Irgendwas pathetisches mit Medien […]

Das Fernsehprogramm geht mir auf die Nerven.

Ich habe im Studium Aristoteles im Original gelesen. Unser sehr großartiger Dozent ermutigte uns dazu – wohlwissend, dass niemand von uns des Altgriechischen mächtig war. Aristoteles zu lesen war sehr wichtig, denn wenn man es genau nimmt, hat sich seit Aristoteles in der Psychologie nicht berauschend viel getan.  Ich habe gelesen und gelesen und gelesen. Und wenn ich nicht mehr konnte, habe ich Big Brother geschaut. Das war 2000. Ich habe seitdem sehr, sehr viel Schrott-TV gesehen. Für mich hatte das eine mentalhygienische Wirkung. Ich kann aufhören zu denken, neue Wissensinhalte konsolidieren (sich) und ich kann mich in eine Art Standby-Modus stellen.

Dann habe ich angefangen zu arbeiten und meine intellektuelle Beanspruchung reduzierte sich v.a. in den ersten Berufsjahren auf ein Minimum. Parallel habe ich meinen Fernseher abgeschafft.

In der Zwischenzeit schaue ich gelegentlich wieder Reality-TV und Castingsendungen. Abends bin ich meistens so müde, dass ich weder sprechen noch lesen noch sonst irgendwas kann. Es kommt nicht selten vor, dass ich um 20 Uhr mit den Kindern einschlafe. Wenn es mir gelegentlich gelingt, wach zu bleiben, schaue ich fern. Ich gestehe, ich habe Popstars gesehen, ich habe Deutschland sucht den Superstar, X-Faktor und gestern auch The Voice of Germany geschaut. Einige Phänomene finde ich psychologisch interessant. Gruppenpsychologische Dynamiken bei Auswahlverfahren, motivationstechnisches und auch die Frage, warum sich Millionen für solche Sendeformate interessieren.

Schließlich fließt keine Information. Nichts. Nicht mal Emotionen werden übertragen. Da ist nur Leere. Unendlich in die Länge gezogene Inhaltslosigkeit. Ronnie Grob hat heute morgen einen Beitrag des SWR3 verlinkt, der das wunderbar veranschaulicht:

Wenn man sich die Einschaltquoten der Casting-Sendungen anschaut, bleiben nur Fragen. Es wird immer und immer wieder das selbe Konzept aufgegossen und egal wie dünn die Suppe ist, ein weiteres Mal geht doch noch. Die Schnitte gaukeln ein actionreiches Leben vor, ein Leben in dem Ereignis auf Ereignis folgt. Es gibt keine Pausen, kein Verschnaufen, keine durchgängige Handlung, keine Einstellung hält mehr als zehn Sekunden. Schnitt, Schnitt, Schnitt. Alles ist überzeichnet oder provoziert und aus dem Kontext gerissen. Das Leben ist dramatisch, großartig, ein einziges Spektakel.

Ich glaube, es ist Zeit den alten Röhrenfernseher zu verbannen.

Billy und die Musik-High-Potentials (formerly known as Smashing Pumpkins)

Man soll der Erinnerung wegen auf keine Konzerte gehen. Gut gespielt ist leider nicht gut gespielt.

Mein Musikgeschmack ist recht seltsam. Aus familiären Gründen höre ich beispielsweise heimlich BeeGees, obwohl sie laut Heinz Rudolf Kunze wie Ziegen klingen, die in der Mikrowelle ums Überleben kämpfen (Zitat via ankegroener). Sehr gitarrenlastige Musik ist mir ein Gräuel. Ich habe keine Hypothesen wie das mit den Smashing Pumpkins zusammenpasst, die ich auch sehr gerne mag. Genau genommen mag ich die Smashing Pumpkins der 90er Jahre. Die Mellon Collie an the Infinitite Sadness (1995) habe ich schätzungsweise sieben Millionen Mal gehört. Die Adore (1998) ebenso oft. Zu unserer Trauung haben wir uns das Lied Landslide ausgesucht. Glücklicherweise hat die Standesbeamtin vergessen den Play-Knopf zu drücken. Andernfalls hätte ich einen schlimmen Gefühlsanfall bekommen und mein mühsam aufgetragenes Make-up wäre unansehlich verschmiert, so sehr berührt mich das Lied, das ich immer noch nicht tot gehört habe. Es wird nicht weiter verwundern, dass ich die Band unbedingt mal live hören wollte – wozu sich gestern die Chance bot.

