Einmal im Jahrzehnt ausgehen

Erstaunlicherweise kann man tatsächlich Spaß haben, wenn man abends ausgeht. Erfrischende Erfahrungen beim Balkan Beats hopsen. Hey, Hey, hey!

Betrachte ich mein Umfeld, scheint das Ausgehen und insbesondere das Tanzengehen, eine allgemein anerkannte und praktizierte Kulturtechnik zu sein. Deswegen verspüre ich alle zehn Jahre den Druck mitzumachen. Ich habe dabei nicht vergessen, dass alle vorangehenden Versuche kläglich gescheitert sind. Es ist nicht so, dass ich mich in der Vergangenheit nicht bemüht hätte, ich habe es mit dem Tanzen bereits kurz vor meinem 30. Geburtstag und auch in der Höhe meiner 20er versucht. Jetzt werde ich bald vierzig und da schien die Zeit wieder reif für eine neue Erfahrung und was soll ich sagen: versehentlich habe ich mich amüsiert.

In der Tanzthematik gibt es für mich zwei Hauptproblemfelder. Erstens: Ich stehe sehr gerne sehr früh auf. Am liebsten um fünf. Die Zeit zwischen fünf und sieben Uhr morgens ist für mich die Zeit größter Freiheit. Ich kann Kaffee trinken und meinen RSS-Reader leer lesen. Wenn ich schnell lese und die Körperhygiene auf das Mindestmaß beschränke, kann ich zusätzlich etwas schreiben bevor die Kinder wach werden. Diesen persönlichen Freiraum bezahle ich mit bleierner Müdigkeit ab 22 Uhr. Nach 24 Uhr wegzugehen scheitert folglich meistens daran, dass ich mich bereits in der ersten Tiefschlafphase befinde.

Ein weiteres Problem ist mein Musikgeschmack, der sogar regelmäßig die Algorithmen von Last.fm in die Resignation treibt. Wenn ich tanzen gehe, will sich nie ein Flow einstellen, weil mir mal ein Lied gefällt (Zustand 1=ich tanze) und mal wieder nicht (Zustand 0=ich erstarre zur übellaunigen Salzsäule).

Sich um 23 Uhr irgendwo zum Trinken zu treffen und dann um 1 Uhr tanzen zu gehen, ist somit eine Taktik, die mir ferner kaum sein könnte. Um 23 Uhr direkt in den Club zu gehen ist zwar denkbar uncool, hat aber viele Vorteile. Erstens muss man nur wenige Minuten anstehen um reinzukommen und zweitens bietet die Tanzfläche ausreichend Platz, um avandardistische Modern-Dance Positionen auszuprobieren:

Ich gebe zu, die Stimmung lässt zu solchen Uhrzeiten noch etwas zu wünschen übrig, aber Stimmung wird allgemein überschätzt. In einen Club zu gehen, ist im Grunde eine Aktivität, die einsamer und selbstbezogener kaum sein könnte. Das Kommunizieren findet in erster Linie ohnehin nicht verbal statt. Ich habe schon mal versucht in einem Club einem Interessierten meine Position zum Sozialkonstruktivismus zu erläutern, hatte aber das Gefühl, dass mein Gegenüber nach nur kurzer Zeit das aufrichtige Interesse verlor.

Jedenfalls, um auf den besagten Abend zurück zu kommen. Meine Freundinnen hatten die Idee zu Balkan Beats zu tanzen. Ich hatte keine Ahnung was das genau ist, hatte aber eine außerst positiv konnotierte Assoziation zu der rumänischen Kapelle Fanfare Ciocarlia und war daher bereit eine neue Erfahrung zu machen. Tatsächlich erwies sich der sogenannte Balkan Beat Mix als überaus tanzbar bzw. hüpfbar und als erstmal der ganze Saal hüpfte, passierte, wahrscheinlich gruppendynamisch verursacht, etwas seltsames: ich amüsierte mich und tanzte einfach zum eintönigen Grundrhythmus mit.

Rational betrachtet war alles furchtbar. Der DJ, der im Auflegkurs offensichtlich bei „Wie gestalte ich Übergänge“ krank gewesen ist, die bekloppten Leute, die mit Rotweingläsern in der Hand rumsprangen, dass ich so besudelt wurde, dass ich bald wie der letzte Clochard roch und eine Person im Publikum, die offensichtlich unter starken Blähungen litt.

