Yuchee!
Onomatopoetische Kinderunterhaltung und deren Folgen
Als Teenager denkt man, mit dem Erreichen des 18. Lebensjahrs sind die wichtigsten Dinge im Leben abgehakt. Die Jugend ist vorbei, die Schönheit schwindet, was soll da noch kommen?
Es kommt zum Beispiel der eigene 30. Geburtstag, an dem der Ex-Mitbewohner anruft und mit seltsam berührter Stimme berichtet, dass er am Vortag Vater geworden ist.
Eine Wochen später durfte ich mir das Baby anschauen. Die Eltern berichteten von anderen, die sich etwas doof angestellt hätten, als sie ihnen das Baby in die Arme gedrückt haben. Ha, ha, dachte ich und stellte mich an wie der erste Mensch, als ich das winzigkleine warme Windelpaket in die Arme gelegt bekam. Das Baby hat mich angeschaut und da war es um mich geschehen. Liebe auf den ersten Blick nennt man das. Das Baby sieht wie eine kleine Elfe aus. Direkt aus einer Blume entsprungen.
Wenn die Eltern bei uns zu Besuch sind, entreiße ich ihnen ihr Kind so oft es geht mit den scheinheiligen Worten: „Also wenn ihr nicht mehr tragen könnt, ich nehm‘ das Baby, ehrlich!“
Das Baby und ich, wir sind schon ganz gute Freunde, auch wenn ich gemerkt habe, dass das Baby ein eher ernster Typ ist. Wenn ich mir beispielsweise Gegenstände auf den Kopf lege und dazu gackere, dann schaut das Baby immer ein bisschen irritiert zu den Eltern, so als wolle es sich versichern lassen, dass es trotz meiner Verrücktheit bei mir in Sicherheit ist.
Das Baby mag Schweine, Elefanten und Hähne und wann immer es eines dieser Tiere sieht, werde ich nicht müde ihm Tiergeräusche vorzumachen.
Ich werde nie vergessen, wie erstaunt es mich anschaute als ich bei Hahn einen Ühhühüüüüüüü üüüüüÜÜÜ-Ton statt des üblichen Kikeriki machte. Schließlich machen Hähne nicht Kikeriki (Übrigens machen sie in Italien kukuriku, in England cock-a-doodle-doo, im Niederländischen kukeleku, im Französischen coquerico und im Spanischen mit quiquiriquí)
Jedenfalls habe ich das Baby so gerne, dass selbst mein geduldiger Freund mich manchmal fragen muss, ob ich eine Beruhigungstablette brauche.
Gestern hat mir mein Ex-Mitbewohner mitgeteilt, dass ich Patin sein darf. Nicht im kirchlichen Sinne, das wäre auch seltsam, da ich vor Jahren aus der Kirche ausgetreten bin, aber im symbolischen Sinne eben.
Darüber bin ich sehr glücklich. Ich hoffe, das Baby eines Tages auch.
Ach übrigens liebe Eltern, eigentlich wollte ich zum Geburtstag ein Bobbycar schenken. Aber jetzt da ich Patin bin, habe ich mich für folgendes entschieden. Schließlich lass ich mich in der Sache nicht lumpen. Wer weiss, was die Nachbarskinder haben. Da nehme ich lieber gleich das größte am Markt.
Satzobjekt und Prädikat an der Kasse gratis dazu!
Irgendwann vor ca. hundert Jahren habe ich eine Diplomarbeit zum Thema Liebe verfasst. Nach zweijähriger Recherche ließ sich festhalten: Gleich und gleich gesellt sich gern eignet sich als Grundlage für eine längerfristig angelegte Beziehung viel mehr als das entgegengesetzt lautende Sprichwort Gegensätze ziehen sich an.
So ist es bei der Partnerwahl unter anderem eine Kunst, durch geschicktes Befragen des möglichen Lebensgefährten herauszubekommen, ob man gleichgerichtete Interessen hat.
