informierte er: „Ich mags ja eher nicht so rustikal. Aber es freut mich sehr, wenn es euch so gefällt.“

Das ist die Geschichte unserer Teilrenovierung. Wir stritten nicht. Es fiel nie das Wort Scheidung, alles war ganz entspannt, ich lüge nie.

Und falls ihr mal auf die bescheuerte Idee kommt Raufasertapete abzulösen, hört auf eure Freunde oder aber

1) Versucht immer erst den leichten (abziehen ohne vorher feucht zu machen) vor dem schweren Weg (Raufaser einweichen und abkratzen)

2) Kauft keine Raufaserablöseflüssigkeit, sondern mischt Spüli und Wasser.

3) Wenn ihr einweicht, dann richtig. Es darf triefen! Kauft ein Drucksprühgerät.

4) Klebt den Boden ordentlich ab.

5) Klebt den Boden ordentlich ab.

6) Klebt den Boden ordentlich ab.

7) Kauft eine ordentlich breite Spachtel und wenn gar nichts hilft, leiht euch eine Nagelwalze im Baumarkt.

8) Dann kratzt tagelang.

Schon seid ihr fertig.

#kitavortrag

Unser Kindergarten ist sehr klein und wenn Eltern möchten, können sie sich jederzeit beteiligen. In diesem Rahmen gibt es ein Projekt, das sich mit dem Thema Identität befasst. Da stellen die Kinder ihre Familie vor, es werden die Lieblingsgerichte gekocht und wer möchte, lädt den ganzen Kindergarten zu sich nach Hause ein. Einige der Kinder haben Verwandte in anderen Ländern und das ist ein schöner Anlass den anderen Kindern Einblicke in unbekannte Welten zu verschaffen. In diesem Rahmen habe ich einen italienischen Vormittag gemacht. Auch wenn ich nicht in Italien aufgewachsen bin, ist Italien für mich immer wieder ein Thema. Für die meisten genügt es schon, dass ich einen italienischen Nachnamen trage. Das scheint so eine Art Zugang zur allumfassenden Kenntnis des italienischen Kulturraums zu sein. Nicht selten höre ich: „Du bist doch Italienerin, da weißt Du doch bestimmt wie dieser Schafskäse heißt, der speziell auf Capri von einarmigen Witwen hergestellt wird?“

Tatsächlich weiß ich ziemlich wenig über Italien. Ich hatte deswegen großen Spaß mich ein bisschen in das Thema reinzusteigern.

Die Kunst ist es, am Ende die Inhalte rauszufiltern, von denen man glaubt, dass sie Drei- bis Sechsjährige interessieren könnten und von denen sie vielleicht sogar eine Sache mitnehmen könnten.

Ein super Thema sind tatsächlich Flaggen. Oft kennen Kinder bereits einige Flaggen und Flaggen zeigen meistens etwas, das für das Land steht. Die italienische Trikolore zum Beispiel erinnert an die fruchtbaren (grünen) Ebenen, die weißen Gletscher der Alpen und an das Blut, das während der Unabhängigkeitskriege vergossen wurde.

Die ersten zwanzig Minuten waren dementsprechend schnell gefüllt mit der einfachen Frage „Was denkt ihr, für was die Farben stehen?“. Rot stehe für Rosen, Krebse oder Feuer. Weiß für Papier oder Eis. Bei Grün einigte man sich ziemlich schnell auf Dinosaurier.

Als ich ziemlich leichtfertig bestätigte, dass Eis im Grunde schon die korrekte Antwort Gletscher sei, entbrannte eine empörte Diskussion, dass Eis bestenfalls eine Grundlage für Gletscher sei, dass es sich im Grunde aber um zwei völlig verschiedene Dinge handele, weil die Gletscher sich eher durch ihre Flußhaftigkeit auszeichneten als durch ihre Eishaftigkeit. Gletscher seien eben EisFLÜSSE, die sich stetig und unaufhaltsam bewegten und eine solche Gewalt besäßen, dass sie schließlich sogar Berge wegschleifen könnten.

