Kategorie: Zeug
Fußnoten
Mein Mann hat mich neulich gebeten, nicht andauernd aus dem Hintergrund zu kommentieren. Das sei am Telefon nervig und vor den Kindern nähme ihm das die Autorität.
Mein Mann ist kein Geisteswissenschaftler und es ist nicht verwunderlich, dass er noch nie Niklas Luhmann gelesen hat. Denn sonst wüsste er, dass meine Kommentare aus dem Off wahnsinnig wichtig sind. Meine Darlegungen aus den anderen Zimmern sind so was wie die Fußnoten wissenschaftlicher Texte. Sie vertiefen, unterstreichen, differenzieren und führen weiter. Es ist also unmöglich auf sie zu verzichten.
Es sei denn man möchte unsachlich sein und Themen nur oberflächlich ankratzen. Ich bin aber weder gerne unsachlich noch oberflächlich. Also schreie ich stets meine wichtigen Ergänzungen von einem Raum in den anderen.
Das macht mich freilich nicht unbedingt sympathisch – aber was soll’s. Luhmann lesen macht auch keinen Spaß aber es ist gesellschaftspolitisch sehr wichtig, dass man seine Gedanken bis in die 253654. Fußnote nachvollzieht.
So ist es unverzichtbar, dass ich wichtige Details ergänze, wenn mein Mann lapidar zu einem der Kinder sagt: „Ich möchte, dass Du den Tisch deckst.“
Ich rufe dann: „Ja, das habe ich auch schon gesagt. Wir haben gestern darüber gesprochen. Da hast Du auch schon nicht decken wollen. Genau wie am Wochenende! Da hatten wir die ganze Zeit Stress deswegen. Wie oft haben wir das jetzt schon erklärt? Im Urlaub wolltest Du auch nicht spülen. Das willst Du ja nie. Das hast Du von Deinem Vater. Der will das auch nie. Kann ich verstehen. Lust habe ICH nämlich auch keine. Nicht dass das irgendjemanden interessiert. Also das was ich [halbe Stunde Vortrag ergänzen]“
Ich komme in einen richtigen csikszentmihalyischen Flowzustand beim Reden und wenn ich zu mir komme, bin ich meist alleine. Der Mann und die Kinder sind Eisessen oder so.
Banausen. Die haben eben keine Ahnung von selbstreferenziellen sozialen Operationen!
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Ich begrüße alle Soziologie-Studenten, die über Google in dieses Blog gefunden haben. Gehen Sie weiter, es gibt hier nichts zu sehen!
Knut in Berlin
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War das eigentlich der längste und kälteste Winter meines Lebens?
Als gestern die Sonne schien, entschloss ich mich, meine Überstunden zu nutzen und das Kind früher aus dem Kindergarten abzuholen. Als ich ihm sagte, es müsse seine Presswurstjacke nicht anziehen, erstrahlte das Gesicht und es fragte: Ist jetzt Frühling?
Ja, jetzt ist Frühling. Wir liefen den Weg nach Hause und sangen Abwandlungen bestimmter Volkslieder. Ganz so wie Axels Hackes Der weiße Neger Wumbaba
# Kommt ein Vogel geflogen, setzt sich auf einen Schooooß,
hat nen Zeppel im Schnapel von Dimutti nen Gruuuuuß!
Am Spielplatz fühlte ich mich dann wie die Fleisch gewordene Verantwortungslosigkeit, denn die anderen Frauen hatten entschieden, die Kinder weiterhin in einer sich an einen Ball angleichende Form in Winterjacken mit Mützen und Schals umherlaufen zu lassen. Außerdem sprangen sie alle zehn Minuten panisch auf und betasteten die Köpfe und Hände der Kinder, um sicher zu gehen, dass sie nicht vielleicht doch fürchterlich froren.
Die Kinder schubsten sich gegenseitig um und panierten sich im noch feuchten Sand, worauf die aufgescheuchten Mütter wieder los rannten und einer Unterkühlung durch Rubbeln der Kinderkleidungsbälle entegegenwirken wollten.
Ich setzte mich derweil in das Kinderspielplatzsegelboot und ließ mich vom Kind um die Welt segeln. Die Sonne schien auf meine Nase und der Wellengang machte mich angenehm schläfrig.
