Bahnfahren ist schön

War es für mich jedenfalls so lange, wie ich jobbedingt kostenlos erste Klasse reisen konnte.
Als Normalmensch ist bahnfahren schwierig.
D.h. eigentlich stört ja nicht die Bahn sondern die anderen Fahrgäste. Kontakt lässt sich nur ganz schwer vermeiden. Deswegen buche ich für mich gleich immer ein ganzes Abteil. Immerhin kann man ein Abteil für nur neun Euro für sich alleine haben. Man bestellt seine Tickets einfach im Internet und gibt fünf Kinder unter fünf Jahren an und dass man auf keinen Fall in einem Großraumabteil sitzen möchte.
Wenn dann während der Fahrt Menschen kommen und fragen, ob frei sei, muss man nur streng schauen und selbstbewusst mit „nein“ antworten. Penetranten Nachfragern berichtet man von den Freundinnen, die gerade im Bordrestaurant einen warmen Kakao zu sich nehmen. Schaut sich der Nachfrager im Abteil um, wird er kaum Verdacht schöpfen, denn schließlich hat jede vernünftige Frau, die verreist, Gepäck für rund zehn Menschen dabei. Lediglich, die Damen, die das wissen runzeln ungläubig ihre Stirn, denn immerhin müsste sich im Abteil ja Gepäck für sechzig Menschen befinden. Im Regelfall gibt sie dennoch auf und lässt von den vermeintlich freien Sitzplätzen ab.
Diese Taktik geht eigentlich immer auf. Mit Ausnahme von letzten Sonntag. Da gab es nur fünf statt der sechs gewünschten Plätze, die sich reservieren ließen. Optimist wie ich bin, dachte ich, fünf freie Plätze, das ist besser als gar nichts und ein weiterer Mensch im Abteil, so garstig kann der nicht sein.
Weit gefehlt.
Ein Mensch kann so furchtbar sein, dass man sich das gar nicht ausmalen kann. Dabei spreche ich nicht mal von den Menschen, die sich mit Krautbouletten und/oder abgelaufenen Hack während der Fahrt verpflegen, Blähungen bekommen und die Luft in explosives Gasgemisch verwandeln während sie ihre langen, gelben, nach kräftigem Pecorino duftenden Fußnägel schneiden bzw. sich die Hornhaut der Unterseite des Fußes abnagen.
Die erkennt man nämlich gleich. Da kann man adäquat reagieren. Viel schlimmer sind die Unscheinbaren. Die inversen Scheinriesenomas z.B.
Die sitzen mit straff gekämmten Dutt im selbstgestrickten Pulli lächelnd im Abteil. Bewusst setzt man sich so, dass mindestens ein Platz zwischen der Oma und einem selbst frei bleibt. Bei inversen Scheinriesen nützt das allerdings nichts. Je näher man ihnen kommt, desto größer werden die nämlich und alles unter zehn Meter ist leider unter sehr nah zu verbuchen. Man nimmt Platz und schon ist man ihnen auf den Fuß gestiegen. Am Anfang kann man sich das nicht erklären und entschuldigt sich für das Missgeschick. Daraufhin quetscht man sich dicht an die Fensterscheibe und hat sie dabei wieder grobmotorisch angestoßen. Aus den Augen der unscheinbaren Oma entweichen kleine Blitze und sie beginnt damit sich galertartig im Abteil auszubreiten. Ich erinnere mich an „Der Schwarm“ und sehe das Ende der Welt auf mich zukommen. Während ich langsam in einer der Hautfalten der Dame fortgeschrittenen Alters verschwinde, wünsche ich mir, ich hätte mich mit einem Platz im Großraumabteil zufrieden gegeben. Dort wäre ich nur in uninteressante Gespräche verwickelt worden oder ein Kind hätte mich von hinten bekotzt. Das sind meine letzten reumütigen Gedanken. Dann umschließt mich die Dunkelheit.