Wir beendeten die Diskussion und gingen nahtlos zum Thema Vulkane über. Während ich pädagogisch geschickt einleiten wollte und fragte, ob eines der Kinder einen der drei Vulkane kenne, meldete sich eines und sagte „Vesuv, Stromboli und Ätna“. Ich war sehr verwundert und fragte woher es das wisse. Die Antwort lautete: „Das hast Du da geschrieben.“ Das Kind deutete auf die Beamerpräsentation. Wir plauderten ein bisschen über Vulkane. Ein Kind hatte Wissen zum Thema Supervulkan und schilderte Ausbruchszenarien, so dass einige kleinere Kinder schon verängstigt wimmerten. Ein weiteres Kind stellte in der Zwischenzeit die Frage, warum der Stromboli nicht erloschen sei, der stünde schließlich mitten im Wasser. Ich bin immer wieder erschüttert über die Schläue von Kindern. Ich meine mich zu erinnern, dass ich als Kind nie so kluge Gedanken hatte.

Jedenfalls zeigte ich noch einige Bilder vom Lago Bracciano. Das ist ein kreisrunder See in der Nähe von Rom, der entstand weil der Kegel eines erloschenen Vulkans einsank und sich mit Wasser füllte. Wir haben dort mal Urlaub gemacht als ich mit Kind 3.o schwanger war. Es gibt ein besonders schönes Foto mit Kind 2.0 und mir. Wir liegen im Wasser und mein schwangerer Bauch ragt in den Himmel. Ich fragte die Kinder: „Na, wer erkennt was Besonderes auf dem Bild?“ Die Kinder starrten verschämt auf den Boden, einige popelten in der Nase und andere beobachteten angestrengt die Meisen vor dem Fenster. Nach drei Minuten Stille gab ich auf und sagte: „Also seht ihr denn den Bauch nicht? Da ist Kind 3.0 drin.“ Erleichtertes Aufatmen in der Kindergartengruppe. Eines der Kinder sagte: „Weißt Du, ich habe gedacht, dass Du einfach nur sehr dick bist…“

Zur Auflockerung hörten wir uns als nächstes „Se sei felice tu lo sai “ an und verglichen das Lied mit der deutschen „Wenn du glücklich bist“ Version und stellten dabei Unterschiede fest. An der Stelle an der die Deutschen zum Beispiel seufzen, schließen die Italiener die Augen. Eine wunderbare Metapher für die beiden Kulturen.

Nachdem wir alle ausreichend geklatscht, getrampelt und die Augen geschlossen hatten, verteilte ich italienische Euro. Große Begeisterung: ein  Mann auf einem schwangeren Pferd und der Mann mit sehr vielen Armen und Beinen von Mamas Krankenkassenkarte.

Der vitruvianische Mensch war super um uns ein bißchen zu Vermessen. Tatsächlich ist es ja erstaunlich, dass man von einer Zeigefingerspitze zur anderen genauso breit ist, wie man vom Kopf bis zu den Füßen lang ist oder dass man wirklich so große Füße hat wie die Entfernung vom Handgelenk zur Armbeuge. Man kann sich hervorragend verrenken, wenn man versucht diese Maße zu verifizieren.

Ich habe den Kindern dann erzählt, dass Kinder in Italien (zumindest im Sommer) nie um 20 Uhr ins Bett gehen und dass sie auch ziemlich laut sein dürfen. Kind 1.0 hat das im Urlaub mal entgeistert mit einem „Ja, kümmern sich die Erwachsenen denn hier gar nicht um die Kinder? Warum bringt die niemand ins Bett! Es ist doch schon dunkel!!!“ kommentiert.

Dann haben wir Pizza gebacken und zwar in drei Fassungen. Die erste, historische Variante, die ihre historischen Wurzeln in ägyptischen oder sumerischen Fladenbrot hat und nur mit Olivenöl und Kräutern bestreut wird. Dann die zweite Variante, die an Focaccia erinnert sich erst im späten 18. Jahrhundert verbreitete, weil man erkannte, dass Tomaten nicht giftig sind und dann ein Blech Pizza Margherita, weil die Geschichte dazu so schön ist. So waren wir wieder bei den Farben Grün, Weiß und Rot angelangt.

Wir aßen im Anschluss die Pizzen. Variante eins (Fladenbrot) fand reißenden Absatz. Von Variante zwei wurden die Tomaten entfernt und von der Pizza Margherita popelten die Kinder Tomaten, Käse und natürlich das ekelige „Petersilikum“.

