Hauptsache die Kinder schlafen

Offenbar ist es gerade schwer angesagt* Produkte feilzubieten, die Kinder zum Schlafen bringen. Zum Beispiel Musikstücke, die man während des Autofahrens hören kann. Die Kinder werden erst animiert und dann stufenweise immer weiter runtergefahren, so dass sie ganz am Ende einschlafen. (Angeblich!)

Nissan hat das gerade für den japanischen Markt entwickelt.

Ob das für den europäischen Markt funktioniert?

Für mich persönlich reicht es ja schon überhaupt länger als 10 min Auto zu fahren. Ich brauche gar keine Einschlafmusik. Sobald wir irgendwohin fahren, werde ich durch das gleichklingende Motorengeräusch sehr, sehr müde.

Selbst wenn ich Fahrerin bin. (Deswegen fahre ich so gerne Zug)

Nach dem selben Prinzip soll das schwedische Vorlesebuch: „Das Kaninchen, das so gerne einschlafen will“ funktionieren. In stetigen Wiederholungen, sehr handlungsarm, sollen Kinder zum Einschlafen gebracht werden.

Neurolinguistisches Programmieren soll hier die Basis sein. Unmoralisch finden einige Kinderpsychologen Bücher dieser Art, da die Kinder manipuliert werden. (Ein wenig amüsant ist, dass die KritikerInnen sich nicht einig sind, ob es ohnehin Unsinn ist, weil NLP nicht funktioniert oder ob NLP funktioniert und es deswegen nicht OK ist.)

Ich bin noch nicht dazu gekommen, das mal auszuprobieren. (Muss gerade lachen, weil ich mir vorstelle, wie ich versuche das mich bereits in der Länge überragende Kind 1.0 damit zum Einschlafen zu bringen.)

Tatsächlich funktioniert doch jedes Abendritual so, oder? Man versucht irgendwie zur Ruhe zu kommen. Wir essen (40 min), dann werden die Schlafanzüge angezogen (30 min), dann die Zähne geputzt (20 min), dann hüpfen wir alle ins große Bett und lesen vor (30 min), um dann zu kuscheln und ein paar Fragen zu beantworten (gefühlte 70 min) und dann singen wir:

(Ich bin so ein Martina Hill Fan!)


*Wenn man zwei ähnliche Dinge im Netz findet, darf man freimütig von Trend sprechen, oder?

Über die Privatheit von Familienblogs

Auf der #denkst Familienbloggerkonferenz habe ich mit nur 54 Folien einen Vortrag zum Thema „Über die Privatheit von Familienblogs und die Frage: gehört das wirklich ins Netz?“ „Kinderfotos gehören ins Netz!“* gehalten.

Tweets dazu gibt es bei Twitter mit dem Hashtag #privatheit und #denkst.

*Zu meinem eigenen Erstaunen, hat sich meine Haltung zur Frage des Postens von Kinderfotos im Netz durch die intensive Beschäftigung mit dem Thema im Vergleich zum Vorjahr deutlich gelockert. Nach der 3. Überarbeitung habe ich den Vortragstitel geändert und die Inhalte entsprechend angepasst. Ich erwarte nun freudig die hitzige Diskussion.

Im Schwerpunkt habe ich mich mit Kinderfotos beschäftigt – bin am Ende aber noch auf die Frage der Texte über Kinder eingegangen.

Bevor ich überhaupt über die Argumente für und gegen das Posten von Kinderfotos gesprochen habe, habe ich mir ein paar Gedanken zu der motivationalen Lage gemacht.

Wir posten Fotos denn:

  • ­Bilder schaffen Nähe
  • ­Bilder sagen mehr als 1000 Worte
  • ­wir können den Moment festhalten
  • ­Freunde und Stolz teilen
  • ­mit den Bildern vermitteln wir Persönlichkeit und natürlich
  • ­erhöhen Bilder die Aufmerksamkeit bei Leserinnen und Lesern.

Wenn man sich Fotos von Kim Kardashians Sohn (2,9 Mio Likes!) anschaut, fragt man sich zu Recht: Was kann denn überhaupt das Problem sein? Wie könnte so ein niedliches Babyfoto ein Problem für irgendwen werden?

Ich stelle deswegen einige Beispiele vor, bei denen Fotos ein Problem wurden.

Es gibt z.B. ein niederländisches Aktionistenduo (Ellen Bijsterbosch und Tijmen Schep), die aus fremden Kinderfotos, die von Eltern bei flickr unter einer CC Lizenz eingestellt wurden, einen Tassenshop gemacht haben.

Ähnlich unschön ist es, wenn eigene Bilder auf einer viel geteilten Buzzfeed-, 9GAG- oder imgur-Liste landen. Wer will schon Teil auf der Liste 22 Akward Moments That Happen When You’re Bad With Kids oder 27 People Who Are Way Worse At Parenting Than You sein?

Nirvana Nevermind Cover Baby Spencer Elden ist heute 25 und muss sich immer noch anhören, dass er „the guy with the small penis“ ist. Das Album wurde bis heute 26 Mio verkauft…

Auch können Fotos total aus dem Kontext gerissen werden und unabhängig von den Nutzungsrechten missbraucht werden. Jüngstes Beispiel ist das blonde Kind in einer Runde indischer Kinder, das u.a. Steinbach dazu benutzt hat, um Ängste gegen Überfremdung zu schüren.

Schwarzseherisch kann man jetzt sagen: Alles, was ins Netz gestellt wird, kann potentiell missbraucht werden.

Das einzige, was außerdem gegen die GesichtserkennungsalgorithmenFacebook Profiling und Corporate data mining hilft, ist in letzter Konsequenz gar keine Fotos zu postenNetzwerke sind Wirtschaftsunternehmen, die am Ende immer das Ziel haben Profit zu machen. Es werden in der Regel riesige Datenmengen gesammelt und weiterverwertet (zB um auf den User abgestimmte Werbung zu schalten).

Netzwerke haben immer wieder Probleme die Sicherheit der personenbezognen Daten zu gewährleisten. Egal wie die Benutzereinstellungen sind, es gibt keine 100% Sicherheit, dass Daten nicht abhanden und ggf. missbraucht werden können.

Natürlich gibt es auch Fälle, in denen Kinderfotos Gutes bewirkt haben. Der Junge vom Success Kid Mem, Sammy Grinder, konnte z.B. 2015 über 90.000 $ crowdfunden, weil sein Vater Geld für eine Nierenplantation benötigte.

Ist das am nur die Ausnahme der Ausnahme? Will man wirklich keinerlei Risiken eingehen, bleibt weiterhin als letzte Konsequenz keine Kinderfotos im Netz zu posten.

ABER: Soll das Internet wirklich ein kinderfreier Raum werden?

In der Kohlenstoffwelt gibt es ja schon kinderfreie Orte oder Orte, die gerne kinderfrei wären.

The Barn Rostery hat erst mit angeblichen Brandschutzmaßnahmen (Pollern im Eingang) die Kinderwagen ausgeschlossen und dann Müttern das Stillen in der Fensterfront des Cafés untersagt.

