Die neu gewählte Sprecherin der Grünen Jugend hat im Alter von 13/14 Jahren Mist gebaut und Dinge im Netz von sich gegeben, die komplett unangebracht waren. Die Folge: u.a. Morddrohungen.
Naheliegende Frage an mich, als Autorin eines Buches zum Thema Kinder und digitale Medien: Wie bringt man Kindern Medienkompetenz bei? Wie macht man Kindern klar, dass das was sie jetzt schreiben, ihnen Jahre später schaden kann?
Seit mir die Fragen gestellt wurden, denke ich darüber nach. Nicht weil sie so schwierig sind. Nein, weil mir die Fragen widerstreben. Es sind schlichtweg die falschen Fragen. Es geht hier doch nicht um die mangelnde Medienkompetenz einer 13 Jährigen. So über diesen Fall nachzudenken, stellt sich für mich wie eine Täter-Opfer-Umkehr dar.
Man möchte nie die Sätze sagen, die man von den eigenen Eltern gehört hat und dann sagt man sie doch: „Nur weil Paul aus dem Fenster springt, musst du das doch nicht auch machen, hm?“ Der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie in Berlin geht es da nicht so. Die richtet sich doch lieber nach Paul. Die möchte lieber machen, was leichter ist:
Sie entscheidet nämlich, dass heute – eine Woche vor dem Start der Herbstferien – die Maskenpflicht an Berliner Grundschulen fällt. Für die Kinder ab der 7. Klasse (also für die, die 12 sind und geimpft werden können) bleibt sie allerdings bestehen. Lediglich zu Klassenarbeiten können die älteren Kinder die Masken absetzen.
Mein Gehirn möchte explodieren, wenn ich darüber nachdenke, auf welcher Grundlage diese Entscheidung der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie gefällt sein könnte. Denn nichts daran ergibt Sinn. Zumindest wenn man z.B. die letzten 99 Folgen des NDR Podcasts „Coronavirus-Update“ mit Drosten und Ciesek gehört hat.
Es geht ein Cover durch die Timelines der unterschiedlichen Social Media Plattformen. Es titelt „Papa kann das schon alleine“, Untertitel „Was moderne Männer alles hinkriegen, wenn die Mütter sie lassen“ und zeigt eine Frau, die einen Mann in einer Babytrage vor sich her trägt, der wiederum ein Baby in einer Trage vor sich trägt. Weiter geht es mit „Viele Väter wollen besser sein als ihr Ruf. Doch ausgebremst werden sie oft von Müttern, die nicht loslassen.“
Später taucht noch ein Textausschnitt auf, der sarkastisch kommentiert wird:
ohgott der Mann tut mir so leid, das hat er nicht verdient, nicht extra dafür gelobt zu werden, dass er sein Kind betreut, es bricht mein Herz in tausend Stücke pic.twitter.com/g9z6DwCyUH
Als ich abends durch meine Timeline scrolle, muss ich ziemlich viel lachen und an ein Gif denken, das mir sehr gefällt.
Mit einer Nacht drüber schlafen, stelle ich fest, dass die Diskussion sehr von Gegensätzen geprägt ist und so eigentlich sehr viel Energie völlig sinnlos verpufft. Maternal Gatekeeping gibt es nicht! Darunter Antworten von Männern, die gerne mehr machen wollten, aber tatsächlich nicht „dürfen“. Maternal Gatekeeping gibt es eben doch, beharren sie!
Ich blicke zurück auf eine Zeit, in der mein Tag 40 Stunden hatte und ich die Energie hatte, diese zu füllen. Rein rechnerisch geht das mit Multitasking und Schlafverzicht. Die Kinder waren klein, sie wollten beschäftigt, gewickelt, angezogen, gefüttert werden. Nebenbei der Erwerbsjob, freilich nur 32 Std/Woche – ich brauchte ja Zeit für die Care-Arbeit. Daneben das Blog, an Büchern schreiben, Ideen entwickeln, Ausflüge planen, lesen, mitbekommen welche Ausstellungen demnächst eröffnen und sehenswert sind. Freundinnen treffen, alle bekochen, Blumen gießen, Regal reparieren, Geschenke für die Kinder befreundeter Mütter basteln.
All das ging. Es war Kraft da und v.a. mein Kopf war ein sprudelnder Quell von „Was noch, was als nächstes?“.
