re:publica, Tag 3.0

Da wir für Kind 3.0 erst ab August einen Kindergartenplatz haben, hat sich mein Mann während der re:publica frei genommen. Am ersten Tag haben die Kinder noch nach mir gefragt, am dritten zerrte Kind 3.0 das Kissen aus dem ehelichen Bett, schleppte es zu meinem Mann, der am Computer saß und zeigte das Babyzeichen für Milch. Da sieht man wieder wie flexibel Kinder sind.
Ich muss gestehen, dass ich den letzten freien Vormittag tatsächlich ausschließlich für mich genutzt und total verrückte Sachen gemacht habe. Z.B. habe ich eine Zeitung gelesen und mir 254 verschiedene Brillengestelle auf die Nase gesetzt.

Aus logistischen Gründen war es mir nur möglich drei weitere Programmpunkte mitzuverfolgen. Zum einen den Vortrag von ixDie Zukunft des Internet, der Welt und des ganzen Rests“, der aufgrund seiner bescheidenen Art ein bisschen so was wie ein inverser Sascha Lobo* ist. Aus dem Vortrag habe ich im wesentlichen mitgenommen, was Herbert Grönemeyer schon vor Jahren besungen hat: Bleibt alles anders.

Danach hörte ich der angenehm lauschigen Gesprächsrunde „10 Jahre Blogs in Deutschland“ zu.

Beide Panels haben mich in Erinnerungen schwelgen lassen, als ich Mitte der 80er von meinem Vater einen C16 geschenkt bekam und mir aufregende Spiele in BASIC programmierte. Ich musste auch an die Unizeiten denken, in denen ich mich in Turbo Pascal versuchte und total stolz auf meine erste Emailadresse nuf.wrze.blob234@rz-uniba.de war und es noch nicht mal festgelegte Zitierungsregeln für Quellen aus dem Internet für wissenschaftliche Arbeiten gab und für mich der Metager so was wie die Entdeckung eines bislang übersehenden Planeten in unserem Sonnensystem war. Was war das schön, damals, vor 20 Jahren.

Einen krönenden Abschluss bot der Beitrag von Johnny Haeusler „Was hat das Internet je für uns getan?“, der im ersten Nerdchor weil wir gemeinsam „Bohemian Rhapsody“ sangen. Gefühlsmäßig war ich kurz davor in Tränen der Dankbarkeit auszubrechen. Es ist doch einfach so schön, dass es das Internet gibt und dass sich im Internet alle so lieb haben (*knuddelknuddel*!).

Da ich am Vortrag zuhause meinen Ratgeber „Small-talk – nie wieder sprachlos“ noch mal intensiv durchgeblättert hatte, gelang es mir zudem neun Mal „Hallo“ zu sagen und insgesamt 28 zusammenhängende Sätze mit mehr oder weniger fremden Menschen zu sprechen. Am Abend war ich im hippen Mitte (und das ganz ohne Haarknoten) mit einer kleinen Gruppe Menschen essen. Die Tischplatzsitzuation erinnerte stark an Speeddating, aber da es keine Klingel gab, konnte ich mich etwas länger mit der sehr bezaubernden Maike unterhalten.
Zurück in der Kalkscheune fühlte ich in mir eine gewisse Tanzbereitschaft, die durch den DJ jedoch bis in die letzte Nervenzelle abgetötet wurde. Ich kann mir nicht vorstellen, dass auf einer Ü40 Party in Pasewalk schlimmere Musik aufgelegt werden könnte. Die Steigerung der Musikauswahl würde dann einfach Festival der Volksmusik oder Karnevalssitzung heißen.
Ich trottete also nach Hause.

Fazit: So wie 2009 eine sehr gelungene Veranstaltung, die begrüßenswerter Weise nächstes Jahr an einem anderen – mehr Platz bietenden Ort – stattfinden wird und der ich sehr gerne ein weiteres Mal beiwohnen möchte.