Wir kamen kurz bevor die grauenhaft dröhnenende Vorband aufhörte zu spielen und ich konnte die Sache nur ohne Hörschaden überstehen, weil ich mir ein nur wenig angerotztes Taschentuch von Kind 3.0, das ich in meiner Jackentasche fand (das Taschentuch nicht das Kind), in die Gehörgänge stopfte.

Es wurde ein bisschen umgebaut und gegen 21 Uhr begannen die Smashing Pumpkins zu spielen. Richtiger wäre es zu sagen: begannen Billy Corgan und seine drei Musik-High-Potentials zu spielen. Die ursprüngliche Besetzung der Band gibt es schließlich seit Anfang des neuen Jahrhunderts nicht mehr.

Der zweifelsohne sehr virtuose Corgan wirkte auf mich wie ein überehrgeiziger Berufsmusiker ohne rechten Spaß am Spiel, der vor allem der Bassistin ununterbrochen Zeichen gab wie sie zu spielen hätte (vielleicht wedelte er auch einem unsichtbarem Tontechniker geheime Zeichen zu – ich weiß es nicht).

So wie ich, hat Corgan seit den 90ern gut zehn Kilo zugelegt und seine Kleidung mutete seltsam an, so als habe er sein Lieblingslongsleeve versehentlich zu heiß gewaschen. Seine Selbstverliebtheit stellte er mit ungefähr drei Gitarrensolos pro halbe Stunde zur Schau. Auch hatte der erste Teil der Show etwas von „meine neuen Songs sind auch super und die hört ihr euch jetzt an!“. Ich glaube jedenfalls, dass sie den ersten Teil des Konzerts hauptsächlich neue Stücke gespielt haben, denn erkannt habe ich nichts zwischen den endlosen Gitarrenriffs. Als wir durch das Pflichtprogramm durch waren, wurden freundlicherweise noch ein Paar Hits aus den 90ern gespielt.

Ich hätte dem Konzert unterm Strich trotzdem einiges abringen können, wenn a) die Ordner, die sehr hart gegen zu wildes Getanze vorgingen, sich um die Leute gekümmert hätten, die ununterbrochen qualmten und b) der Typ hinter mir sich geräuschemäßig nicht in einen Seehund transformiert hätte.

Mangelnden Fleiß und/oder Pflichtbewusstsein kann man den Pumpkins jedenfalls nicht vorwerfen. Sie spielten über zweieinhalb Stunden und rangen sich sogar eine Zugabe ab. Die großen Zeiten scheinen jedoch vorbei zu sein. Das Tempodrom war weit davon entfernt ausverkauft zu sein und die anderen Termine in Deutschland wurden mangels Enthusiasmus der Fangemeinde abgesagt.

Infinitite Sadness.

 

Anscheinend war ich nicht die Einzige, die mehr erwartet hatte.

Gastarbeiter und Döner-Morde

Wir Gastarbeiterkinder in der 2. Generation und wie der sensible Umgang mit Worten helfen könnte…

Ich habe Glück. Meine Großeltern sind zwar Gastarbeiter gewesen – aber eben „nur“ Italiener. Italiener sind nach über 50 Jahren in der deutschen Gesellschaft angekommen und „integriert“. Ich bin nicht zweisprachig aufgewachsen. Leider. Mein Vater hat darauf verzichtet, weil man in der Gegend aus der er stammt, einen starken Dialekt spricht. Richtig Hochitalienisch hat er nie gelernt, denn da wanderte seine Familie schon nach Deutschland aus. Er hatte damals einen Schulabschluss, der in Deutschland natürlich nicht anerkannt wurde. Sein Weg zum Ingenieursstudium war lang und steinig. Aber er war ehrgeizig und hat sich nicht unterkriegen lassen. Mein Ohr hört es kaum, aber sein Deutsch ist nicht das Deutsch eines Muttlersprachlers. Manchmal vertauscht er Artikel und nicht jeden Umlaut spricht er aus. Wenn unser jüngstes Kind fröhlich „Tschuuuss“ statt „Tschüss“ ruft, schenkt es mir jedesmal einen Gruß von meinem Vater.

Die Sprache war für die Karriere meines Vaters ein Hindernis. Ich denke, dass das ein weiterer Grund war mir kein Italienisch beizubringen, um gar nicht erst zu riskieren, dass mein Deutsch am Ende nicht 100% perfekt ist. Heute macht mich das sehr traurig, denn in die andere Richtung ist Sprache wieder ein Hindernis. Wenn ich meine Nonna in Italien anrufe, können wir nur über Allgemeines sprechen, nie über Kompliziertes oder gar Philosophisches oder Emotionales. Meine Nonna ist 91 und sie ist geistig so fit und jung, dass sich so mancher eine Scheibe abschneiden könnte. Es wäre so schön ohne die Sprachbarriere mit ihr sprechen zu können.

