Das macht doch ein XY nicht

Ich schwöre, ich habe meinen Kindern die ersten Jahre kein rosa und kein hellblaues Kleidungsstück gekauft. Gerade in der älteren Generation stieß ich damit auf wenig Verständnis. Ein Baby in grünen Kleidungsstücken? „Ach Herrje, da weiß man ja gar nicht was es ist!“ Meine Antwort darauf: „Es ist ein Mensch.“

Natürlich dauerte es nicht lange, bis wir mit hellblauen und rosa Kleidungsstücken überhäuft wurden und natürlich war es so, dass unser Mädchen mit ca. drei Jahren NUR rosa tragen wollte. Dann kamen die Fillys, die Einhörner, die Prinzessinnenliteratur – all das was ich auf gar keinen Fall im Haus haben wollte. Das gleiche passierte natürlich bei den Jungs. Zuerst die Autos, Bagger, Transformers, die Eisenbahn, Power Ranger usw. Das Gute daran: Wenn man beide Geschlechter im Haus hat, dann hat man das komplette Sortiment und das hat am Ende dazu geführt, dass mit allem gespielt wird. Die Transformers bekommen hübsche Puppenkleidung, die Fillys galoppieren über die Hot Wheels Rennbahn und alles ist gut. Wenn die Kinder sich streiten, greift die Tochter zu Darth Mauls Doppelklingen Lichtschwert und der Sohn hält schützend die Babybornpuppe vor sein Antlitz.

Wir hatten ideale Bedingungen. Weder mein Mann noch ich wurden als Kind irgendwelche Klischees unterworfen. Unser Kindergarten nimmt unseren Sohn im glitzerrosa Feenkostüm mit den Worten: „Hey, Du hast Dich aber schick gemacht!“ entgegen. Noch nie sind dort Sätze wie „Jungs malen aber nicht so gerne“ gefallen. In Berlin kümmert es zudem sowieso nicht, wie wer aussieht. Man kann im August auch als Clown verkleidet durch die Gegend laufen – in der Regel wird man nicht besonders überrascht angeschaut.

Ich finde es ganz selbstverständlich, dass sowohl meine Tochter als auch mein Sohn Nagellack „haben“ dürfen, wenn sie das interessant finden, weil sie mich dabei beobachten, wie ich mir die Nägel lackiere. Das folgende instagramobligatorische Fußbild, das ich vor Monaten gepostet habe, zeigt dementsprechend die Füße meines Sohnes:

Zum Thema Benachteiligung von Jungen haben Antje Schrupp mit „Beim pinken Überraschungsei geht es nicht um Mädchen, sondern um Jungen„, Kaltmamsell mit „Zwischenspiel: Buben in Röcken“ und Journelle mit „Das rosa Ei in der Familie“ schon sehr viel kluges gesagt.

Aus dieser Erfahrung heraus möchte ich alle ermuntern, ihren Söhnen diese Art von Diskriminierung nicht anzutun. Zeigt Euren Söhnen die vermeintlich weiblichen Aspekte des Lebens. Lasst sie doch mal fühlen wie es ist in Stöckelschuhen rumzulaufen, lasst sie sehen, wie bunt lackierte Fußnägel aussehen, wie luftig Röcke sind, wie schwierig es ist, einen geraden Lidstrich zu ziehen. Ich glaube, wenn man sie das alles erfahren lässt, schafft man eine gute Grundlage in späteren Jahren verständnisvoller zusammenzuleben.

Freundliche Stalker

Warum eigentlich instagram?

Als ich mein Smartphone bekam, interessierte mich instagram nicht die Bohne. Was soll das? Wen interessiert das? Warum?

