Im Gegensatz zu meinem Körper dürfen meine Worte Gewicht haben

Verwelkt
Verwelkt – wenn man nicht Schneewittchens Stiefmutter ist, muss man irgendwann damit klar kommen. Foto @Free-Photos auf Pixabay

Im Zeit Magazin habe ich vor einigen Wochen den Artikel „Botox – eine glatte Lüge“ gelesen.

Die Autorin Diana Weis beschreibt dort ihre Kapitulation vor dem ausdauernden Druck schön, jung und perfekt sein zu müssen und schildert warum sie sich dafür entschieden hat, sich botoxen zu lassen:

Verstehen Sie mich nicht falsch: Es ist eine Zumutung, als Frau immer schön, jung und elastisch sein zu sollen. Noch perfider ist allerdings die Forderung, diesen Zustand auf ganz natürlich Weise und ohne den Einsatz wirksamer Hilfsmittel herzustellen.

Ihre Lösung ist es deswegen diesen Zustand eben nicht natürlich sondern durch Botox herzustellen.

Botox hilft nicht nur gegen Falten, sondern lässt gestresste Frauen entspannt aussehen und verhindert offenbar auch das Resting Bitchface.

Letzteres scheint v.a. hilfreich für Frauen in Machtpositionen zu sein, bei denen offenbar nicht zählt, was sie leisten, sondern ob sie dabei lieblich aussehen:

Während Männer in Machtpositionen durchaus ernst oder streng dreinblicken dürfen, wird dies Frauen jeglichen Erfolgsgrades nicht zugestanden. Das kann im Alltag sehr anstrengend sein. Botox nimmt ihnen die Verantwortung für den eigenen Gesichtsausdruck ein Stück weit ab.

Der Text hat mich unendlich traurig und zugleich ratlos gemacht.

Einerseits halte ich es wie Frau Vrouwel: Jede Frau soll mit ihrem Äußeren machen, was ihr gefällt. Achselhaare rasieren oder nicht, Fake Lashes, Tatoos, schminken, Glatze, Leo-Stoffe lieben (wir sprachen in der letzten Weisheit darüber), Leggins tragen oder eben gar nichts von all dem – whatever.

Wenn jemand möchte, dann soll er/sie sich botoxen.

Die unendlich schwierige Frage ist eher: Warum möchte das jemand?

In der wahnsinnig tollen BBC Kurzserie Fleabag (z.B. auf Amazon Prime zu sehen), geht eine meiner Lieblingsszenen wie folgt: Fleabag und ihre Schwester sitzen in einem Vortrag einer renommierten Feministin. Es geht um gesellschaftliche Schönheitsideale. Die Rednerin fragt als Warmup ins Publikum: „Wer von Ihnen würde zwei Jahre ihres Lebens für den perfekten Körper opfern?“

Fleabag und Schwester haben die Arme schneller oben als die Kamera auf sie schwenken kann. Alle anderen schauen entsetzt in ihre Richtung und schütteln den Kopf. Darf man als Feministin einem Schönheitsideal nachhecheln?

Ganz ehrlich, ich hätte mich auch gemeldet. So bitter und widersprüchlich das zu meiner inneren Haltung ist.

Deswegen verstehe ich die Zeit Magazin Autorin, die sich für den vermeintlich leichteren Weg gegen das Altern entscheidet.

Dennoch – es ist so viel im Argen. Neulich war ich z.B. mit meinen Kindern auf einer Veranstaltung, bei der wir uns mit Namen und Alter vorstellen sollten. Die Hälfte der anwesenden Frauen druckste um die Altersaussage herum, die andere Hälfte sagte sowas wie „Ü30“ oder lachend „deutlich Ü30“.

Lediglich die 28jährige, sagte: „Ich bin 28“.

Wenigstens das kann ich. Einfach sagen: „Ich bin 42.“ ohne peinlich berührt zu sein.

Ebenfalls im Zeit Magazin las ich neulich den Artikel „No Sports„, der angeteasert wird mit den Worten:

Unsere Art-Direktorin hat keine Lust, ihren Körper zu optimieren. Sie will nicht kämpfen, sondern einfach nur gut leben.

Schon da möchte ich rufen: OH GOTT JA! Ich auch verdammt!

Die Autorin Jasmin Müller-Stoy schreibt:

Ich treibe keinen Sport, nicht ein bisschen. Aber nicht aus Prinzip – es fehlt mir schlichtweg die Zeit. Beziehungsweise: Es ist einfach nicht meine Priorität. Ich habe zwei Kinder im Kita- und Schulalter, arbeite tagsüber, und wenn ich abends heimkomme, will ich Zeit mit meiner Familie verbringen, ohne Joggen und Sit-ups. Wenn ich dann nicht zu müde bin, schaffe ich es noch, die Folge einer Serie zu schauen oder in einem Buch zu lesen. Oder ich treffe mich mal zum Essen oder gehe ins Kino. Das ist mir alles anstrengend genug. Ins Schwitzen komme ich dabei allerdings nicht.

So geht es mir auch. Zwei Kinder, der Job, der Haushalt und alle sonstigen Verpflichtungen. In meiner Freizeit will ich v.a. eines: meine Ruhe.

Mit meinem Körper habe ich verschiedene Phasen durchlebt. Bis ich 28 war, war ich superschlank und fit und konnte wirklich den letzten Schrott essen ohne auch nur ein Gramm zuzunehmen.

Manchmal stand ich auf der Waage und stellte mir vor, wie unfassbar DICK ich sein würde, wenn ich mit 1,68 m wirklich mein Idealgewicht von 62 kg hätte und sorgte mich, ob ich dann noch einen Typen abbekommen würde.

Ich hörte auf zu rauchen, nahm gut 10 kg zu, bekam ein Kind, hungerte mir die überschüssigen Kilos nach der Geburt wieder ab,  bekam noch ein Kind, machte wieder Diät und machte regelmäßig Sport.

Dann bekam ich meine Herzmuskelentzündung und seitdem habe ich Scheu Sport zu machen (so richtig Spaß hat es mir körperlich nie gemacht, ich mochte lediglich das drumherum wie z.B. die Zombie Run App) und ganz offen gesagt: ich hab auch einfach gar keine Lust.

Ich habe immer wieder Phasen in denen ich nach der Arbeit innerhalb von 3 min auf dem Sofa einschlafe und dann um 21 Uhr nachdem die Kinder im Bett liegen und die Küche halbwegs aufgeräumt ist, wieder.

Alle zwei Wochen sind die Kinder beim Vater und da schaffe ich es dann sowas wie meinen Hobbys nachzugehen und nicht schon immer am frühen Abend einzuschlafen. Sport hat da keinen Platz.

Bevor ich 40 wurde, habe ich mich übrigens scheiden lassen und hatte eigentlich gar keine Lust jemals wieder eine langfristige Beziehung zu führen.

Zu diesem Zeitpunkt habe ich auch aufgehört regelmäßig zu diäten. Ich hab alle meine Klamotten Größe 38 und kleiner an eine Freundin weitergegeben und mir einfach neue Klamotten in L und XL gekauft.

Irgendwie war ich es so satt. Die anschließende Erleichterung war phänomenal. Keine Relikte mehr im Schrank, die bei jedem Öffnen rufen: Hier kannst du dich vielleicht nochmal reinhungern! Was sind schon 5 kg?

Ich habe es mir auch so erklärt: So lange man noch nah am Jugend-, Schönheits- und Schlankheitsideal ist, sind Abweichungen schmerzhaft. Mit einigen Tricks, ein bisschen Diät und Schminke robbt man sich dann weiter an den Idealzustand.
Dann wird man 40 und älter und irgendwann sind es nicht fünf graue Haare sondern so viele, dass man sie nicht zählen kann und so viele Falten, dass man sie nicht wegschminken kann.
Dieser Übergang tut kurz weh und dann ist man zu weit weg von diesen Magazin-Schönheitsansprüchen und dann ist es einem (weitgehend) herzlich egal.

Ich habe immer wieder Rückfälle – zu dick, zu faltig, zu viele weiße Haare etc. pp – die Sozialisation wirft man eben nicht einfach über Bord.