Im Fall meines Freundes zeigte sich schnell, was das angeht, haben wir das Potential in ca. zwanzig Jahren in gleichfarbigen Anoraks herumzulaufen.
Wir interessieren uns beide sehr für Science-Fiction, mögen Grillfleisch und durchstöbern gerne Hinterhöfe. Viel wichtiger jedoch ist unsere gemeinsame Leidenschaft für Werbeprospekte.
Freilich steht bei uns, wie auf jedem gutbürgerlichen Briefkasten: Werbung einwerfen verboten und tut man es doch, so regen wir uns im erwarteten Rahmen auf. Schließlich wollen wir in der Nachbarschaft nicht unangenehm auffallen. Zum Glück gibt es die Studenten im Hinterhaus, die einen solchen Aufkleber nicht haben und denen klauen wir die Reklame aus dem Briefkasten. Eine ebenfalls ergiebige Quelle ist der Altpapiercontainer, wo man nach eifrigem Wühlen auf manchen Schatz stößt.
Wir lesen die Werbeblättchen zur Entspannung nach Feierabend und so kann es sein, dass der letzte, der nach Hause kommt einen weiteren Stapel mitbringt. Meistens handelt es sich hierbei um doppelte Exemplare. An besonderen Tagen jedoch hat einer von uns beiden etwas ergattert, was der andere in fremden Briefkästen übersehen hat oder nicht herausziehen konnte, weil seine Hand nicht durch den Schlitz passte.
So sitzen wir Abend für Abend auf dem Sofa, die Füße auf der Lehne und zwischen dem Kind pssssssscht zu, wenn es redet während wir die Werbung studieren.
Wahrscheinlich sind wir so weit gesunken, weil wir seit Jahren kein Fernsehgerät mehr haben. Andererseits ermöglicht das aufmerksame Lesen von Werbeprospekten aller Art das Ergattern von so manchem Sonderangebot. Auch sind die Gewinnspiele nicht zu vernachlässigen. So werden wir z.B. am 15. Juli stolz an der Reichelt Filialfeier 2006 in der Siemensstraße teilnehmen, denn außer uns hat nur die Großcousine der Filialleiterin an dem Gewinnspiel teilgenommen und die haben wir angezeigt, denn die Teilnahme von Angehörigen aller Art ist untersagt!
Schweinische Träume
Physiologisch sind sich Schwein und Mensch sehr ähnlich. Deswegen würde ich in meinem nächsten Leben gerne ein Schwein werden. Da dauern die Orgasmen mit etwas Glück eine halbe Stunde, man hat nie Schnupfen, weil man das Vitamin C selbst im Körper herstellen kann und schwitzen muss man auch nicht. Schweine können nicht schwitzen. Ich würde dann ein Mastschwein und könnte den ganzen Tag essen. Mein Leben wäre vermutlich kurz aber schön.
Leider bin ich im Moment noch kein Schwein, was bedeutet, dass ich mit wenig Begeisterung zur Kenntnis nehme, dass ich seitdem ich aufgehört habe zu rauchen, rund 10 Kilo zugenommen habe.
Folglich versuche ich abzunehmen. Da das weniger essen für sich genommen so freudlos ist, betreibe ich aktiv Sport. Letzte Woche haben wir dafür den Cross-Trainer der Nachbarin in unsere Wohnung geschleppt. Am Wochenende konnte ich das Gerät samt High-Tech-Anzeige einweihen und habe hoch motiviert eine halbe Stunde darauf gehampelt.
Total deprimierend ist das. Nicht nur dass man durch die Monotonie das Gefühl hat mit jedem Step ein bißchen zu verblöden, nein, es ist zudem noch wahnsinnig anstrengend und man schwitzt wie ein Elch (Schweine können ja nicht). Dann läuft und läuft man und wenn man auf die Anzeige der Verbrannten Kalorien schaut, steht da 60.
Super. Eine halbe Stunde meines Lebens geopfert, um einen Diätjogurth abzutrainieren.