In der Zwischenzeit ist instagram eigentlich fast meine allerliebste Social Media Plattform. Mir war lange schleierhaft warum. Allerdings hab‘ ich Kraft meiner Reflexionsfähigkeit eine Hypothese zusammengebastelt, weil mir neulich wieder das Buch „Wie Franz Beckenbauer mir einmal viel zu nahe kam“ in die Hand fiel. Es basiert auf dem Forum Höfliche Paparazzi und berichtet

„von zufälligen, kleinen Begegnungen mit Berühmtheiten […], also von keinen irgendwie mutwillig herbeigeführten oder groupieesken Treffen (mit Sexabsicht) oder Interviewsituationen. Je dezenter, desto besser.“

Als ich das Buch damals las, amüsierte es mich sehr und gestern ging mir auf, dass instagram etwas ähnliches in mir anspricht. Zwar folge ich da keinen Promis, sondern nur „normalen Menschen“, aber instagram ermöglicht simuliert mir Nähe zu diesen Menschen, die in der unvirtuellen Welt gar nicht wirklich besteht. Ich schaue durch die Bilder, welche diese Menschen posten auf deren Teller, sehe wo sie abends hingehen, was sie trinken, wie ihre Katzen und Hunde aussehen, ich sehe ihre Füße, ihre Gärten und Wohnungen und erhalte so Einblick in ihr Privatleben. Das gefällt mir, warum auch immer. Vielleicht weil ich auch so normal bin und mich damit noch normaler fühlen kann. Weil ich sehe, ich bin wie sie, ich bin kein Außenseiter, ich bin Norm, Teil der Gesellschaft.

Und andererseits sehe ich Dinge, die ich nicht kenne, Getränke, die ich noch nie getrunken habe, Restaurants in denen ich nie war … aber weil die UrhereberInnen dieser Fotos „normale Menschen“ sind, weiß ich, ich könnte da potentiell hingehen, ich kann deren Gerichte nachkochen, an diese Orte gehen. Es ist für mich erreichbar.

Damit ist instagram für mich viel toller als Gala oder Neue Post. Zeitungen, die eigentlich genau das machen, nur bei Promis. Sie stillen die Neugierde. „Die Angelina Jolie, guck mal, die sieht ungeschminkt auch gar nicht so toll aus!“ Nur werden diese Promis eben nicht gefragt, ob sie wollen, dass ICH sehe, wie sie gestresst, ungeschminkt und traurig aussehen. Und was sie essen, die Orte an die sie gehen, die Kleidung, die sie tragen – das alles kann ich mir nicht leisten. Niemals. Es ist in unendlicher Ferne.

Bei instragram hingegen ist alles erreichbar und die UserInnen posten das freiwillig. Freundliches Stalking ist da moralisch einwandfrei. Darum mag ich instagram so gern. Das ist quasi DIE Fair Trade Bio Delfinfrei Social Media Plattform.

Prometheus – der Spoilerartikel

Geht nicht ins Kino. Hört nicht auf die Kritiken. Geht in die Videothek und schaut noch mal Alien. Oder Blade Runner. Oder ein Schweinchen namens Babe.

(Wer Prometheus schon gesehen hat, kann weiter lesen. Wen Prometheus nicht interessiert, kann sich das Weiterlesen sparen)

Also es ist ja so: ich habe nicht viele Hobbys. „Ins Kino gehen“ jedoch, das kann ich ohne zu lügen in meinen Lebenslauf schreiben. Allen voran liebe ich Science Fiction und Fantasy. Unsere Kinder heißen wie DS9 Charaktere. Ich bin seit Teenagerzeiten in Wolverine verliebt. Als ich 2001 den ersten Teil von Herr der Ringe sah, hatte ich große angst sterben zu können (man weiß ja nie!) bevor ich den dritten Teil hätte sehen können.

Nun, ich lebe noch, habe alle drei Teile gesehen und hey, wenn Peter Jackson drei Teile Hobbit machen will – bitte – ich bin dabei. Gerne auch in 3D und gerne gebe ich pro Vorstellung so viel aus, wie ich früher als Studentin benötigt habe, um eine Woche zu leben.

Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, dass ich mich auf Prometheus gefreut habe. Hätte ich keine Kinder, ich wäre zur Vorpremiere am Mittwoch letzte Woche gegangen. So aber mussten wir uns nach dem Babysitter richten und nutzen einen der wenigen heißen Tage in diesem Jahr, um in die Nachmittagsvorstellung ins Kino zu gehen. Ich hatte mir Alien vorher pflichtbewusst nochmal angesehen – bei Batman – The Dark Knight Rises – hatte ich nämlich den ersten Teil komplett vergessen und mir fehlte es hier und da an inhaltlichen Bezügen. Jedenfalls bei Prometheus sollte das nicht passieren, auch wenn Alien danach spielt, wäre es sicherlich hilfreich, sich noch an etwas zu erinnern. Die beiden Filme wurden in diversen Rezensionen miteinander verglichen und irgendwo las ich (Google+?), Prometheus sei endlich mal wieder Erwachsenen Science Fiction im Gegensatz zu dem Kindercomicquatsch Batman. Ich sach mal so. Ich fand die erste Hälfte Batman richtig gut, bei der zweiten Hälfte, hätte sich Nolen nochmal einen Tick mehr Mühegeben können, aber hey – ich hatte nicht sowas wie 12 Monkeys erwartet und daher sind einige ungefüllte Handlungsstreifen völlig verzeihbar. Äh. Jedenfalls habe ich Alien gesehen und vorher darüber gelesen. Mir war nämlich nicht bewusst, dass der Film 1979 in die Kinos kam. Wenn man ihn jetzt anschaut, würde man auch nie auf die Idee kommen. Er ist bildgewaltig und auch die Effekte sind nicht zu verachten. Viel beeindruckender sind jedoch die Charaktere. Allen voran natürlich Ripley. Aus heutiger Sicht übrigens auch sehr interessant. Es waren alles Menschen. Menschen in unterschiedlichen Größen, unterschiedlichen Alters, mit unterschiedlichen Figuren und allen fehlte eines: absurde Muskelberge wie man sie z.B. aus Hawaii Five-0 kennt. Es waren quasi Menschen wie Du und ich, die Beruf Astronaut bzw. Wissenschaftler ergriffen hatten, nicht besonders mutig, nicht superschlau, nicht besonders stark. Alien nimmt sich Zeit die Charaktere zu zeichnen, sie vorzustellen und dann Ripley in das Zentrum zu stellen, die aufgrund außergewöhnlicher Umstände zu außergewöhnlichem fähig wird. Mindestens sowas habe ich bei Prometheus erwartet. Man kennt Noomi Rapace als Lisbeth Salander und himmelherrgott, da war sie unfassbar – aber was ist davon bei Prometheus zu sehen?

Ich habe ja geschrieben, man soll auch mal loben. Deswegen eines vorweg. Es gab Gutes in Prometheus. Zwei Dinge, um genau zu sein. Erstens Michael Fassbender, der in meiner Wahrnehmung durchaus Data aus den Star Trek Filmen und Serien das Wasser reichen konnte und zweitens, die Idee mit den Scansonden, welche die „Höhlen“ vermessen haben, in denen die Wissenschaftler nach den Konstrukteuren suchten. Das wars dann aber auch.

Alles andere hanebüchender Mist. Siebzehn Leute, die von nichts eine Ahnung haben, die nicht ausgebildet sind und die offensichtlich nicht mal eine Art Handbuch „Offizielle Verhaltensrichtlinien für vernunftbegabte Menschen auf ausserterestrischen Ausflügen“ gelesen hatten, drehen eine Stunde nach Ankunft nachdem sie Schrillionen Kilometer gereist sind, völlig am Rad.

Ich meine, was soll das? Helme abnehmen, weil ein Depp das macht und irgendeine Anzeige sagt, hey die Luft ist hier besser als in Tokyo zur Hauptverkehrszeit. Alles anfassen, vor allem natürlich die schwarze todbringende Flüssigkeit und zwar zu jedem Anlass. Landen, eine Stunde rumgucken, niemanden sehen und sagen: „Oh Mann, jetzt muss ich mich aber betrinken, weil da hab ich mir echt mehr versprochen.“ Verdrehte Zombis, die an Landeklappen anklopfen und herzlich willkommen geheißen werden und die ohne jeden Kontext ein Drittel der Crew zerlegen. Infizierte Wissenschaftler, die abgefackelt statt sauber erschossen werden. Dann dieser ganze religiöse Quark. Wozu? Warum gibt es keine 80jährigen Schauspieler in Hollywood, warum muss Guy Pearce sich mit Silikon zukleistern? Dieser ganze „ich schneid mir den Alien selbst aus dem Körper und lass mich dann zutackern, um danach höhere Leistungen als das gesamte olympische Schwimmteam 2012 für Deutschland zu bringen“. Erst soll Noomi um jeden Preis verschwinden und als sie dann zehn Minuten später bei David wieder auftaucht, ist alles vergessen und hey, dann kommt sie eben mit, bevor sie weiter rumnervt? WAS SOLL DAS? Ich habe einem Babysitter Geld gegeben, damit ich in diesen zwei Stunden unterhalten werde und nicht um mich aufzuregen.

