Das zügellose Leben

Als Hausfrau und Mutter zahlreicher Kinder führe ich ein sehr geregeltes Leben.
Zudem bin ich in Franken aufgewachsen und Tochter eines Sizilianers.
Unterm Strich spart das wahnsinnig viel Geld. Meine Kicks sind billig. Ich brauche keine Drogen und muss mich weder einem Survival-Camp noch beim Bungeejumping beweisen.
Für mich hält der schnöde Alltag die Abenteuer bereit, die ich brauche, um an Grenzen zu gehen.
Zum Beispiel bekomme ich wildes Herzklopfen, wenn ich den 18jährigen Zeitungsverkäufer duze.
Nicht etwa weil er gut aussieht oder weil er so blütenfrisch ist, nein, einfach weil ich ihn duze.
Denn da wo ich herkomme, siezt man Fremde und auch Menschen, denen man zwanzig Jahre lang täglich begegnet. Es sei denn, sie bieten das Du ausdrücklich an.
Unsere ehemalige Nachbarin beispielsweise, die sieze ich seit rund dreißig Jahren.
Wenn ich also morgens eine Zeitung hole und sage: „Das Wechselgeld kannst Du behalten“, dann komme ich mir verboten und verrucht vor. Zügellos und ungebändigt. Beinahe so wild, dass ich mir meine Haare zerwuscheln könnte. Und das Morgen für Morgen.

Paare, Passanten

Je länger ein Paar zusammen ist, desto mehr passt es sich optisch an. Manchmal wird dies durch günstige Paarlookkäufe unterstrichen.
Kaufe zwei Stoffjacken bei Kick und zahle nur eine.
Mein Partner und ich sind nun gefühlte 20 Jahre zusammen. Nichts gegen die Äußerlichkeiten meines Partners. Er hat viele begehrenswerte Eigenschaften. Zum Beispiel wiegt er deutlich unter 60 Kilo. Auch hat er sehr straffe Oberarme. Vom Gesäß nicht zu sprechen. Er hat dichtes, dunkles Haupthaar und auch die Völle seiner Oberlippe tät ich ohne weiteres übernehmen.
Tatsächlich aber – und so ist es auch oft beim Vererben der Gene an den Nachwuchs – überträgt sich nicht das, was man gerne hätte.
So bleiben mir nur die Augenringe, die starke Beinbehaarung und der leichte Buckel. Doch was soll’s. Wenigstens weiß man woher man es hat.

Organic Suff

In unserem Viertel hängen Aufkleber mit seltsamen Botschaften. Weil sie niemand verstand, wurde nochmal nachgeklebt. „Latte Macchiato 4 Euro, Bier 4 Euro, Kreuzberg 2010“, das verstehe ich im Gegensatz zu „Spree ohne Ufer“ sehr gut.

Ich bin auch ganz niedergeschlagen ob des Verfalls unserer Gesellschaft. Als ich gestern im 27. Biomarkt unseres Kiezes einkaufen ging, begegnete mir doch tatsächlich eine Horde Punks, die ihr Bier dort kauften und sich dann grölend und stinkend in den Eingangsbereich setzten, um es dort zu trinken.

Furchtbar sowas!

Begegnungen der 27. Art

Falls es demnächst keine neuen Einträge mehr gibt, hier die Erklärung.
Nuf steht nichtsahnend auf der Straße. Ein ca. vierjähriges Kind reißt sich von der Hand des Vaters los und läuft zu Nuf.
– Hallo, sagt es.
– Hallo, sagt Nuf.
– Du musst bald sterben.
Kind lächelt und geht wieder zum Papa.
Stellen Sie sich vor, wie man sich fühlen würde, wäre man abergläubisch.
Bin ich aber gar nicht. Sicherheitshalber habe ich die Zunge im Mund verdreht, den Daumen zwischen Zeige- und Mittelfinger gesteckt und ein Paar Gläser zerworfen.