Allerdings griff eine nie gekannte sorglose Fröhlichkeit um mich, die v.a. meiner Freundin zu Kopfe stieg, die wenige Minuten später eine Bühne erklimmte, um dort weiter zu tanzen. Ich wollte diesen Moment fotografisch festhalten, was von den Bühnentänzern fehlinterpretiert wurde. Man hievte mich freundlich hoch. Es blieb mir nichts anderes als mitzutanzen und das obwohl sich mein Kopf mit wirklich schwierigen Fragen auseinander setzte. Wir tanzten nämlich Sirtaki. Von Sirtaki wußte ich zumindest, dass es sich im engeren Sinne nicht um einen griechischen Volkstanz handelt, sondern dass Sirtaki für den Film Alexis Sobras erfunden wurde, um dem Hauptdarsteller Anthony Quinn, der anscheinend eher tanzunbegabt war, selbiges zu erleichtern. Jedenfalls beschäftigte mich darüber hinaus die Frage, welche Länder neben Griechenland überhaupt zum Balkan gehören. Mir war auch nicht ganz klar, inwiefern die  Triest-Odessa-Linie tatsächlich als geografische Begrenzung für den Balkan zu sehen ist oder nicht.

Meine Gedanken wurden jedoch von einem jungen Mann im Streifenshirt durcheinander gewirbelt, weil er sich gar nicht darum scherte, was mich aktuell bewegte. An diesem Abend fiel ich beschwingt in mein Bett. Es war das erste Mal, dass ich das Gefühl hatte, normal zu sein.

Sei 609060

609060

Journelle schrieb vor einiger Zeit einen sehr schönen Artikel mit dem Titel „Mehr auf den Leib geschneidet und weniger geschneiderter Leib„, in dem es unter anderem darum ging, dass ein großer Teil der Mode leider nur für idealisierte Körper entworfen und hergestellt wird. Diese Körper kommen in der unidealen Welt so gut wie gar nicht vor. Unter dem Tag 609060 veröffentlichen seit einiger Zeit Menschen Bilder, die sich selbst in der alltäglichen Kleidung zeigen. Ich hab irgendwann auch damit angefangen, weil mir die Aktion sehr gut gefällt. Anne hat die Aktion wohl auch gefallen, wie bei „609060 oder was normale Menschen so anziehen“ nachzulesen.

Natürlich gibt es auch die Gegenposition „#609060 oder: was heißt hier eigentlich “normal”?„, die beklagt, dass die Aktion rein gar nichts verändere.

Zur Zeit habe ich ja Spaß beim Senf dazu geben, deswegen schildere ich mal meine persönliche Sicht.

Zum Begriff der Normalität. Normal ist für mich immer das, was man klassisch unter der Normalverteilungskurve kennt. Eine Glocke mit einem breiten Mittelteil, zu der aber auch beide Extreme gehören. In der Modewelt gibt es diese Glocke nicht. Es gibt eine große Ausbeulung links bei „dünn“ und der Rest weiter rechts ist die Ausnahme. Das gilt jedenfalls für die Darstellung. Das führt dazu, dass ich mich persönlich mit Größe 40/L schon als nicht normal empfinde. Meiner Meinung nach liegt das an dieser Differenz „wie die Menschen eigentlich sind“ zu „wie sie dargestellt werden“. Würden sie anders dargestellt werden, würde ich mich nicht als abnorm empfinden.

Genau diesen Effekt hat nämlich das Betrachten der #609060-Bilder bei mir: Ich finde mich normal. Rational wusste ich schon immer, dass jede andere Einschätzung eher ein Wahrnehmungsproblem ist. Leider leide ich (zumindest innerlich) an einigen der gängigen Frauenklischees (neben „Mein Gott bin ich dick“ auch an „ich seh immer doof auf Fotos aus“). Ich merke aber, wie dieses Gefühl wahrhaft verpufft beim Anblick der vielen 609060-Fotos. Also wirklich das Gefühl/die Überzeugung.

Eng daran gekoppelt ist für mich das aufrichtige Gefühl, dass ich die anderen #609060-Bilder total schön finde – und damit meine ich natürlich nicht die Bilder sondern die Menschen, die auf den Bildern zu sehen sind. Ich würde auch gerne noch mehr sehen. mehr unterschiedliche. Aller Art!

Auf Twitter kam sinngemäß die Frage auf, warum denn jetzt auch die Konfektionsgröße 36 Frauen mitmachen würden. Aus meiner Sicht machen sie mit, weil sie auch normale Menschen sind und es in dem oben genannten Artikel gar nicht um dünn oder dick sondern um die zwanghafte Prototypisierung ging. Man kann ja Kleidergröße 36 und überlange Beine haben und schon passen die gängigen Hosen nicht mehr. Oder der Busen ist größer als das die Standardgröße 36 vorsieht. Oder die Hüften breiter, die Beine kürzer. Deswegen finde ich es toll, wenn möglichst alle Varianten von Körper/Mensch mitmachen (Männer natürlich auch!). Ich kenne ähnliche Probleme von meinem Mann, der nie Anzüge findet, weil er Größe 46 trägt und sich ständig anhören muss, was er alles essen soll, um endlich mal zuzunehmen. Das ist auf Dauer wahrscheinlich genauso anstrengend und nervig wie die Sprüche, die sich Menschen anhören, die in der Normalverteilungskurve weiter rechts liegen. Deswegen egal welche Kleidergröße – letztendlich geht es doch darum zu zeigen wie schön die Vielfalt ist und wie langweilig die standardisierten und gephotoshoppten Kunstmenschen der bunten Medienwelt sind.