Das Hotel Esplanade in Bad Saarow ist kinderfrei und damit nur Teil einer aktuellen Entwicklung.

Zwei asiatische Airlines rühmen sich kinderfreier Zonen und am Ende kann man sich den Science-Fiction Film „Children of Men“ mal anschauen. Da leben die Menschen in einer komplett kinderfreien Welt, weil seit 18 Jahren kein Kind mehr geboren wurde. Ich spoilere nicht zu viel wenn ich verrate, dass das keine schöne Welt mehr ist.

Ob Internet oder Kohlenstoffwelt – persönlich möchte ich keine kinderfreien Orte. Ich halte nichts von Exklusion. Deswegen habe ich mir die Argumente für das Posten von Kinderfotos mal angesehen. Ich lasse sie bewusst unkommentiert und hoffe, dass sie nicht sofort Reaktanz auslösen sondern Anlass bieten wirklich mal darüber nachzudenken, was für Kinderfotos im Netz spricht.

  • Alle machen das, das ist die Normalität

„Das Posten von Fotos im Netz ist gerade für junge Menschen so normal geworden, dass unsere Jungs uns ein paar Familienfotos der letzten Jahre, auf denen sie auch zu sehen sind, garantiert nicht vorwerfen würden.“*

Johnny Haeusler

  • Ich bin die Mutter/der Vater, ich entscheide auch andere Dinge für mein Kind, deswegen kann ich das auch entscheiden.

Das ist völlig richtig. Rechtlich gesehen können Eltern minderjähriger Kinder frei entscheiden, ob sie Bilder ins Netz stellen oder nicht. Die Kinder gelten als noch nicht einsichts- und geschäftsfähig, und das betrifft auch das Recht am eigenen Bild. Sobald das Kind die Risiken, die damit verbunden sind, selbst einschätzen kann, darf es aber mitentscheiden. Das ist in etwa im Alter von 12 bis 14 Jahren der Fall.

  • Ja, vielleicht sind die Kinder mal unzufrieden mit der Entscheidung, aber das wird in anderen Erziehungsthemen auch so sein, damit muss man leben.

„Das Kind könne ja noch nicht mal entscheiden, ob es das will, so der Tenor. Gegenfrage: Hat denn das Kind was zu sagen gehabt beim Eintritt in die Kinderkrippe?“*

Claudia Marinka

  • Gewisse Grenzen sind zu wahren – peinliche und entkleidete Fotos werden ohnehin nicht ins Netz gestellt, harmlose Fotos sind OK.
  • Das Risiko, dass „was Schlimmes“ mit den Bildern passiert, ist gering. Gemessen an der Anzahl aller hochgeladenen Bilder im Netz, ist die Anzahl der Fälle von Missbrauch verschwindend gering.
  • Bilder helfen den Alltag von Eltern zu vergleichen (Stichwort: Online-Eltern-Clan), deswegen sind sie hilfreich und gut.

„Die große Chance sozialer Medien, Kindern aus der Ausgrenzung wieder zurück in den Alltag zu holen, wird durch eine kulturhistorische Ablehnung des Bildes und paternalistische Haltung Eltern gegenüber vertan.“*

Caspar Clemens Mierau

Von Susanne Mierau stammt der Begriff des Online-Eltern-Clans. Fotos und Texte über Kinder helfen uns Teil einer Gemeinschaft zu werden. Sie helfen uns beim Austausch von Erfahrungen und Lebensrealitäten. Sie sind uns Rat und Einblick, wir teilen unsere Elternschaft dadurch und sind nicht mehr auf uns alleine gestellt. Für mich ist das neben dem Sichtbarkeitsaspekt, das wichtigste Argument für das Teilen von Fotos und Texten über Kinder.

Also: Am Ende ist die Frage gar nicht, ob oder ob nicht, sondern in welcher Art und Weise Kinderfotos im Netz gepostet werden.

Es gibt eine Menge Alternativen, wie man Fotos posten kann und trotzdem die Persönlichkeitsrechte der Kinder wahrt.

(Danke an @caschy, @heibie und @Mama arbeitet für die Beispielbilder)

Gar keine Fotos posten, kann also nicht der Weg sein. Kinder sind Teil unserer Gesellschaften und sollen deswegen auch sichtbar stattfinden.

Ein kleiner Exkurs zu behinderten Kindern: Ich wurde in den Kommentaren von einer Mutter eines behinderten Kindes darauf hingewiesen, dass die Situation hier nochmal eine besondere ist. Zum einen, weil es sein kann, dass die Kinder unabhängig vom Alter (z.B. aufgrund einer geistigen Behinderung) nie entscheiden werden können, ob sie Fotos von sich im Netz haben wollen und zum anderen weil Inklusion in der realen Welt schon so rar ist, dass das Nicht-Zeigen von behinderten Kindern das Internet zu einem weiteren Ort machen würde, der frei von Behinderungen gehalten wird.

Natürlich ist die Meinung über dieses Thema auch hier nicht bei allen die selbe.

Am Ende ist und bleibt es die eigene Entscheidung. Es gibt lediglich Entscheidungshilfen.

Zum Beispiel die Uni Basel forscht zu diesem Thema und dabei sind  zwei, wie ich finde, sehr gute und differenzierte Broschüren entstanden:
Der Entscheidungskreis für das Online-Stellen von Bildern und der Elternguide für das Online-Stellen von Fotos.

Ansonsten kann man sich durch die Tipps anderer hangeln, wie z.B. Béa Beste, die sagt:

„Better safe than sorry – aber „safe“ heißt nicht „nix machen“, es heißt „vorsichtig machen“*

Zusammengefasst hilft nur nachdenken, nachdenken, nachdenken. Und wenn die Kinder alt genug sind – einfach in die Entscheidung miteinbeziehen.

Sowie regelmäßig prüfen: Wer profitiert vom Posten der Kinderfotos? Und hier kann die Antwort eben ganz klar sein: Die Gesellschaft

Apropos Verantwortung! Bei der Frage um die Kinderfotos geht es nicht nur um das Posten sondern auch um die Frage was like ich eigentlich, was teile ich und was bewirkt das?

Da packe ich mich an die eigene Nase. Ich habe mir auch schon zweifelhafte Videos und Bilder angeschaut und gelikt oder geteilt. Ich bin dann Teil dieser viralen Verbreitung!

Es ist und bleibt also ein Lernprozess. Wir müssen den richtigen Umgang damit lernen. (Dass das geht, zeigt der Umgang mit den geleakten Promifotos. Es gibt in meiner Filterbubble nur sehr wenige Ausnahmen, die diese Fotos noch geteilt haben…)

Noch ein Wort zum Unterschied von Fotos und Texten. Texte sind für mich eher wie gemalte Bilder. Sie beschreiben etwas, geben aber kein 1 zu 1 Bild wieder. Ich glaube, es gibt auch weitere Unterschiede.