Auffallen um jeden Preis

Wenn man so viel wiegt wie ein grauhäutiges Säugetier, lernt man die Vorzüge der beinahe Schwerelosigkeit schnell schätzen. Die Umgebung der Einrichtungen, die ein solches Leichtgefühl verschaffen hingegen schätzen die Anwesenheit von menschlichen Elefanten jedoch nicht. D.h. ich weiß nicht, wie es ist, wenn man einen dieser Zeltbadeanzüge trägt. Im Bikini wird man mit zunehmenden Bauchumfang angestarrt, als trage man Satans Brut mit sich herum. Dabei ist mir aufgefallen, dass v.a. in sogenannten Wellnessbädern mein Bauch nicht wesentlich kleiner als der der anderen Damen ist. Der einzige Unterschied ist, dass mein Bauch straff ist.
Die Empörung über meinen Anblick missachtend habe ich jedoch jede Chance genutzt ein bisschen schwimmen zu gehen – v.a. dann, wenn es sich um Thermalbäder handelte. Da kann man nämlich kieltreibend durchs Wasser floaten ohne dass einem kalt wird.
Von der Obermaintherme in Bad Staffelstein war ich schwer begeistert. Jede Stunde gibt es hier eine kostenlose Aktivität. Meine Favoriten waren Aquapower und Gesichtsmaske. Aquapower im Kreise der Ü80-Jährigen zu den Smashhits von Mr. President, das ist eine Sache, die man einmal im Leben gemacht haben sollte. Begeistert werfe ich im Takt der Musik Arme und Beine in die Luft, fühle mich wie ein Sportass, schwitze sogar und kann mich kaum davon abhalten laut Coco Jamboo (Yayaya Coco Jamboo yaya yeah, Put me up, put me down, Put my feedback on the ground, Put me up, take my heart and make me happy […]) oder JoJo Action (JoJo Action – satisfaction, Candy apple tree, JoJo Action – satisfaction, JoJo honey bee, Listen JoJo Action, Gimme satisfaction, JoJo come with me) mitzusingen.
Eine Stunde später stehe ich als erste in der Reihe wenn es um die Verteilung der Schlammportion für die französische Heilerde geht. Das erste Mal kam ich zu spät, also musste ich einige Opas und Omas unauffällig vom Beckenrand ins Wasser stoßen um sicherzustellen, dass ich diesmal ausreichend Schlamm zu meiner Hautverschönerung abbekommen würde.
Begeistert schmiere ich mir die Gesichtsmaske auf die Haut und bewundere meinen Anblick im Spiegel. Das Ding aus dem Sumpf hätte sich umgehend in mich verliebt.

Des Sumpfdings Liebe

Mein Gesicht ist erst einheitlich dunkelgrün, doch dann atmen sich die Poren ihren Weg frei und ich werde hellgrün/weiß gesprenkelt. Jede auch nur mikromillimetertiefe Falte sieht nach weiteren fünf Minuten aus wie eine Ackerfurche.
Die Haut brennt, doch als Optimist halte ich das für die verschönernde Energie der Gesichtsmaske. Erst beim Abwaschen stelle ich fest, dass es sich um eine allergische Reaktion handelt. Mein Gesicht ist heiß, rot und geschwollen.
Ich entschließe mich, mir einen kleinen Snack im thermaleigenen Bistro zu gönnen. Vom Außenbeckenbereich konnte ich deutlich lesen: Hier sind sie auch in Badebekleidung herzlich willkommen.
Wunderbar, denke ich, und mache mich meinen Kugelbauch vor mich herschiebend auf den Weg ins Café. Als ich dort endlich ankomme, werde ich von den Anwesenden angestarrt als sei ich nicht das Objekt der Begierde des Dings aus dem Sumpf sondern das Monster selbst.
Alle sind komplett angezogen. Manche tragen sogar Schals und Mützen, nur ich stehe im Bikini mit tomatenrotem Schwellgesicht im Thekenbereich.
„Huhu“ grüße ich freundlich und löse mich in Luft auf.

Jaaahaaaa was is denn das, ei ei ei?

In teerzähen Schritten geht es auf die Geburt zu. Ein Event auf das man sich noch mehr freut als auf eine dreitägige Wurzelbehandlung beim Zahnarzt. Befragungen im bekindeten Freundeskreis haben ergeben, dass es trotz der finalen Vorausschaubarkeit des Ergebnisses der Geburt (Kind ist raus) doch noch bei allen Frauen großes Erstaunen darüber gab, dass am Ende ein echtes Kind geboren wurde. Man glotzt das verschleimte Ding an und wundert sich, meistens zwei Tage und zwei Nächte lang.
Zu Beginn erstaunten mich solche Berichte. Die letzten Tage vor der Geburt versagte jedoch tatsächlich auch mein Vorstellungsvermögen. Soll da in wenigen Tagen wirklich ein menschliches Wesen aus mir entsteigen?
Was wenn es doch ein Hund wird, frage ich meinen Freund ängstlich, wir wollten doch keine Haustiere.
Nach kurzem, sorgvollen Überlegen entscheiden wir uns dann, das Hündchen im Fall der Fälle einfach zu rasieren und in Babyklamotten zu stecken. Das erste Jahr wird das unserem Freundeskreis und den Familien kaum auffallen.
Zu der Thematik bitte auch hier lesen