Nach dem Essen las ich Pinocchio vor und alle Kinder malten die mitgebrachten Malvorlagen an. Nur Kind 2.0 malte die Haare der Fee blau. Alle anderen wählten die blonde Disneyvariante. Kind 2.0 kommentierte: „Ich kann diese Abweichung nicht ertragen. Ich richte mich lieber nach dem Roman.“

Zum Abschluss hörten wir „Mi Scappa La Pipi“. Das war für mich als Kind das witzigste Lied, das ich mir vorstellen konnte. Es handelt von einem kleinen Jungen, der immer Pipi muss und den Vater bittet, mit ihm Pipi machen zu gehen. Der Vater ist aus verschiedenen Grunden so eingespannt, dass er auf später verweist. Das Kind pullert nach jedem Refrain einfach irgendwo hin. Unvorstellbare Anarchie in den Augen von Vierjährigen. Außerdem sehr ohrwurmig. Die Kinder wankten beschwingt „Scapelapipipapa“ in den Hof, um den Nachmittag zu begehen.

P’takh wer’s nicht zu schätzen weiß

Der Wolf, das Lamm auf der grünen Wiese
HURZ!
Und das Lamm schrie HURZ!

Der Wolf, das Lamm, ein Lurch lugt hervor

1991 (!) schrieb Hape Kerkeling als Tenor Pjotr Stianek Fernsehgeschichte. Er präsentierte vor interessiertem Publikum sein Musikstück „Hurz!“. Ich fühlte mich gestern als ich der klingonischen Oper u lauschte, auch ein bißchen hurz.

Nichtsdestotrotz kann ich reinen Gewissens sagen, dass u die beste Oper war, die ich in meinem Leben bislang gehört habe (was zu einem nicht unwesentlichen Teil daran liegt, dass u die erste Oper war, die ich in meinem Leben gehört habe).

Inszeniert wurde u vom niederländischen Klingon Terran Research Ensemble.
Beeindruckend waren für mich v.a. die Musiker, die original klingonische Instrumente spielten. Darunter z.B. der Dov’agh (Anne La Berge), die Supghew (James Hewitt) und nicht zu vergessen, die ´In (Juan Martinez), welche mit Hilfe der mupwI’Hom gespielt wurde.

Da ich weiß, dass man die klingonische Seele nur verstehen kann, wenn man auch ihre Lieder und Mythen zu schätzen weiß, war der Opernbesuch für mich ein Muss. Zumal ich so endlich die komplette Geschichte von Kahless kennenlernen konnte und somit auch endlich den Ursprung des Bat’leths kenne.

Bleibenden Eindruck hat Michael Mason, der Master of Scream, bei mir hinterlassen. Sein Klingonisch war wirklich hervorragend und beinahe akzentfrei. Der Master of Scream führte durch die Handlung und wies das Publikum an den entscheidenten Stellen an mitzuschreien. Ein sehr befreiendes und großartiges Erlebnis.


(Das Publikum stimmt ein in Lukanas Schrei)

Am Ende jedenfalls stehende Ovationen und das nicht nur durch die Klingonen im Publikum. Fast wäre ich auch auf die Bühne gesprungen als die Initiatoren des Stücks am Ende immer wieder wohlwollend in meine Richtung deuteten. Glücklicherweise drehte ich mich dann aber doch noch mal um und konnte so feststellen, dass ich genau vor Marc Okrand, dem Erfinder der klingonischen Sprache, saß.


(Marc Okrand und ein Paar Föderationswesen)

—-

Bechdel Test bestanden?
Leider nein. Was übrigens sehr bedauerlich ist. Denn sonst sind Frauen im Klingonischen Reich vergleichsweise gleichberechtigt.

—-

Fürs nächste Mal zum Mitsingen:

Qoy qeylIs puqloD [Kroi keylisch puklod]
Qoy puqbe’pu‘ [kroi pukbäpu-hu]
yoHbogh matlhbogh je SuvwI‘ [jochboch matlboch dschä schufwi]
SeymoHchu‘ mayu‘ [scheymochtschu maju]
maSuv manong ‚ej maHoHchu‘ [maschuf manong edsch machochtschu]
nI’be‘ yInmaj ‚ach wovqu‘ [nibä jinmatsch atsch wof-ku]
batlh maHeghbej ‚ej yo‘ qIjDaq [batl machechbedsch ädsch jo kidschdak]
vavpu’ma‘ DImuvpa‘ reH maSuvtaH [wafpuma dimuvpa rech maschuftach]
Qu‘ mamevQo‘ maSuvtaH ma’ov [kru mamefkro maschuftach maow]

Quelle: Internet

Berlin, Hejo!