Das war alles wunderbar. Bis das Kind mich mit Fragen löcherte, die ich nicht beantworten konnte.
– Warum verhalten sich Salz und Pfeffer unterschiedlich, wenn man einen statisch aufgeladenen Plexiglasstab (O-Ton „ein gerubbeltes Röhrchen“) in ein Gemisch der beiden Gewürze hält?
oder
– Wie baut man nochmal ein Periskop?
Stirnrunzelnd starre ich in die milde Frühlingssonne. Da gab es eine Aufgabe, die hat mir und meinem damaligen Freund mal ein Gast auf einer Party gestellt. Wir haben die ganze Nacht daran gerätselt, keine Lösung gefunden, gerieten in Streit, redeten die ganze Fahrt von Köln nach Bamberg nicht miteinander und trennten uns schließlich. Ich war der Meinung, dass es im n-dimensionalen Raum eine Lösung gäbe und er nicht.
Ich fand, wenn das Kind mir den Tag mit Fragen verdirbt, dann sollte es sich ebenfalls ein Paar Gedanken machen:
„Zeichne in die obere Hälfte eines Blattes drei freistehende Quadrate. Zeichne dann darunter drei weitere Quadrate. Die oberen Quadrate bezeichnest du mit „E“, „W“ und „G“ (E-Werk, Wasserwerk und Gaswerk). Die unteren Quadrate sind drei Häuser. Nun braucht jedes Haus eine direkte Leitung von jedem Versorgungsunternehmen. Wichtig ist nur eines: Keine der Leitungen darf sich irgendwo überschneiden.“
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Das man als Erwachsener den Kindern ein Vorbild ist, merkt man v.a. dann wenn man Erwachsener und Kind in vertauschten Rollen spielt. Wenn ich den Kleinen von der Kita abhole, spielt er das mit Vorliebe. Er ist Papa und ich bin Kind. Dafür erhalte ich genaue Verhaltensanweisungen: „Du musst jetzt lamsam hinter mir her laufen und dabei heulen!“
Ich trippel folglich jaulend und schniefend hinter ihm her und er geht in großen Schritten voraus und ruft dabei Dinge, wie: „Komm jetzt endlich! Ich werde lamsam ungeduldig!“ oder „Muss ich erst die nervige Stimme machen?“
Spätestens da wird einem diese Vorbildsache bewußt. Wenigstens bekomme ich am Ende unserer Ausflüge eine halbe Bratwurst, wenn ich im Einkaufszentrum lieb war.
Zum Vorbildsein gehört auch Disziplin und Selbstkontrolle. Viele Dinge, die ich mit Vorliebe mache, darf ich nicht machen, wenn das Kind da ist. Dazu gehören:
a) mehr als 10 Stunden vor dem Rechner sitzen
b) mich von Pizza, Eis und Schokolade ernähren
c) nicht raus gehen wollen
und
d) alle Klamotten und das gebrauchte Geschirr rumliegen und -stehen lassen
Das ist echt hart!
Das Schlimme ist, das Kind kommt einem immer wieder auf die Schliche. Wir haben dem Kind, um endlose Diskussionen zu vermeiden, beispielsweise verschwiegen, dass wir mittlerweile Internet haben. Ich habe also immer ein Worddokument auf, wenn ich surfe, denn wenn das Kind kommt, tippe ich da Buchstaben rein.
Einmal schlich es sich von hinten an und ich konnte nicht rechtzeitig umstellen. Es schaute mich sehr ernst an und sagte: „Aha! Ihr habt also doch Internet.“ Ich schüttelte den Kopf, blickte dabei aber zu Boden. Es hieß mich, ihm das Worddokument zu zeigen. Da standen nur sinnlos aneinander gereihte Buchstaben. Es las vom Bildschirm „R F T T S T? Rfftst?“, schaute mich an, schüttelte den Kopf und ging wortlos aus dem Zimmer. Ich habe mich hinterher sehr geschämt.
Ein anderes Mal habe ich in unserer Speisekammer heimlich Schokolade gegessen. (Ich muss täglich mindestens 200 Gramm Schokolade zu mir nehmen, sonst sterbe ich. Ich esse sie aber heimlich, weil das Kind soll das nicht sehen.)