Planung ist die halbe Miete

Ich organisiere gerne alles perfekt. Eine Geburt im Detail zu planen ist, das geht selbst mir auf, eine – sagen wir – anspruchsvolle – aber keineswegs unmögliche Aufgabe.
Im Grunde ist es ähnlich wie im Job. Man hat ein Expertenteam, das man koordinieren muss. Die Experten sind gelegentlich anderer Meinung als man selbst, aber schließlich muss man als Koordinator für das Ergebnis gerade stehen und nicht die Experten und so setzt man sich lauwarm lächelnd durch.
Der größte Aufwand ist mit dem Geburtssoundtrack verbunden. Man weiß schließlich nicht wie viel Stunden er abdecken muss. So bespielt man sich 3 CDs Eröffnungsphase mit dem Titel Muttermund öffne Dich, 1 CD Übergangsphase Aggressiv und trotzdem hilfsbedürftig und 1 CD Austreibungsphase Daaaaa ahhhh aaahhhh es drückt so.
Des weiteren geht man natürlich nicht ungestylt zur Geburt. Klar macht es sich nicht besonders gut mit einer dicken Make-up-Schicht ins Krankenhaus einzurücken – ein dezentes und natürlich wirkendes Tagesmake-up ist jedoch machbar. Dabei sollte man an die Schweiß-, Schmier- und Weinfestigkeit achten. Wasserfeste Wimperntusche ist demzufolge unverzichtbar.
Auch die Frisur will durchdacht sein.
Offene, lange Haare verkleben gerne das Gesicht – wohingegen ein Pferdeschwanz schnell zum unbequemen Nackenknubbel wird, wenn man sich mal ausruhen will. Eine aparte Hochsteckfrisur ist also das Mittel der Wahl.
Bei der Kleidungswahl ist darauf zu achten, dass sich die diversen Flecken, die bis zum Ende der Geburt darauf entstehen werden sich optisch gut in das Grundmuster integrieren. Muster, wie sie öffentliche Verkehrsmittelträger gegen Grafitti gerne verwenden, empfehlen sich also auch für diesen Event.



Darüber hinaus ist zu beachten, welcher Geburtsort in die Urkunde eingetragen werden wird. Für mich als Landei sind beinahe alle Vermerke akzeptabel – solange nur Berlin als Zusatz dasteht. Mein Kind soll hip sein und etwas von dem Hauptstadtflair mitbekommen: kulturell vielfältig, geliebt von vielen – aber im Fall der Fälle in der Lage mit sehr wenig Geld ein glückliches Leben zu führen.
Arzt-, Krankenhaus- und Hebammenwahl treten ob dieser wichtigen Kriterien dabei beinahe in den Hintergrund der Planung. Schließlich sind die nur ein Paar Stunden relevant und nicht das gesamte Leben so wie die Geburtsurkunde!
Wenn alle Details nun geplant sind, stellt sich ab der 34. Woche eine gewisse Reiseunwilligkeit ein. Leider ist diese Zeit, kurz vor dem Mutterschutz jedoch optimal, um sich von alten, kinderlosen Freunden zu verabschieden. Da diese ob ihrer Jobwahl über ganz Deutschland (schlimmstenfalls Europa) verteilt sind, lassen sich Kurztrips kaum vermeiden.
Ein Kind im Zug zu gebären, stellt hier nicht das Problem dar, winkt doch eine lebenslange kostenlose Mitgliedschaft im Bahnerverein.
Viel schlimmer ist der Gedanke an Ortseinträge in der Geburtsurkunde wie Mückenloch, Gammelshausen, Feucht oder Hodenhagen bei einem überraschenden Blasensprung während der Ortsdurchfahrt.
Wem die zarte Psyche des eigenen Kindes lieb ist, der bleibt also zuhause und sagt den Freunden lieber telefonisch Goodbye.

Wohlschmeckende Kochrezepte

Wie bereits berichtet, gibt es Dinge, die im alltäglichen Leben niemals Thema werden, es sei denn, man besucht einen Geburtsvorbereitungskurs.
Die Kursteilnehmer sitzen mit schreckgeweiteten Augen im Lehrkreis und verarbeiten gerade die Grauenhaftigkeiten der letzen Geburtsphase. Man fächert sich um Sauerstoff ringend gegenseitig Luft zu und denkt, jetzt ist das schlimmste überwunden, als die Hebamme das Thema Nachgeburt anschneidet.
Persönlich bin mich mir plötzlich sicher, dass ich gleich etwas erfahren werde, was schlimmer als jeder Darmspiegelungsbericht oder jede Ekeljugendeskapade von MC Winkel sein wird.
Ich überlege, ob ich auf die kindheitsbewährte Methode des Finger-in-die-Ohren-steckens-und-dabei-laut-singend zurückgreifen sollte, doch da ist es zu spät.
„Was wollt ihr eigentlich mit Eurer Plazenta nach der Geburt machen?“
Kann man denn und v.a. muss man denn irgendwas damit machen? Kann man sie nicht einfach ekelerfüllt ignorieren? Stille im Raum.
„Nun“, fährt die Geburtshelferin fort „den Mutterkuchen könnt ihr z.B. zu Energieglobuli verarbeiten lassen. Das hilft Euch v.a. im Wochenbett aber auch im späteren Leben über Enegrietiefs hinweg. Auch gibt es den Brauch, ihn einfach zu verspeisen…“
Plötzlich erinnere ich mich an Tom Cruise, der jüngst verlauten ließ, „Ich werde die Plazenta essen. Ich dachte, das wäre gut. Sehr nahrhaft. Ich werde die Nabelschnur und die Plazenta essen…