Die Berliner machen einiges anders als die anderen. Zum Beispiel feiern sie bereits eine Woche vor Restdeutschland Karneval. Aus Rücksichtnahme. Denn dann können alle Karnevalsjecken mit den Berlinern gemeinsam feiern und müssen sich nicht entscheiden, ob sie in Köln, Düsseldorf oder Berlin feiern. Dementsprechend gab es auch dieses Jahr 2.456 Karnevalsbegeisterte, die den Karnevalsumzug begleiteten. Rücksicht ist für die Berliner ohnehin das Hauptthema beim Karneval. Der Umwelt zuliebe wird kein Konfetti geworfen, den Vögeln und Anwohnern zuliebe sind Freudesrufe und Musik maximal 75 dB laut und den missmutigen Karnevalshassern zuliebe verzichtet man sogar auf eine Übertragung ins TV.

Weil wir keine Schwaben sondern Hessen und Bayern Rheinländerinnen sind, integrieren wir uns in solche langjährigen Traditionen und rufen gemeinsam „Berlin Hejo!“. Hejo ist übrigens der karnevalistische Gruß in Berlin und setzt sich aus „Heiterkeit“ und „Jokus“ zusammen.

Der Preis für das beste Kostüm ging dieses Jahr an den Bodybuilder, der sich als Hulk verkleidete und wütend auf die vorausfahrenden Polizeiautos sprang und versuchte sie umzuschmeißen. Da ich eine feine Beobachtungsgabe besitze, entging mir nicht, dass andere Familien thematisch einheitlich verkleidet waren. Wir sahen eine Familie Feuerstein, eine Familie Gefangene und Polizisten, eine Familie Glücksbärchi und eine Familie, die als Wald (also Bäume in unterschiedlichen Größen) verkleidet war. Wir gehen nächstes Jahr als Elvis.

Seit 2006 sind wir nun dabei. Mein Mann, der größte Karnevalist in der Familie, ist dabei unübertroffen in seiner Kreativität der Kostümwahl. Auch dieses Jahr verneige ich mich ehrfürchtig:

(Super Bunny Verkleidung)

Kind 1.0 war dieser Aufzug sehr peinlich. Besonders schön war dabei zu beobachten, wie fließend Normalität ist. Wir starteten in Friedrichshain und waren natürlich die einzigen Verkleideten und wurden angestarrt, als seien wir frisch gelandete Aliens. Je näher wir dem Kudamm und damit dem Karnevalsumzug kamen, desto mehr Verkleidete begegneten uns in den öffentlichen Verkehrsmittel. Als wir schließlich in der Uhlandstraße ankamen, waren nur noch wenige Unverkleidete in der U-Bahn. Wir kicherten laut und fotografierten sie heimlich.

Berlin hat mich verdorben

Die Lego-Ausstellung in Hamburg ist für Playmobilfans unbedingt zu empfehlen.

Erwähnde ich an irgendeiner Stelle schon mal, dass ich in Bayern [Aufschrei] in Franken groß geworden bin? Bis 1999 war ich dort und habe mich, so wie es die CSU auch gerne möchte, ordentdich indegrierd. Zum Integrieren gehören einige Verhaltensweisen wie das ewige Siezen. Unsere Nachbarn z.B., neben denen wir ein gutes Jahrzehnt lebten und auch regen Kontakt hatten, die sieze ich bis heute. LehrerInnen natürlich, die Eltern der FreundInnen, VerkäuferInnen. Sogar Gleichalte und schlimmstenfall Jugendliche.

Dann kam ich nach Berlin. Mein damaliger Freund duzte alle. ALLE. Er hat auch mal den Berliner Bürgermeister gesehen und geduzt. Mir war das unglaublich peinlich.

Mehr als 10 Jahre später kann ich bestimmte Menschen nur unter großen Qualen siezen.

In Bayern war es neben dem Siezen sehr wichtig allerlei andere Regeln einzuhalten. Egal wie schwachsinnig die Regel auch sein mag. In Berlin fällt es mir immer schwerer mich an Regeln zu halten, v.a. wenn ich sie unsinnig finde. Glücklicherweise gibt es allgemein weniger Regeln an die man sich halten muss. Sobald ich jedoch Berlin verlasse, sind sie wieder da: die Quatsch-Regeln nach denen ich mich richten soll.