*Durch sinnloses Herumstehen im Hof der Kalkscheune wurde ich unverhinderbar Ohrenzeuge einiger Sascha Lobo Lästereien. Den Kritikern kann ich eine einfache Regel empfehlen: Wenn man Personen total doof findet, einfach Orte aufsuchen, an denen sich diese Personen niemals aufhalten: In Berlin dürften das in diesem Fall ca. 6.500 Haltestellen der BVG sein.

re:publica, Tag 2.0

Der zweite Tag re:publica hat gebracht, was ich mir persönlich von der re:publica verspreche: Inspiration und Spaß. Herausragend im Programm waren für mich der Vortrag von Prof. Gunter Dueck und das Panel „BloggerInnen im Gespräch„, was nicht zuletzt an der charismatischen Julia Probst lag.

Das Blog von Herrn Dueck wurde mir von ehemaligen Studienkollegen bereits ans Herz gelegt, die Bücher werde ich mir sicherlich auch zu Gemüte führen. Herr Dueck hat mich sehr an meinen ehemaligen Professor Dietrich Dörner (unbedingt lesen: Bauplan für eine Seele) erinnert, der gleichsam provokant wie auch geistreich lehrt, schreibt und Vorträge hält.
Für mich ist es eine große Freude so genialen Menschen zuzuhören und ihre Ideen und Ansichten kennen zu lernen. Sie sind für mich im wörtlichen Sinne verrückt aber genau dieses neben der Norm stehen bringt die Lösungen, welche der Gesellschaft heute fehlen. Schon Einstein soll gesagt haben: „Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.“
Für mich sind die im Vortrag angesprochenen Themen von großer gesellschaftlicher Tragweite und wirken gleichzeitig direkt auf mein persönliches Leben. Spätestens mit Schuleintritt von Kind 1.0 (und dem gleichzeitigen Erkennen wie sehr die Schule als Institution bereits in den ersten Jahren versagt, weil sie in überholten Denkstrukturen und Menschenbildern verhaftet ist) wurde uns als Eltern der notwendige Wandel von der Wissensgesellschaft zur „Exzellenzgesellschaft“  gewahr.
Schon als 5 jähriges Kind stellte Kind 1.0 fest: „Wie könnt ihr das alles wissen ohne Internet?“.

Zweites Highlight des Tages war das Panel „BloggerInnen im Gespräch“ . Sehr angenehm moderiert von Philip Banse. Mich hat v.a. das Gespräch mit Julia Probst beeindruckt. Nicht zuletzt weil in unserem Leben die Gebärdensprache – wenn auch nur in Form von Babyzeichen – eine große Rolle spielt. Wenn ich mit meinem Baby gebärde, erlebe ich oft mitleidige Blicke (Ach Herrje! Ist das Kind etwa gehörlos?) und bin mit irrationalen Ängsten konfrontiert (Das Kind lernt doch so nicht sprechen!?). Das Gegenteil ist übrigens der Fall. Beide Kinder mit denen wir gebärdet haben, haben viel früher angefangen zu sprechen und es ist unfassbar welche zusätzlichen Kommunikationsmöglichkeiten sich durch Gebärden eröffnen. Zudem habe ich übrigens den Eindruck dass sich das frühe Gebärden sehr positiv auf das Erinnerungsvermögen und auf die Entwicklung des Selbst auswirken…
Jedenfalls war es sehr interessant kurzzeitig in die Welt der Gehörlosen Einblick zu gewinnen und dafür sensibilisiert zu werden an welche Grenzen Gehörlose im Alltag unnötigerweise stoßen (müssen).

Allein diese beiden Programmpunkte haben den Besuch der re:publica lohnenswert gemacht (alle anderen Programmpunkte, kehre ich aus Platzgründen galant unter den Teppich).

re:publica, Tag 1.0

Als bekennende Sozialphobikerin durfte ich mich den ganzen Tag an diplixens Jackettzipfel hängen (außer in den vier Pipipausen, die er netterweise kurz gehalten hat). Ich habe deswegen seiner bereits niedergeschriebenen Zusammenfassung des Tages kaum etwas hinzuzufügen.

Außer vielleicht, dass ich es schade fand, aus Platzgründen nicht mal in die Nähe des Türrahmens des Panels „Shitstorm? You can do it!“ gekommen zu sein und dass ich als Diplom-Psychologin die inszenierte Persönlichkeit von Sascha Lobo natürlich nach diesem großartigen Vortrag über die Trollforschung wieder ein bißchen mehr verehre.

(Ach und übrigens, wenn ich das im Vortrag über Medienkompetenz richtig verstanden habe, bekommt man sein Netzpferdchen erst auf die Unterhose getackert, wenn man beliebige Passagen aus Muschileaks zitieren kann ohne dabei frauenfeindliche Witze im Hinterkopf zu haben.