Ich habe ja wirklich kein Problem mit weit hergeholten Storys. Sie müssen einfach in sich schlüssig sein und alles ist gut. Aber Prometheus war gar nichts. Prometheus war so schlecht wie Independence Day (wobei ich da wenigstens drei Mal lachen musste) und Armageddon. Prometheus war die Verfilmung von Erich von Dänikens merkwürdiger Theorien über den Ursprung des Lebens. Sonst gar nichts.

Erst eben im RSS Reader entdeckt: Wenigstens einer stimmt mir zu -> Prometheus in meinem Lieblingsfilmfernsehblog Hirnrekorder.

Nicht meckern ist Lob genug

Es loben nur die Bekloppten.

Von klein auf lernt man, dass Kritik eine super Sache ist. Man lernt akzeptieren, dass es ein universelles Kritikrecht gibt. An allem und jedem. Expertenwissen unnötig. Jeder darf. Einfühlsamkeit – drauf gepfiffen! Kritisieren und meckern ist geil. Das hilft den anderen ja. Kritik ist quasi die einzige Möglichkeit zur Weiterentwicklung. Wie sollen wir reflexionsfähig werden, wenn wir nicht kritisiert werden?

Die Eltern fangen damit an, die Lehrer sind ganz groß damit, selbst Passanten dürfen es: Kritik üben. Es wird einfach akzeptiert. Nicht mal Einjährige, die etwas auf ein Papier krakeln, werden verschont. Von Anfang an wird bewertet und kritisiert: „Ah, das hat Du aber schön gemacht!“ oder „Was ist das?“ „Auto“ „Nein, so geht doch kein Auto!“

Man muss schon ganz schön alt werden, bis einem auffällt wie seltsam das ist. Jedenfalls hat man irgendwann gelernt mit Kritik umzugehen. Man kann mit eiserner Miene lächeln und im Bewerbungsgespräch kann man glaubhaft versichern, dass man Kritik sehr wichtig findet, schließlich möchte man sich weiterentwickeln.

Man mag jetzt anmerken, dass Kritik auch konstruktiv – gar positiv sein kann. Doch wenn man sich ganz kurz überlegt, wie man auf Lob reagiert, wird schnell klar, dass es immer eine unbeholfene Reaktion ist, die meilenweit von dem routinierten Umgang mit (negativer) Kritik ist.

Den Umgang mit Lob lernt man nicht. Offensichtlich kommt es zu selten vor, als hätten wir passende Reaktionen im Verhaltensrepertoire.

Schreit mich jemand auf der Straße an, finde ich das beinahe normal. Passiert gelegentlich und vermutlich hat er/sie irgendwie recht.

Sagt mir jemand „Du hast aber ein schönes Kleid.“ Dann bestand jahrelang meine Reaktion in einer verlegenen Erläuterung wo ich das Kleid  gekauft hatte, die mit einer Beteuerung einher ging, dass es nicht teuer gewesen sei. Ich ging immer davon aus, dass „Du hast ein schönes Kleid“ bestenfalls ein unausgesprochenes „Ich hätte das auch gerne, wo kann ich es kaufen“ nachhinge. Eher aber eine Art Kritik, in der Art „Was ist das denn schon wieder für ein teurer Fummel?“ Dass es sich um ein Kompliment handeln könnte, ist mir erst sehr spät aufgegangen.

Spricht sogar jemand völlig Fremdes ein Lob aus, schrillen bei mir alle Alarmglocken. Die Worte „Oh, sie haben aber einen schönen Mantel“ lassen mich an Taschendiebe denken. Man weiß ja, dass es da nur um Ablenkung geht. Taschendiebe schicken also unschuldig wirkende Frauen als Ablenkungsmanöver voraus, die machen Passanten unerwartete Komplimente und davon sind sie so von der Rolle, dass der eigentliche Dieb leichtes Spiel hat.

Einfach so auf offener Straße von Fremden gelobt werden DAS IST U.N.M.Ö.G.L.I.C.H!!!11!!!