Bei Fotos ist die Usability des Missbrauchs besser. Es ist viel einfacher sie in einen anderen Kontext zu stellen, sie sind leichter zu teilen und man erreicht viel schneller eine höhere Reichweite.

Ich habe länger nach einem Beispiel eines Textes gesucht, der so wie die oben genannten Bilderbeispiele missbraucht wurde und nichts gefunden. Wer ein Beispiel kennt, möge es mir bitte sagen!

Ein guter Hinweis kam noch auf auf meine Frage: Sind Texte über Kinder im Netz was anderes als Fotos von Kindern? Wenn ja, warum?

Natürlich gibt es auch im Textbereich Beispiele von Texten über Kinder, die viele hunderttausend, vielleicht millionenfach gelesen worden sind und in diesem Zusammenhang bin auf die Bücher und Kolumnen von Jan Weiler gestoßen, der u.a. sehr erfolgreich über das Thema Pubertät schreibt.

Ich habe ihn gefragt, ob er glaubt, dass Bilder und Texte das selbe sind und wie seine Kinder sich mit seinen Texten fühlen. Er hat die Frage bejaht und klar gestellt “ [ich muss deutlich machen], dass ich keine Texte über meine Kinder veröffentliche.“ Er schreibe Texte über fiktionale Figuren. Natürlich habe er zwei Kinder, aber die hießen anders und seien anders als die Figuren seiner Geschichten. Er achte die Persönlichkeitsrechte seiner Kinder und schreibe nur über verallgemeinbare Prozesse oder Themen, niemals über individuelle Probleme seiner Kinder.

Auch würden sich seine Kinder mit den Texten wohl fühlen und kämen auch gelegentlich zu seinen Veranstaltungen.

Für mich ist das ähnlich. Meine Texte entsprechen den Fotos mit den Katzenköpfen. Sie sind ein Gemisch aus wahren und erfundenen Gegebenheiten – mir geht es um die prototypischen Situationen. Kind 1.0, 2.0, 3.0 sind Projektionsflächen – keine 1 zu 1 Darstellungen. Ich versuche immer Fokus auf mich und meine Sicht/Rolle als Mutter und dem Verarbeiten von Erlebten zu setzen.

Plus: In der Zwischenzeit sind alle Kinder in dem Alter, in dem ich Rücksprache halten kann, ob OK ist, was ich poste – was ich auch mache.

Am Ende gilt für Texte dennoch was ähnliches wie für Fotos

  • ­Wenn Peinlichkeiten enthalten sind, nicht posten.
  • Wenn die Kinder damit googelbar werden, nicht posten.
  • Wenn Persönlichkeitsrechte verletzt werden, nicht posten.

Zuletzt geht es um Respekt und Grenzen. Bei Jesper Juul habe ich zu vielen Erziehungsfragen gelesen, dass es hilft sich zu fragen: Würdet ihr das mit einem Erwachsenen/dem Partner/einer Freundin auch so machen?

Deswegen zusammenfassend: Natürlich ist es eine persönliche Entscheidung der Eltern, ob sie Bilder posten und ob sie Texte über ihre Kinder veröffentlichen. Das klingt banal, aber ich möchte das wirklich nochmal hervorheben, v.a. nachdem ich facebook Kommentare unter einem Pro Posten Artikel gelesen habe und entsetzt war.

Jede/r muss für sich regelmäßig die Haltung überdenken, denn die Rahmenbedingungen ändern sich, die Kinder ändern sich, die Welt ändert sich, man selbst ändert sich. Was in 10-15 Jahren sein wird, können wir nicht sagen: Schlimmstenfalls (in meinem Fall):

„Mama, war ich nicht süß genug oder warum hast du nie ein Foto mit Gesicht gepostet?“*

¯\_(?)_/¯

Wichtige Anregungen für meinen Vortrag kamen von:

Im Vortrag genannt als Entscheidungshilfen:

tldr:

Kinder sind Teil unserer Gesellschaft. Natürlich sollen sie auch im Internet stattfinden. Die Frage ist also nicht, OB man Kinderfotos postet oder nicht, sondern viel mehr – auf welche Art und Weise man das tun.

 


Feedback zum Vortrag und weitere Artikel zum Thema:


Weltkugelbahn: Wenn Kinderbilder im Netz Familien zusammen halten


Mama Notes: Mein Besuch auf der Elternbloggerkonferenz denkst
Mamis Blog: Denkst 2015

Meerjungfrauen sind nichts für Jungs

Cloudette hat gestern einen ganz wunderbaren Comic zur Frage Typisch Mädchen – typisch Jungs gezeichnet.

Wann immer ich etwas darüber schreibe, kommt mindestens drei Mal der Kommentar: „Warum soll ich meinem Mädchen nicht rosa anziehen dürfen? Diese Gleichmacherei! Alles soll geschlechtsneutral sein. Das ist doch total übertrieben!“

Was diese Menschen nicht verstehen: Darum geht es nicht. Niemand verbietet Rosa. Zieht eure Mädchen Rosa an, gar kein Problem! Das Problem ist: macht euch nicht über Jungs lustig, die Rosa mögen: „Ähhhh, das ist ja mädchenhaft!“ In diesem Satz steckt nämlich das (gesellschaftliche Bewertungs-)Problem. Jungs werten sich ab, wenn sie Mädchendinge tun – Mädchen werten sich auf, wenn sie Jungsdinge tun… (das nur als Randnotiz. Wer sich mit dem Problem näher beschäftigen möchte, dem sei das Buch Die Rosa-Hellblau-Falle. Für eine Kindheit ohne Rollenklischees [Amazon Werbelink] ans Herz gelegt).

Kind 3.0 hat das gestern treffend dazu philosophiert:


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Meine Erziehungsnemesis

Ich erinnere mich an ein Entwicklungsgespräch im Kindergarten.

Erzieherin: „Hast du noch Fragen?“
Ich: „Ja, äh also, wie ist das bei euch mit dem Essen?“
Erzieherin: „Was meinst du?“
Ich: „Bleibt Kind 2.0 bei euch sitzen?“
*hysterisches Auflachen*

Dann erinnere ich mich an ein weiteres Entwicklungsgespräch im Kindergarten.

Erzieherin: „Hast du noch Fragen?“
Ich: „Ja, äh also, wie ist das bei euch mit dem Essen?“
Erzieherin: „Was meinst du?“
Ich: „Bleibt Kind 3.0 bei euch sitzen?“
*resigniertes Abwinken*

Diese beiden Dialoge fassen unsere gemeinsamen Mahlzeiten eigentlich ganz gut zusammen.

Egal ob Frühstück, Mittagessen oder Abendessen – es ist furchtbar. In meiner naiv romantischen Vorstellung dachte ich, gemeinsame Essen finden so statt: Wir setzen uns alle an den Tisch. Wir nehmen das Besteck in die Hand und essen. Während wir essen, erzählen wir uns vom Tag, wir lachen, gießen uns Saftschorle nach und am Ende lehnen wir uns zurück und plaudern noch ein bisschen mehr. Wir sind alle ganz entspannt.