Grundsätzlich habe ich aber für mich beschlossen, dass ich nicht durch mein Äußeres sichtbar sein muss.

Journelle hat zu diesem Thema (ebenfalls aufsetzend auf den Botox-Artikel) einen tollen Artikel geschrieben: Sichtbarkeit einfodern

Sie fragt:

Was für ein Ausmaß an Unterwerfung und Resignation offenbare ich, wenn ich mit einer Nadel voller Nervengift in der Stirn sage: „Es geht leider nicht anders. Wenn Du in unserer Welt wahrgenommen werden willst, musst Du den Männern gefallen.“

Weiter schreibt sie:

Sollten wir hieran etwas ändern wollen, kann die Antwort jedenfalls nicht lauten, Botox zu spritzen. Vielmehr geht es darum, Sichtbarkeit einzufordern, aber auch die vorhandene wirtschaftliche Macht zu nutzen. Ich habe einfach keine Lust Geld für Filme auszugeben, bei denen Männern ihre Wall-Street-Gott-Fantasien ausleben, ich lese keine Bücher von ehemaligen linken alten Männern, die nun verbittert Anerkennung fordern, ich zähle Frauen auf Podien und gehe Leuten auf den Sack, die dumme Sachen sagen. Ich fordere eine Quote, nicht obwohl, sondern weil ich mir wünsche, dass Posten nach Qualifikation und nicht Geschlecht vergeben werden. Mir ist es egal als dick, unfickbar, alt oder was auch immer zu gelten. Meine Existenz ist nicht an meine Attraktivität oder einen Prinzen gekoppelt. Ich führe eine Partnerschaft, keine Herrchen-Hund-Gemeinschaft.

Und da kann ich mich nur anschließen.

Deswegen glaube ich übrigens auch, dass es hilfreich ist selbst berufstätig zu sein und ein solides eigenes Einkommen zu generieren. Dann muss man z.B. nicht in Beziehungen ausharren, weil ja eigentlich der Mann das Haupteinkommen generiert (gräßlicher Text -> Die Ehe lebt vom Aushalten: „Ein Gehalt fällt weg, die Wohnung ist riesig, die Lage perfekt. Für eine freie Autorin ist das untragbar. Ihr Fast-Ex-Mann arbeitet in einer großen Werbeagentur.“) und kann gleichwertig Entscheidungen in der Beziehung treffen (vgl. „Studien deuten […] darauf hin […], als wirkten beim Ausgabeverhalten familieninterne Entscheidungsstrukturen und ökonomische Verhandlungspositionen“ – sprich – wer das Geld hat, entscheidet).

Es verleiht schon ein anderes Selbstbewusstsein, wenn man nicht Bittstellerin ist, wenn es um Ausgaben und Freizeitgestaltung geht.

Es macht vermutlich auch selbstbewusst zu wissen, was man kann, außer hübsch auszusehen.

G20 und mein Verständnis von Demokratie

Die letzten Tage war es schwer für mich meine Social Media Timelines auszuhalten. Die Videos, die ich während des G20 Gipfels gesehen habe, sind voller Gewalt. Besonders geschockt hat mich dabei das vereinzelte Vorgehen der Polizei. Ich schreibe vereinzelt, weil natürlich nicht alle Polizisten so gehandelt haben – aber es geht tatsächlich nicht um einige wenige Einzelfälle sondern um eine ganze Reihe von Gewalteskalationen.

Was ich an dieser Stelle erwarten würde, wäre ein kollektiver Aufschrei  von Politik und Medien, der jedoch in meiner Wahrnehmung zu großen Teilen ausbleibt.

Bevor ich weiter schreibe, eine (anscheinend nötige) Vorbemerkung:

Die Menschen, die sich selbst als Schwarzer Block bezeichnen, haben Straftaten begangen. Gar keine Frage. Sie haben das Hamburger Schanzenviertel verwüstet, Polizisten, Demonstranten und Unbeteiligte verletzt und große Sachschäden angerichtet.

Mir ist übrigens völlig schnuppe, ob diese Gewalttäter nun links, rechts, nur doof oder Krawalltouristen sind.

Mir geht es um den Schaden, den diese Menschen angerichtet haben und der ist, neben dem rein materiellen Schaden, aus meiner Sicht mindestens zweifach:

1.) Ihr Auftreten und ihre Medienpräsenz haben das Anliegen vieler Hundert – wenn nicht Tausend friedlichen, politisch engagierten, demokratisch gewillten Menschen, unsichtbar gemacht.

Wo Autos brennen, schafft es kaum ein Foto einer friedlich demonstrierenden Gruppe ins Fernsehen oder auf ein Titelblatt.

Alle konstruktiven Ansätze werden damit ausgelöscht. Das Bild in den Medien verzerrt sich.

Die Ereignisse treten so stark in den Vordergrund, dass am Ende nicht mal mehr interessiert, WAS da eigentlich auf dem G20 diskutiert wurde.

2.) Ihr gewaltsames Auftreten scheint außerdem für viele Argument genug, dass sich einige Polizisten so verhalten dürfen, wie in den letzten Tagen zahlreich per Videoaufnahmen und Augenzeugenberichten belegt.

Viele der Diskussionen, die ich in den letzten Tagen verfolgt habe, verlaufen nach folgender Logik: Polizisten sind auch nur Menschen, wenn die so unter Adrenalin stehen, dann kann es schon mal passieren, dass die rot sehen und ausrasten und auch mal zuschlagen.

Oder noch schöner: Allein schon der Name der Demo (Welcome to Hell) oder der Umstand, dass man sich – obwohl Eskalation möglich ist – auf einer solchen Demo aufhält, rechtfertigt, dass einem als Demonstrant auch Gewalt angetan werden darf.

Das geht schon alles sehr in die Argumentationsecke: Wer nicht vergewaltigt werden möchte, trägt halt keine aufreizenden Kleider.

Da wird mir wirklich schlecht.

Ich bin Bürgerin und ich habe das Recht meiner Meinung friedlich kund zu tun. Egal wie die Demo heißt. In einer Demokratie lebend, gehe ich davon aus, dass ich bei diesem Anliegen unterstützt und beschützt werde.

Ja, ein Polizist ist unterm Strich auch ein Mensch, aber er hat eine Ausbildung, die ihm ermöglichen sollte, dass es bei ihm selbst unter Adrenalin nicht „klick“ macht und er sich im Gewaltrausch wiederfindet.

Sollte er feststellen, dass dem so ist, sollte er dringend dafür sorgen nie wieder für solche Einsätze eingeplant zu werden.

Am besten fasst es dieser Tweet zusammen:

Die Polizei ist ein Staatsorgan.

Treffend schreibt Jasmin Schreiber in ihrem Blogpost:

Er [der Polizist] wird auch nicht als Hans-Peter angegriffen, sondern als Staatsorgan. Die Wut der Randalierer richtet sich nicht gegen die Person, sondern gegen den Staat, den diese Person repräsentiert, und gegen die „Klasse“ Polizei an sich. Hilft dem angegriffenen Polizisten da erst einmal nicht konkret, ist aber wichtig für das, was als Reaktion folgt und für unseren Diskurs. […] Polizisten sind darauf trainiert und diese Souveränität unterscheidet den Staatsdiener von der Privatperson. […]

Und wegen all dieser Dinge, wegen der diametralen Machtverschiebung und dem Unterschied in Waffen- und Schutzausrüstung muss man die Szenen, die sich in Hamburg abgespielt haben, ganz besonders scharf kritisieren und verurteilen.

Ich habe den letzten Teil des Zitats fett gekennzeichnet, weil ich dem zustimme. Weil mich Reaktionen großer Teile der Öffentlichkeit wirklich ratlos zurück lässt.

Sei es nun durch „Promis“ wie Nuhr, der anprangert, dass man sich über die Polizeigewalt aufregt

oder Statements von Teilen der z.B. Grünen, die in keinem Wort Aufklärung der Polizeiarbeit verlangen.