Dass so wenig gelobt wird, dass der Durchschnittsmensch mit Lob nichts anfangen kann, das finde ich sehr schade. Deswegen habe ich mir vor einigen Wochen vorgenommen mehr zu loben. Man empfindet was positives und gibt was positives weiter. Im Internet ist das schnell gemacht. Hier gefavt, da geliket. Alle freuen sich. In der analogen Welt ist es unendlich schwer.

Zum Beispiel war ich heute mit Kind 2.0 beim dritten Augenarzt. Zwei Augenärzte hatten mich bereits in den Wahnsinn getrieben. Monatelang auf einen Termin warten, um dann nochmal über zwei Stunden in einem engen, überfüllten Wartezimmer ohne Ablenkungsmöglichkeiten absitzen, dem Kind Augentropfen verabreichen und dann einem Fachmann ohne jedem EInfühungsvermögen für Kinder begegnen. Der dritte Versuch jedoch war ein Goldgriff. Ich war so glücklich, dass ich mich bedankte. Die Ärztin hat mich angeschaut, als sei ich von einem anderen Stern. Dabei habe ich nichts anderes gesagt als „Vielen Dank, dass sie die Untersuchung so kinderfreundlich gestaltet haben. Ich hatte auch den Eindruck dass sie alles sehr gründlich gemacht haben und gehe mit einem guten Gefühl nach Hause.“

Als wir hinterher gemeinsam auf einem naheliegenden Spielplatz waren und eine kleine Horde Kinder gleich mein Kind 2.0 ins Spiel miteinbezog und das auf so herzige Art und Weise und ich den anderen Müttern zulächelte und sagte „Ihr habt ja süße Kinder!“ schaute die eine Mutter die andere an und fragte leise „Wat hat die denn jerocht?“

So ist das mit dem Lob in Deutschland.

Schulgeldermäßigung durch kluges Patchworking

Neue Ehepartner für die richtige Schule.

Wer dachte, Kindergartenplatz finden sei Stress, der hat wohl keine schulpflichtigen Kinder. Die richtige Schule auszusuchen, gestaltet sich um ein vielfaches schwieriger.

Immerhin bekommt man auf jeden Fall einen Platz. Je nachdem wo man wohnt, hat man dann Glück oder nicht. Der Tag der offenen Tür an „unserer“ Schule war für mich eine Reise in die bunte Welt meiner Wessivorurteile über Ostschulen.

Die Direktorin verwies beispielsweise auf die vielen tollen Leichtathletikwettbewerbe, auf den Rechenwettbewerb, den Schachwettbewerb, den Schnelllesewettbewerb, den Buchstabierwettbewerb, den Englischwettbewerb, den Erfinderwettbewerb, den … ich hab leider an der Stelle schon nicht mehr richtig zugehört. Diverse Kindheitstraumata riefen mir bereits fröhlich „Haaallloooo“ zu. Bei den Bundesjugendspielen habe ich beispielsweise NIE, ich wiederhole NIE irgendetwas gewonnen. Mein Weitwurfrekord liegt bei 11 Meter. Allerdings musste ich dem Schüler, der das in die Liste eintrug, hinterher mein Taschengeld eines Monats vorbei bringen. Tatsächlich war mir der Ball hinten runter gefallen. …die Galerie der besten Schüler, die Jahresbestenauflistung und die Medaillensammlung außerschulischer Aktivitäten im Schaukasten vor dem Sekretariat.

Ich stellte mir vor, wie es wohl wäre, wenn es nicht nur eine Kategorie gäbe, in der man versagen könnte, sondern potentiell alle Kategorien dazu da sein könnten, um zu versagen.

Andere Schulen in der Umgebung stechen auch eher durch den barschen Umgangston ins Ohr. An mancher Stelle wünschte ich mir, dass die Kinder eher durch Schäferhunde als durch Fachpersonal bewacht würden. Die sind wenigstens noch kuschelig und stinken nur wenn sie nass werden.

Endlich haben wir eine Schule gefunden, deren pädagogisches Konzept gut klingt und die auch sonst einen erfreulich guten Eindruck macht, schon lässt uns das Thema Schulgeld erschaudern. Da wir beide berufstätig sind, müssten wir den laut Liste ausgewiesenen Höchstbetrag bezahlen. Plus einen Sonderbetrag für Zusatzleistungen, das Mittagessen, die Hortbetreuung und natürlich Unterrichtsmittelgrundausstattung und Lernmittel.