Werbefernsehromantik, ja, ja. Ich bin wieder drauf reingefallen. Werbefernsehen hat mir eine unrealistische Vorstellung davon vermittelt, wie mein Leben mit Kindern sein könnte.

In Wirklichkeit sieht es so aus: Ich habe bis nachmittags gearbeitet, hole Kind 3.0 vom Kindergarten ab, wir gehen schnell einkaufen. Es ist 17.15 Uhr. Wir kommen zuhause an. Kind 2.0 ist schon da und mich überschwappt eine Welle heuteinderSchuldeunddieAnnahatdannnochaberdahatdannderTimblblblblblblbl schwaaahhhblablablabalbalbalblubblu.

Ich bin müde, total erschöpft, ich will eigentlich nur eines: meine Ruhe.

Ich packe die Einkäufe weg. Kind 3.0 hat jetzt auch was zu erzählen. Ohne Punkt und Komma. Es fällt mir schwer zuzuhören. Ich höre graues Rauschen wie Jen bei der IT Crowd wenn Moss etwas Technisches erklärt.

Ich fange an zu kochen. Die Kinder „spielen“ derweil im Kinderzimmer.

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Mit letzter Kraft schleppe ich mich an den Wohnzimmertisch und rufe „Essen ist fertig!“.

Die Kinder kommen. Kind 3.0 greift mit den Händen ins Essen.

Ich: „Kannst du bitte Besteck benutzen?“

Kind 3.0 verdreht die Augen. Kind 2.0: „Jetzt nimm das Messer, ey!“

Kind 3.0: „Du sollst nisch über misch bestimmen!“

Ich: „Richtig, aber bitte benutz doch das Besteck, Kind 3.0!“

Kind 3.0 wirft wütend die Hand voll Kartoffelpürree, die es gerade aufgenommen hat auf den Teller zurück. SCHLOZ. Soße spritzt auf den Tisch. Kind 3.0 steht auf und stempelt mit den vollgesabberten Händen folgende Gegenstände: Tisch, Stuhl, Türgriff Wohnzimmer, Türrahmen Wohnzimmer, Türgriff Küche, Türrahmen Küche, Ablage Küche, Spüle, unerklärlicherweise Wand, wieder Türgriff Küche, Türrahmen Küche, Türgriff Wohnzimmer, Türrahmen Wohnzimmer, Stuhl, Tisch.

Es „wischt“ die Soße auf.

In der Zwischenzeit hat Kind 2.0 das Essen aus dem Mund fallen lassen: „Ist ja ekelhaft. Ist das wieder so ein komisches vegetarisches Zeug?“

Ich: „Wollte ich mal ausprobieren.“

Kind 2.0: „Ich esse Jogurt!“

Kind 3.0: „Isch auch.“

Ich bin zu schwach Widerstand zu leisten. Jogurt wird geholt. Kind 3.0 ist derweil verloren gegangen.

Ich rufe: „Kind 3.0, bist du fertig mit dem Essen?“

Kind 3.0 aus der Ferne: „Neeee!“

Kind 2.0 fängt an zu singen.

Ich: „Nicht singen am Tisch!“

Kind 3.0 erscheint im Türrahmen und singt mit.

Ich nicke kurz ein. Als ich aufwache, hat Kind 3.0 die Füße auf dem Tisch abgelegt. Kind 2.0 übt Capoeira-Tritte. Eine Flasche Wasser segelt an mir vorbei.

Ich: „Bitte! Könnt ihr bitte leiser sein und normal essen?“

Ich atme durch. Ich zähle langsam im Geiste bis zehn. Ich reiße mich zusammen und frage in meiner lieblichsten Stimme: „Na, wie war es denn in der Schule?“

Kind 2.0: *murmelmurmel*

Kind 3.0: „Also im Kindergarten, da war der Robert und der Robert <insert 20 minütigen Monolog.>“

Kind 2.0: „ICH WILL AUCH MAL WAS SAGEN!“

Kind 3.0: „ABER ICH REDE!!!“

Kind 2.0: „ABER DU HÖRST JA NIE AUF.“

*Gerangel* *Stühle fallen um*

Die Kinder stehen auf.

Ich sitze alleine am Tisch. Einsam und alleine. Alles ist vollgeschmiert.

Ich: „Räumt ihr bitte ab?“

Kind 3.0: „DAS IST SKLAVEREI!“

Kind 2.0: „IMMER MUSS ICH ALLES ALLEINE MACHEN!!!1“

Tagein, tagaus, wochentags, wochenends. Immerzu. Immerzu.

Das gemeinsame Essen ist meine Erziehungsnemesis*. Völliges Versagen. Alles falsch gemacht. Täglich scheitere ich daran. Ich stehe auf, setze mich an meinen Rechner und schaue mir auf YouTube Clips glücklicher Familien beim Essen an.

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*Dafür schlafen meine Kinder immer um 20 Uhr. Immer. IMMER!

„Schmusen“

Ich verband mit dem Wort „Schmusen“ immer eine Gewisse Zärtlichkeit. Stimmt ja auch, wenn man das Wort nachschlägt, steht da „sich zärtlich berühren“. Auch die Synonyme lassen auf einen sanften Kontext schließen: kraulen; liebkosen; kuscheln; tätscheln; ei, ei machen (umgangssprachlich); streicheln; schmiegen; herzen.

2006 änderte sich meine Vorstellung von schmusen schlagartig. (Haha! Schlagartig passt so gut in diesem Zusammenhang!)

2006 lernte ich nämlich das damals fast dreijährige Kind 1.0 kennen. Schmusen wurde zu irgendwas mit Knien.

Wenn ein Kleinkind (im Grunde zieht sich das bis ins Grundschulalter) „schmusen“ möchte, zieht sich mein Körper instinktiv zusammen. Kinn an die Brust, Bauchmuskeln anspannen, der Körper bildet ein C. Arme schützend überkreuzen, am besten einrollen, Augen zur Sicherheit schließen, totstellen. Nach einigen Jahren mit Kindern, kann nicht mehr anders. Es ist ein Reflex geworden. Auch wenn meine Vorstellung nach wie vor unerschütterlich romantisch ist. Ich falle nämlich immer wieder auf den Schmusewunsch der Kinder rein.

Vielleicht bin ich nur ein bedauerlicher Einzelfall – aber bei meinen kleinen Kindern bedeutet schmusen in der Regel mit den Knien voraus auf einen springen. Das ist nicht unbedingt angenehm. 20 kg (+) beschleunigte Masse mit zwei spitzen Knien voraus. LKW-Fahrer, die sich mit dem Thema „Ladung angemessen sichern“ beschäftigen, werden die zu erwartenden Schmerzen sogar exakt ausrechnen können.