Das Statement endet mit einem Danke an die Polizei:

Wir danken der Polizei und allen Rettungskräften für ihren Einsatz und wünschen allen verletzten Polizistinnen und Polizisten und Rettungskräften eine schnelle und vollständige Genesung

Oder Martin Schulz, der twittert:

Bei letzterem könnte man vielleicht noch als Ausrede heran ziehen, dass Twitter und die Beschränkung auf 140 Zeichen es wirklich schwer macht gleichzeitig denen zu danken, die sich korrekt verhalten haben und Aufklärung im Rahmen der durch die Polizei begangenen Straftaten zu verlangen.

(Das oben in Teilen zitierte Statement von Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir hätte genug Möglichkeiten zur Differenzierung gelassen. Ich bin wirklich maßlos enttäuscht. Maßlos!)

Heribert Prantl schreibt in diesem Kontext:

Bei sogenannten Großlagen muss die Polizei zweierlei schaffen: Sie muss Gewalttätigkeiten verhindern und sie muss das Demonstrationsgrundrecht schützen. In Hamburg, beim G 20-Gipfel, hat sie leider beides nicht geschafft.

[…]

Das Versammlungsgrundrecht nach Artikel 8 war das Grundrecht der soeben zu Ende gegangenen Woche; es ist so malträtiert worden wie schon lange nicht mehr.

Lest bitte den ganzen Text, ich würde ihn am liebsten von irgendeiner Kanzel runterschreien:

Grundrechte sind kein abstrakter Kokolores

Und jetzt warte ich auf klare Statements von Politiker und Politikerinnen in dieser Sache. Ich warte darauf, dass sie deutlich machen, dass das was seitens der Polizei passiert ist, aufgearbeitet wird und dass diejenigen, die sich falsch verhalten haben, dafür Rechenschaft ablegen müssen.

Leider ist zu mir noch nichts durchgedrungen.

Im Übrigen verstehe ich auch nicht warum Menschen wie Dudde weiterhin (Gesamteinsatzführer der Hamburger Polizei) im Amt bleiben.

(Wen es näher interessiert, der kann sich mal rund um den Ausdruck „Hamburger Linie“ belesen – die Kurzfassung dazu: „Mehrfach wurden Einsätze unter der Leitung Duddes im Nachhinein von Gerichten kritisiert oder gar als rechtswidrig eingestuft„)

Es lohnt auch den Leserbrief von Professor Hans Alberts zu lesen, der an der Hochschule der Polizei in Münster lehrt(e?):

Was man anmerken muss, vielleicht vorwerfen, ist, dass ihre Positionen und Handlungen nicht dem Erkenntnisstand in der Polizei-Wissenschaft entsprechen. Jahrelang haben wir an der Hochschule der Polizei in Münster Versammlungsszenarien durchgespielt und immer wieder festgestellt, dass eine harte Linie nur zur Eskalation führt und es dann eine seltsame Achse zwischen den Hardlinern der Polizei und den gewaltbereiten Chaoten gibt

Genauso viel könnte ich jetzt nochmal über den Umgang mit der Presse schreiben. Muss ich aber nicht, weil Jasmin Schreiber das bereits getan hat (Absatz „Polizeigewalt gegen Regierungs- und Pressevertreter„).

Zahlreich auch die Beispiele wie mit nahezu unbeteiligten Menschen umgegangen wurde. Ein Beispiel habe ich hier ergänzt.

Jedenfalls, was ich sagen möchte: Unter Demokratie verstehe ich etwas anderes.

In unserem Podcast Der Weisheit berichtet Marcus Richter davon, dass sich das Bild der Polizei in den USA in den letzten Jahren vom Guardian zum Warrior verschoben hat und sich somit von demokratischen Grundideen wegbewegt (Mit dieser Idee arbeitet z.B. der Artikel „From Warriors to Guardians: Recommitting American Police Culture to Democratic Ideals„).

Ich finde dieses Bild sehr stark. Vom Beschützer zum Krieger. Das Bild kam mir während des G20 Gipfels sofort in den Kopf. Hamburger Linie eben. Hart durchgreifen. Eskalation und Kollateralschäden werden dann in Kauf genommen.

Ich bin sehr gespannt, wer dieses Thema nachhalten wird. Große Teile der Medien tun es nicht, die großen Parteien wohl auch eher nicht. Wer also?

— Nachtrag: Kommentare sind jetzt ausgestellt, weil ich gerade keine Möglichkeit zur Moderation habe —

Euch ist ja nichts gut genug!

Im Zusammenhang mit meinen Gedanken zum Thema Gleichstellung, höre ich oft: „Euch ist ja nichts gut genug. Egal wie man sich anstrengt, es reicht nicht.“

Deswegen teile ich mal einen Werbevideospot, der mich wirklich bewegt hat, weil ich finde, dass er im Rahmen seiner Möglichkeiten (Werbung, Fokus Waschmittel) alles richtig macht.

Zuerst: Der Gedanke ist #ShareTheLoad und nicht #HelpYourWife

Ihr erinnert euch an „You should have asked, wo es um den Mentalload geht? und an meinen Evergreen von Katjaberlin:

Es wird ausserdem auf die übliche Heldenmetapher verzichtet. D.h. oft ist es ja so, dass wenn Männer sich am Haushalt oder an der Erziehungsarbeit beteiligen, dass es nicht geht ohne irgendeine Daddy-Hero-Metapher und dass es dann schnell kompetitiv wird. Väter sind dann plötzlich die besseren Mütter und auch im Haushalt einfach männlich strukturiert und zielgerichtet.

Der Vater sagt: Ich werde bestimmt nicht mehr König der Küche, aber mit der Wäsche kann ich jetzt ja mal anfangen.

Die Worte des Vaters wirken reflektiert, er hat festgestellt, dass er selbst ein schlechtes Vorbild war und er sagt, dass der am Sofa sitzende Ehemann wahrscheinlich einfach auch keine guten Vorbilder hatte.

Darauf könnte man sich ausruhen. Ist halt so. Mann und Frau – so ist die Aufteilung – seit Hunderten von Jahren.

Oder was ja auch gerne gesagt wird: Maternal Gatekeeping (vgl. „Ein Rant zum Begriff Maternal Gatekeeping„). Die Frauen bestehen ja darauf ihre Kompetenzgebiete zu beherrschen, sie WOLLEN nichts abgeben.

Nun, auch diesen Quatsch umschifft die Werbung. Die Ehefrau des älteren Herrn ist kurz irritiert. 40 Jahre hat sie die Wäsche gemacht. Entsprechend selbstverständlich will sie den Koffer auspacken und die Wäsche waschen.

Er sagt: All die Jahre lag ich falsch, aber jetzt ist es Zeit die Dinge besser zu machen und nimmt sich einfach die Wäsche.

Dieser Zeitpunkt sich einzuklinken, ist nämlich immer. Man kann immer was ändern.

So und dieser Spot ist für mich ein wunderbares Beispiel. Es ist ein Spot einer Waschmittelmarke für den indischen (!) Markt, nicht etwa für den Wir-brauchen-keinen-Feminismus-mehr-europäischen-Markt.

Es ist der Spot eines Millionenkonzerns, der jahrzehntelang die tüchtige Hausfrau vor weiße Wäscheberge platziert hat.

Das ist ein Anfang.

In meiner Partnerschaft würde mir das nicht reichen, aber im genannten Kontext ist es eine löbliche und begrüßenswerte Ausnahme, ein erster Schritt.

[Anzeige] Let’s talk – neue Serie zum Thema digitale Medien und Kinder

digitale MedienGemeinsam mit SCHAU HIN! starte ich eine kleine Serie zum Thema Kinder und digitale Medien.

Im Zentrum meiner Serie sollen die Chancen, die (neue) Medien mit sich bringen, stehen und ich will beschreiben, wie wir als Familie im Alltag damit umgehen und gerne auch von Euch hören, wie ihr den Alltag mit Kindern und digitalen Medien gestaltet.

Risiken und Gefahren werden durch Kulturpessimisten aller Ausrichtungen zu genüge beklagt. Viele Eltern reagieren mit Unsicherheit und statt sich mit den einzelnen Themen auseinanderzusetzen, wird schnell mal ein Verbot verhängt.