Ich habe über Italiener wenig diskriminierende Bemerkungen gehört. Persönlich habe ich in der Schule nur ein Paar Spaghettifresser-Witzchen abbekommen. Nichts weltbewegendes. Die Assoziationen zu Italien gefallen den Menschen. Das gute Essen, Sonne, Urlaub, Kultur. Das war sicherlich nicht immer so. Meine Mutter ist Deutsche und als sie meinen Vater heiratete, waren die Bedenken groß. Die Palette der Sachen, die sich meine Eltern anhören mussten, war breit gefächert. Man fürchtete beispielsweise, dass mein Vater im Falle einer Scheidung die Kinder entführen und nach Sizilien verschleppen könne.

Vor einigen Wochen, am 30. Oktober feierte das Anwerbeabkommens mit der Türkei 50. Geburtstag. Im Spiegel schreibt man passend dazu: „Vor 50 Jahren kamen die ersten türkischen Gastarbeiter nach Deutschland – nun klopfen sich Politiker selbst auf die Schultern. Wofür eigentlich? Die Türken haben das Land verändert, doch viele fühlen sich noch immer fremd.“ Beim Spiegel benutzt man das Wort „Gastarbeiter“ selbstverständlich – so wie ich es weiter oben getan habe. Der Begriff selbst ist jedoch schon heikel, wenn man genauer über ihn nachdenkt. Schon 1972 veranstaltete der WDR ein Preisausschreiben zur Findung eines geeigneteren Wortes. Ein Paar Tausend Vorschläge wurden eingereicht, kein Wort konnte sich bis heute durchsetzen. Dennoch kann man feinfühliger formulieren, wie bei Zeit Online im Artikel 50 JAHRE EINWANDERER geschehen.

Im Rahmen der Festivitäten musste ich viel an meine Familie denken. Ich sprach auch mit einigen türkischen Freunden und Bekannten über das Thema und bin nachhaltig bestürzt wie viel mehr Diskriminierung Menschen türkischer Abstammung erfahren mussten. Auch noch in der zweiten und dritten Generation – ganz normale Deutsche also.

Ich schreibe das alles, weil es mich so traurig macht aktuell auch immer mehr zum Thema Fremdenfeindlichkeit zu lesen. Denn letztendlich ist schon der Ausdruck, den die Medien zur Zeit so gerne benutzen so furchtbar: Döner-Morde

Auf Google+ habe ich es bereits geschrieben: 

Als Halbitalienerin, regt mich die Formulierung „Döner-Morde“ besonders auf. Gerade aufgrund des Tat-Hintergrunds. Gerade weil Menschen türkischer und griechischer Abstammung getötet worden sind. Keine Döner. Die Formulierung alleine ist schon menschenverachtend.

Und noch treffender kommentierte Marcus Hammerschmitt darunter: „In dieser Bezeichnung steckt der ganze strukturelle Rassismus der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Die Reduzierung der Opfer auf Dönerbuden-Besitzer. Ihre Namenlosigkeit: „acht Türken und ein Grieche“ – ein bisschen wie zehn kleinen Negerlein; auch im Vergleich zur ständigen Nennung des Namens der ermordeten Polizistin. Die Blindheit, mit der man eine Mordserie von Nazis seitens der Polizei nicht als solche erkennen wollte. Die Unfähigikeit und Wurstigkeit der Presse. Usw., usw., usw.“

Sprache beeinflusst das Denken und umgekehrt, das ist nicht erst seit George Orwell bekannt. Ich fände es schön, wenn man sich das von Zeit zu Zeit mal bewusst macht und auch einzelne Formulierungen prüft. Es lohnt sich sensibel für sowas zu sein und manchmal sind es die kleinen Gesten, die helfen. Mich macht es wirklich sehr betreten, weiterhin Berichte wie „Und es hört einfach nicht auf“ lesen zu müssen.

Auch hier lesen: Alles Döner oder was? via @haekelschwein

Erziehung: Das Fass ohne Boden (Einer von möglichen hundert Beiträgen)

Erziehung ist ebenso wenig wie das Leben selbst kein Ponyhof. Hier einige meiner Gedanken dazu.

Als Kind habe ich mich wahnsinnig viel gelangweilt. Aufgewachsen in einem fränkischen Dorf, in dem es Kinderbetreuung erst ab drei Jahren und dann nur zwischen 8 und 12 Uhr gab, war das sicherlich kein Spaß für meine Mutter. In Ermangelung eines Gartens hat sie mich einfach raus geschickt. Vielleicht nicht im Kindergartenalter, aber ich habe deutliche Erinnerungen an die Grundschulzeit in der ich in Gummistiefeln Kaulquappen in Tümpeln eines kleinen Waldstücks sammelte, Staudämme baute und Schnecken sammelte. Alleine und mit Freunden. Wir stiegen in verlassene Grundstücke ein und erdachten uns haarsträubende Mutproben.