Eine andere Sache ist mir dann beim Betrachten der Bilder aber doch seltsam aufgestoßen. Bei einigen Fotos sind neben dem 609060 Tag auch Tags wie #losingweight in Kombination mit #sounsovielweeksafterbirth zu finden. Das hat mich persönlich doch sehr gewundert, was ich auch kommentiert habe. Daraufhin wurde empört gegenkommentiert, jeder könne doch abnehmen und sein Gewicht reduzieren, wenn er wolle – zumal wenn man sich mit diesem Gewicht unwohl fühle.

Dazu kann ich nur sagen: Bitte! jeder darf tun und lassen was er will und abnehmen und Diät machen gehört dazu. Aber was mir eben nicht gefällt (und so empfand ich diese Kombination), ist dieser Druck nach einer Geburt seine „alte“ Figur zurückzubekommen und das so schnell es geht. Für mich ist das Heidi Klum Promi Quatsch. (Ach fiele mir der tolle Beitrag über den postnatalen Körper und die falschen Priorisierungen wieder in die Hände, ich würde ihn so gerne verlinken). Wenn ein Kind geboren wird, ist es doch nicht wichtig möglichst schnell Kilos los zu werden. Es ist wichtig eine Beziehung aufzubauen. Warum geißeln sich so viele Frauen? Die ersten Monate nach der Geburt sind doch anstrengend genug? Als Argument wurde genannt, man fühle sich eben nicht wohl. Da möchte ich die Frage stellen: Warum? Warum fühlt sich eine Frau nach einer Geburt nicht wohl, weil sie 5?6?7? „überflüssige“ Kilos hat? Ist das wirklich etwas, das von innen heraus kommt? Ich zweifle das an und finde es persönlich nicht schön, wenn das mit #609060 vermischt wird.

Jedenfalls glaube ich sehr wohl, dass es helfen würde, wenn die Zeitungen/Serien/Kinofilme dünne/dicke/große/kleine Menschen zeigen würden und nicht nur die 906090-Exemplare.

 

Update (Weitere Stimmen)

Denkding zu #609060
Anne zu #609060 – Ein Nachtrag zum Normalsein
Dentaku als Kommentar zu #609060
Wortschnittchen zu #609060
Nido Debatte: 60-90-60
Jawl #609060
Anke Gröner zu #609060 oder: Mein Problem mit dem Mem (wichtiger, mir neuer Aspekt mit den „headless fatties“)
Tadellos, himmelblau „Versteh einer die Welt
stoewhase als Kommentar „für mich liest sich der text oben etwas zu destruktiv […]

Und weil es passt:
Vorspeisenplatte „Echte Körper und die Macht von Medienbildern –
ein Beispiel

Das macht doch ein XY nicht

Ich schwöre, ich habe meinen Kindern die ersten Jahre kein rosa und kein hellblaues Kleidungsstück gekauft. Gerade in der älteren Generation stieß ich damit auf wenig Verständnis. Ein Baby in grünen Kleidungsstücken? „Ach Herrje, da weiß man ja gar nicht was es ist!“ Meine Antwort darauf: „Es ist ein Mensch.“

Natürlich dauerte es nicht lange, bis wir mit hellblauen und rosa Kleidungsstücken überhäuft wurden und natürlich war es so, dass unser Mädchen mit ca. drei Jahren NUR rosa tragen wollte. Dann kamen die Fillys, die Einhörner, die Prinzessinnenliteratur – all das was ich auf gar keinen Fall im Haus haben wollte. Das gleiche passierte natürlich bei den Jungs. Zuerst die Autos, Bagger, Transformers, die Eisenbahn, Power Ranger usw. Das Gute daran: Wenn man beide Geschlechter im Haus hat, dann hat man das komplette Sortiment und das hat am Ende dazu geführt, dass mit allem gespielt wird. Die Transformers bekommen hübsche Puppenkleidung, die Fillys galoppieren über die Hot Wheels Rennbahn und alles ist gut. Wenn die Kinder sich streiten, greift die Tochter zu Darth Mauls Doppelklingen Lichtschwert und der Sohn hält schützend die Babybornpuppe vor sein Antlitz.