Vor einiger Zeit waren wir beispielsweise im Hamburger Helms Museum in der Lego-Ausstellung „Zeitreise“. Da trug ich einen Rucksack. Kaum hatte ich einen Fuß in die Ausstellung gesetzt, kam eine der Aufseherinnen und wies mich darauf hin, dass Rücksäcke verboten seien. Ich deutete fragend auf die Handtasche einer anderen Besucherin, in der man ohne Probleme ein kleines Pony hätte verstecken können. Mir wurde erläutert Handtaschen seien OK Rücksäcke hingegen nicht. 1995 in Bayern hätte ich meinen Rücksack mit den Taschentüchern, Kinderwechselsachen, Geldbeutel etc. sofort weg gebracht. 14 Jahre Berlin hingegen führten zu einer längeren Diskussion über den Hintergrund des Verbots. Nachdem Argumente wie „man könne etwas einstecken“ oder „Sicherheitsbedenken“ für mich unsinnig erschienen, einigten wir uns darauf, dass ich den Rücksack an einem Gurt unter dem Arm tragen dürfe.

Die Kinder hatten in der Zwischenzeit angefangen sich durch den bespielbaren Legoberg abseits der Ausstellung zu bauen. Ich zückte die Kamera und wollte ein Paar Bilder von den aufgebauten Szenarien machen. Zehn Sekunden später stand eine zweite Aufseherin neben mir und wies mich darauf hin, dass es verboten sei, die Ausstellungsstücke jenseits der Absperrung zu fotografieren. Die Absperrungen waren ca. 40 cm hohe Glaswände, die um die Szenarien gestellt waren. Sie ragten mir ungefähr bis zur Hüfte und ich nahm an, dass sie v.a. Kinder davon abhalten sollten kreativ in die Aufbauten einzugreifen. Ich hatte meinen Arm mit der Kamera in den Luftraum über den Ausstellungsobjekten gehalten… (über nicht dahinter!) um Bilder ohne fingerverschmierte Glasscheiben zu machen. Wir diskutierten eine Zeit lang, aber aus Diskutierunlust gab ich nach und fotografierte brav durch die Scheiben.

Meine Begleiterin, lobpreiste währenddessen die Spielmöglichkeiten für die Kinder und um nicht vollends als ekelige Spaßbremse abgestempelt zu werden, schwieg ich. Die Kinder hatten ja wirklich Spaß beim Bespielen der Duplo- und Legosteine. Ich ertappte mich jedoch bei dem Gedanken, dass in Berlin jedes noch so poplige Eltern-Kind-Café im Vergleich zur Hamburger Ausstellung besser ausgestattet und kinderfreundlicher sei.

Die Ausstellung selbst, fand ich „nett“. Also angelehnt an das Schimpfwort „nett“. Für Erwachsene nett anzusehen. Jedoch habe ich kein Konzept bei der Auswahl der dargestellten Objekte erkannt. Die chinesische Mauer, das Colosseum von Rom, ein Paar Wikinger, hmmm. Die Beschreibungen der Objekte tja für welche Altersgruppe sollten die sein? Ich glaube kaum, dass ein Kind unter 12 auch nur zwei Sätze freiwillig gelesen – geschweige denn verstanden hätte. Für mich war die Ausstellung kein Stück auf Kinder sondern ausschließlich auf deren Eltern ausgerichtet. Meine Kinder sind pflichtbewusst einmal durchgestapft, haben aber rein gar nichts mitgenommen (gedanklich).

Ich bin einfach zu verwöhnt was kindgerechte Ausstellungen angeht. An Konzepte wie ArtPod oder das Kindermuseum im Dresdner Hygienemuseum kann die Hamburger Ausstellung nicht mal im unteren 10% Bereich heranreichen.

Im Gegensatz zu Playmobil liebe ich Lego weil es so offen ist. D.h. wenn erst mal die Aufbauanleitungen verloren gegangen sind, dann lassen sich aus ein Paar Steinen die großartigsten Fantasien nachbauen. Immer und immer wieder anders. Zuhause hängen wir noch ein bißchen auf Duplosteinen. Sehr passend hat Grindcrank Duplo als als hervorragende Möglichekit des Rapid Prototypings bezeichnet. Mit ein Paar Steinen erreicht man schnell ansehliche Ergebnisse und wenn man geduldiger ist, baut man die Modelle in Lego mit vielen weiteren Feinheiten nach.

Playmobil hingegen ist eher ein Inszenierungsspiel. Da gibt es vorgegebene Sets und die werden immer wieder aufgebaut mit wenig Freiraum für Variationen. Man kann mal die Kühe unterschiedlich hinstellen, aber im Grunde gibt das Set vor, was am Ende dort steht. Mit einem Lego City Set, ist man viel flexibler. Da kann aus einer Feuerwehr am Ende trotzdem ein Bauernhof gebaut werden.