Ich bin jedoch der festen Überzeugung, dass Verbote in Sachen Medienkonsum nichts bringen. Deswegen versuche ich mit meinen Kindern im Gespräch zu bleiben und Lösungen zu erarbeiten, die für uns beide alle passen. Das ist auch der Grund warum ich die Serie Let’s talk nenne.

Im ersten Teil geht es um: Medienkonsum

Wie lange ist genug?

Die erste Frage, die besorgte Eltern auf Veranstaltungen zum Thema „Digitale Medien“ oft stellen, lautet: Wie viel Medienzeit sollte man einem Kind gestatten?

In den allermeisten Fällen wird anschließend ausgiebig diskutiert, ob 15, 30 oder 60 Minuten das richtige Maß sind. Ich sitze dann oft etwas ratlos daneben und frage mich: Wie sollen denn 30 Minuten zum Beispiel beim Computerspielen genügen?

Ich bin für gar keine oder weiche Begrenzungen. Stellt euch doch mal vor, ihr lest gerade ein Buch. Nach 30 Minuten kommt jemand dazu, der darauf besteht, dass ihr jetzt SOFORT aufhört. Ist es nicht naheliegend – gerade wenn das Buch besonders spannend ist – darum zu bitten, beispielsweise das Kapitel beenden zu dürfen? Je nach Buch und Lesegeschwindigkeit dauert das aber nochmal 20 Minuten.

Was nun? Buch aus der Hand nehmen? Oder zuende lesen lassen?

Für mich ist die Frage „Wie lange sollen Kinder mit Computerspielen/im Internet verbringen dürfen?“ kaum zu beantworten.

Die wichtigere Frage ist was und nicht wie lange

Die eigentlich Antwort auf diese Frage, liegt an einer ganz anderen Stelle.

Warum fühle ich mich unwohl, wenn das Kind stundenlang auf Facebook verbringt, nicht aber, wenn es Lego spielt. Warum finde ich es nervig, wenn Kinder Stunden vor YouTube verbringen, nicht aber, wenn sie malen?

Nie käme ich auf die Idee, ins Kinderzimmer zu gehen und zu rufen: „Du spielst jetzt schon seit zwei Stunden Lego! Jetzt ist aber endlich Schluß!“

Der Unterschied liegt darin, dass im einen Fall konsumiert, im anderen Fall erschaffen wird.

Das ist der Grund warum ich versuche, meine Kinder mit allem was mit Internet und neue Medien zu tun hat, zu ermutigen, den Anteil des reinen Konsumierens möglichst gering zu halten und den Anteil, in dem erschaffen wird, eher auszudehnen und fast gar nicht zu begrenzen.

Was meine ich genau damit?

Hier einige Beispiele: Kind 3.0 malt von Herzen gerne. Es lässt sich auch gerne zum Malen inspirieren. Es schaut in Kinderbücher, es schaut sich Blumen an, es betrachtet Bauwerke und dann malt es, was es gesehen hat.

Es bittet mich ununterbrochen in der Google-Bildsuche nach Dingen zu schauen. Wie sehen Suffolk-Schafe aus, welche Arten von Wölfen gibt es, existieren bunte Würmer?

Kind 3.0 ist noch zu jung (und kann noch nicht sicher genug schreiben), um diese Antworten selbst zu recherchieren – ich auf der anderen Seite, habe nicht ausreichend Zeit und Nerven all diesen Fragen nachzugehen.

Instagram, Minecraft, Scratch und Calliope

Ich bin deswegen irgendwann auf die Idee gekommen, dass ein Instagram-Account eine gute Kompromisslösung sein könnte. Der Plan ist sich gemeinsam hinzusetzen und Interessensgebiete abzuklappern. Es gibt hunderte von wunderbaren Illustratorinnen und Illustratoren, die ihre Arbeiten (und v.a. auch ihre einzelnen Arbeitsschritte) auf Instagram festhalten. Genauso viele Tierfotografinnen und -fotografen gibt es und es gibt auch eine ganze Reihe Accounts, die eine tolle Mischung zwischen Landschaften, Tieren und Menschen zeigen – so wie z.B. National Geographic.

Den Account lege ich an und in Absprache mit mir, kann das Kind auch eigene Kunstwerke hochladen.

Als Nebeneffekt können wir über Bildrechte sprechen. Was und wer darf fotografiert werden und was und wer nicht und warum?

Ähnlich ist es bei uns mit Minecraft. Es ist wahnsinnig faszinierend, wie sehr solche Spiele die Kinder motivieren zu lernen. Was gibt es für Bauelemente? Haben sie Sonderfunktionen? Was kann man damit bauen?

Minecraft erklärt wenig und es muss alles selbst gelernt werden. Alles, was entsteht, erwächst der Phantasie und Kreativität des Kindes. Ist der Forschungsdrang erstmal geweckt, gibt es kaum ein Halten.

Falls ihr Minecraft noch nicht kennt, einen schönen, erklärenden Test, gibt es z.B. beim Spieleratgeber NRW. Natürlich bietet auch SCHAU HIN! Infos zu Minecraft.

Es gibt noch viele andere Beispiele, was Kinder machen können, um eher zu erschaffen als ausschließlich zu konsumieren. Es gibt beispielsweise bloggende Kinder wie die Johnny und Jojo Buddenbohm. Warum die Kinder nicht ermutigen zu bloggen?

Ein ganz eigenes Kapitel könnte das Kapitel Kinder programmieren sein. Ich habe eine zeitlang bei einem IT-Dienstleister gearbeitet und zum Girls‘ Day haben wir den Mädchen Scratch nahegebracht. Scratch ist eine visuelle Programmiersprache, die wirklich sehr schnell so zu erlernen ist, dass sich eigene Ideen umsetzen lassen. Für den Einstieg gibt es sehr viele anschauliche Tutorials.

Für die letzt genannten Beispiele – bloggen und programmieren – sollten die Kinder allerdings schon sicher lesen und schreiben können. Minecraft und instagram funktionieren auch ohne diese Fähigkeiten.

Unabhängig von den Fähigkeiten kommt es für mich sehr auf das Alter der Kinder an, ob ich sie völlig autark machen lasse oder ob ich noch dabei bin und das Kind bei den Aktivitäten begleite. Manche Dienste haben ohnehin eigene Altersbeschränkungen.

Um es kurz zu machen: Ich bin der Frage nachgegangen warum und wann genau ich mich mit exzessiven Medienkonsum meiner Kinder unwohl fühle. Dabei habe ich festgestellt, dass ich mich v.a. mit den Dingen unwohl fühle, die über das reine Konsumieren nicht hinaus gehen.

Produzieren statt Konsumieren

Bei allem, was näher am Produzieren und Erschaffen ist, verlässt mich das ungute Gefühl. Am wohlsten fühle ich mich dann, wenn ich denke, die Kinder lernen nebenher etwas und ihre Projekte werden sogar ausserhalb des Internets sichtbar.

digitale Medien

Gerade was das Programmieren angeht, gibt es in der Zwischenzeit schier unendliche Möglichkeiten. Ein aktuelles Beispiel, das hoffentlich bald breite Verwendung findet, ist der Calliope mini, der sich zur Mission gemacht hat, jedem Schulkind in Deutschland ab der 3. Klasse einen spielerischen Zugang zur digitalen Welt zu ermöglichen.

Als ich neun war, habe ich einen C16 mit Datasette und ein BASIC-Buch bekommen. Es hat nicht lange gedauert, bis mir das Spielen langweilig wurde und ich angefangen habe, mir selbst kleinere Sachen zu programmieren. Ich kann mich nicht erinnern, dass meine Eltern jemals den Satz gesagt haben: „Jetzt ist aber Schluß! Dreißig Minuten am Computer haben wir vereinbart!“.

Das Tolle ist, wenn die Kinder erstmal Feuer gefangen haben an diesen Themen, gibt es unendliche Möglichkeiten, wo sie andere Kinder treffen können und dort mit ihnen weiter arbeiten. Exemplarisch seien hier nur Jugend hackt und die Coder Dojos genannt.