Als die Pubertät einsetzte, sollte ich mehr zu Hause oder zumindest an Orten sein, an denen keine Gefahren in Form des anderen Geschlechts lauerten. Mein Vater ist Sizilianer. Ich verbrachte viel Zeit in Jugendgruppen der katholischen Kirche und las mich durch die Dorfbibliothek. Ich erinnere mich, dass die ausgeliehenen Bücher händisch eingetragen wurden und dass ich eines Tages jedes Buch meiner Altersklasse durchgelesen hatte.

Die Kindheit meiner eigenen Kinder verläuft völlig anders. Auf eine Weise. Denn wir leben in Berlin. Ich denke, es wird meinen Kindern nie möglich sein eine Bibliothek durchzulesen. Auf der anderen Seite können sie alles ausprobieren auf was sie Lust haben. Da meine Eltern keinerlei sportliche Ambitionen hatten, besuchte ich nicht mal den örtlichen Tennisverein. Meinen Kindern wünsche ich eine Grundsportlichkeit – v.a. aus gesellschaftlichen Aspekten. Ist die Ausbildung erstmal beendet, stellt Sport für mich eine der bequemsten Arten dar neue Menschen kennenzulernen. Auch war mein Kontakt zu anderen Kulturen sehr eingeschränkt. Ich schwöre, ich habe Döner erst mit 19 kennengelernt, als ich nach Bamberg zog, um zu studieren. Das exotischste Essen, das ich kannte war „chinesisch“. Ganz anders unsere Kinder. Sie wünschen sich Bliny, Kotbullar, Schawarma und endlich mal wieder Haloumi. Sie lernen Englisch im Kindergarten und halten Euromünzen aus anderen Ländern in den Händen.

Bei uns im Dorf gab es einen einzigen herunter gekommenen Spielplatz. Allein in einem Umkreis von 1000 Metern, gibt es in unserer derzeitigen Wohngegend zehn. So lange es das Wetter erlaubt, gehen wir jeden Tag nach dem Kindergarten auf einen der umliegenden Spielplätze. Ich denke, allein deswegen haben unsere Kinder es ganz gut bei uns.

V.a. aber weil ich ihnen ebenfalls das unschätzbare Geschenk des Sichlangweilens schenke. Wenn wir an einem Ort sind, an dem keine Gefahren drohen, klinke ich mich aus und überlasse die Kinder (altersgemäß) sich selbst. Nach anfänglichen Protesten, am Bein zerren und ähnlichen Versuchen mich in ihr Spiel einzubeziehen, zeigt meine Passivität Früchte. Die Kinder beginnen sich selbst zu beschäftigen. Sie erdenken sich Spiele, nehmen zu anderen Kindern Kontakt auf oder hängen sich bäuchlings über eine Schaukel und lassen sich das Blut in den Kopf steigen.

Auf unsere Familie trifft also nicht zu, was Jesper Juul in einem etwas älteren Interview mit Zeit Online bemerkt: „Die armen Kinder haben ja heute kaum noch Zeit für sich, sie haben keinen erwachsenenfreien Raum, wie meine Generation ihn noch hatte.

Eine Sache, die bei uns sehr anders ist als in meiner Kindheit, ist die Sache mit der Konsequenz. Was von meinen Eltern einmal gesagt war, war Gesetz. Es wurde nicht verhandelt. Wenn man Pech hat, erzieht man so Fatalisten. Für mich ist die Botschaft einer konsequenten Erziehung: Egal wie Du Dich bemühst, egal was Du tust, egal wie Du argumentierst – nichts ändert sich.

Deswegen sind wir ziemlich inkonsequent. Inkonsequent auch in dem Sinne, dass ich nicht davon ausgehe überhaupt in der Position zu sein alle Wahrheiten und Gesetzmäßigkeiten zu kennen. Ich habe oft festgestellt, dass Kinder Lösungen für Konflikte hervorbringen können, die mir nie im Leben eingefallen wären und die für mich völlig akzeptabel sind. Für die Freiräume, die ich meinen Kindern einräume, bekomme ich oft sehr viel zurück. Wenn ich in einer Situation nachgebe, in der es mir durchaus möglich ist, lassen meine Kinder im Gegenzug Dinge der Art: „Ich bin zu erschöpft jetzt noch Eis essen zu gehen, können wir das bitte verschieben?“ gelten.