Ich hab leider in Physik nicht so gut aufgepasst, sonst könnte ich es nachrechnen, aber meine Recherchen ergaben: Ein 40kg schwerer Hund, der mit 50 km/h auf einen draufspringt, entwickelt eine kinetische Energie von 3,8 Tonnen. Kann man das einfach halbieren, wenn das Kind 20 kg wiegt? Und äh nur mit 10 km/h auf einen springt?

Im Grunde ist die physikalische Korrektheit an dieser Stelle auch völlig egal. Ob nun eine halbe Tonne oder eine ganze… es tut furchtbar weh. Je nach Größe des schmusebereiten Kindes und nach Geschlecht des Zubeschmusten sogar noch mehr. Ich habe in einem komplizierten Verfahren errechnet, dass das Maximum an Schmerz erreicht wird, wenn ein ca. 1,05 m großes Kind auf einen ca. 1,80 m großen, aufrecht stehenden Mann springt.

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Neben dem Besprungenwerden kennen Kleinkinder auch andere Schmusevarianten. Eine unter der ich immer wieder leide, ist die Beschmusung von unten mit dem beschleunigten Kinderkopf an das eigene Kinn.*

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Eher harmlos ist die Bekletterung im liegenden Stadium, in der das gesamte Kindesgewicht auf die Füße oder ebenfalls Knie konzentriert wird.

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Als schmusebereite Eltern durchläuft man verschiedene Phasen der Beschmusung. Unerfahrenen Eltern empfehle ich deswegen Phase I besonders intensiv zu genießen. Die Phase kommt nie wieder.

Phase 1: passives Schmusen I; Kindesalter unter 2 Jahre, Gewicht unter 20kg; das noch relativ unbewegliche Kind kann nach belieben geherzt werden.

Phase 2: aktives Schmusen I, Kindesalter über 2 Jahre, Gewicht über 20kg; die Eltern sind noch ahnungslos und empfangen die Kinder mit offenen Armen.

Phase 3: aktives Schmusen II, Kindesalter unter 7 Jahre, Gewicht unter 40kg; die Eltern haben eine Reihe sehr eindringlicher Schmuseerfahrungen gemacht und reagieren wie Gürteltiere in Gefahr, wenn das Kind schmusen möchte.

Phase 4: passives Schmusen II, Kindesalter über 7 Jahre, Gewicht über 40kg; das Kind möchte (zumindest öffentlich) nicht mehr geherzt werden (Tut den Eltern nur im Herzen weh, äußerlich keinerlei Schmerzen).

Übrigens gibt die etymologische Herkunft des Wortes werdenden Eltern eigentlich schon ausreichend Hinweise. Schmusen kommt tatsächlich von „Schmus“ – schmues – Gerüchte. Es ist nämlich nur gerüchteweise schön mit Kleinkindern zu schmusen. Das weiß man dann jedes Wochenende morgens im Bett, wenn die Kinder um 6.20 Uhr schmusen kommen. Je mehr, desto schmerzlicher.


 

*In billigen Liebesromanen soll frau angeblich in totaler Ekstase  Glocken läuten hören. Leider ist mir das noch nie widerfahren. Sehr wohl habe ich in diesem völlig unsexuellen Schmuseszenario schon öfter Sterne gesehen. Das nur am Rande.

Offensive Väter und ihre Vorbildfunktion

Für den Weisheitspodcast haben wir eine Themenliste. Seit Wochen steht darin „Warum soll man Männer nicht loben, wenn sie Windeln wechseln?“

Die Frage ist natürlich zu einfach gestellt. Richtig müsste sie lauten „Warum soll man Väter nicht loben, wenn sie ausnahmsweise mal Windeln bei ihrem eigenen Kind wechseln?“.

Daran musste ich denken, als ich gestern die Schlagzeile „Tochter krank – Vizekanzler nimmt sich frei“ las. Ein berufstätiger Mann nimmt sich frei, um sich um seine Tochter zu kümmern – Schlagzeile!

Im Artikel steht ausserdem das Zitat „Ich bin in den nächsten Tagen häufiger zu Hause, weil meine Frau den Spruch, dass ich immer ganz Wichtiges zu tun hätte, wenn’s zu Hause mal Probleme gibt, nur begrenzt erträgt„.

Er ist also nicht da, weil er sich für das gemeinsame Kind mitverantwortlich fühlt?

Weiter steht im Artikel „Es ist nicht das erste Mal, dass Gabriel offensiv mit seiner Vaterschaft umgeht – was seinem Image zumindest nicht schaden dürfte.“ Denn! Vor zwei Jahren (!) kündigte er an, dass er an einem (!) Nachmittag in der Woche frei nimmt, um seine Tochter vom Kindergarten abzuholen.

Ob jetzt Herr Gabriel selbst seine Leistung als Vater so in der Öffentlichkeit dargestellt haben möchte oder nicht, sei mal dahin gestellt. Interessant ist der Umstand alleine, dass es eine Schlagzeile wert ist, wenn ein Vater (in einer wichtigen beruflichen Position), sich um seine kranke Tochter kümmert.

Ich musste da an den Artikel von Jochen König (u.a. Autor von „Mama, Papa, Kind? Von Singles, Co-Eltern, und anderen Familien„)  zum Thema „Feministische Vaterschaft“ denken. Er schreibt darin zwei für mich sehr wichtige Dinge:

„Während Väter gefeiert werden, wenn sie nur den kleinen Finger rühren, wird von Müttern wie selbstverständlich erwartet, dass sie nach der Geburt eines Kindes ihre persönlichen Bedürfnisse zurückstellen und im Zweifelsfall auch komplett alleine für das Kind sorgen.“

und

„Bei genauerem Hinsehen und Nachfragen wird deutlich, dass die unsichtbaren Arbeiten dennoch fast immer ausschließlich an der Mutter hängen bleiben. In einer Auseinandersetzung um feministische Vaterschaft muss deshalb auch über „unsichtbare Arbeit“ gesprochen werden: Wer bleibt zuhause, wenn das Kind krank ist? Wer wird vom Kindergarten angerufen, wenn es dem Kind nicht gut geht? Wer hat im Blick, wann die nächste Impfung oder Vorsorgeuntersuchung bei der Kinderärztin ansteht und ob sich noch genügend passende Klamotten im Kinderkleiderschrank befinden? Wer geht mit dem Kind neue Schuhe (auch Hausschuhe für die Kita) kaufen? Wer besorgt das Geburtstagsgeschenk für den Kindergeburtstag? Und wer fordert immer wieder Gespräche darüber ein, wie das Ganze aufzuteilen ist?“

In meinem Maternal Gatekeeping Artikel schreibe ich auch über diese Aufgaben und über meine persönliche Erfahrung irgendwann von genau diesen Aufgaben und Verantwortlichkeiten erschlagen worden zu sein.