Jedenfalls – wer eigentlich ein Playmobil-Herz hat und versehentlich in der Kindheit Lego-sozialisiert wurde, dem sei die Ausstellung empfohlen. Die historischen Szenen sind in der Tat detailreich und liebevoll inszeniert. Mehr aber auch nicht.

ArtPod „Imaginäre Reisen“

ArtPod – zeitgenössische Kunst für Kinder mit der Ausstellung „Imaginäre Reisen“ hat uns schwer begeistert. Bis zum 16.12.2012 kann man sie noch im Amerika Haus bestaunen.

Mindestens einmal in der Woche schreit Kind 2.0 auf dem Weg in die Kita: „Maaamaaaa, schau mal daaaaa KUNST!!!“ Wir begutachten dann das referenzierte Objekt und wägen gemeinsam ab, ob der Wind Müll nur exotisch angeordnet hat oder ob es wirklich einen menschlichen Erschaffer gibt. Eindeutig bestimmen lässt sich das nicht immer.

Auf Kunst im  Lebensraum ist Kind 2.0 durch Werke der Straßenkünstlergruppe bosso fataka aufmerksam geworden. Für sehr kurze Zeit konnten wir z.B. einen Stuhl bewundern, der an einer der Säulen am Frankfurter Tor befestigt war.

Ich habe von kunsttheoretischen Ansätzen keine Ahnung und kann nur schwer erklären, warum mir eine bestimmte Art von Kunst zusagt und v.a. auch warum ich sie für lebensnotwendig halte – aber den meisten Bezug habe ich zur zeitgenössischer Kunst. V.a. dann wenn sie erfahrbar und im wahrsten Sinne des Wortes begreifbar ist. Zu meinen persönlichen Highlights gehört deswegen das von Hornbach gesponsorte Projekt in einem Haus in der Torstraße 166 und auch viele Ausstellungselemente unterschiedlicher Ausstellungen im Hygienemuseum Dresden (z.B. „Gehirn und Denken“ oder „Glück – Welches Glück„)

In meiner Elternzeit hatte ich jeweils eine Museumsjahreskarte und habe die Kinder schon im Babyalter munter mitgeschleppt. Zu einer meiner schönsten Erinnerungen gehört eine Szene mit meinem damals 4 jährigen Patenkind, mit dem ich eine Ausstellung anschaute. Es fragte mich bei jeder Skulptur und bei jedem Bild: „Wie heißt die Kunst?“ und „Warum hat der/die KünstlerIn das gemacht?“.

Ich weiß, dass v.a. letztere Frage nach der Intention, das typische Was-will-uns-der-Kunstschaffende-sagen, v.a. den Kunstschaffenden selbst auf die Nerven geht. Aber mir gefällt die Frage. Ich weiß es nämlich ebenso wenig wie das Kind, das fragt. Also unterhalten wir uns und stellen Hypothesen auf und ich finde, die kindlichen Ansätze sind völlig gleichberechtigt zu meinen Interpretationen und manchmal lenken sie meine Aufmerksamkeit zu ungesehenen und unbedachten Aspekten.

Wie für mich gemacht ist deswegen die Galerie ArtPod im Amerika Haus, die am 03.11.2012 ihre erste Ausstellung namens „Imaginäre Reisen“ eröffnet hat:

ArtPod stellt in wechselnden Ausstellungen Arbeiten von international agierenden Künstlern aus, die sich auf das Experiment freuen, ihre künstlerische Neugier mit Kindern zu teilen. Die ausgewählten Werke zeichnen sich aus durch ihre Kraft, die Phantasie der Ausstellungsbesucher in Schwingung zu versetzen, Freude und Staunen hervorzurufen.

Die Ausstellung ist unfassbar großartig. Das ganze Konzept ist toll. Am Eingang können die Kinder sich einen Stempel aussuchen. Kinder und Stempel ist schon ein Mysterium für sich. Ich habe gesehen, wie ein ca. 13 jähriger Junge nach uns reinkam und sich richtig freute, dass er einen Eingangsstempel aussuchen durfte. Dann bekommen die Kinder erklärt, dass es Exponate gibt, die man anfassen darf (grüne Hand) und welche, die nur zum Anschauen bestimmt (rote durchgestrichene Hand) sind. Ich würde schätzen, dass das Verhältnis grün zu rot ca. 80 zu 20 ist.