Und spätestens dann wenn die Kinder die eigenen vier Wände verlassen, um mit anderen Kindern gemeinsam Projekte umzusetzen, sind doch alle Elternängste verflogen, oder?

Manchmal dauert es eine Weile, bis man das Richtige für die eigenen Kinder findet. Während die Girls‘ Day Mädchen durchweg von Scratch begeistert waren, hat sich Kind 2.0 tot gelangweilt. Dann beim Junghackertag des CCC hat es zum Thema Löten Feuer gefangen. Es ist offenbar eher hands-on.

In jedem Fall lohnt es sich aber gemeinsam mit den Kindern zu schauen: Für was interessieren sie sich, warum interessieren sie sich dafür und wie kann man das Verhältnis vom Konsumieren zum Produzieren verschieben.


Wie geht es euch mit dem Medienkonsum eurer Kinder? Was gefällt euch und was nicht und warum? Habt ihr empfehlenswerte Beispiele, die ihr anderen Eltern ans Herz legen wollt?

Kommentiert einfach hier, teilt eure Medienmomente auf Instagram, bloggt selbst darüber, twittert oder schreibt darüber auf Facebook. Wenn ihr euren Beiträge mit dem Hashtag #medienmomente markiert, können sie später eingesammelt und geteilt werden.

Weiterführende Links

Weitere Themen der Serie

Teil 2 von Let’s talk: Messenger
Teil 3 von Let’s talk: Computerspiele
Teil 4 von Let’s talk: YouTube
Teil 5 von Let’s talk: Fernsehen und Streaming-Dienste
Teil 6 von Let’s talk: Hörwelten
Teil 7 von Let’s talk: Augmented Reality und Virtual Reality
Teil 8 von Let’s talk: Programmieren lernen

Gender-Gejammer über Gender-Gejammer

Die Strasse ist nass
Quelle: Unspash.com @Devon Janse van Rensburg

Der 2. Gleichstellungsbericht der Bundesregierung ist da. Anlass für manchen Journalisten (in der Kurzbiographie als Experte für Hartz IV, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Armuts- und Gerechtigkeitsdebatten angepriesen) sich zum angeblichen Gender-Gejammer zu äußern. Denn Forschung hin oder her – natürlich sind es die Frauen selbst schuld, wenn sie Nachteile erleben, denn sie entscheiden sich ja aus freien Stücken einen schlecht bezahlten Job zu haben, zu heiraten, Kinder zu bekommen und in Elternzeit zu gehen und schließlich zur Rückkehr in Teilzeit.

Is klar. Ist bestimmt sehr schön in dieser neoliberalen Welt. Zumindest wenn man auf der Plusseite ist. Da kann man sich dann sagen, dass man das auch alles selbst verdient hat. Mit Strukturen und Privilegien hat das schließlich nichts zu tun.

Leider kann nicht jeder Journalist gut mit Komplexität umgehen und auch Logik ist nicht jedermanns Sache. Da kann es schon mal passieren, dass man aus „Die Straße ist nass, weil es geregnet hat“ schließt, dass es umgekehrt immer geregnet haben muss, wenn die Straße nass ist.

Aber gut.

Ich hab mir den Bericht durchgelesen und kann das sehr empfehlen. Er ist erstaunlich verständlich geschrieben und doch sehr erhellend.

Vor einigen Tagen schrieb ich über „Betriebswirtschaftlich maximierte Elternschaft“ und dem ewigen Argument, der Mann verdiene ja mehr und deswegen bleibe logischerweise die Frau zuhause, wenn das Kind krank ist und was das für den Lebenslauf der Frau langfristig bedeutet.

Im Gleichstellungsbericht klingt das wie folgt:

Viele Paare artikulieren heute ein Beziehungsideal der egalitären Arbeitsteilung.

Im Anschluss an die Familiengründung ist jedoch bei vielen eine Retradi-tionalisierung zu beobachten: In erster Linie sind es die Mütter, die ihre berufliche Karriere unterbrechen, ihre Erwerbsarbeit einschränken und die Sorgearbeit im Haushalt übernehmen; die Väter konzentrieren sich auf die Erwerbsarbeit.

Zwar streben Eltern dieses Modell der intrafamilialen Arbeitsteilung oft nur für eine vorübergehende Lebensphase, in der die Kinder noch klein sind, an.

In der gelebten Wirklichkeit verfestigt es sich jedoch vielfach, es prägt sich die Zuverdienst-Ehe aus. In dieser Konstellation arbeiten Frauen – oft in geringfügig entlohnten Beschäftigungsverhältnissen – Teilzeit, tragen nur einen klei- neren Teil zum Haushaltseinkommen bei und sind auf Einkommensübertragungen, also Unterhaltsleistungen, ihres in Vollzeit verdienenden Partners angewiesen.

Sprich: In der Theorie wollen sich Paare alles gleichberechtigt aufteilen – in der Praxis tun es viele nicht, v.a. dann nicht, wenn Kinder geboren werden und auch da ist dieses Ungleichverhältnis theoretisch lediglich für die ersten Jahre angedacht, wird dann aber dauerhaft praktiziert.

Zu dieser Entwicklung im Lebensverlauf tragen nicht nur Schwierigkeiten beim beruflichen Wiedereinstieg nach einer sorgebedingten Erwerbsunterbrechung bei, die mit arbeitszeitlichen und arbeitsorganisatorischen betrieblichen Strukturen, mit Qualifizierungs- und Qualifikationsproblemen und Defiziten bei der Betreuungsinfrastruktur zusammenhängen.

Vielmehr enthalten das Einkommensteuer- und das Sozialversicherungsrecht für Verheiratete und – sofern rechtlich gleichgestellt – Eingetragene Lebenspartnerinnen und Lebenspartner Anreize für eine innerfamiliale Arbeitsteilung, bei der ein Elternteil hauptsächlich Erwerbsarbeit, der andere hauptsächlich Sorgearbeit leistet.

[…]

Einkommensteuer- und Ehegüterrecht beeinflussen auch die Ressourcenverteilung innerhalb von Ehen und Eingetragenen Lebenspartnerschaften. So wird bei der Einkommensteuer in der Steuerklassen- kombination III/V die Wirkung des Ehegattensplittings nicht gleichmäßig auf die gemeinsam veranlagenden Personen verteilt.

Damit fällt das laufende Nettoeinkommen für den Partner oder die Partnerin in Steuerklasse V, gemessen am Beitrag zum Erwerbseinkommen des Paares vor Steuern, relativ gering aus.

Im gesetzlichen Ehegüterrecht führt die Gütertrennung in der sogenannten Zugewinngemeinscha dazu, dass in Ehen und Eingetragenen Lebenspartnerschaften, in denen auch nur vorübergehend eine asymmetrische Arbeitsteilung besteht, lediglich die vermögende Person oder die Person mit dem höheren Erwerbseinkommen wirtschaftliche Verfügungsgewalt über den gemeinsam erarbeiteten ehelichen Zugewinn erhält.

Institutionell vermittelte Ressourcenzuweisungen dieser Art beeinflussen die Entscheidungs- und Verhandlungsmacht bei Paaren in einer Weise, die partnerschaftlichen Lösungen abträglich sein kann.

Bereits der Erste Gleichstellungsbericht stellte fest: Recht setzt oder unterstützt Rollenbilder, die auf das Entscheidungsverhalten von Männern und Frauen einwirken und damit Risiken und nachteilige Folgen im Lebensverlauf vor allem für Frauen begründen, aus denen sich gleichstellungspolitischer Handlungsbedarf ableitet.

Quelle: 2. Gleichstellungsbericht, S. 123

Man könnte meinen, dass diese Zeilen selbst für bestimmte FAZ Journalisten verständlich sein könnten (setzt natürlich voraus, dass man überhaupt mal in den Bericht gelesen hat – was ich stark anzweifle, denn sonst wäre man mit so einem Kommentar nicht als undifferenziert, sondern schlichtweg als blöd zu bezeichnen).

Jedenfalls: Mitnichten entschließen sich Frauen und Paare aus freiem Willen zu entsprechenden Modellen.