Wir hatten ideale Bedingungen. Weder mein Mann noch ich wurden als Kind irgendwelche Klischees unterworfen. Unser Kindergarten nimmt unseren Sohn im glitzerrosa Feenkostüm mit den Worten: „Hey, Du hast Dich aber schick gemacht!“ entgegen. Noch nie sind dort Sätze wie „Jungs malen aber nicht so gerne“ gefallen. In Berlin kümmert es zudem sowieso nicht, wie wer aussieht. Man kann im August auch als Clown verkleidet durch die Gegend laufen – in der Regel wird man nicht besonders überrascht angeschaut.

Ich finde es ganz selbstverständlich, dass sowohl meine Tochter als auch mein Sohn Nagellack „haben“ dürfen, wenn sie das interessant finden, weil sie mich dabei beobachten, wie ich mir die Nägel lackiere. Das folgende instagramobligatorische Fußbild, das ich vor Monaten gepostet habe, zeigt dementsprechend die Füße meines Sohnes:

Zum Thema Benachteiligung von Jungen haben Antje Schrupp mit „Beim pinken Überraschungsei geht es nicht um Mädchen, sondern um Jungen„, Kaltmamsell mit „Zwischenspiel: Buben in Röcken“ und Journelle mit „Das rosa Ei in der Familie“ schon sehr viel kluges gesagt.

Aus dieser Erfahrung heraus möchte ich alle ermuntern, ihren Söhnen diese Art von Diskriminierung nicht anzutun. Zeigt Euren Söhnen die vermeintlich weiblichen Aspekte des Lebens. Lasst sie doch mal fühlen wie es ist in Stöckelschuhen rumzulaufen, lasst sie sehen, wie bunt lackierte Fußnägel aussehen, wie luftig Röcke sind, wie schwierig es ist, einen geraden Lidstrich zu ziehen. Ich glaube, wenn man sie das alles erfahren lässt, schafft man eine gute Grundlage in späteren Jahren verständnisvoller zusammenzuleben.

Die anderen Erwachsenen

Die anderen sind Erwachsen oder Jugendlich. Ich bin eher so Midlife.

Ich bin jetzt definitiv raus aus dem Alter, in dem man noch fälschlicherweise für eine Studentin gehalten wird oder für sonstirgendwas unter vierzig. Jugendliche siezen mich respektvoll, wenn sie nach dem Weg fragen und bald stehen die Leute für mich in der U-Bahn auf oder ich bekomme Seniorenrabatt angeboten. So die Außensicht jedenfalls. Nur fühle ich mich nicht erwachsen. Jedenfalls nicht so wie mein eigenes Bild von Erwachsenen ist. Da wären zum Beispiel meine Eltern. Die sind, seit ich sie kenne, erwachsen. Erwachsene haben Einbauküchen, nehmen Kredite auf, trinken Abends ein Glas Wein aus einem echten Weinglas und laden ihren Chef zum Abendessen ein, um ihre repräsentative Familie zu präsentieren.

Vor allem aber: sie sehen total alt aus. Sie haben Falten, meist ein bisschen Übergewicht, ihre Kleidung hat keine Flecken und manchen gehen die Haare aus. So sehen für mich Menschen in meinem Alter aus. Mein Spiegelbild sah nie so aus. Da blickte mich immer ein junges, fröhliches Mädchen an. Bis neulich jedenfalls. Da stand ich vor selbigen und stellte fest, dass alles mädchenhafte verschwunden war und mich eine Frau anschaut. Ein Schock! Wer war das? Ich? Falten unter den Augen? Die Mundwinkel hängen merkelesk nach unten? Graue Haare im Pony? Speckring um die Hüfte?

Bitte was? Das soll ich sein?

Ich habe mir dann aufmerksam Männer meines Alters angeschaut und mich gefragt, ob ich, sofern ich Single wäre, irgendjemanden attraktiv finden könnte. Die Antwort lautete OMG NEIN. Das sind auch Erwachsene. Männer mit grauen Bartstoppeln, lichtem Haar, Bäuchlein. Menschen, die früher meine Lehrer waren, die Freunde meiner Eltern, Kassierer, Bankangestellte. Das soll jetzt meine Zielgruppe sein? Wie furchtbar. Das sind Menschen, die Urlaub im Hotel machen, die Bundfaltenhosen tragen oder mit Scheck zahlen. Mit denen habe ich nichts gemein!

Also schaute ich mir ein Paar jüngere Herren an – aber oh schreck – das sind Kinder! Also große Kinder – bestenfalls Jugendliche. Wenn ich mich geistig daneben stelle, dann sehe ich aus wie ihre Mama. Diese Jugendlichen gehen abends weg, sie trinken Bier in öffentlichen Verkehrsmitteln, sie schlafen bis 11 Uhr und haben auch sonst sehr seltsame Lebensgewohnheiten. Vermutlich hören sie laut Musik, essen morgens Pizza und manchmal bekommen sie Mahnungen, weil sie ihre Rechnungen nicht zahlen. Mit denen habe ich nichts gemein!