Während der ganzen Ausstellung gibt es außerdem ReisebegleiterInnen. Ich vermute KunststudentInnen – ähnlich wie damals die MOMAnizer. Sie passen auf, dass im Enthusiasmus nicht gleich das ganze Kunstwerk zerlegt wird und ermuntern die Kinder (und Erwachsenen) andererseits die Ausstellungsstücke zu erfahren. Sie stellen Fragen oder lenken die Aufmerksamkeit auf ungesehene Details. Sie schlendern durch die Räume und Gänge und unterhalten sich mit den Kindern. Beispielsweise gibt es ein großes Holzschiff, das man herumschieben kann. Es sieht aus wie aus Papier gefaltet. Kind 2.0 saß darin und ruderte und ruderte. Einer der Ausstellungsbegleiter kam zu ihm und hat gefragt, wohin die Reise ginge. Man tauschte sich kurz aus und eine halbe Stunde später, als Kind 2.0 erneut im Boot saß, hielt man wieder Smaltalk. Wie sei es in Indien gewesen, was hätte Kind 2.0 erlebt – es entstand ein erstaunliches Gespräch.

Kind 3.0 stand im wesentlichen vor Begeisterung kreischend in einem Raum, der komplett zu einer Half-pipe verbaut war. Die Half-pipe war mit Hunderten von Pingpongbällen befüllt und diese wurden durch ein Gebläse im Kreis geschleudert. Die Kinder durften Bälle aus dem Kreislauf entnehmen und an unterschiedlichen Stellen wieder reinwerfen.

Das waren nur zwei von über 20 Objekten (22 Künstler in 12 Räumen). Die Kinder konnten sich frei bewegen und haben sich teilweise sehr lange an einzelnen Ausstellungsstücken erfreut. Als Erwachsene würde ich normalerweise nie 20 Minuten bei einem Objekt verbringen – aber ich fand das wunderbar, denn tatsächlich gibt es selbst an einem schnöden Holzstück viel zu entdecken.

Wir verbrachten gut drei Stunden in der Ausstellung. Ich schätze, ohne die Kinder hätten wir insgesamt zwanzig Minuten gebraucht. Aber genau das finde ich großartig. Ich bin regelrecht beseelt nach Hause gegangen. Ich weiß nach wie vor nicht, was mir so gut daran tut, aber es ist selten, dass ich so zufrieden bin wie am Ende dieses Nachmittags.

Deswegen: Wenn ihr Kinder habt oder mögt (es müssen ja gar nicht die eigenen sein) und wenn ihr Geduld und etwas für Kunst übrig habt, plant die Ausstellung bis zum 16.12.2012 ein.

Amerika Haus am Bahnhof Zoo
Hardenbergstr. 22-24, 10623 Berlin

 

03. November – 16. Dezember 2012
Öffnungszeiten: Mi, Do, Fr 14:00 – 17:00 (vormittags offen für Schulklassen
nach Anmeldung Tel: 0173-6079796 oder info@artpod.org), Sa – So 11:00 – 17:00

KünstlerInnen: Dominik Lejman (PL), Ellen Harvey (UK), Wolfgang Karl May (DE), Max Frey (AT), Egill Saebjornsson (IS), Ethan Hayes-Chute (US), Kirstine Roepstorff (DK), Michael Johansson (SE), Nina Braun (DE), Katharina Lackner (AT), Rebecca Raue (DE), Konrad Mühe (DE), Olafur Eliasson (DK), Stefan Saffer (DE), Andy Graydon (US), Thilo Frank (DE), Sophie Erlund (DK), Franz Hoefner und Harry Sachs (DE), Sebastian Hempel (DE), Hollie Chastain (US), Guy Ben-Ner (IL), Eduardo Basualdo (AR), Gaby Taplick (DE), Dustin Schenk (DE), David Krippendorff (DE)

Vielen Dank an Caroletta von Kinderzimmerkunst, die mich mit Ihrem Artikel zu dieser Ausstellung gebracht hat!

Alles Traditionalisten

Wie der Versuch scheiterte, einmal einen anderen Adventskranz zu nehmen.

Mit Kindern ist es nicht leicht. Die können ganz schlecht von ihren Vorstellungen abweichen. Da macht man EINMAL was anders, schon liegen alle am Boden und weinen. Als ich heute den Kindern den Adventskranz präsentierte, waren sie sprachlos. Sie hielten sich an den Händen und warteten auf das Signal „Das war jetzt ein Witz“.

Als ich vom Zähneputzen zurück kam, war der Kranz ausgetauscht.

Da half auch kein Bitten und Betteln: „Aber im Internet wurde das innerhalb der ersten Stunde mehr als 40 Mal gefavt!!!“ Die Kinder schüttelten stumm ihre Köpfe. (Und die Steine bekomme ich nur wieder, wenn ich aufhöre zu jammern.)