Wen es interessiert: Ab S. 124 kann man dann die entsprechenden politischen Forderungen, die sich aus dem oben genannten Ungleichgewicht ableiten lassen, nachlesen:

Abbau einkommensteuerrechtlicher Anreize zur Spezialisierung auf Erwerbs- und Sorgearbeit in der Ehe, hierbei:

  • Streichung der Lohnsteuerklasse V
  • Weiterentwicklung zu einem Realsplitting

Für die beitragsfreie Mitversicherung, lauten die Empfehlungen der Sachverständigenkommission:

  • Einführung eines eigenständigen Zugangs zur Kranken- und Pflegeversicherung
  • zeitliche Begrenzung der beitragsfreien Versicherung
  • Ausweitung der beitragsfreien Versicherung auf Angehörige von Wahlfamilien

Und schließlich bezogen auf Minijobs:

  • Besteuerung von Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung
  • Einführung einer Sozialversicherungspflicht für geringfügige Beschäftigung

Die Sachverständigenkommission empfiehlt in Bezug auf das Güterstandsrecht:

  • Einführung des gesetzlichen Güterstands der Errungenschaftsgemeinschaft
  • Informationspolitik betreffend: Umbenennung des Güterstands der Zugewinngemeinschaft; frühzeitige Vermittlung von Informationen über die Folgen von Ehe und Eingetragener Lebenspartnerschaft; Einbeziehung ehe- und familienrechtlicher Fragen in Programmen zur Förderung der finanziellen Allgemeinbildung („financial literacy“)
  • Untersuchung der Praxis der Eheverträge und eine Beratungspflicht vor Vereinbarung einer Gütertrennung

Dass das Allein- oder Zuverdienermodell in Deutschland die Regel ist (v.a. in Haushalten mit Kindern unter 16 Jahren), belegen die Zahlen auch:

Der Anteil der Paare mit Kindern unter 16 Jahren, bei denen beide vollzeiterwerbstätig sind, macht nur 22,2 % aus;

bei 45,4 % dieser Paare arbeiten die Mütter in Teilzeit, bei 20 % ist die Frau nicht erwerbstätig (Wanger/Bauer 2015: 7f.).

Quelle: 2. Gleichstellungsbericht, S. 41

Man entscheidet sich also in der Mehrheit für die Variante Mann ist Hauptverdiener und die Partner gehen davon aus, dass das verdiente Geld im Anschluss beiden Partnern gleichermaßen zur Verfügung steht. Dem scheint aber nicht so zu sein.

Studien deuten allerdings darauf hin, dass die Partnerinnen und Partner ihre Ressourcen keineswegs zur Verwendung „in einen Topf werfen“; vielmehr sieht es danach aus, als wirkten beim Ausgabeverhalten familieninterne Entscheidungsstrukturen und ökonomische Verhandlungspositionen (Beblo 2012: 193; Beblo/Beninger 2013; siehe auch Rees 2017).

Quelle: 2. Gleichstellungsbericht, S. 41

D.h., der, der mehr verdient, entscheidet dann auch was mit dem Geld passiert.

Dazu passt der folgende Tweet:

Logisch. Wenn meine Partnerin nicht weiß, was ich genau verdiene, dann kann Gleichverteilung gar nicht erst eingefordert werden.

Fest steht – hat man sich einmal für das Ungleichgewicht entschieden, ist das auch langfristig kaum auszugleichen.

Die Nachteile eines auch nur vorübergehenden Ausstiegs aus der Erwerbsarbeit oder einer länger andauernden Teilzeitbeschäftigung lassen sich über den Lebensverlauf hinweg kaum kompensieren.

Quelle: 2. Gleichstellungsbericht, S. 42

Und (wenig überraschend), wer mehr verdient, hat größeren Einfluss auf die Entscheidungen:

Für die Ergebnisse der Aushandlungsprozesse innerhalb von Paaren über die Verwendung von Zeit und Einkommen im Haushalt spielt eine Rolle, wie stark sich die eigenen Einkommenspotenziale der beiden Verhandelnden voneinander unterscheiden.

Was die Gleichverteilung der Care-Arbeit angeht, ist es tatsächlich so: je früher sich der Vater entscheidet sich mit seiner Partnerin die Care-Arbeit zu teilen, desto besser klappt es tatsächlich mit der Gleichberechtigung.

Je früher Väter Verantwortung in der Betreuung und Erziehung von Kindern übernehmen, desto nachhaltiger lässt sich eine partnerschaftliche Arbeitsteilung zwischen den Eltern verwirklichen (vgl. C.V).

Quelle: 2. Gleichstellungsbericht, S. 42

Zusammenfassend kann man also sagen: Es geht mitnichten um freie Entscheidungen. Die Aushandlungsprozesse sind abhängig von gesellschaftlichen, ökonomischen und institutionellen Rahmenbedingungen.

Die oben genannten Rahmenbedingungen stellen somit die Weichen für bestimmte Entscheidungen und begünstigen bestimmte Szenarien eben so, dass es sich im Durchschnitt negativ für Frauen auswirkt (Gender Pay Gap, Gender Time Gap, Gender Pension Gap).


P.S. Fürs Protokoll: Der Gleichstellungsbericht behandelt noch sehr viel mehr Fragen als die hier angesprochenen. Der Blogartikel ist nicht annähernd eine Zusammenfassung des Berichts.

25 Frauen – 25 Vorbilder

Gestern Abend war die Preisverleihung des Edition F 25-Frauen-Awards im Kino International.

Ich bin jetzt mal sehr ehrlich: Ich bin hingegangen weil es eben an diesem Ort war. Ich liebe das Kino International sehr. Es gibt kein schöneres Kino in Berlin (wohlmöglich in der Welt) und im Gegensatz zu den großen Multiplex Kinos, kann man vor dem Film dort zu vernünftigen Preisen ein Getränk zu sich nehmen. Das nur vorweg. Sprich: Ich hatte an den Abend keine Erwartungen. Ich wollte einfach mit meiner lieben Freundin an einem schönen Ort ein bis zwei Getränke zu mir nehmen.

(Hier! Clickbait!) Doch dann kam alles ganz anders!

Am Ende des Abends kam ich nämlich total glücklich und inspiriert nach Hause. Die Verleihung des 25 Frauen Preises war eine großartige Gala mit außergewöhnlichen Frauen in bester Stimmung.

Aber vielleicht doch noch einen Schritt zurück. 25 Frauen: Was ist das eigentlich?

Der 25-Frauen-Award wurde ins Leben gerufen, um Frauen sichtbarer zu machen. Er wurde dieses Jahr bereits das 4. Mal vergeben und stand 2017 unter dem Motto „25 Frauen, deren Erfindungen unser Leben verändern.“

Aus 500 Nominierungen wurde eine Vorauswahl von 50 Frauen getroffen und eine Jury kürte am Ende 25 Frauen, die außergewöhnliches erfunden haben.

(Lest unbedingt die Details zu den Gewinnerinnen und ihren Erfindungen).

Wobei ehrlich gesagt, haben mich gar nicht so sehr die konkreten Erfindungen beeindruckt (wobei, dass man aus Milcheiweiß Textilfasern machen kann, finde ich doch sehr faszinierend oder dass man Plattenbaubeton recyceln kann… na gut und dass es ein System gibt, das Schall eines Lautsprechers um Hindernisse so umlenken kann, dass man direkt dahinter was hören kann, ist vielleicht auch ziemlich beeindruckend…so wie die Waschstraße für Menschen, die schnell und energiesparend dekontaminiert…), sondern die Frauen in ihrer Gesamtheit.

Ich war schon auf vielen, meist sehr, sehr männlich geprägten Veranstaltungen, wo irgendwelche Anzugträger auf der Bühne standen und sich beim Reden selbst gefallen haben, während sie von einem männlichen Moderator interviewt wurden, der sich selbst auch sehr toll fand.

Ich beschreibe hier ein Klischee, das ist wahr – aber eben eins, das oft zutrifft.

Der Abend im International war völlig anders. Die Moderatorinnen selbstbewusst, aber tiefenentspannt und selbst der obligatorischen Danksagung an die zahlreichen Sponsoren der Veranstaltung konnte man gut zuhören.