Seit Monaten ist diese Quelle versiegt. In mir nur noch Leere. Ich schaue träge auf die Welt, verstehe sie nicht und habe das Gefühl, dass mir nichts mehr Freude bereitet. Nicht mehr so wie früher. Die Limo schal. Alles wie Mineralwasser Medium. Es regnet, die Sonne scheint, der Himmel ist grau. Wolken. Aha. Alles ist unglaublich zäh und Alltägliches wird unerklärlich. Ich bemerke, dass der Himmel blau ist und es fühlt sich an, als hätte ich das vergessen. Dass er blau sein kann. Kann er offensichtlich.
Alles hat sich verlangsamt. Träge. Wie die unendlich langen Sommerferien meiner Kindheit.
Ich schaue Pandemie-Filme. Auch da tragen manche Masken und manche reißen sie direkt vor einem offensichtlich Infektiösen runter. Vor der Pandemie hätte man noch den Kopf geschüttelt. Heute ist das der Teil am Film, der schmerzhaft realistisch erscheint. Warum nach drei Tagen Film-Pandemie alles brennt und das Benzin ausgeht, verstehe ich allerdings nicht. In den Filmen bricht überhaupt alles in wenigen Tagen zusammen und niemand muss mehr arbeiten gehen. „Gut haben es die Pandemie-Leute im Film“, denke ich. Sie müssen zwar ihr Essen jagen, aber sie müssen sich nicht fragen wie sie Kinder beschulen, wie sie ihre seelische Gesundheit in dem Hin- und Her, der sozialen Isolation erhalten. Wie sie das tun, während sie weiter erwerbsarbeiten gehen. Vereinbarkeit ist nicht mal als Fiktion in der Pandemie ein Thema. Überhaupt. In Pandemie-Filmen machen die Erwachsenen alles gemeinsam. Sie schließen sich in Gruppen zusammen, sie sind nie alleine. Kein Pandemie-Film hat mir in Aussicht gestellt, dass ich 18 Monate alleine vor meinem Rechner sitze.
Das immer gleiche Leben macht müde. Aufwachen, essen, arbeiten, nicht durchdrehen beim Nachrichtenlesen, kochen, essen, nebenher Bruchrechnen, Wahrscheinlichkeitsrechnung, Potato famine, Subjonctif, die Anden, Koreakrieg, schlafen. Repeat.
Heute um 12.05 Uhr läuft auf Kanal 2 der diesjährigen re:publica das Gespräch von Marcus Richter und mir als Elternpaar zur Pandemie. Wir haben aufgezeichnet und im Nachhinein hätte ich gerne (noch) mehr über das Gleichberechtigungsthema gesprochen. Denn uns kam in der Planung des Gesprächsleitfadens das große Aha. Für uns waren die letzten Monate immer wieder anstrengend, aber wir sind immer beide nur ein bisschen kaputt – nie ist einer total am Ende.
Deswegen liebe ich die Illustration von Frollein Motte so. Abends muss immer gelten: Beide geschafft, aber alles geschafft.
Wer sofort das Haar auf dem Foto entdeckt hat, muss noch daran arbeiten die Gut-genug-Lösungen zu lieben.
Die Pandemie hat an den Kräften gezehrt. Aber auf Augenhöhe zu sein, jeweils beides zu können: Geld verdienen und Sorgearbeit leisten, das macht eben krisensicher.
Im März hat meine Timeline mir eine Folge eines Podcasts in meine „Muss ich mal reinhören“-Liste gespült. Es war Folge 6, Staffel 8 „Solvejg und Christoph: Zurück in die 50er Jahre?“ des BR-Podcasts „Eltern ohne Filter“. Mich hat es emotional total mitgenommen wie die beiden über ihr Leben in der Pandemie sprechen und wie unmöglich es geworden ist, ohne Kita und Schulbetrieb das System vollzeitarbeitender Mann mit teilzeitarbeitender Frau (in dem Fall Lehrerin und damit noch mal stärker von der Pandemie betroffen als viele andere Berufsgruppen) mit drei Kindern aufrechtzuhalten, ohne dass eben v.a. die Frau langsam ausbrennt.
Ich habe daraufhin der Redaktion geschrieben, weil ich dachte: Bestimmt geht es ganz vielen Paaren so und irgendwas muss man dem doch entgegensetzen. Irgendwie Hoffnung spenden, weil es geht auch anders, das erlebe ich ja in meiner neuen Beziehung in den letzten sechs Jahren.