Ermäßigung gibt es nur, wenn man mehrere schulpflichtige Kinder beim gleichen Träger anmeldet. Für das erste Kind zahlt man 100% des Betrags, für das zweite 75%, für das dritte Kind nur 50% und das vierte – man höre und staune – wäre kostenneutral. Geht man von potentiellen (frei erfundenen und lachhaft niedrigen) 100 Euro aus, ergäbe das bei vier schulpflichtigen Kindern durchschnittlich 56,25 Euro pro Kind. Leider hat man selten vier Kinder gleichzeitig im schulfähigen Alter.

Um Geld zu sparen, muss man also tief in die Trickkiste greifen. Da reicht es nicht, den „Wohnort zu wechseln“. Das machen ja sehr viele. Einfach bei Freunden, die im Einzugsgebiet der Wunschschule leben, den Wohnsitz anmelden und schon ist man bei der Wunschschule angenommen.

Will man im oberen Fall Geld sparen, muss man sich zu allererst scheiden lassen und dann nach einem neuen Ehepartner suchen, der ebenfalls Kinder im Schulalter hat, die er/sie ebenfalls an der obigen, privaten Schule anmelden möchte. Diesen muss man dann heiraten und den Expartner bestätigen lassen, dass regelmäßig Unterhalt entrichtet wird. Das macht man dann mindestens vier Mal (oder aber man hat Glück und findet einen potentiellen Patchworkschulkooperationspartner mit Mehrlingen) und schon spart man gut 45% Schulgeld pro Kind!

Das ist großartig. Alternativ bleibt natürlich immer noch, dass die Frau den Job aufgibt und sich dem Hausfrauendasein widmet. Das wirkt sich positiv auf das Jahresbruttoeinkommen aus und mindert den zu entrichtenden Betrag alle 10.000 Euro um 20%.

Moonrise Kingdom

Moonrise Kingdom. Kann ich bitte mehr von diesen Filmen haben?

Das mit den Filmen und mir ist keine einfache Sache. Per Ausschlussverfahren kann ich mich meinem Filmgeschmack zumindest nähern. Denn es gibt ganze Filmkategorien, die mich nicht interessieren. Katastrophenfilme z.B. Dann gibt es Inhalte, von denen ich weiß, dass sie mir zu nahe gehen und deswegen meide ich diese Filme. Seit der Geburt meiner Kinder speziell Familiendramen, bei denen Kinder in irgendeiner Form zu Schade kommen. Nachdem ich z.B. Changeling gesehen hatte, verfolgten mich zwei Wochen grauenhafte Albträume.

Das Geheimnis meines ausdauernd empfundenen Lebensglücks ist eben das Vergessen und Verdrängen. Filme, die mich daran erinnern, wie viel Grauenhaftes und wie viel Leid es in dieser Welt gibt, kann ich deswegen nicht anschauen. Ich möchte bitte in meiner eignen kleinen Welt leben, in der es (ich weiß nicht genau wem ich dafür danken kann) nichts Schlimmes gibt.

Mir ist irgendwann aufgegangen, dass ich deswegen Fantasy und Science Fiction jeder Art liebe. Einfach weil diese Filme nichts mit (meiner) Realität zu tun haben und ich sie mir deswegen als Unterhaltung anschauen kann. Es sind Märchen. Mal düster, mal bunt, mal mit Happy End mal ohne. Aber sie haben nichts mit mir zu tun und so leide ich lieber mit „einem gadgetbegeisterten Multimillionär der unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet“*, als mir vor Augen zu führen, wie es um unsere Welt wirklich bestellt ist.

Außerdem habe ich festgestellt, dass ich bunte Filme und Serien mag. Pushing Daisies oder Everything Is Illuminated (wobei letzterer die menschlichen Abgründe natürlich nicht unberührt lässt). Ein Garant für bunt und märchenhaft ist Wes Anderson. Bislang haben mir alle seine Filme gefallen. Inklusive Soundtrack. So hat mich auch Moonrise Kingdom nicht enttäuscht. Im Gegenteil. Es klingt immer so kitschig, aber es ist einer dieser Filme bei dem ich richtig verzaubert den Kinosaal verlassen habe. Ich mag die liebevollen und aufwändigen Inszenierungen, die Details, die mich verzückt ausrufen lassen wollen Ahhhhh und Ohhhhh und Schau mal!!!, den Humor, die Farben, die Stimmung. Alles.