Ein dritter großer Themenkomplex, der eine Rolle in unserer Erziehung spielt, wird ebenfalls im oben genannten Interview angesprochen: Er betrifft das Glücklichsein.

Natürlich wünschen auch wir uns glückliche Kinder – aber wie man weiß, ist das Leben kein Ponyhof und damit muss man umgehen lernen. Unsere Kinder bei Rückschlägen zu unterstützen und sie mit Kompetenzen auszustatten dennoch glücklich und optimistisch zu bleiben, ist mir viel wichtiger als sie in einer Glücksblase aufwachsen zu lassen. Einen wunderbaren Artikel dazu hat Dirk Böttcher in der brand eins geschrieben (bitte UNBEDINGT lesen). Dem ist nichts hinzuzufügen.

Deswegen halte ich es auch für richtig sich vor den Kindern authentisch zu verhalten. In unserer Familie gibt es die geflügelte Formulierung: „Streitet ihr jetzt oder diskutiert ihr noch?“.  Ich finde es sehr wichtig, dass Kinder mitbekommen, dass nicht alles glatt und ideal verläuft, dass es Meinungsverschiedenheiten, Befindlichkeiten, äußere Zwänge und negative Gefühle gibt. Sie lernen hoffentlich auch, dass es immer Wege der Bewältigung gibt und dass man sich verzeihen kann, dass man Kompromisse erarbeiten und mit Alternativen zufrieden sein kann. Jedenfalls wünsche ich mir das. Wie schön, dass Jesper Juul das auch denkt:

ZEITmagazin: Was ist Ihr wichtigster Rat an die Eltern von heute?

Juul: Seid nicht so perfektionistisch. Bis man wirklich gut ist im Erziehen, muss man mindestens vier Kinder haben. Aber glücklicherweise brauchen und wollen Kinder keine fix und fertigen Eltern. Kinder haben viel Verständnis für Fehler – sie machen ja selbst den ganzen Tag welche und lernen daraus. Eltern fragen mich ständig: Ist es erlaubt, Kindern gegenüber laut zu werden? Natürlich ist es das, man darf heulen, schreien, alles Mögliche. Kinder brauchen lebende Eltern. Sie brauchen keine Schaufensterpuppen.

Braucht noch jemand Buchempfehlungen? Meine Bibeln in Sachen Kindererziehung sind: „In Liebe wachsen“, „Das kompetente Kind“ und „Kinder verstehen“.

Das erste Mal: Symposium mit W-LAN

Das Symposium „Wissen und Macht“, W-LAN und was sie schon immer über das Internet wissen wollten.

Für Euch Digital Natives ist das kalter Kaffee: Eine Veranstaltung besuchen, Vorträgen lauschen und gleichzeitig Internet zur Verfügung haben. Für mich war das am 10. und 11.11.2011 während des Symposiums „Wissen und Macht“ eine völlig neue Erfahrung. Und was soll ich sagen: Wie konnte ich vorher ohne leben?

Zum einen fand ich es wirklich interessant den Twitter-Stream mitzuverfolgen (#wissen2011) und so auch ein Bild davon zu bekommen, wie andere Symposiums-Besucher die Vorträge und Redner empfanden. Zum anderen konnte ich natürlich jede erwähnte Website oder Quelle aufrufen, parallel anschauen oder zumindest bookmarken.

Das zweitägige Symposium „Wissen und Macht“ war durchgängig hochkarätig besetzt. Es wurden drei Themenblöcke behandelt: „Das Internet als Bildungsinstrument“, „Das Internet als politisches Instrument“ und „Das Internet als Wirtschaftsinstrument“. Leider konnte ich nur an den Vormittagsveranstaltungen teil nehmen, weswegen für mich „Das Internet als politisches Instrument“ ausfallen musste.

Das Sympoisum fand im Lokschuppen II des Technikmuseums statt. Ein wunderbarer Ort. In meiner ersten Elternzeit war ich mit meiner Museumsjahreskarte öfter im Deutschen Technikmuseum. Gerade die riesigen Loks, die kilometerlange Wagonreihen durch die USA ziehen bzw. zogen, übten auf mich eine besondere Faszination aus. Just zwischen ihnen zu sitzen, klugen Vorträgen zu folgen und hervorragenden Kaffee zu trinken, war mir eine große Freude.