Gestern ist die Folge erschienen und der Sendungshost Ruslan Amirov fasst es am Ende ganz großartig zusammen und ich feiere sehr, dass er das tut: Mein Partner und ich leben mit vielen Privilegien und dennoch ist es hart gleichberechtigt und auf Augenhöhe zu leben. Sollte das nicht leichter sein und v.a. sollte das nicht allen Menschen möglich gemacht werden? Gleichberechtigung sollte nicht von Privilegien abhängen. Natürlich nicht. Aber wie weit wir das überhaupt innerhalb eines kapitalistischen Systems erreichen können, in dem Sorgearbeit nichts zählt, weil sie keinen Gewinn, keine Euro erwirtschaftet… ja das ist die interessante Frage.
Komplexes Thema, aber wie es anders gehen kann, ist schon viele Jahre klar. Ich verweise deswegen nur auf das Equal Care Manifest.
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Ganz kleine Ergänzung zur Folge: Mental Load ist für mich erstmal neutral und noch nicht der Erschöpfungszustand. Mental Load ist, wenn man Sorgearbeit in seiner Gesamtheit als Eisberg sieht, der unsichtbare Teil unter der Wasseroberfläche. Der planerische Teil, der nötig ist, damit hinten raus die ganzen konkreten To-Dos rausfallen. Eine Überlastung entsteht nicht durch Mental Load selbst sondern durch die Ungleichverteilung von Sorgearbeit und der Sicht „Ich arbeite nicht“ wenn man eigentlich sagen will: „Ich leiste 100% Sorgearbeit und gehe nicht erwerbsarbeiten„, deswegen aber leider nie Feierabend, nie Urlaub, nie Ruhezeit und nie Wochenende hat.
Was würden sie tun? Bildungssenat: „Lüften“ Quelle Originalwitz: @formschub****
Bis zu den Sommerferien in Berlin ist es nicht mehr weit. Kaum 45 Tage (Wochenenden mitgezählt).
Immer mehr Menschen sind geimpft, das Thema hat Fahrt aufgenommen. Man kann die Debatte um zusätzliche Privilegien für Geimpfte führen und finden* wie man will – unterm Strich bleibt die Logik: je mehr Geimpfte, desto besser.
Tatsächlich bin ich aber total dagegen, dass wir jetzt in Gruppen verfallen, die sich gegenseitig beschimpfen. Junge gegen Alte. Geimpfte gegen Ungeimpfte. Menschen mit Kindern gegen Menschen ohne. Die „echten“ Feministinnen gegen die „falschen“ Feministinnen… unabhängig vom Grundthema, ist es doch immer das selbe Spiel. Statt dass wir uns anschauen, was wir an gemeinsamen Zielen haben und wie wir sie erreichen können, zerfleischen wir uns gegenseitig.
Teilziel 1: Wir wollen gesund bleiben Teilziel 2: Wir wollen möglichst schnell geimpft werden
So glücklich sehen Mütter am Muttertag aus, wenn es nach der CDU geht
Im BR2 gibt es einen Podcast, der heisst „Eltern ohne Filter„. Vor einiger Zeit habe ich dort die Folge mit Solvejg und Christoph gehört und noch während des Hörens meinen Partner angeschrieben, ob er bereit wäre in einem Podcast zu erzählen wie wir unseren Alltag beschreiten. Danach habe ich an die Redaktion geschrieben, weil mich nahezu jedes Wort in der gehörten Folge schmerzte.
„Christoph ist vielbeschäftigter Anwalt, Solvejg arbeitet als Lehrerin in Teilzeit. Gemeinsam haben die beiden drei Kinder. Die Pandemie hat uns endgültig in das Rollenbild der 50er zurück katapultiert, sagen die beiden. Ein Gespräch über alte Rollenbilder und einen Alltag, der so nicht mehr zu schaffen ist.“
lautet die Zusammenfassung der Folge und aus dem Feedback zu meinem Buch „Raus aus der Mental Load-Falle“ weiß ich, dass die beiden bei weitem nicht alleine sind. Was schon vor der Pandemie ungerecht war, ist in der Pandemie nicht mehr zu stemmen.
Ich verstehe in diesem Zusammenhang grundsätzlich nicht die Mär von der Re-Traditionalisierung. So richtig modern – im Sinne von gleichberechtigt – haben die meisten Paare in Deutschland noch nie gelebt. Denn der überwiegende Teil der Paare hat sich für das sogenannte Zuverdienermodell entschieden. D.h. der Mann geht 100% erwerbsarbeiten und die Frau verdient Geld dazu.