Für den Weisheitspodcast haben wir eine Themenliste. Seit Wochen steht darin „Warum soll man Männer nicht loben, wenn sie Windeln wechseln?“
Die Frage ist natürlich zu einfach gestellt. Richtig müsste sie lauten „Warum soll man Väter nicht loben, wenn sie ausnahmsweise mal Windeln bei ihrem eigenen Kind wechseln?“.
Daran musste ich denken, als ich gestern die Schlagzeile „Tochter krank – Vizekanzler nimmt sich frei“ las. Ein berufstätiger Mann nimmt sich frei, um sich um seine Tochter zu kümmern – Schlagzeile!
Im Artikel steht ausserdem das Zitat „Ich bin in den nächsten Tagen häufiger zu Hause, weil meine Frau den Spruch, dass ich immer ganz Wichtiges zu tun hätte, wenn’s zu Hause mal Probleme gibt, nur begrenzt erträgt„.
Er ist also nicht da, weil er sich für das gemeinsame Kind mitverantwortlich fühlt?
Weiter steht im Artikel „Es ist nicht das erste Mal, dass Gabriel offensiv mit seiner Vaterschaft umgeht – was seinem Image zumindest nicht schaden dürfte.“ Denn! Vor zwei Jahren (!) kündigte er an, dass er an einem (!) Nachmittag in der Woche frei nimmt, um seine Tochter vom Kindergarten abzuholen.
Ob jetzt Herr Gabriel selbst seine Leistung als Vater so in der Öffentlichkeit dargestellt haben möchte oder nicht, sei mal dahin gestellt. Interessant ist der Umstand alleine, dass es eine Schlagzeile wert ist, wenn ein Vater (in einer wichtigen beruflichen Position), sich um seine kranke Tochter kümmert.
Ich musste da an den Artikel von Jochen König (u.a. Autor von „Mama, Papa, Kind? Von Singles, Co-Eltern, und anderen Familien„) zum Thema „Feministische Vaterschaft“ denken. Er schreibt darin zwei für mich sehr wichtige Dinge:
„Während Väter gefeiert werden, wenn sie nur den kleinen Finger rühren, wird von Müttern wie selbstverständlich erwartet, dass sie nach der Geburt eines Kindes ihre persönlichen Bedürfnisse zurückstellen und im Zweifelsfall auch komplett alleine für das Kind sorgen.“
und
„Bei genauerem Hinsehen und Nachfragen wird deutlich, dass die unsichtbaren Arbeiten dennoch fast immer ausschließlich an der Mutter hängen bleiben. In einer Auseinandersetzung um feministische Vaterschaft muss deshalb auch über „unsichtbare Arbeit“ gesprochen werden: Wer bleibt zuhause, wenn das Kind krank ist? Wer wird vom Kindergarten angerufen, wenn es dem Kind nicht gut geht? Wer hat im Blick, wann die nächste Impfung oder Vorsorgeuntersuchung bei der Kinderärztin ansteht und ob sich noch genügend passende Klamotten im Kinderkleiderschrank befinden? Wer geht mit dem Kind neue Schuhe (auch Hausschuhe für die Kita) kaufen? Wer besorgt das Geburtstagsgeschenk für den Kindergeburtstag? Und wer fordert immer wieder Gespräche darüber ein, wie das Ganze aufzuteilen ist?“
In meinem Maternal Gatekeeping Artikel schreibe ich auch über diese Aufgaben und über meine persönliche Erfahrung irgendwann von genau diesen Aufgaben und Verantwortlichkeiten erschlagen worden zu sein.
Um auf die Einstiegsfrage zurück zu kommen: Ich glaube diese Einstellung, dass ein Vater gelobt werden sollte, wenn er sich beteiligt, kommt genau von dieser Geisteshaltung, die mir immer wieder begegnet: Die Frau/Mutter wird in den meisten Fällen nämlich als Hauptverantwortliche in Sachen Elternarbeit gesehen. Gleichberechtigung und/oder Beteiligung bedeutet für viele Männer: die Frau erstellt To Do Listen und delegiert einzelne Aufgaben an den Mann. Der erledigt sie und weil er ja was für die Frau tut, ist ihm zu danken. Der Frau ist nicht zu danken, denn die übernimmt zwar die Verantwortung, die Planung und einen Hauptteil der Aufgaben, aber es ist eben ihre per Geburt zugeteilte Aufgabe Mutter und Familienmanagerin zu sein. Sie leistet ihr Soll.
An anderer Stelle schreibe ich dazu:
„Es gibt tatsächlich einen Unterschied zwischen der Vater- und der Mutterrolle: Der Vater kann entscheiden, ob er sich an der Elternarbeit beteiligen möchte oder nicht. Die Mutter hat diese Option nicht. Eine Mutter, die sich der Elternarbeit verweigert, ist eine Rabenmutter, ein schlechter Mensch. Ein Vater lediglich nicht modern eingestellt, kein „neuer Vater“.
Die Ausgangsbedingungen für die Bewertung ihrer Elternarbeit sind verschieden: Alles, was die Mutter tut, ist selbstverständlich. Sie hat schließlich einen Mutterinstinkt. Man geht davon aus, dass sie alles kann. Es liegt ihr in den Genen. Mutterschaft ist ein ganz natürliches Verhalten. Es wird erwartet. Lob gibt es nicht. Denn selbst wenn die Mutter allen Pflichten nachkommt, erreicht sie nur eines: Sie trifft die Erwartungen.