Wenn man beruflich wie privat viel Zeit im Internet verbringt, hat man sich schon den ein oder anderen Gedanken zu den angesprochenen Themen gemacht. Mir gefällt es umso bessser, bestimmte Schwerpunkte von Menschen vorgetragen zu bekommen, die in einem Teilgebiet Experten sind. Dabei hatte ich bezogen auf die Vortragenden bereits gewisse Erwartungen, die sich zum größten Teil erfüllten. Von anderen Rednern hatte ich persönlich noch nie etwas gehört, noch interessierte mich das Thema laut Programm besonders – jedoch wurde ich sehr positiv überrascht. So z.B. von Frau Prof. Debora Weber-Wulff, die zum Thema „University 2.0“ sprach. Ebenso mitgerissen hat mich der Vortrag von Frank Schomburg von nextpractice GmbH, der in einem atemberaubenden Tempo vortrug. Andere Themen, die aufregend klangen, waren leider ein bisschen langatmig.

Bis zum Abschlussvortrag von Prof. Gunter Dueck blieb der Tenor dem Internet gegenüber einheitlich kritisch. Man kann was draus machen, aber Vorsicht ist geboten und eigentlich müssen sich die echten Digital Natives – also die, die in den 80ern und 90ern geboren sind – der Sache (endlich) annehmen.

Umso mehr freute ich mich über die zum Teil provokanten Worte von Dueck, der ein bißchen ausschweifender als zur re:publica XI von den Chancen des Internets berichtete und die Veränderungen unserer Gesellschaft schilderte, die uns in den nächsten Jahren erwarten. Im Gegensatz zur re:publica XI gab es jedoch einiges Stirnrunzeln und Kopfgeschüttele im Publikum. Prof. Skiera meinte sogar ein Professoren- und Lehrer-Bashing aus den Worten Duecks zu hören (was ich nicht nachvollziehen kann).

Dueck forderte die Anwesenden auf: „Einfach mal gucken und mitmachen!“ Er ermutigte ein wenig naiv und optimistisch an die Materie Internet ranzugehen. Man könne nicht erwarten, dass das Internet ein Raum sei, indem es nur Gutes gäbe und sich nur Menschen mit edlen Motiven aufhielten. Das sei im „wahren Leben“ auch nicht so. Wenn man es genau betrachte, sei beispielsweise „bei Schlecker die Sünde zuhause“ da dort im Schnitt 4% des Umsatzes durch Ladendiebstahl verloren ging. Jetzt sei Google mit seiner Datengier der Feind und vor wenigen Jahren Mircrosoft. Ich musste natürlich spontan an die aktuelle Diskussion zum Thema Internetsucht und 30 000 Jahre Fehlentwicklung denken.

Damit spannte er den Bogen zu den Worten seiner Vorredner, die mit Zahlenmaterial belegten, dass Google im Bereich der Suchmaschinen In Deutschland gut 98% Marktanteile besitzt und somit auch gut 50% aller Werbeeinnahmen im Bereich Online-Werbung ingesamt abschöpft.

Vielleicht bin ich naiv, aber für mich ist ohnehin unklar wieso die Menschen sich meistens beschweren, dass private Daten weiterverkauft und genutzt werden. Dieser Anspruch alles kostenlos zu bekommen, ist mir nicht ganz klar. Wer nicht in Euro zahlt, zahlt eben in Daten. Wären die Menschen aufrichtig daran interessiert bestimmte Leistungen zu bezahlen, wären Mircopaysysteme wie flattr weitaus verbreiteter und erfolgreicher.

Das Symposium „Wissen und Macht“ war insgesamt eine sehr gelungene Veranstaltung, die mir schon wieder große Lust auf die re:publica XII macht, wo ich einige der Redner sehr gerne wieder treffen würde.

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Alle Vorträge wurden per Live-Stream übertragen und sind in naher Zukunft als Videos verfügbar.

Zukunftsprognosen

Musikalität soll man fördern und Vorurteile abbauen.

WARNUNG KLICKEN SIE NICHT AUF DEN VIDEOLINK WENN SIE IM BÜRO SITZEN

Jedes unserer Kinder hat so seine Eigenarten. Es bleibt der Phantasie überlassen, sich deren Zukunft auszumalen. Bei Kind 3.0 habe ich ein klares Bild. Seine ersten Worte waren „L A U T“ und „TA TÜ TATA!!!111!!!

Dementsprechend wird es sein Geld wohl als Shouter verdienen:


(Fast so anmutig wie Star-Schwärme, oder)

Recherchen zufolge ist es durchaus möglich als Sänger einer Metal-Musikkapelle ein geregeltes Einkommen zu erwirtschaften. Schwer stelle ich mir nur vor, wenn Kind 3.0 gerne möchte, dass ich es bei seinen Auftritten begleite. Auch erschließt sich mir nach Konsum diverser Metal-Videos nicht in welchem Takt ich mitklatschen könnte.