Seit dem kann ich nicht mehr normal essen. Ich beiße irgendwo ab und denke: „Oh nein, wenn ich das runterschlucke, muss ich 10 Minuten auf den Cross-Trainer.“
Auch stelle ich mir unseren Besuch vor, der gestern 5 Liter Schokoladeneiscreme verdrückt hat, wie er seit 7 Stunden auf dem Sportgerät trainiert und noch weitere 5 Stunden muss, bevor die Hälfte der im Eis befindlichen Kalorien abtrainiert sind.
Ich wünschte wirklich, ich hätte die Disziplin der freudlosen Mädchen, die mir im Sommer so storchenbeinig begegnen. Als nächstes werde ich es mit Ingwertee probieren. Bei Angela hat das schließlich auch geholfen.
Fehlinterpretation von Aufmerksamkeit
Heute in der U-Bahn angestarrt worden. Dachte, hey, anscheinend siehste heute gut aus. Im Büro angekommen, festgestellt: Vogel hatte mir auf Kopf gekackt.
Als die Franzosen erwachten
Thomas Smith is a very common name for Ukrainian females
Gesetzeskonformität ist mir wichtig, mein Über-Ich ist stark. Dennoch muss ich es gelegentlich in die Knie zwingen. Z.B. wenn ich WM-Karten geschenkt bekomme.
Der Umstand dass auf der Eintrittskarte Smith, Thomas und nicht Nuf, die steht, darf kein Grund sein, mir das Spiel nicht anzusehen. Schließlich habe ich eine Verantwortung meinen zukünftigen Enkeln gegenüber, die mich eines Tages fragen werden: „Oma Nuf, welches Spiel hast Du im Sommer 2006 gesehen, als die Welt zu Gast bei Freunden war?“
Am Freitag, den 23. Juni 2006 mache ich mich auf, das Vorrundenspiel Ukraine gegen Tunesien zu sehen. Von Bekannten habe ich gehört, dass die Personalausweise nur stichprobenartig kontrolliert werden. Um der Stichprobenstatistik aus dem Weg zu gehen, sondiere ich zunächst die Lage. Es gibt ca. 600 Eintrittsmöglichkeiten in das Stadion. Ich entscheide auf keinen Fall zu einer Frau zu gehen. Frauen sind zu Frauen stets gemein und lieben nichts mehr als einer anderen Frau eins auszuwischen.
Also suche ich mir den freundlichsten und jüngsten Herren und stelle mich brav an. Als ich an der Reihe bin, klimpere ich mit den Wimpern, wie eine getunte Barbie.
„Einen Moment“ sagt der Mann lächelnd, „ich hole meine Kollegin“ und mir bleibt das Herz stehen. Seine Kollegin, das ist eine ganz Genaue. Mehr als zehn Minuten durchsucht sie meine Handtasche. Jeden Kuli dreht sie auf, am Lippenstift riecht sie, ins Brillenetui will sie schauen, bei der Kamera die Akkus sehen, die Tasten des Handys drücken, das Lidschattenkästchen von innen begutachten. Die Eintrittskarte will sie leider auch begutachten. Mein Herz klopft mir bis zum Hals, sieben Ausreden in zehn Millisekunden schießen mir durch den Kopf.
– Meinen Mann, Thomas Smith, den habe ich gerade verloren, der Arme steht jetzt irgendwo mit meiner Karte und kommt nicht rein.
– Thomas Smith, so heißen gut 30% aller Frauen in der Ukraine, das ist so wie der Nachname Zhang in China.
– Erbarmen, haben sie doch einfach Erbarmen!
Zum Glück zittere ich so, dass meine Handtasche zu Boden fällt. Die Sicherheitsfrau hilft mir eilig meinen Krempel wieder einzupacken und sagt, ich solle mich sputen, hinter mir bilde sich schon eine Schlange.