Die Gewinnerinnen hatten einen beeindruckenden Altersrange (v.a. die jungen Frauen hätte ich mir gerne gepackt und auf die Schulen verteilt, damit die Mädchen gerade für die MINT Themen so großartige Vorbilder haben) und hatten alle was zu sagen. Nicht nur blablablanlub und schaut mal wie toll ich bin.

Die Stimmung war hervorragend. Als z.B. Alice Merton auftrat, dachte ich noch: Mann, die armen Musikerinnen, die vor Sitzpublikum auftreten müssen und sich die Seele aus dem Leib singen und dann bewegt sich niemand. Aber neeee! Irgendwo kreischte und jubelte es und plötzlich tanzte und klatschte (liebes Mitpublikum, ich verzeihe euch das Mitklatschen auf 1 und 3) der ganze Saal.

Man kam total leicht mit anderen Frauen ins Gespräch (ich bin sonst die totale Smaltalkversagerin) und alle Gespräche waren von Wertschätzung und Offenheit geprägt.

Ich wurde einige Male für mein Blog angesprochen und war kurz davor in Tränen auszubrechen, weil ich das Gefühl hatte, ich Wurm zwischen all den unglaublich tollen Frauen und dann flattert mir eine Art Wertschätzung entgegen, die mir wirklich das Herz aufgehen ließ.

Es war einfach ein wunderbarer Abend für den ich mich wirklich bedanken möchte. Es fühlt sich so gut an zwischen all den phantastischen Frauen zu sein und zu denken: Ja! Das sind die Menschen, die ich sehen will, das sind die Menschen, die ich meinen Kindern zeigen will, ich will, dass sie sich inspiriert und ermutigt fühlen, dass sie auch denken: Meine Idee ist super, da setze ich mich jetzt einfach mal ein paar Nächte hin und bastle was und selbst wenn es nicht funktioniert, dann bin ich nicht gescheitert sondern dann habe ich eine Erfahrung gesammelt und neues Wissen aufgebaut, das mir später weiterhilft.

Ich habe körperlich gespürt, dass es etwas total anderes ist physisch zwischen so einer großer Menge Frauen zu sein als im Internet mal den ein oder anderen Artikel über inspirierende Frauen zu lesen.

Es braucht die Sichtbarkeit, es braucht die Vorbilder für die kommenden Generationen und auch für mich und meine Generation.

Es hilft nicht zu wissen, ah eine einzelne Frau im Vorstand, ah eine weibliche Ausnahmeerscheinung in der Techszene, ah eine Physikerin, die bahnbrechendes erfunden hat.

Man muss diese Frauen SEHEN! Im Alltag. In den Medien! Auf Podien. Man muss sie hören.

Wie gesagt: v.a. die jungen Frauen waren so toll in ihrer „einfach machen, wenn man da Bock drauf hat“-Attitüde. Mein Gott, habe ich da gemerkt wie alt ich bin. Was ich für eine elendige Bedenkenträgerin bin und wie ich mich manchmal auch selbst blockiere. All die ja-abers.

Es gab übrigens auch ziemlich fette Goodie-Bags. Und ich weiß natürlich geschenktes Gaul und so, aber damit ich ganz am Ende einen Verbesserungsvorschlag in all der Lobhudelei gemacht habe: Wie cool wäre denn zum Forscherinnen und Makerinnenthema, wenn da ein Sponsor dabei gewesen wäre, der sowas anbietet wie ein Hardwarehacking-Einstiegsset oder einen kleinen Chemieexperimentierbaukasten. Ich freue mich wirklich über schöne Lippenstifte (wirklich), aber kann es sein, dass es schon öfter Thema war, dass zu einem Tech/Mathe/Physik Event bestimmte Giveaways nicht noch besser passen würden?

Insgesamt großen Dank an das Team von Edition F und meinen Glückwunsch an die Gewinnerinnen:

Patricia Asemann,u.a. Jugend forscht Gewinnerin
Katrin Bermbach, Nora Blum, Farina Schurzfeld, Gründerinnen Selfapy
Melanie Blokesch, Grundlagenforscherin zu Cholera
Anke Domaske, Gründerin QMilk
Maria Driesel, Gründerin Inveox
Monika Fleischmann, Medienkünstlerin
Pia Frey, Mitgründerin Opinery
Susanne Friebel, Gründerin Phoneon
Marcella Hansch, Erfinderin von Pacific Garbage Screening
Sonja Jost, Mitgründerin DexLeChem
Seira Kerber, Erfinderin X-Wash
Sabine Kroh, Gründerin Call a Midwife
Linda Kruse, Co-Founder The Good Evil
Johanna Ludwig, Co-Founder Akvola
Konstanze Marx, Cybermobbingexpertin
Marion Merklein, Fertigungstechnologin
Angelika Mettke, Erfinderin des Plattenbaubetonrecyclings
Cordula Nussbaum, Coach
Mai Goth Olesen, Erfinderin Meal-Saver
Katrin Reuter, Erfinderin von Trackle
Heike Riel, IBM Fellow
Julia Schröder und Theresia Uhrlau, Entwicklerinnen von Yuma
Julia Shaw, Kriminalpsychologin
Judith Springer, Gründerin Fine-Deodorant
Lia Magdalena Weiler, Co-Founder Glow

Schön, dass Du da bist

Obdachlos
Pixabay @josemdelaa

In der Kantine, in der ich mittags esse, gibt es einen Mitarbeiter, der jeden Gast, der hineinkommt, mit einem fröhlich-lauten „Hallo! Schön, dass Du da bist!“, begrüßt.

Neu im Unternehmen, gehe ich ab und an alleine Mittag essen und fühle mich etwas einsam. Wenn der Kantinen-Mitarbeiter mir seine Begrüßung zuschmettert, schrecke ich kurz hoch und muss lächeln. Er macht das inbrünstig und überzeugend und ich fühle mich wahrgenommen und gewertschätzt. Das fühlt sich gut an.

An dieses Gefühl musste ich denken, als ich neulich bei der Bahnhofsmission hinter der Theke stand und Essen an Obdachlose ausgegeben habe.

Als ich mich zum Einsatz gemeldet hatte, war ich ein bisschen ängstlich. Ich wusste nicht so genau, was auf mich wartet und ich habe gedacht, dass die meisten wahrscheinlich stark alkoholisiert sind und vielleicht auch rumpöbeln.

Als um 12 Uhr das erste Mal die Tür aufgeht und die Obdachlosen eintreten, blicke ich ausnahmslos in freundliche Gesichter. Die meisten schauen mich direkt an – nur sehr wenige vermeiden den Blickkontakt.

Das Essen, das wir heute verteilen, kommt hauptsächlich von einer bekannten Berliner Feinkost-Kette. Es gibt viel, aber nicht das selbe für jeden. Ich gebe eine warme Mahlzeit aus, ein Sandwich, ein Stück Obst, ein Stück Gebäck und einen Nachtisch.

„Bitte den Grießbrei mit gerösteten Mandeln.“ Ich krame im Kühlregal, meine Hände greifen etwas, ich ziehe es heraus: Grießbrei-Vanille. „Nein, bitte den mit den Mandeln.“ Ich krame weiter. So geht das Mensch für Mensch. Ich bekomme eine Essensmarke und frage dann z.B. „Himbeer Mascarpone oder Chia-Pudding?“ Ganz am Anfang kommt mir das komisch vor, auch dass manche sehr rigoros darauf bestehen den Teller links und nicht den oben rechts zu bekommen. Sollten sie nicht froh sein, überhaupt was zu bekommen?, huscht mir durch den Kopf. Es dauert aber nicht lange bevor mir aufgeht: Nein, sollen sie nicht. Sie müssen mit so wenig leben, immer mit dem zufrieden sein was kommt, wenn sie hier einmal wählen können, dann sollen sie wählen dürfen. Natürlich. Ich schäme mich für meine Arroganz. Ich will auch wählen können. Warum sollte das ein Obdachloser nicht dürfen?