Aufhalten kann ich diese Karriere ohnehin nicht mehr. Am Wochenende am Flohmarkt entdeckte das Kind ein Kinderschlagzeug. Das Schlagzeug stand einfach nur rum, aber Kind 3.0 ahnte sofort dessen Einsatzzweck. Klugerweise hatte die Verkäuferin auch keine Holzklöppelchen zur Verfügung gestellt. Dennoch wusste unser Jüngstes Bescheid. Es riss sich von meiner Hand und sprang in das Schlagzeug. Dann trommelte es auf die verschiedenen Membranophone und lobpreiste: „LAUT MAMAAAA LAAAAUUUuuuuTTT!!“. Ich wollte es weg ziehen, aber es umklammerte mit Armen und Beinen das ganze Gerät und schlug mit dem Kopf auf die Becken ein.

Vermutlich, sah auch Kind 3.0 für einen Moment ein klares Bild seiner Karriere. Für das Lungenvolumen wirkt sich die oben vorgestellte Art zu musizieren vermutlich positiv aus. Nebenberuflich könnte Kind 3.0 deshalb Rekorde im Apnoetauchen aufstellen und Mutti die ein oder andere Perle vom Meeresgrund hoch holen. Gar nicht so schlecht. Da bereue ich es fast, dieses Schlagzeug nicht gekauft zu haben. NICHT.

Die Liebe und Neukölln

Nacht und Nebel in Neukölln und ein Abend ohne Kinder.

Letzten Monat bin ich nach Jahren das erste Mal mit meinem Mann ausgegangen. Dass es Jahre dauerte, hat im Wesentlichen zwei Gründe. Erstens haben wir keine Verwandtschaft im Umkreis von 400 km. Die Kinder sind an niemanden weiter gewöhnt als an uns. Zweitens habe ich ein großes Problem von meinen Kindern getrennt zu sein. Lange Zeit war es für mich undenkbar sie „alleine“ zu lassen. Als das erste Kind sechs Monate alt war, bin ich mal ins Kino gegangen (ohne meinen Mann, der war bei den Kindern) und es war grauenhaft. Jeden Meter, den ich mich weiter weg bewegt habe, habe ich als physischen Schmerz empfunden und endlich im Kino angekommen, bin ich während des Films eingeschlafen.

Jetzt haben wir drei Kinder und wahrscheinlich wird man da lockerer und was ebenfalls nicht zu vernachlässigen ist, wir haben einen wunderbaren Babysitter gefunden. Letzten Monat sind wir gemeinsam nach Potsdam gefahren und diesen Monat haben wir unseren freien Abend genutzt, das Nacht und Nebel Festival in Neukölln anzuschauen.

Ich hatte aufgrund der Beschreibung sehr romantische Vorstellungen von dem Kunstfestival: „Mit einem Film starten, dann ins Theater oder zu einer Lesung gehen, eine Ausstellung besuchen und den Abend auf einer der vielen Parties beschließen. Für jeden Geschmack ist in dieser bunten Nacht etwas dabei! Gleichzeitig können Sie sich mit dem Taxi von einer Location zur nächsten chauffieren lassen. Und das alles kostenlos.

Wir haben uns zu einer Führung durch die Galerien des Reuter-Kiezes angemeldet und ich dachte, dass wir in einer kleinen Gruppe von 10-15 Kunstinteressierten von Galerie zu Galerie ziehen und vielleicht ein wenig über die Hintergründe der Künstler und Ausstellungen erfahren würden.

Tatsächlich standen am Treffpunkt rund fünfzig Leute. Der freundliche Führer spannte einen Schirm auf und wir liefen ihm im Gänsemarsch hinterher. Er erzählte hier und da was über die Ecken Neuköllns und deren Namengeber, holte überraschte Galeristen aus den zu besichtigenden Räumen, die alle mit Variationen von „Hallo, ihr seid zu viele, um reinzukommen…“ begannen, sich dann aber im Laufe des eigenen Vortrags darüber bewußt wurden, dass es vielleicht doch als so etwas wie ein unerwarteter Erfolg der Festivalausrichter gedeutet werden konnte, wenn solche „Massen“ sich für die ausgestellten Arbeiten interessierten. (Bei allen idealistischen Motiven, geht es sicherlich doch auch ums Verkaufen und je mehr Leute, desto größer die Wahrscheinlichkeit eines seiner Werke an den Mann zu bringen.)

Da die Galerien tatsächlich meistens 20qm große Räume waren und man aus Zeitgründen nur an den Werken vorbei ziehen konnte ohne sich etwas genauer anzusehen, entschied unserer Führer, dass wir zunächst alle Ausstellungslokalitäten ansteuern würden, die Galeristen und Künstler das berichteten, was sie berichten wollen und wir uns hinterher aufteilen würden, um die Ausstellungen tatsächlich anzusehen.