Um auf die Einstiegsfrage zurück zu kommen: Ich glaube diese Einstellung, dass ein Vater gelobt werden sollte, wenn er sich beteiligt, kommt genau von dieser Geisteshaltung, die mir immer wieder begegnet: Die Frau/Mutter wird in den meisten Fällen nämlich als Hauptverantwortliche in Sachen Elternarbeit gesehen. Gleichberechtigung und/oder Beteiligung bedeutet für viele Männer: die Frau erstellt To Do Listen und delegiert einzelne Aufgaben an den Mann. Der erledigt sie und weil er ja was für die Frau tut, ist ihm zu danken. Der Frau ist nicht zu danken, denn die übernimmt zwar die Verantwortung, die Planung und einen Hauptteil der Aufgaben, aber es ist eben ihre per Geburt zugeteilte Aufgabe Mutter und Familienmanagerin zu sein. Sie leistet ihr Soll.

An anderer Stelle schreibe ich dazu:

„Es gibt tatsächlich einen Unterschied zwischen der Vater- und der Mutterrolle: Der Vater kann entscheiden, ob er sich an der Elternarbeit beteiligen möchte oder nicht. Die Mutter hat diese Option nicht. Eine Mutter, die sich der Elternarbeit verweigert, ist eine Rabenmutter, ein schlechter Mensch. Ein Vater lediglich nicht modern eingestellt, kein „neuer Vater“.

Die Ausgangsbedingungen für die Bewertung ihrer Elternarbeit sind verschieden: Alles, was die Mutter tut, ist selbstverständlich. Sie hat schließlich einen Mutterinstinkt. Man geht davon aus, dass sie alles kann. Es liegt ihr in den Genen. Mutterschaft ist ein ganz natürliches Verhalten. Es wird erwartet. Lob gibt es nicht. Denn selbst wenn die Mutter allen Pflichten nachkommt, erreicht sie nur eines: Sie trifft die Erwartungen.
Beim Vater ist die gesellschaftliche Messlatte in Sachen Elternschaft eine ganz andere: Alles, was er tut, ist „on top“. Er tut es freiwillig. Ihm gilt Dank für seinen Einsatz.“

Ebenfalls passend dazu ein älterer Text von Antje Schrupp:

„Es geht dabei nicht nur um die anfallende Arbeit, sondern auch um die psychische Belastung, die es mit sich bringt, eine so große Verantwortung für die gesamte Existenz eines anderen Menschen zu tragen. Bei der Lektüre von „Fritzi und ich“ ist mir (ich bin ja keine Mutter) sehr klar geworden, dass es ein großer Unterschied ist, ob ich jemand anderen beim Kindererziehen unterstütze, selbst wenn ich das in erheblichem Ausmaß tue, oder ob ich die Person bin, an der letztlich alles hängt.“

Und deswegen bin ich am Ende immer wieder genervt, wenn es eine Schlagzeile wert ist, wenn ein Vater ausnahmsweise mal seine Elternaufgaben ernst nimmt oder wie oben beschrieben mal Windeln wechselt, mal auf den Spielplatz geht, mal sein Kind abholt, mal abends vorliest und denke, dass er dafür kein ausdrückliches Lob verdient.

Ganz anders ist es für mich, wenn man sich die Aufgaben wirklich gleichwertig aufteilt. Wenn man Verantwortung teilt, wenn man miteinander verhandelt was, wann, für wen gut ist. Wenn auch der Vater die „unsichtbaren Aufgaben“ übernimmt. Denn durch das Gleichgewicht entsteht gegenseitige Wertschätzung und Dankbarkeit. Für mich ist das mit dem Lob dann eine ganz andere Sache.

Am Ende halte ich den Vorbild-Effekt, den man unserem Vizekanzler unterstellen könnte auch für zu vernachlässigen und stimme nicht mit der folgenden Haltung überein.

Christine Finke schreibt in ihrem Blog „Mama arbeitet“ weiter:

„Wer will, dass kinderfreundliche und familienfreundliche Politik gemacht wird, muss auch oben ansetzen, bei den Vorbildern. Deswegen gefällt mir auch, wie Manuela Schwesig ihre zweite Elternzeit organisiert hat – nämlich mit ihrem Ehemann, der sich um das Baby kümmern wird. Wir brauchen dringend Vorbilder, Pioniere in der Politik, die solche Themen vorantreiben. Drum habe ich durchaus Respekt für Sigmar Gabriel, der für dieses Zuhausebleiben wahrscheinlich von etlichen Menschen belächelt werden wird oder dem (vielleicht durchaus zu Recht) taktische Motive dafür unterstellt werden. Er hätte ja auch einfach Zuhause bleiben können, ohne das über sein Büro mitteilen zu lassen, vermute ich mal.“

Ich glaube nicht, dass diese Art Berichterstattung in irgendeiner Form dazu beiträgt, dass

a) Väter sich mehr an der Elternarbeit beteiligen („Ahhh, wenn der Herr Gabriel das macht, dann könnte ich ja auch mal?“ Really???) oder

b) dadurch ein Argument bei ihrem Arbeitgeber bekommen, sich mehr an der Elternarbeit beteiligen zu können („Der Herr Gabriel kann sich aber auch frei nehmen!“ „Ah, ok, ja, dann überdenken wir hier im Betrieb nochmal unsere familienfeindliche Einstellung!“).*

Ich glaube nicht, dass das so passiert und diese Art Berichterstattung zeigt mir wie unendlich weit der Weg zur Gleichberechtigung noch ist.

 


 

*Im Übrigen: Es wird ja immer so getan, als wenn Arbeitgeber es ohne weiteres akzeptieren, dass Mütter ihren Elternaufgaben nachkommen, sich um kranke Kinder kümmern, in Elternzeit gehen und früher nach Hause gehen, um auf den Elternabend zu kommen und als ob das bei Vätern dann plötzlich ein ganz anderes Thema sei.

Das ist in meinen Augen auch Unsinn, v.a. dann wenn es um eine ähnliche Position in der Hierarchie geht! Ein Arbeitgeber ist entweder familienfreundlich, dann gestattet er das Müttern wie Vätern und schafft enspechende Strukturen oder aber er ist es nicht, dann gibt es Diskussionen, Hürden, Degradierungen, Mobbing (Aber das Thema wäre wieder ein ganz eigener Blogartikel…)


 

Nachtrag:

Ich mag ja Diskussion und setze mich gerne mit weiteren Aspekten auseinander. Deswegen aus den Kommentaren hochgezogen der Artikel „Lob der Superpapas„:

„Vielleicht sollte man das Ganze überhaupt weniger als Diskurs begreifen, sondern als eine Art Erziehung. Und da würden Mütter ja auch nicht erwarten, dass ihre Kinder von ganz allein und stillschweigend Dinge lernen und sich ändern. Bei Kindern gehen wir selbstverständlich so vor: Wenn das Kind das erste Mal allein den Löffel in den Mund steckt, die Hose anzieht, das Zimmer aufräumt, die Schulmappe packt – jedesmal wird es lauthals gelobt. Niemand sagt: “Ist ja wohl keine große Sache, selber essen, das macht doch jeder!” Oder “Wurde ja wohl mal Zeit, dass du dich selbst anziehst, das ist ja wohl eine Selbstverständlichkeit!”“

Packt eure Töchter und ab in „The Force Awakens“

Im Rahmen meiner selbst gestellten Aufgabe endlich mal „Star Wars“ zu schauen, bin ich im aktuellen 7. Teil der Saga „The Force Awakens“ gelandet und habe ich mich königlich amüsiert. Neben all dem, was Popcornkino sonst noch so braucht, hat mich der Film nach 135 Minuten mit einem Gefühl zurückgelassen, das da lautete: Ich möchte SOFORT mit meiner Tochter ins Kino gehen. (Naja, würde ich wollen, wenn sie das geeignete Alter hätte…)

Wer den Film noch nicht gesehen hat und spoilerempfindlich ist: den Blogbeitrag nicht weiterlesen. Ich werde mir keine Mühe geben, nicht zu spoilern.