Weiter, das ist ein Drehkreuz, wo die Karten noch mal kontrolliert werden. Grünes Licht, grünes Licht, grünes Licht, rotes Licht. Kein Muster zu erkennen. Zufallsstichproben? Ich stelle mich an die Schlange, an der ich das letzte Mal ein rotes Licht gesehen habe. Stecke meine Karte in den Schlitz und erwarte, dass sie eingezogen wird. Starre schwitzend auf die Karte. Starre und starre, als ich aus der Ferne höre: „Junge Dame, gehen sie bitte weiter?“
Ich begreife, die Karte muss ich eigenhändig wieder rausziehen! Verkrampft lächle ich und laufe mit butterweichen Knien weiter. Durst habe ich jetzt. Den ersten Schluck vom halben Liter Wasser trinke ich, den Rest schütte ich mir zur Abkühlung über den Kopf. Unter all den Verrückten falle ich nass gar nicht auf.
Die Stimmung ist grandios, alle haben sich lieb, auch ich habe alle lieb, ab heute bin ich Fußballfan.
Die Einsichten aus dem Erlebnis sind folgende:
– Der Spielball fliegt im Minutentakt aus dem Spielfeld hinter die Absperrung. Im gleichen Takt werden neue Bälle ins Feld geworfen. In der ersten halben Stunde sind es rund 23 Bälle.
– Live ist ein Fußballspiel wirklich spannend. Jedenfalls mindestens dreißig Minuten und dann, wenn wenigstens einer der Spieler sich bewegt.
– Multitasking erreicht seine Grenzen, wenn man sich an der Laolawelle beteiligt und versucht dem Spielverlauf zu folgen.
– Wichtigster Anfeuerungsspruch: „Nu lauf, nu lauf doch!“
– Wenn das Publikum sich langweilt, beginnt es, sich selbst zu beschäftigen. Beliebteste Maßnahme: Aufstehen, weil man ein Deutscher ist oder einfach Deutschland, Deutschland rufen.
– Tunesier haben so viel Brusthaare, dass man beim Trikottausch denkt, sie hätten schwarze Unterhemden.
Abschließend ein Witz für das Viertelfinale:
Erschöpft vom Rumgerenne im Schwedenspiel*, diskutiert die deutsche Mannschaft, wie man mit möglichst wenig Kraftaufwand die Argentinier besiegen könnte.
Nach einiger Zeit sagt Podolski: „Wisst ihr, ich mach das alleine. Geht ruhig Bier trinken, ich schaffe das!“ Die Begeisterung ist groß, man geht in die nächste Kneipe.
Nach 30 Minuten stellt man das Fernsehgerät an. 1:0 für Deutschland, Podolski 5. Minute
Freude im Team, die Glotze wird wieder abgestellt. Kurz vor Ende des Spiels, schaltet man aus Neugierde noch mal an. 1:1! Rodriguez, 90. Minute.
Panik bricht aus, man rennt zurück ins Stadion: „Podolski wie konnte das passieren?“
„Tja, in der 11. Minute, da habe ich eine rote Karte bekommen…“
*Ohhhhhh die armen Schweden, jetzt müssen sie alle wieder nach Hause! Wie schade!
Ukrainerin für einen Tag
Welche Macht Nationalfarben haben, wurde mir heute morgen bewusst, als ich um 8.20 Uhr das erste Mal von einem zahnlosen Opa umarmt wurde. Freudig erzählte er mir ganze Romane auf Ukrainisch und ließ mich nicht zu Wort kommen. Ich sei zwar keine Ukrainerin, aber heute ein Fan, konnte ich ihm nach einem zehnminütigen Monolog der Freude erklären. Das freute ihn noch mehr und ich bekam noch einen Kuss. Auch auf der Straße wurde ich freudig angehupt, mir wurden Dinge zugerufen, es wurde gewunken. Berlin scheint viele Ukrainer zu haben.
Die Hauptstadt der Ukraine ist Kiew. Die Ukraine ist nach Russland das flächenmäßig größte Land in Europa. Sie beheimatet rund 50 Millionen Ukrainer. Die Währung heißt Hrywnja. Ein Hrywnja sind 100 Kopeken.
Übrigens: Borschtsch ist ein traditionell ukrainisches Gericht und Döner heißt in der Ukraine Schaurma.