An Moonrise Kingdom hat mich aber zusätzlich etwas berührt. Es spielten nämlich Menschen mit. Menschen, wie ich sie auf der Straße sehe. Menschen wie ich. Die nicht auf alles eine Antwort haben, die um ihre Fehler wissen und v.a. die wie Menschen aussehen. Sie haben Sorgenfalten, schlechte Frisuren, sie sind ungeschminkt und ähneln diesen geschliffenen Hollywoodkarikaturen in keinem Punkt. Trotzdem kann ich bei Moonrise Kingdom Beobachter dieser Menschen bleiben. Und selbst an der Stelle, an der es für mich eine nicht von der Hand zu weisende Parallele zu meinem Leben gab, werde ich versöhnlich zum Happy End geführt.

Das pubertierende Mädchen Suzy Bishop, das nie lächelt und eine große Nase hat, das war nämlich ich. Ich konnte so mitfühlen mit ihr, mit dem sich-unverstanden-fühlen. Ich glaube, meine ganze Kindheit und Pubertät war ich wie sie. (Mein Mitgefühl gilt meinen Eltern, die das alles ertragen mussten.) Was bin ich froh, dass diese Zeit Jahrzehnte hinter mir liegt!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

*Zitat Steven Rotor

Die anderen Erwachsenen

Die anderen sind Erwachsen oder Jugendlich. Ich bin eher so Midlife.

Ich bin jetzt definitiv raus aus dem Alter, in dem man noch fälschlicherweise für eine Studentin gehalten wird oder für sonstirgendwas unter vierzig. Jugendliche siezen mich respektvoll, wenn sie nach dem Weg fragen und bald stehen die Leute für mich in der U-Bahn auf oder ich bekomme Seniorenrabatt angeboten. So die Außensicht jedenfalls. Nur fühle ich mich nicht erwachsen. Jedenfalls nicht so wie mein eigenes Bild von Erwachsenen ist. Da wären zum Beispiel meine Eltern. Die sind, seit ich sie kenne, erwachsen. Erwachsene haben Einbauküchen, nehmen Kredite auf, trinken Abends ein Glas Wein aus einem echten Weinglas und laden ihren Chef zum Abendessen ein, um ihre repräsentative Familie zu präsentieren.

Vor allem aber: sie sehen total alt aus. Sie haben Falten, meist ein bisschen Übergewicht, ihre Kleidung hat keine Flecken und manchen gehen die Haare aus. So sehen für mich Menschen in meinem Alter aus. Mein Spiegelbild sah nie so aus. Da blickte mich immer ein junges, fröhliches Mädchen an. Bis neulich jedenfalls. Da stand ich vor selbigen und stellte fest, dass alles mädchenhafte verschwunden war und mich eine Frau anschaut. Ein Schock! Wer war das? Ich? Falten unter den Augen? Die Mundwinkel hängen merkelesk nach unten? Graue Haare im Pony? Speckring um die Hüfte?

Bitte was? Das soll ich sein?

Ich habe mir dann aufmerksam Männer meines Alters angeschaut und mich gefragt, ob ich, sofern ich Single wäre, irgendjemanden attraktiv finden könnte. Die Antwort lautete OMG NEIN. Das sind auch Erwachsene. Männer mit grauen Bartstoppeln, lichtem Haar, Bäuchlein. Menschen, die früher meine Lehrer waren, die Freunde meiner Eltern, Kassierer, Bankangestellte. Das soll jetzt meine Zielgruppe sein? Wie furchtbar. Das sind Menschen, die Urlaub im Hotel machen, die Bundfaltenhosen tragen oder mit Scheck zahlen. Mit denen habe ich nichts gemein!