Die Runde, die wir machten, war wirklich groß (nach 1,5 Stunden hatten wir erst die Hälfte gesehen) und v.a. unglaublich vielseitig.

Auf der Route lagen u.a. der Laden „arm und sexy“ (Reuterstr. 62), der Arbeiten von KünstlerInnen aus dem Psychosozialen Initiative Moabit e.V. und „normalen“ Menschen unter dem Motto „Makellos“ präsentiert: „[…] In der Ausstellung fügt sich „Insider“- und „Outsider“-Kunst zu einem harmonischen Ganzen: Die teils abstrakten, teils gegenständlichen, teils konzeptuellen Arbeiten verbindet künstlerische Qualität, kreative Individualität und der aufmerksame Blick für feine Details.“

Wir wanderten weiter zu einer Bürogemeinschaft, die unter dem Motto „Heute bin ich die Prinzessin“ Zeichnungen von Mike Klar zeigte.

Suchten dann den „Kunstraum Art-Uhr“ (Weichselstraße 52) auf, der das Festival in „Nacht und Leben“ umbenannt hatte, weil die Assoziation zu dem Nacht und Nebel-Erlass, der europaweit die Deportationen von Widerstandskämpfern nach sich zog, zu stark sei. Es wurden Werke von Margret Holz ausgestellt, die sich mit den letzten Manuskripten des Philosophen Walter Benjamin auseinandersetzten, der sich 1940 das Leben nahm, als ihm klar wurde, dass seine Flucht vor den Nazis nicht erfolgreich sein würde.

Danach sahen wir uns Arbeiten von Jordi Castells Pruñonosa an, der in der Bürogemeinschaft „IM BÜRO“ ausstellte: „Der menschliche Jäger verfolgt seine Beute in ihrer natürlichen Umgebung. Er präsentiert das Büro als Jagdrevier im Prozess des Aussterbens.“

Nach zwei Stunden klinkten wir uns aus der Gruppe aus und erfreuten uns noch an Nackten in Schaufenstern, die im Schwarzlicht ihre Bodypaintinggemälde am Körper tanzend zur Schau stellten und waren ein bißchen traurig, dass wir es nicht zum Maskenball und der Haarspende-Station geschafft hatten.

Um einen angemessenen Überblick zu bekommen, hätten wir wahrscheinlich 6-8 Stunden gebraucht und dann nochmal ein Paar Tage, um sich die Arbeiten im Detail anzuschauen. Erfreulicherweise sind die meisten Ausstellungen noch ein Paar Wochen geöffnet und es lockt als nächste Veranstaltung der Advents-Parcours im Dezember.

Ich liebe Berlin wegen solcher Angebote. Ich liebe die Vielseitigkeit und die Möglichkeit in völlig fremde Welten einzutauchen und sich mit Dingen zu beschäftigen, die überhaupt nichts mit der eigenen Alltagsrealität zu tun haben und am meisten liebe ich meinen Mann, der diese Interessen mit mir teilt <3.

Übrigens würde mich interessieren, wie KünstlerInnen selbst die Neuköllner Szene empfinden. Auf mich wirkte sie nicht so elitär und kalt wie ich es gelegentlich an anderen Orten kennen gelernt habe. Sie wirkt auf mich freundlich und aufgeschlossen und die Galeristen aufrichtig kunstbegeistert.

Taxis, die laut Beschreibung der Festivalorganisatoren hätten sichtbar sein müssen, haben wir  übrigens kein einziges gesehen und so legten wir alles zu Fuß zurück und ich war froh, dass ich mich für flache Schuhe entschieden hatte. Als wir ausreichend durchgefroren waren, setzten wir uns noch in eine Bar, tranken hastig unsere Getränke und quetschten uns wieder in die auch um 24 Uhr völlig überfüllte U8, um nach Hause zu kommen.

Die Kinder hatten sich den Berichten unseres Babysitters alleine ins Bett gebracht und selbst das Jüngste war im Rahmen seiner sprachlichen Möglichkeiten eigenständig genug zu signalisieren, dass es lieber alleine einschliefe als sich etwas von einer Person vorsingen zu lassen, die nicht Mama oder Papa war. Es deutete auf die Tür und sagte „Ab!“.

Wir schnick schnack schnuckten noch aus, wer am nächsten Morgen aufstehen müsste und stellten fest, dass es wirklich an der Zeit war, wieder gemeinsam ohne plärrende und zappelnde Kinder auszugehen.