Lecker! (Zwischenanmerkung: Wem es an Rezepten fehlt, der schaue doch einfach hier nach)
Weiter verbreitet sei es jedoch die Plazenta mitzunehmen und im Garten zu vergraben bzw. ein Bäumchen auf ihr zu pflanzen.
„Ha, ha, Pech für die Wintergebärenden“, entfährt es mir. Nein, nein, versichert die Hebamme, Plazenta ließe sich hervorragend einfrieren. Wenn Baumpflanzsaison ist, holt man sie einfach wieder aus dem Gefrierfach und tata pflanze, wie geplant, das Bäumchen darauf.
In mir steigt eine schreckliche Vision auf. Wir frieren die Plazenta ein, kurz vor Ausbruchs des Frühlings haben wir Besuch. Weil wir beide berufstätig sind, müssen die Gäste sich tagsüber selbst beschäftigen. Man entlässt sie morgens mit den Worten: „Fühlt Euch wie zuhause. Ihr könnt alles benutzen und essen, was ihr findet.“ und denkt sich nichts Böses.
Am Abend, als man bei einem Gläschen Rotwein den Tag resümiert, fragt man höflich „Na was habt ihr so gemacht“ und erstarrt ob der Antwort.
„Ach nichts besonderes. Ausgeschlafen und Mittags dann die Leber gekocht, die wir bei Euch im Gefrierfach gefunden haben. Ein bisschen seltsam hat die geschmeckt, aber mit gerösteten Zwiebeln im Grunde ganz in Ordnung.“
Für Plazentainteressierte eine Leseempfehlung zur Fortführung des hochinteressanten Themas.

Ferengiartiges Verhalten

Wenn man ein eigenes Baby hat, weiß man: das freundlichste Lächeln bedeutet nicht Freude sondern kündigt an, dass es bald den Darm entleeren wird. Jedenfalls lächelt unser Nachwuchs kurz vor der Ausscheidung von einem Ohr bis zum anderen. Obwohl ich das weiß, falle ich Mal um Mal wieder darauf herein.
Kaum grinst das Baby beim Wickeln, beuge ich mich lächelnd vor, um es zu knuddeln und werde regelmäßig angekackt.
Doch was soll’s. Ebenso oft nehme ich mein Baby hoch, wirble es umher bis es quiekt, drücke es wieder an mich und werde vollgekotzt.
Meistens genau in den Ausschnitt, wo sich zwischen den Brüsten kleine anverdaute Milchbrocken sammeln. So kommt es, dass mein Baby und ich meistens ein wenig streng riechen.
Ekel kennt man als Elter nicht mehr.
So beobachte ich regelmäßig befreundete Elternpaare, die beim bereits fleischessenden Nachwuchs abwechselnd an der Windel schnuppern. Ob ich da noch hinkomme, ist fraglich. Denn immer wenn wir Großbabybesuch haben und dieser ein Kackiwindelchen im Windeleimer als Souvenir hinterlässt, frage ich mich, wie man bei einer vollen Windel zweifelnd direkt am Gesäß schnüffeln kann. Doch über vieles dachte ich vor der Geburt: das mache ich nie, niemals. Ich doch nicht!
So gerate ich langsam in Zweifel darüber, ob ich vielleicht eines Tages etwas tun werde, das ich bis heute schauderhaft finde: Angekaute Essenreste, die dem Kleinstkind aus dem Mund fallen, eifrig auflesen und verspeisen. Dieses Verhalten ist bei Müttern nicht selten zu beobachten. Wäre es umgekehrt, würde die Mutter vorkauen und die anverdaute Speise wieder hochwürgen und dem Nachwuchs in den Hals erbrechen – ich würde es verstehen – aber so?
Doch wie gesagt, kaum war das Kind auf der Welt habe ich gelernt: Alles ist anders als Du denkst und so kann ich mir heute vorstellen, eines Tages meinen Nährstoffhaushalt durch weichgespeichelte Essensreste meines Kindes zu ergänzen.
Konsequenterweise sollte ich dann allerdings darüber nachdenken, mein Baby täglich sauberzulecken, wie die Kätzchen es tun. Konsequent muss man sein – denn so spart man nicht nur beim Lebensmitteleinkauf sondern auch bei den Babypflegeprodukten und kann das Kindergeld einer wohltätigen Organisation spenden.