Beim Vater ist die gesellschaftliche Messlatte in Sachen Elternschaft eine ganz andere: Alles, was er tut, ist „on top“. Er tut es freiwillig. Ihm gilt Dank für seinen Einsatz.“
Ebenfalls passend dazu ein älterer Text von Antje Schrupp:
„Es geht dabei nicht nur um die anfallende Arbeit, sondern auch um die psychische Belastung, die es mit sich bringt, eine so große Verantwortung für die gesamte Existenz eines anderen Menschen zu tragen. Bei der Lektüre von „Fritzi und ich“ ist mir (ich bin ja keine Mutter) sehr klar geworden, dass es ein großer Unterschied ist, ob ich jemand anderen beim Kindererziehen unterstütze, selbst wenn ich das in erheblichem Ausmaß tue, oder ob ich die Person bin, an der letztlich alles hängt.“
Und deswegen bin ich am Ende immer wieder genervt, wenn es eine Schlagzeile wert ist, wenn ein Vater ausnahmsweise mal seine Elternaufgaben ernst nimmt oder wie oben beschrieben mal Windeln wechselt, mal auf den Spielplatz geht, mal sein Kind abholt, mal abends vorliest und denke, dass er dafür kein ausdrückliches Lob verdient.
Ganz anders ist es für mich, wenn man sich die Aufgaben wirklich gleichwertig aufteilt. Wenn man Verantwortung teilt, wenn man miteinander verhandelt was, wann, für wen gut ist. Wenn auch der Vater die „unsichtbaren Aufgaben“ übernimmt. Denn durch das Gleichgewicht entsteht gegenseitige Wertschätzung und Dankbarkeit. Für mich ist das mit dem Lob dann eine ganz andere Sache.
Am Ende halte ich den Vorbild-Effekt, den man unserem Vizekanzler unterstellen könnte auch für zu vernachlässigen und stimme nicht mit der folgenden Haltung überein.
Auch wenn es arm ist, dass die Gabriel-Nummer eine Meldung wert ist, glaube ich, dass sie wertvoll ist. Deswegen: https://t.co/dySgvb5TlT
— Marcus Richter (@monoxyd) February 9, 2016
Sollte normal sein, daß auch Väter mit kranken Kindern zuhause bleiben. Ist es aber nicht. Gabriel liefert Argumente für Chefgespräche.
— andreasdotorg (@andreasdotorg) February 9, 2016
Christine Finke schreibt in ihrem Blog „Mama arbeitet“ weiter:
„Wer will, dass kinderfreundliche und familienfreundliche Politik gemacht wird, muss auch oben ansetzen, bei den Vorbildern. Deswegen gefällt mir auch, wie Manuela Schwesig ihre zweite Elternzeit organisiert hat – nämlich mit ihrem Ehemann, der sich um das Baby kümmern wird. Wir brauchen dringend Vorbilder, Pioniere in der Politik, die solche Themen vorantreiben. Drum habe ich durchaus Respekt für Sigmar Gabriel, der für dieses Zuhausebleiben wahrscheinlich von etlichen Menschen belächelt werden wird oder dem (vielleicht durchaus zu Recht) taktische Motive dafür unterstellt werden. Er hätte ja auch einfach Zuhause bleiben können, ohne das über sein Büro mitteilen zu lassen, vermute ich mal.“
Ich glaube nicht, dass diese Art Berichterstattung in irgendeiner Form dazu beiträgt, dass
a) Väter sich mehr an der Elternarbeit beteiligen („Ahhh, wenn der Herr Gabriel das macht, dann könnte ich ja auch mal?“ Really???) oder
b) dadurch ein Argument bei ihrem Arbeitgeber bekommen, sich mehr an der Elternarbeit beteiligen zu können („Der Herr Gabriel kann sich aber auch frei nehmen!“ „Ah, ok, ja, dann überdenken wir hier im Betrieb nochmal unsere familienfeindliche Einstellung!“).*
Ich glaube nicht, dass das so passiert und diese Art Berichterstattung zeigt mir wie unendlich weit der Weg zur Gleichberechtigung noch ist.
*Im Übrigen: Es wird ja immer so getan, als wenn Arbeitgeber es ohne weiteres akzeptieren, dass Mütter ihren Elternaufgaben nachkommen, sich um kranke Kinder kümmern, in Elternzeit gehen und früher nach Hause gehen, um auf den Elternabend zu kommen und als ob das bei Vätern dann plötzlich ein ganz anderes Thema sei.
Das ist in meinen Augen auch Unsinn, v.a. dann wenn es um eine ähnliche Position in der Hierarchie geht! Ein Arbeitgeber ist entweder familienfreundlich, dann gestattet er das Müttern wie Vätern und schafft enspechende Strukturen oder aber er ist es nicht, dann gibt es Diskussionen, Hürden, Degradierungen, Mobbing (Aber das Thema wäre wieder ein ganz eigener Blogartikel…)
Nachtrag:
Ich mag ja Diskussion und setze mich gerne mit weiteren Aspekten auseinander. Deswegen aus den Kommentaren hochgezogen der Artikel „Lob der Superpapas„:
„Vielleicht sollte man das Ganze überhaupt weniger als Diskurs begreifen, sondern als eine Art Erziehung. Und da würden Mütter ja auch nicht erwarten, dass ihre Kinder von ganz allein und stillschweigend Dinge lernen und sich ändern. Bei Kindern gehen wir selbstverständlich so vor: Wenn das Kind das erste Mal allein den Löffel in den Mund steckt, die Hose anzieht, das Zimmer aufräumt, die Schulmappe packt – jedesmal wird es lauthals gelobt. Niemand sagt: “Ist ja wohl keine große Sache, selber essen, das macht doch jeder!” Oder “Wurde ja wohl mal Zeit, dass du dich selbst anziehst, das ist ja wohl eine Selbstverständlichkeit!”“