Im selben Vortag gab es übrigens eine Folie zu sehen, die zeigte, wie ein Kind mit einer Axt spielte (2. Reihe, 3. Bild von rechts). Dies sollte ein Symbol der Gegenseite dafür sein, dass man das Internet für Kinder lieber filtere oder am besten gar nicht erst zugänglich mache – schließlich lasse man die armen Kleinen auch nicht mit Äxten hantieren. Mich hat diese Folie nachhaltig verwundert – denn ich bin große Verfechterin davon dass man Kinder durchaus mit Äxten spielen lässt. Das meine ich ausnahmsweise sogar ernst. In unserem Haushalt sind keine Kindersicherungen und ähnlicher Unsinn zu finden. Das spart Unmengen an Geld und ermöglicht den Kindern einen kompetenten Umgang mit Messer, Schere, Licht. Es ist also keine Frage ob sondern wie man die Kinder (altersgemäß) heranführt.

Ein weiterer Grund warum ich mich auf das Erscheinen des Buchs „50 Dangerous Things (You Should Let Your Children Do)“ freue.

Für die Einführung von Väter-Quoten

Wenn man seine Zeit regelmäßig mit dem Besuch von Krabbelgruppen verbringt, wird eines schnell klar: Melting Pot und alle Konzepte von gesellschaftlicher Assimilation oder Integration sind und bleiben Träume.
Es scheitert nämlich schon an der Vermischung von Krabbelgruppenvätern und Krabbelgruppenmüttern. Vielleicht würde hier eine Väter-Quote eine Änderung bringen?
Vor vier Jahren noch gab es auf jede zehnte Krabbelstunde einen Papaexoten. Die Leiterinnen haben ihn meist minütlich gelobt und stets in den Vordergrund gestellt, dass es total toll sei, dass die Papis jetzt auch massieren, schwimmen, singen und krabbeln.
Jetzt sehe ich eigentlich in jeder Runde mehrere Väter. Im Grunde hat sich aber nichts geändert. Sie sind jetzt nur keine Einzelexoten mehr sondern Gruppenexoten.
Es gibt Papaecken, in die sich selbige verziehen und von dort aus werden sie von den Mamas beäugt. Machen die auch alles richtig? Was ziehen sie den Kindern an? (Viel zu warm! Viel zu kalt! Diese Farbzusammenstellung!) Spielen die auch richtig mit den Kleinen? (Viel zu viel! Viel zu wenig! Viel zu wild!) Was gibt’s zu essen? (Viel zu ungesund! Viel zu wenig! Viel zu früh!)
Die Liste der bösartigen Beäugungen ließe sich beliebig fortsetzen. Und sollte es wider Erwarten einen Vater geben, der von den Verhaltensweisen der Mütter kaum abweicht, bleibt ja noch eines: Warum macht der eigentlich Elternzeit? Ist der arbeitslos? Was ist das überhaupt für ein Luschi?
Väter haben es echt nicht leicht. Das was in der Jobwelt Frauen widerfährt, bekommen sie eins zu eins im Kreise der Kinderentertainmentrunden zurück.
Chancen zur Integration gibt es kaum. Grenzen zwischen den Geschlechtern zu überschreiten ist nicht möglich, weil es das unausgesprochene Verbot gibt, Frauen anzusprechen. Wehe es wird übertreten! Was will der jetzt? Soll das eine Anmache sein? Was sagt seine Frau dazu? Noch schlimmer: Hat der überhaupt eine? Armes Kind!
Liebe Mütter, ich fordere hiermit auf: Öffnet Eure Herzen! Grüßt die Papas. Es sind auch nur Menschen.