Als Single also müsste ich alleine bleiben. Für immer. Könnte mich nie mehr verlieben. Aber das macht nichts. Erstens weil ich es nicht bin und zweitens weil ich viele Hobbys habe, die mich auch partnerlos beschäftigt hielten. Nur frage ich mich, ob irgendwann der Tag kommt, an dem ich mich auch innerlich erwachsen fühle? Das Äußerliche kann ich verdrängen. Ich vermeide einfach in Spiegel zu schauen, kaufe mir keine neue Kleidung, trage weiterhin meine zehn Jahre alte Größe 38 und verdränge, dass sie sich in den zehn Jahren durchs Tragen und Waschen vermutlich auf Größe 44 gedehnt hat und mir deswegen immer noch so gut passt . Aber wie fühlt sich dieses Erwachsen sein an? Werde ich dann immer den Müll runter bringen, nur weil er voll ist? Werde ich eine Einbauküche zum Preis eines Jahresgehalts kaufen und mich darüber freuen? Werde ich mich über unerwünschte Werbung in meinem Briefkasten aufregen? Nach 22 Uhr keinen Hunger mehr haben weil Schlafenszeit ist?

Ist das meine Midlife-Crisis? Was macht man da als Frau? Ich habe versucht es zu ergoogeln. Männer haben es leicht. Die suchen sich eine Zwanzigjährige, mit der man „gut reden“ kann, kaufen sich ein Cabrio, planen eine einsame Wanderung durch die Anden und tragen Flip Flops. Aber was bleibt mir?

Speednetworking

Es ist möglich zu unserem Speednetworking am kommenden Donnerstag bereits im Vorfeld einen virtuellen Zettel auszufüllen. #rp12 #speednetworking

Verehrte Damen und Herren der digitalen Welt,

meine bezaubernde Mitveranstalterin Journelle hat bereits im Vorfeld ein Formular erstellt, das Ihr ausfüllen könnt, sofern wir Euch kommenden Donnerstag zu unserer illustren Veranstaltung Speednetworking im Open Space (woimmerdasauchseinmag) zur re:publica willkommen heißen können.


Ihr erhaltet darüber hinaus einen Aufkleber von uns, auf dem Ihr drei Stichpunkte zu Euch selbst vermerken könnt. Diese Stichpunkte sind als zusätzlicher Gesprächseinstieg gedacht. Wahrt also die Balance zwischen konkret und kryptisch bei der Wahl Eurer Begriffe.

Ich möchte darauf hinweisen, dass das Ausfüllen des Zettels nicht automatisch als Teilnahmebestätigung zu werten ist. Sollten sich mehr als 20 Personen für unser Speednetworking melden, gilt das Prinzip: „Gut Ding hat keine Moral.

Wollt Ihr den Kontakt noch schneller herstellen und habt ein iPhone, einen iPod touch oder ein iPad, ladet Euch die App „Bump“ herunter und füllt Euer Visitenkärtchen aus. Ein bloßes Aneinanderstoßen der Gerätschaften tauscht die Kontaktdaten aus. Natürlich kann man auch eigens für die re:publica einen Kontakt im Adressbuch erstellen und diesen schnöde per Mail austauschen.

Wir sehen Euch hoffentlich am Donnerstag um 11 Uhr im Open Space der re:publica 2012!

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Fragebogen als PDF, Fragebogen zum Ausfüllen

rp12, die Frauen und meine unausgegorene Haltung zum Thema Feminismus

Meine Berührungsängste zu Frauenthemen und wieso Journelle und ich „trotzdem“ was zu diesem Thema auf der re:publica machen.

Ähnlich wie beim Festival des nacherzählten Films, habe ich mir nach jedem republica-Besuch vorgenommen das nächste Mal unbedingt mitzumachen (und es dann doch nie getan). Parallel dazu schien das Thema „Wir armen Frauen in der digitalen Welt“ in mir zu wachsen.

Wobei ich es nach wie vor nicht geschafft habe, das Thema Frauen für mich zu einem Ergebnis zu bringen, das ich als abgeschlossen und durchdacht bezeichnen würde. Ich selbst habe mich nie benachteiligt gefühlt. Weder im Internet noch außerhalb des Internets. Wenn ich mich im Leben überhaupt wegen einer Sache persönlich benachteiligt gefühlt habe, dann vielleicht nach Abschluss meines Studiums, weil mir da beim Bewerben immer wieder ein mitleidiges „Oh, Sie sind Geisteswissenschaftlerin, tja…“ begegnete.