Das Gegenteil von Spitzer ist nicht stumpfer

Ich freue mich, dass es neben dem viel diskutierten, sehr lauten Manfred Spitzer nun zwei sanfte Stimmen gibt, die mit „Netzgemüse“ einen Gegenpol zum Thema Das-Internet-ist-der-Untergang-des-Abendlandes-und-wird-unsere-Kinder-alle-verderben gibt.

„Doch ein Zurück in eine Welt vor dem Internet […] gibt es nicht mehr. Es nützt daher wenig, sich gegen eine Welt mit Internet zu wehren, stattdessen sollten wir uns mit ihr beschäftigen, sie kennen(lernen), sie aktiv zum Besten formen und uns gemeinsam mit unseren Kindern: kümmern.“

Netzgemüse, Seite 145

Damit ist im Grunde eigentlich alles gesagt. Jedenfalls über das Internet und unsere Elternaufgaben.

Ich habe Netzgemüse sehr gerne gelesen. Ein bißchen hatte ich mich als Internetsüchtige Bloggerin und Mutter bereits mit dem Thema auseinander gesetzt und vieles, was beschrieben wird, ist ohnehin nicht neu für mich. Ich kenne und benutze Facebook, Twitter, YouTube und noch einige andere Plattformen seit einigen Jahren – auch erinnere ich mich lebhaft an Lebensphasen, in denen ich eher damit beschäftigt war, bei Monkey Island weiter zu kommen, als meine Französischvokabeln zu lernen. Mir ist auch durchaus der Reiz – das Suchtpotential – bewusst und dennoch habe ich durch das Buch noch einiges gelernt. Ich möchte das Buch aber auch all denjenigen wärmstens empfehlen, die sich im Gegensatz zu mir im Internet nicht zuhause fühlen – ja, die vielleicht sogar eher Berührungsängste mit dem Internet haben.

Für mich persönlich ist das Buch so wunderbar, weil es völlig unaufgeregt berichtet. Es ist hype- und hysteriefrei. Zudem hat es etwas, was ich sehr schätze: Es zeugt von einem durchweg respektvollen Miteinander zwischen Eltern und Kindern. Gut zu sehen an Kapitelüberschriften wie Vertraue deinem Kind so wie dir selbst (S. 247ff) und Tschüss, Kontrolle! Hallo, Gemeinsamkeit! (S. 260ff).

Ich habe z.B. sehr gerne Jesper Juuls Das kompetente Kind und Herbert Renz-Polsters Kinder verstehen gelesen. Beide haben gemeinsam, dass Kinder nicht als Tabula Rasa gesehen werden, die von den ach so erfahrenen und klugen, niemals irrenden Eltern geformt werden müssen. Diese Autoren gehen davon aus, dass Kinder gut und richtig sind und nicht erst zu irgendwas gemacht werden müssen. Die meisten Bücher dieser Art beschäftigen sich aber eher mit Kindern im Alter von 0 – 6. Bücher, die sich mit der Eltern-Kinder-Lebenswelt jenseits des Schuleintritts beschäftigen, sind rar. Das ist ein weiterer Grund warum ich Netzgemüse gerne gelesen habe.

Mir geht wirklich das Herz auf, wenn ich lesen kann, dass es andere Eltern gibt, die ihre Kinder ernst nehmen, die ihnen vertrauen, die sie begleiten und stärken. In vielen Gesprächen mit anderen Eltern bin ich erschüttert, wie wenig Kindern vertraut wird und ich finde es nach wie vor befremdlich, dass die Welt des Internets offenbar als parallel existierend neben der echten Welt gesehen wird. Auch das arbeitet Netzgemüse wunderbar heraus. Warum sollen im Internet andere Regeln gelten? Warum soll man dort anders kommunizieren, vertrauen, misstrauen, hinterfragen etc.

D.h. Netzgemüse bejubelt nicht das Internet sondern es führt LerserInnen zu den verschiedenen Haupthaltestationen des Internets und beleuchtet viele Aspekte – sowohl Chancen als auch Risiken und es gibt Beispiele, wie man mit eben diesen umgehen kann. Völlig undogmatisch.

Ich freue mich, dass es neben dem viel diskutierten, sehr lauten Manfred Spitzer nun zwei sanfte Stimmen gibt, die einen Gegenpol zum Thema Das-Internet-ist-der-Untergang-des-Abendlandes-und-wird-unsere-Kinder-alle-verderben gibt.