Also: Warum sollte man seine Tochter unbedingt in „The Force Awakens“ schleppen? Die Antwortet hat drei Buchstaben und lautet „Rey“. Rey ist die Hauptdarstellerin. Sie ist nicht eine der Hauptdarstellerinnen, sie ist DIE Hauptdarstellerin. Ich habe versucht zu recherchieren, wie alt sie im Film sein soll. Da ich keiner Recherchetätigkeit länger als drei Minuten nachgehe und nichts gefunden habe, habe ich mich damit begnügt sie auf etwa zwanzig zu schätzen. Die Darstellerin selbst ist Anfang zwanzig, das haut dann vielleicht hin.

Jedenfalls: „The Force Awakens“ wird getragen durch Rey. Rey ist großartig. Sie ist ein völlig unabhängiger Charakter. Sie stellt sich (und das ist immer alles gemeint im Vergleich zu der archetypischen Durchschnittsfrauenrolle) selbst nie in Frage. Sie handelt einfach und zwar unabhängig von der Legitimation von Männern, ohne deren explizite Erlaubnis und trifft Entscheidungen ohne männliche Berater zu konsultieren. Sie ist Pilotin (und zwar eine mit sehr hohem Skill, sie fliegt den Millennium Falcon durch das Wrack eines Sternenzerstörers), sie ist findige Mechanikerin und ist trotz ihrer Zartheit und Weiblichkeit niemanden physisch unterlegen. Sie ist eine Anführerin und zwar eine, die sich diese Position nicht erkämpft, sondern eine, der diese Position einfach inne wohnt.

Sie verfolgt keinerlei romantische Interessen und sie hat – im Gegensatz zu z.B. Padmé – nur einen Kostümwechsel.

Sie macht sogar Fehler (wie z.B. Monster aus Versehen frei zu lassen) und kann diese wieder gerade biegen.

Sehr faszinierend ist auch, dass sie im Zweikampf mit Kylo Ren gefährlich aussieht, weil sie eine entschlossene und ernstzunehmende Kämpferin ist (normalerweise ist es Frauen in Filmen nur gestattet gefährlich auszusehen, wenn sie auf irgendeine Art verrückt sind…).

Das alles hat mich sehr fasziniert und das Schöne ist: Sie agiert nicht in einer gleichberechtigten, fortschrittlichen Zukunftsgesellschaft, nein, sie lebt in der alt bekannten patriarchalisch geprägten Gesellschaft.

Das kommt an mehreren Stellen im Film deutlich heraus, z.B. als sie mit Finn fliehen muss. Instinktiv nimmt Finn sie beim Weglaufen an die Hand und sie fragt (sinngemäß): Was soll das? Er antwortet: Wir müssen fliehen! und sie darauf: I know how to run without you holding my hand!

Er lässt ihre Hand los und greift sie bei der nächsten Explosion wieder. Worauf sie nur schreit „Stop taking my hand!“ und sich befreit.

Ähnliche Szene während der Flucht im Millenium Falcon als sich die Frage stellt, wer ihn fliegen könnte. Man schaut sich suchend um, die anwesenden Männer sind keine Piloten und dann ist da nur noch eine Frau. Schade. Kein Pilot also. Jedenfalls nicht bis sie sagt: „Hier, ich!“ und sich ins Cockpit setzt.

[Ich hab diese Denkmuster übrigens selbst, so sehr ich mich dafür hasse, aber als Kylo Ren sagt, dass Vader sein Großvater ist, dachte ich: Hä? Aber Luke hat doch gar keinen Sohn?! Klar, die Force ist in meinem Kopf nur stark mit den Männern. Auf Leia bin ich erst gar nicht gekommen…]

Rey ist einfach ein großartiges weibliches Vorbild und es gibt so wenig gute Vorbilder, finde ich. Ich würde mir jedenfalls wünschen, dass meine Tochter eine solche Frau vor Augen hat, wenn sie in ihrer Fantasie Abenteuer ausmalt oder noch besser: ihre eigne Zukunft.

Ich finde das folgende Gif deswegen so wundervoll. Durch Rey ist „Fight like a girl“ keine Beleidigung oder Herabsetzung mehr.

Ich mochte übrigens auch Leia und Padmé. Das sind auch tolle Frauen, aber sie sind lediglich die weiblichen Ausnahmen unter allen Männern.

Wobei, man sollte da nicht ungerecht sein. Die Leia von 1977 ist für damalige Verhältnisse unfassbar fortschrittlich. Sie trägt flache Schuhe, wird von der Geretteten zur Retterin, schießt und kämpft selbst und geht selbst mit Han Solos Machosprüchen souverän um.

Dennoch, wie ich twitterte:

Darauf antworteten viele: Welche anderen Frauen?
Ja, man hat sie nicht wirklich direkt auf dem Schirm… in Folge 4-6 Lukes Tante Beru, Senatorin Mon Mothma, die Nachtclubsängerin Sy Snootles und die Sklavon Oola.
In Folge 1-3 gibt es neben Padmé noch einige Zofen, Shmi und die Kopfgeldjägerin Zam Wessell sowie deutlich mehr Hintergrund Pilotinnen, weibliche Jedi und auch weibliche Protokolldroidinnen.

Sie alle sind Hintergrund und bestenfalls „Frau an der Seite von“ und damit mäßig gut geeignete Vorbilder.

„The Force Awakens“ ist da nicht nur wegen Rey anders.
Irgendwo (leider finde ich es nicht mehr) habe ich gelesen: Es passiert etwas wunderbares. Aus Prinzessin Leia wurde Generalin Leia und noch erstaunlicher: Man hat dem Charakter gestattet zu altern.

Es deutet sich auch für die folgenden Filme an, dass es eine Mentorin für Rey geben wird: Maz Kanata
Ich meine, mit dem Dialog zwischen Maz und Rey besteht „The Force Awakens“ sogar den Bechdel Test, weil sie über Reys Zukunft und nicht direkt über Luke sprechen.