Andererseits hauen mich die ganzen Hater-Kommentare in feministisch (angehauchten) Blogs immer wieder um und natürlich gibt es in meinem persönlichen Umfeld immer wieder diese Geschichten, das Frauen mit dem Entschluss ein Kind zu bekommen eigentlich ihre Karriere beenden, weil sie hinterher nur noch Briefmarken kleben dürfen oder ganz aus ihrem Job rausgemobbt werden (z.B. weil keine Teilzeitbeschäftigungen angeboten werden). Es ist also nicht so, dass ich das Gefühl habe, dass Feminismus kein Thema mehr wäre. Doch genau da tritt dann das Paradoxon ein, dass ich mich von manchen Feministinnen, ihrem Auftreten, ihren Thesen oder ihren öffentlichen Auftritten stark abgeschreckt fühle und auf gar keinen Fall in eine Schublade mit ihnen gesteckt werden möchte. Dann aber wieder befürchte, in vielen Sachen nicht kritisch genug zu sein und auch einer Gleichberechtigungsillusion zu erliegen. Was mir spätestens dann auffällt, wenn unser fußballbegeistertes Mädchen nicht in einem Fußballverein aufgenommen wird, weil sie ein Mädchen ist – obwohl sich der Verein explizit an Kinder und nicht an Jungs richtet.

Unbeantwortet blieb meine Mail, die ich jetzt doch noch mal hier veröffentliche, weil mich die Sache, nachdem sie mir wieder eingefallen ist, doch unendlich aufregt:

Lieber FC Berlin,

ich schreibe Ihnen, weil ich verärgert bin. In unserer Kita hing wochenlang ein Plakat ihres Vereins, das „sportbegeisterte Kinder und deren Eltern“ einlud eine Probestunde in ihrem Fußballverein zu machen.
Nachdem wir unsere Tochter in die Liste eingetragen hatten, stand ein Vermerk neben ihrem Namen, der lautete: Sorry, keine Mädchen.
Nachdem ich nun auch Ihre Website angeschaut habe, auf der Sie auch ständig von „Kindern“ und nicht etwa von „Jungen“ sprechen, muss ich mich schon fragen: Sind Mädchen keine Kinder?
Gerade im Jahr der Fußball-WM der Frauen ärgert es mich sehr, wenn Mädchen ausgegrenzt werden. Ich kann es verstehen, wenn im Schulalter die Gruppen nach Jungs und Mädchen aufgeteilt werden – aber warum das im Kindergartenalter so sein soll? Um Kraft oder Motorik kann es in dem Alter noch nicht gehen. Auch ist es überhaupt nicht nötig eine Trainerin zu haben. Für mich sind die angeführten Argumente „nicht genug Mädchen für eine eigene Gruppe“ und „keine weibliche Trainerin“ keine Gründe. In anderen Vereinen werden die Kinder bis Eintritt ins Schulalter auch gemeinsam trainiert.
Jedenfalls finde ich, Sie sollten Ihre Texte ändern und deutlich vermerken: Nur Jungs
Fußball macht JUNGS fröhlich, gesund und erfolgreich. JUNGS, die einen Mannschaftssport betreiben, lernen, sich in eine Gruppe einzufügen, aber auch, sich durchzusetzen. […] etc.

So ist es wenigstens für alle transparent, dass Mädchen in ihrem Verein nicht gewünscht sind. Denn als nichts anderes kann ich die Verweigerung ansehen, dass unsere Tochter nicht mitmachen durfte. Für Sie nochmal zum Nachlesen: „Mädchen dürfen beim Fußball bis einschließlich D-Jugend, mit Sondergenehmigung bis einschließlich C-Jugend, in Jungenmannschaften mitspielen.

Hups. Jetzt bin ich vom Thema abgekommen. Jedenfalls bin ich trotz meiner jährlichen Begeisterung für die republica ein großer Drückeberger, menschenscheu und publikumsängstlich, weswegen ich schlussendlich nie etwas gemacht habe, außer einmal spontan und unvorbereitet in das Panel „Warum Babykotze genauso relevant wie das iPhone ist“ zu hüpfen.

Mir wurde dann klar, dass ich nie irgendwas machen würde, wenn ich es alleine planen würde und um mich selbst zu zwingen, suchte ich nach einer Frau, mit der ich ein fröhliches Frauenthema angehen könnte. Und da schickte mir der Himmel das Internet Journelle. Vor Jahren hatte ich sie flüchtig auf einer Lesung kennen gelernt. Es war November und alle froren und kamen in fellgepolsterten Winterstiefeln, nur Journelle saß in silberglänzenden, OFFENEN, hochhackigen Schuhen da und lächelte entspannt. Das hat ihr bei mir eine Menge Respekt eingebracht. Ich weiß gar nicht mehr genau wie, aber wir hatten immer öfter Kontakt und besuchten uns eines Tages sogar mit Kind und Kegel und jetzt weiß ich, dass es noch viele hundert weitere Gründe gibt, Journelle toll zu finden. Allen voran ihren robusten und unerschrockenen Humor.