Genau 15 Minuten nachdem ich aus der Vorratskammer gekommen war, las ich dem Kind ein Märchen vor, als es sich über meine Beine zu meinem Gesicht lehnte, an meinem Gesicht schnüffelte und sagte: „AHA! Du hast schon wieder Schokolade gegessen.“
Apropos Kind und Erwachsenenleiden. Ich habe schon mal über eine Hörspielsucht-Selbsthilfegruppe nachgedacht. Eine andere, dringend notwendige Austauschmöglchkeit mit anderen Erwachsenen würde ich gerne zum Thema Brunnengucken schaffen.
Es ist mir psychologisch völlig unklar, aber Kinder lieben Brunnen.
Brunnen aller Art, vom leise plätschernden Zimmerbrunnen über den Gartenzierbrunnen bis hin zum ausgewachsenen Freiluft- oder Einkauszenterbrunnen.
Immer – wirklich IMMER wenn wir beispielsweise im Ringcenter sind, müssen wir bei dem stinkenden, hässlichen Brunnen im Eingangsbereich stoppen und ihn bestaunen. Meistens mit Hinsetzen. Dort schaue ich in eine Runde verzweifelter Erwachsener, die Begeisterung für diese wasserzirkulierenden Pissoirs vorgaukeln müssen. Das ist so langweilig! Grauenhaft!
Wenn die Brunnen unterschiedliche Möglichkeiten haben, das Wasser rhythmisch zu verspritzen, muss man zusätzlich Fragen beantworten.
– Warum spritzt das Wasser nach oooben?
– Warum macht das Wasser Booogen?
– Warum gibt es eine Pumpe?
– Warum ist jetzt in der Mitte Wasser aber am Rand nihich?
– Wie funksioniert eine Pumpe?
Hmpf. Und wenn man antwortet, dann hören sie gar nicht hin.
„Es gibt verschiedene Arten von Pumpen. Membranpumpen arbeiten ähnlich wie Kolbenpumpen, nur dass statt des Kolbens eine Gummimembran hin und herbewegt wird und somit ein Volumen alternierend größer und kleiner wird. Die Membran wird üblicherweise mit einem Exenter bewegt, der wiederum auf einer Motorwelle sitzt. Das trifft aber nicht bei kleinen Brunnen zu. Da kommen eher Kreiselpumpen zum Einsatz.
Schwingkolbenpumpen werden aufgrund des Krachs, den sie machen eher selten für Brunnen eingesetzt.“
Superduper Döner
Vertiefung
Weiterlesen
Erfahrungsberichte
- Emma Clit: The Mental Load: A Feminist Comic
- Gemma Hartley: Es reicht.: Warum Familien- und Beziehungsarbeit nicht nur Sache der Frau ist
- Jancee Dunn: Bring deinen Mann nicht gleich um, du könntest ihn noch brauchen: Die Elternzeit als Paar überleben
- Darcy Lockman: All the Rage: Mothers, Fathers, and the Myth of Equal Partnership
Lösungsansätze
- Bei mir im Blog
- Amy & Marc Vachon: Wirklich gemeinsam Eltern sein: Das Handbuch für die neue Eltern-Generation
- Stefanie Lohaus & Tobias Scholz: Papa kann auch stillen: Wie Paare Kind, Job & Abwasch unter einen Hut bekommen
- Eve Rodsky: Fair Play: A Game-Changing Solution for When You Have Too Much to Do (and More Life to Live)
- Anne-Marie Slaughter: Was noch zu tun ist: Damit Frauen und Männer gleichberechtigt leben, arbeiten und Kinder erziehen können
Reinhören
• Podcast „Mit Kindern Leben“ – Mental Load
• Podcast Dear Sugars – Emotional Labor: The Invisible Work (Most) Women Do
• Radiofeature Deutschlandfunk Kultur Das Rollenbild der Mutter
• Audible Podcast German Liebe – Mental Load in Staffel 2, Folge 2 (Bezahlschranke)
Roman
- Maria Sveland: Bitterfotze
Sehr smart
Ja, ich twittere von smarten Geräten. Mal vom smarten Klo, mal von meiner smarten Lampe. Die Buchstaben sende ich direkt über meine Gedanken.