Ich weiß, der Bechdel Test ist umstritten. Er trifft am Ende keine qualitative Aussage. Ein Film mit zwei Frauen, die sich 90 Minuten über Designerschuhe unterhalten würde den Bechdel Test bestehen – Alien mit Sigourney Weaver nicht. Ich habe dazu was Gutes im philosophie Magazin Sonderausgabe Star Wars gelesen:

„Der Bechdel Test weist auf verschiedene Probleme hin. Er führt vor Augen, dass Frauen in Filmen offensichtlich noch stärker marginalisiert werden als in der gesellschaftlichen Realität. Und diese Abwesenheit von Frauen […] bedeutet, dass [Frauen] schwer Identifikationsfiguren jenseits der Rolle der „Frau an seiner Seite“ finden. [Selbst da wo einzelne Frauen zu sehen sind …] legt das implizit nahe, dass es immer nur eine Frau in der Riege der männlichen Helden geben kann.“ (S. 67)

In diesem Sinne: Rey!

Mama, Mama, bist du so groß wie Prinzessin Leia?

Mein Handywecker klingelt. Neben mir liegt Kind 3.0. Mit rauer Stimme fragt es: „Was ist ein Großmoff?“ Moff? Keine Ahnung wovon das Kind spricht. Vermutlich redet es im Schlaf.

Ich streife die Decke zur Seite, setze einen Fuß auf den kalten Fußboden, Kind 3.0: „Wie ist Wilhuff Tarkin eigentlich Großmoff geworden?“ Ich brauche erstmal Kaffee.

„Kinder! Frühstück ist fertig!“
Kind 2.0: „Mama, Du bist kleiner als Aayla Secura“
„Ich äh ja, ich bin ja nicht besonders groß.“
Kind 3.0: „Und du lebst. Aayla Secura ist tot.“
„Oh“
Kind 2.0: „Ja, sie starb während der Klon-Kriege bei der Ausführung der Order 66.“
„Ich, äh, iss dein Brot.“

„ZÄHNEPUTZEN!“
Kind 2.0: „Kind 3.0 ist größer als R2D2.“
Kind 3.0: „Und isch kann schießen. PePeng! Peng! R2D2 ist ein Reparaturroboter, der kann nisch schießen.“
(R2D2 endlich mal jemand, den ich kenne…)
„Ja, ja, Kinder. Jetzt bitte Zähneputzen.“

„So, es ist Zeit sich anzuziehen. Warm anziehen. Es ist sehr kalt geworden.“
Kind 3.0: „Isch zieh misch nisch an. Isch bin ein Wookiee.“
„Auch Wookiees müssen sich anziehen…“
Kind 3.0, empört: „Gar nisch!“
„Was ist denn ein Wookiee? Ist das ein Ewok?“
Kind 2.0 verdreht schweigend die Augen.
„Is mir jetzt auch egal. ANZIEHEN!“

Am Nachmittag. Stimmen aus dem Kinderzimmer. Geschrei. Handgemenge.
Kind 2.0: „MAMAAAAA! Kind 3.0 hat gesagt, ich stinke wie die Gedärme eines Tauntauns!!!“
„Kind 3.0! Kind 2.0 stinkt nicht!“
Kind 3.0: „Wohl! Tauntaun-büüüäähhh!“
(Ich überlege kurz, ob eine erzieherische Intervention notwendig ist, dann wechsle ich lieber das Thema.)
„Wohin wollen wir dieses Jahr in den Urlaub fahren?“
Die Kinder im Chor: „Tatooine! Krayt-Drachen-Skelette anschauen:“
„Die gibts doch nicht echt.“
„Wohl.“
„Nein!“
„Doch, Mama!“
„Jetzt ist aber Schluss!“ Ich schlappe ins Bad und schließe die Tür.

Ich sitze am Klo.
„Mamaaaa????“
„Ist es ein Notfall? Ihr wisst – die Regel lautet: Nur wenn Blut fließt oder ein anderer Notfall eintritt, darf man mich stören…“
„NOTFALL MAMA!!!“
„Hmpf“
Ich wasche meine Hände. Gehe ins Kinderzimmer: „Was ist denn?“
Kind 3.0: „Wie schwer ist eigentlich Darth Vader?“

So geht das. Seit Wochen und ich habe keine Ahnung, wovon die Kinder sprechen und das faszinierende: Sie haben noch nie einen Star Wars Film gesehen. Aber sie wissen alles. Die Kinder in der Schule und im Kindergarten erzählen sich alle Details und flüstern die Legenden. Nur ich, ich hab keine Ahnung.

Deswegen habe ich die ganzen Star Wars Filme in Machete Order geschaut: IV, V, II, III, VI und I muss man nicht schauen.

Was ich gelernt habe:

  • Die Skywalkers schlagen sich gerne gegenseitig die Hände ab. Überhaupt Hand ab, Bein ab (auch bei AT-ATs) und Kopf ab, ist ein großes Ding bei Star Wars.
  • Einen Wookiee als Freund zu haben, ist eine gute Sache.
  • Wenn man als Frau ordentlich kämpfen will, trägt man flache Schuhe. Wenn man keine Schuhe trägt, dann braucht man wenigstens eine Kette um unliebsame Hutts zu erwürgen (Hutt ist nicht der Nachname von Jabba. Jabba ist ein Hutt. Sein korrekter Name ist Jabba Desilijic Tiure. Yoda hingegen ist der Nachname von Yoda. Der heißt nämlich Minch mit Vornamen und zu welcher Spezies er gehört, weiß man nicht so genau.)
  • Ob gut oder böse, erkennt man an der Farbe des Lichtschwerts. Wenn humanoide Lebensformen kein Lichtschwert tragen, ist es relativ schwer herauszufinden, ob sie böse (also „Sith“) sind. Man kann dann ein philosophisches Magazin mit der Frage „War Heidegger ein Sith Lord?“ befüllen.
  • Freundschaft und Liebe tragen jeden Film. Special Effects und Kostüme nicht.
  • Der erste Teil von Star Wars hieß ganz zu Beginn schlicht „Star Wars“. Erst als er ein Erfolg war, kam Episode V „The Empire Strikes Back“ ins Kino und aus dem ersten Teil wurde „Star Wars Episode IV: A New Hope“. Episode VI hieß übrigens eine kurze Zeit „The Revenge Of The Jedi“ und wurde unbenannt in „The Return Of The Jedi“. Da bereits Merchandise produziert und verkauft wurde, ist jeder, der irgendwas mit „Star Wars – The Revenge Of The Jedi“ besitzt jetzt sehr wohlhabend.
  • Apropos: Gerüchte besagen dass es ohne Star Wars Merchandise heute kein Lego mehr gäbe. Das ist einer intensiven 3 minütigen Recherche zufolge Unsinn.

Ich bin während der fünf Filme mehr als sieben mal eingeschlafen. Aber ich bin hart geblieben. Ich habe immer weiter gemacht. An Episode II und III kann ich mich trotzdem nicht erinnern. Seelenloser Müll. Um sich die ganzen Details zu merken, die die Kinder kennen, musste ich die Filme insgesamt 37 Mal stoppen und googeln.

Jetzt weiß ich alles und möchte ein Ewok-Baby adoptieren und es Han Solo nennen. Auch wenn es ein Mädchen ist.