Jedenfalls ergab sich, dass wir dieses Jahr zusammen etwas zur re:prublica machen, das ich hiermit dringend bewerben möchte: Speednetworking

Wir stellen uns die Veranstaltung so vor, wie man das aus Filmen beim Speeddating kennt. Je zehn Frauen (und ggf. Männer) sitzen sich gegenüber. Nach einem bestimmten Schema stellt man sich seinem Gegenüber vor und rutscht dann nach drei Minuten weiter. Wir sammeln alle Daten und machen daraus Followerlisten, Google+Circle und Blogrolls und hoffen, dass daraus nachhaltig neue Verbindungen entstehen.

Leider konnte uns unsere zuständige re:publica-Ansprechpartnerin noch keine Vorstellung zu den Räumlichkeiten oder zum konkreten Ort geben. Es soll im Open Space stattfinden – was auch immer das sein mag. Ich denke, wir entdecken es am ersten re:publica Tag. Rechnet also mit Hintergrundgeräuschen, schlechter Akustik und ggf. auch nicht vermeidbaren Durchgangsverkehr – aber freut euch im Gegenzug auf interessante Gesprächspartnerinnen, neue Vernetzungsmöglichkeiten und v.a. Spaß.

Ach und es hat nicht jemand zufällig eine ca. einen Kubikmeter große unglaublich laute Uhr, auf die man oben alle drei Minuten einschlagen kann, um die nächste Runde einzuläuten, die er uns zur Verfügung stellen möchte?

 

Abschied von Größe 36

Tschö 36.

Bis ich 28 war, habe ich problemlos in eine 36 gepasst. Seitdem nehme ich zu. Von meiner Kleidung trennen wollte ich mich nie. Aber jetzt habe ich es endlich gemacht. Ich trenne mich von ihnen, denn realistisch gesehen, werde ich da nie wieder rein passen. Hoffe ich jedenfalls, denn sehr schlank war ich bislang nur, wenn ich unglücklich war.

Das Erstaunliche ist, als ich noch eine 36 trug, fand ich mich nie ausreichend dünn. V.a. nicht nachdem ich von Franken nach Berlin gezogen bin. Da kam ich in einen Freundeskreis, in dem die „schönsten“ Mädchen gerade mal eine 34 trugen und von der Figur her aussahen wie 13jährige Jungs. (Ungefähr so wie die derzeitigen H&M-Models.) Mir hat das nicht gefallen, aber es wäre gelogen, zu behaupten, dass mich das nicht beeinflusst hätte.

Genauso wie die ganzen Klappergestelle, die man bei Greys Anatomy & Co. sieht. Doch jetzt, da ich Ü30 bin, werden meine italienischen Gene aktiv und ich würde denen gerne was ordentliches kochen. Dennoch. An jeder Straßenecke schreien einen die Plakate an. Dünn ist schön. Dünner ist schöner. Diese Botschaften finden irgendwie ihren Weg in mein Unterbewusstsein und auch in mein passives Schönheitsideal.

So fiel es mir bislang wirklich schwer, mich von all den Kleidungsstücken zu trennen, die Größe 36 haben. Ich trage jetzt eine 40 und da ich nicht der Diät-Typ bin, werde ich nie wieder eine 36 haben. Will und brauche ich auch gar nicht und meinen Kindern möchte ich ohnehin ein gutes Vorbild sein. Essen was einem schmeckt und bewegen, weil es Spaß macht und nicht weil man sich überzählige Kalorien abtrainieren will. Ich fände es grauenhaft, wenn meine Kinder das Wort „Diät“ oder „Abnehmen“ in den Mund nähmen. Jedenfalls weiß ich jetzt, dass ich den Krempel wirklich nicht mehr brauche und deswegen kann ich Platz schaffen.

Deswegen macht es mir wirklich nichts mehr aus, wenn ich im schicken Berlin-Mitte zwischen all den Mädchen in Größe 34 mit Haardutt sitze und die Bedienung meine Freundin und mich nach dem Genuss der Hauptspeise fragt, ob wir wirklich JEDE ein eigenes Schokotörtchen essen wollen.

Dazu auch lesen: Verdorben bis ins Schokotörtchen, Polemik zur Nacht und Problemzonen? Anke Gröner mochte ihre Beine nicht

P.S. Und ich will jetzt kein Gemosere hören, dass Größe XY ohnehin nicht „fett“ ist. Denn das ist es ja genau. Wenn man die Zeitungen anschaut, ist man eigentlich immer fett – es sei denn man ist Victoria Beckham. Wobei es bestimmt irgendeine geile Steigerung von Size Zero gibt…

Ich geh dann mal den Papierkalender synchronisieren

Gemeinsame Kalender sind so wahnsinnig praktisch. Theoretisch jedenfalls.