Filme, nacherzählt

Für mich die beste Veranstaltung des Jahres und zwar Jahr für Jahr: Das Festival des nacherzählten Films. Seit es existiert, gehe ich hin. Nur 2009 musste ich es ausfallen lassen weil Kind 3.0 zu den Festivaltagen geboren wurde*.
Das Prinzip ist ganz einfach: Ein oder mehrere Redner erzählen etwas nach, das verfilmt wurde. Hilfsmittel aller Art sind unzulässig. Es spielt jedoch keine Rolle, ob man ein Film, eine Serie, ein Musikvideo, das eigene Hochzeitsvideo, eine Dokumentation oder eine Werbung nacherzählen möchte.
Das Ergebnis ist faszinierend. Von Bud Spencer Filmen, über Tierdokumentationen, Filme, die kein Mensch kennt, bis hin zu 50er Jahre Serien – alles wird nacherzählt, nachgesungen oder sogar pantomimisch dargestellt. Ich habe in all den Jahren noch keinen Beitrag gesehen, den ich als schlecht empfunden habe. Ich habe Tränen gelacht und geweint. Das Festival ist ganz wunderbar.
Anscheinend finden das andere auch, denn die Zuschauerzahlen steigen, nur an Nacherzählern mangelt es (zumindest im Vorfeld, so dass die Organisation des Festivals erschwert wird).
Glücklicherweise melden sich im Laufe der beiden Festivalabende weitere Freiwillige, so dass auch in diesem Jahr auf 27 Nacherzählungen präsentiert wurden.
Ich bewundere die Nacherzähler und besonders diejenigen, die sogar spontan auf die Bühne kommen. Jahr für Jahr nehme ich wunderbare Inspirationen für Serien und Filme mit und mir bleiben (film)begeisterte Menschen mit einer unglaublichen Ausstrahlung und Präsenz in Erinnerung.
Am liebsten würde ich jedem einzelnen Nacherzähler nach dem Festival um den Hals fallen und mich tausend Mal bedanken.
Meine absoluten Favoriten in diesem Jahr waren „Invictus“ und „Missfits (Serie)“, sowie der Dauerbrenner „Vom Winde verweht“. Danke für diese beiden tollen Abende!

Hier einige sehr grandiose Beispiele:
Herr der Ringe 1-3 (1. Teil) und Texas Chainsaw Massacre

 

Gewinner der silbernen Linde Januar 2011: Andres Blumenthal „Mamma Mia!

*Übrigens nicht unbedingt ein Grund, denn es gibt eine Nacherzählerin, die sich zum errechneten Geburtstermin mal locker flockig auf die Bühne gestellt hat und ihren Lieblingsfilm nacherzählt hat.

Der Vorfall

Wer die letzten Einträge gelesen hat, der erliegt dem trügerischen Eindruck, dass ich meinen Mann eventuell nicht ausreichend wertschätze. Das stimmt natürlich nicht. Ich würde ihn jederzeit ohne Bedenken wieder heiraten. Er gibt mir manchmal nur Rätsel auf.
Letztes Wochenende zum Beispiel trug sich folgendes zu:
Am Samstag, dem Tag an dem wir Wäsche waschen und trocknen und das Bad durch die Trocknerabwärme so warm wird, das Kleinkinder und Säuglinge nackend nicht mehr frieren, ist in unserer Familie traditionell Badetag. Wir trocknen also einige Maschinen, bis die Luft schön warm und die Badewanne voll warmen Kondenswasser ist und dann kommen die Kinder in selbige und werden grundgereinigt.
Das macht meistens mein Mann, weil ich, ebenfalls traditionell in der Küche stehe und das Essen zubereite.
Als ich also nach Abschluss meiner Arbeiten in das Bad trete, eröffnet sich mir folgende Szenerie. Kind 3.0 und 2.0 stehen kreischend mit hochroten Köpfen vor der Badewanne. An der Wand, der Badezimmerkommode, der Badewanne und über den ganzen Boden verteilt wässrige Exkremente. Der Mann bleich: „Ich habe Deinen Namen gerufen!“
AHA!
Doch was war passiert?
Kind 3.0 hatte in die Wanne gemacht, worauf Kind 2.0 in Panik die herausgedrückten Ausscheidungen auffing und ekelgeschüttelt aus der Wanne schmiss. Alle. Nach und nach.
Meine Frage nun (wohlwissend das ein Malheur als solches durchaus mal vorkommen kann): Was war mit dem Mann? War er ohnmächtig als sich all das ereignete?
Ich frage ihn. Er, schlapp: „Ich habe Deinen Namen gerufen!!!“
Ich habe Deinen Namen gerufen? Call my name? I hear you call my name … in meinem Kopf bildet sich die Melodie zu Madonnas “Like a prayer”. Ich summe und wische das Chaos auf.