Also schaute ich mir ein Paar jüngere Herren an – aber oh schreck – das sind Kinder! Also große Kinder – bestenfalls Jugendliche. Wenn ich mich geistig daneben stelle, dann sehe ich aus wie ihre Mama. Diese Jugendlichen gehen abends weg, sie trinken Bier in öffentlichen Verkehrsmitteln, sie schlafen bis 11 Uhr und haben auch sonst sehr seltsame Lebensgewohnheiten. Vermutlich hören sie laut Musik, essen morgens Pizza und manchmal bekommen sie Mahnungen, weil sie ihre Rechnungen nicht zahlen. Mit denen habe ich nichts gemein!

Als Single also müsste ich alleine bleiben. Für immer. Könnte mich nie mehr verlieben. Aber das macht nichts. Erstens weil ich es nicht bin und zweitens weil ich viele Hobbys habe, die mich auch partnerlos beschäftigt hielten. Nur frage ich mich, ob irgendwann der Tag kommt, an dem ich mich auch innerlich erwachsen fühle? Das Äußerliche kann ich verdrängen. Ich vermeide einfach in Spiegel zu schauen, kaufe mir keine neue Kleidung, trage weiterhin meine zehn Jahre alte Größe 38 und verdränge, dass sie sich in den zehn Jahren durchs Tragen und Waschen vermutlich auf Größe 44 gedehnt hat und mir deswegen immer noch so gut passt . Aber wie fühlt sich dieses Erwachsen sein an? Werde ich dann immer den Müll runter bringen, nur weil er voll ist? Werde ich eine Einbauküche zum Preis eines Jahresgehalts kaufen und mich darüber freuen? Werde ich mich über unerwünschte Werbung in meinem Briefkasten aufregen? Nach 22 Uhr keinen Hunger mehr haben weil Schlafenszeit ist?

Ist das meine Midlife-Crisis? Was macht man da als Frau? Ich habe versucht es zu ergoogeln. Männer haben es leicht. Die suchen sich eine Zwanzigjährige, mit der man „gut reden“ kann, kaufen sich ein Cabrio, planen eine einsame Wanderung durch die Anden und tragen Flip Flops. Aber was bleibt mir?

Esslingen: Die Stadt, in der die Erde still steht

Keine Hast in Esslingen. Ein Bericht ohne Pointe.

Mit den Kindern laufe ich den Berg runter zum Tante Emma Laden. Kind 2.0 hat sich einen Roller geliehen und versucht die Fahrtgeschwindigkeit durch Bremsen auf dem nackten Knie zu verringern. Eine Oma mit goldener Handtasche eilt heran und wird beim Anblick des geschüften Knies beinahe ohnmächtig. Pflaster hätte sie zuhause, die könne sie schnell holen. Vielen Dank, wir winken ab. Es ist nicht das erste blutige Knie diesen Sommer. Wir müssen die alte Dame noch sehr lange beruhigen und ihr gut zureden bis sie weiter geht. Als wir unseren Weg fortsetzen, kommt sie uns wieder entgegen. Einkaufen gehen hätte sie eigentlich wollen, aber es sei ja alles so aufregend, da käme man völlig durcheinander.

Eine Rentnerin im weißen Opel setzt den Blinker und wartet geduldig bis Kind 3.0 fröhlich winkend an ihr vorbei gezogen ist. Dann fährt sie so ruckartig an, dass das Auto einen Sprung macht und der Motor ausgeht. Ein in die Jahre gekommener Fahrradfahrer erschreckt furchtbar. Er macht einen Schlenker fährt in Kind 1.0, das gerade den dicht gesäten und akkurat gemähten Rasen der benachbarten Grundstücke bewundert. Sie entschuldigen sich gegenseitig im Kanon.

Im Laden angekommen, packe ich den Einkaufswagen voll Gemüse und Obst um an der Kasse zu merken, dass ich alles hätte wiegen müssen. Der Kassierer steht mit schlurfenden Schritten auf und geht meine Einkäufe nachwiegen. Die Hausfrauen hinter mir, die in aller Eile noch eine letzte Zutat für das Mittagessen erstehen wollen, scharren ungeduldig mit ihren knallbunten Gummicrocs. Ich zahle passend und nehme mir viel Zeit die einzelnen Münzen aus meinem Geldbeutel zu holen. Beim Verlassen des Geschäfts treffen wir die Dame, die uns mit Pflastern versorgen wollte. Sie hat es geschafft. Draußen rollt der weiße Opel langsam den Berg herunter.