S 11 in Aus Liebe zum Wahnsinn von Georg Cadeggianini:

„Meine Frau Viola, 34, kommt in die Küche. Im Mantel. – Im Mantel? Jetzt hat Camilla Lorenzo erwischt. Handgemenge. Ich brülle ein wenig. Viel Mehl landet auf dem Boden, vor dem Schneeräumgerät. Elena, 9, geht dazwischen. Halbherzig. – Warum hat Viola eigentlich diesen verdammten Mantel an? […] Natürlich habe sie das in unserem Onlinekalender eingetragen, meint Viola. Kino mit Freundin, Donnerstagabend.“

Damit hat Georg Cadeggianini bereits auf Seite 11* eine typische Familienalltagssituation geschildert. Ein ganz grundlegendes Problem zwischen Mann und Frau. Ich weiß nicht, wie die Vorgeschichte im Hause Cadeggianini war. Aber sie war ganz sicher genau so:

Der Ehemann kommt nach Hause. „Schatz, wir müssen mal einen gemeinsamen Googlekalender einrichten. Das wäre doch praktisch. Da legen wir all unsere Termine an und haben so immer den Überblick. Wegen der Kinder und so.“ Die Frau denkt Oh Mann, noch ein zusätzlicher administrativer Aufwand, das Leben besser zu organisieren und sagt: „Ja, OK, praktisch wäre es ja schon.“

Fortan schreibt die Frau alle Termine in den Kalender. Wer die Kinder bringt, wer sie abholt, wann die Schwiegereltern zu Besuch sind, wann die Freunde Geburtstag haben, wann Ausflugtag in der Schule ist. Sie abonniert den Kalender für die Schulferien. Sie trägt die Sportkurse ein. Sie vermerkt, wann sie plant mit Freundinnen auszugehen. Sie trägt wichtige geschäftliche Termine ein.

Ändert sich was, verschiebt sie Termine, sie legt sie neu an und sie vermerkt auch die Orte, genaue Uhrzeiten, schreibt in die Notizen an was gedacht werden muss (Am Waldtag kein Brotpapier!), Ansprechpartner, Telefonnummern, alles! Gefühlt nimmt das Befüllen des Kalenders ca. 10% ihrer Lebenszeit ein.

Dann, eines Tages will sie ins Kino und während der Mann gerade den Kindern Stullen schmiert, erscheint sie im Mantel und der Mann denkt: „Wo will sie nur hin? Was ist los?“ GANZ GENAUSO WIE IN DEM BUCH BESCHRIEBEN.

Es entsteht eine kleine Diskussion.

„Woher soll ich wissen, dass Du ins Kino gehst?“
„Es steht im Kalender“
„Aber da habe ich nicht rein geschaut. Sowas musst Du mir sagen!!“
„Aber das habe ich und ich habe es in den Kalender geschrieben.“
„Nein, das stimmt nicht, Du hast es mir nicht gesagt!“
„Selbst wenn ich es vergessen haben sollte, was ich nicht glaube, denn selbst die Kinder wissen es, es steht im Kalender!“
„Aber ich habe nicht immer Zeit da rein zu schauen. Außerdem wollte ich mich heute mit einem Kumpel treffen.“
„Nun – das steht nicht im Kalender.“
„Ich kann da nicht immer alles eintragen. Vorgestern habe ich noch dran gedacht, aber dann habe ich es vergessen. Da stand Dein Termin noch nicht drin.“

[..]

Immer und immer und immer wieder führt das Ehepaar Gespräche dieser Art. Wütend stampft die Frau davon. Dann entschließt sich die Frau einen dieser Familienwandkalender zu kaufen. Sie hängt ihn an eine prominente Stelle im Flur. Dort überträgt sie tagelang alle Termine. V.a. die sich wiederholenden Termine (Donnerstag immer Musik) bereiten ihr große Freude. Weitere 10% ihrer Lebenszeit verbringt sie mit dem Synchronisieren ihres digitalen Kalenders mit dem Papierkalender. Die Situation verbessert sich tatsächlich und dann kommt doch wieder der Mantel-Tag und der Mann schaut die Frau mit großen Augen an.

Da blickt die Frau zum Familienjüngsten, Kind 3.0 (gerade in der sogenannten Trotzphase), und sie spürt die gesamte Verzweiflung eines zweijährigen Kindes in sich hochsteigen, sie spürt wie sich das Gefühl mit der präpubertären Ihr-behandelt-mich-alle-immer-ungerecht des Erstgeborenen vereinigt und sie platzt einfach. Peng! Wie ein Luftballon.

(Dass Frauen immer so emotional sein müssen!)

*Das Buch ist auch über Seite 11 hinaus gut zu lesen. Mehr dazu, wenn ich fertig bin.