Mir macht die Essensausgabe und der Kontakt zu den Menschen Spaß. Es gibt jeden Tag mehrere Zyklen, in denen Essen ausgegeben wird. Ich bleibe auch das nächste Mal an meiner Position. Meine Kolleginnen und Kollegen, die heute ebenfalls freiwillig helfen, stehen an der Spülmaschine, sortieren Kleiderspenden, geben Kaffee und Tee aus und füllen die Teller auf.
Wir sind da, um eine ganze Reihe an ehrenamtlich tätiger Menschen (und Festangestellten) zu unterstützen.

Da sind zum Beispiel einige vornehme, ältere Damen, die sagen, dass sie hier sind, weil sie es so gut haben im Leben und dass sie ihre Rente nutzen wollen, um das Leben anderer ein bisschen besser zu machen.

Mir tut es gut, das zu hören. Es ist gut zu wissen, dass es nicht immer um Gewinnmaximierung geht. Es gibt viele freiwillige Helferinnen und Helfer. Menschen, die Kleidung spenden, Menschen, die kostenlos Haare schneiden, Menschen, die Essen bringen.

Die Obdachlosen, die die Mitarbeiter der Bahnhofsmission Gäste nennen, stellen schlicht und ergreifend eine Normalverteilung von Menschen dar, die man auch sonst trifft. Einige gesprächig, manche zu Scherzen aufgelegt („Wo bleibt bitte mein Schaschlik, das ich vor dreißig Minuten bestellt habe?“), andere schüchtern. Paare, die füreinander bestellen, dynamische und auch langsame Menschen, junge Menschen, alte Menschen, etwas verlotterte Menschen und auch Menschen, die so gepflegt und sauber aussehen, dass man sich wundert, was sie hier in der Bahnhofsmission tun.

Es ist Sommer, Monatsanfang. Die Stimmung ist überraschend gut. Tatsächlich ist das nicht immer so. Verständlicherweise. Am Anfang des Monats haben manche Menschen, die obdachlos sind, noch ihr Arbeitslosengeld II und auch sind die Mitmenschen am Anfang eines Monats spendabler als am Ende des Monats.

Wie oft habe ich schon gedacht als ich in der S- und U-Bahn oder vor Einkaufsläden angebettelt wurde: „Man kann ja schließlich nicht jedem was geben!“ und folglich nichts gegeben.
Ich habe es jetzt zwei Wochen ausprobiert und jedem, der gebettelt hat, einen Euro gegeben: 5 Euro hat mich das gekostet.
Man kann vielleicht nicht, aber mir geht auf: Ich kann durchaus.

Tatsächlich muss man aber nicht immer Geld geben. Ins Gesicht sehen und überhaupt auf die Menschen reagieren, hilft auch. Ich hab mich mal mit einem Obdachlosen unterhalten, der sagte mir, für ihn ist das schlimmste nicht das auf der Straße leben, sondern das unsichtbar sein.

Seitdem überwinde ich meine eigene Angst und auch mein Unbehagen, dass es mir so viel besser geht und grüße.
Ich will mir die Schicksale der Menschen, die auf der Straße leben und dort seit vielen Jahren leben, gar nicht ausmalen (einige kann man in dem Blog Unbeachtet nachlesen). Wie man sich vor schlimmen Krankheiten sicher währt, währt man sich auch sicher davor so aus der Gesellschaft zu fallen.

Ich glaube, so zu denken, ist naiv. Erst neulich habe ich über Armut gelesen und u.a. den Weg vom erfolgreichen Unternehmer zum Hartz 4 Empfänger verfolgt. Der Hauptkunde zahlt nicht und plötzlich wird aus dem selbständigen Unternehmer ein Armutsfall.

Wir verarbeiten gespendetes Obst zu Obstsalat

80% der Obdachlosen leiden unter psychischen Erkrankungen, erzählt die Sozialarbeiterin der Stadtmission.

Wie heftig diese Erkrankungen Menschen aus dem Alltag katapultieren können, vermag man sich gesund nicht vorstellen. Ich denke oft daran wie mich aus der Bahn geworfen hat, dass meine Freundin überraschend starb. In der Folgewoche hatte ich eine Herzmuskelentzündung an der ich nur durch einen Zufall nicht gestorben bin. Im Nachheinen denke ich, ich hatte sowas wie das Broken Heart Syndrom. Dabei war es „nur“ eine liebe Freundin. Was, wenn der Partner oder sogar die eigenen Kinder sterben?

Ja, es gibt Schicksale, die ein Leben unwideruflichen aus dem Takt bringen können.
Als studierte Psychologin, die einiges an Praxiserfahrung in der Neuropsychiatrie und in der Allgemeinen Psychiatrie gesammelt hat, kann ich nur sagen: Man kann es nicht verstehen, wenn man es nicht gesehen hat und selbst dann ist es noch schwer zu begreifen.

Die Menschen, die heute in der Bahnhofsmission erschienen sind, sind ganz bestimmt die, die geistig einigermaßen beieinander sind. Sie können sich orientieren, motivieren und koordinieren. Sie wissen um wieviel Uhr es Essen gibt, sie wissen, wo es das Essen gibt.

Es gibt einige Hilfsangebote in Berlin – aber es gibt auch eine Menge Menschen, die gar nicht mehr in der Lage sind, sie in Anspruch zu nehmen. Das darf man nicht vergessen.

Es gibt keine zuverlässigen Zahlen von Obdachlosen in Berlin. Bei der Bahnhofsmission geht man von 6.000 aus.

Ich hab nur einen Tag geholfen. Ich mache das immer wieder mal zu verschiedenen Anlässen, ich spende auch regelmäßig (wenn Geld übrig ist, Geld – ansonsten regelmäßig Sachspenden). Mir hilft das zu verstehen mit wie viel Glück ich gesegnet bin, es hilft mir auch mit den Kindern zu sprechen und ein Bewusstsein zu schaffen, dass man helfen und teilen kann und dass gerade das Teilen am Ende glücklich machen kann oder dass es immer Wege gibt, wie man von seinem Glück etwas an andere zurück geben kann.

Manchmal ist es so eine Art Ringtausch. Mir tut jemand was Gutes, ich tue jemanden was Gutes und der tut wieder jemand anderes was Gutes.

Ich glaube, es ist nicht gut, seine Augen vor Armut und Bedürftigkeit zu verschließen. Man muss sie offen halten, auch wenn es unangenehm ist (weil man auch erkennt, dass man nicht grundsätzlich Dinge zum besseren wenden kann sondern nur im Kleinen).


Wer möchte:
Spenden
Ehrenamtlich helfen

Betriebswirtschaftlich maximierte Elternschaft

Elternschaft
Das Kind ist krank. Wer bleibt Zuhause?

Manchmal twittere ich einen Gedanken und bekomme über 100 Replys und dann weiß ich: ups, das ist vielleicht ein Thema, über das man mehr als 140 Zeichen schreiben könnte. So geschehen diese Woche:

Bevor ich ein paar Gedanken dazu aufschreibe: Ja, #notallmen und ja, es gibt ganz bestimmt eine Reihe von Einzelfällen, in denen meine Aussage nicht oder nur begrenzt zutrifft.

Explizit ausschließen möchte ich alle Familien, in denen die Finanzen wirklich so knapp sind, dass man über gar nichts nachdenken muss, ausser über die Frage: Wie kommt diesen Monat genug in die Kasse, damit wir alle ordentlich leben können.

Ich rede eher über Paare/Eltern in meiner relativ gut verdienenden Akademiker-Filterbubble, in der es bezahlbare Kinderbetreuungsplätze ab dem ersten Lebensjahr gibt.

Der Lebenslauf, den ich hier oft beobachte, sieht wie folgt aus: gut ausgebildetes Akademikerpaar, beide seit einigen Jahren im Job, nahezu gleiches Einkommen, entschließen sich ein Kind zu bekommen.

Kind kommt, Mutterschutz, Mutter macht 12 Monate elterngeldgestützt Elternzeit, Vater lebt offensiv Vaterschaft, macht 2 Monate Elternzeit, oft geht es in dieser Zeit auf eine längere Reise.

Kind kommt in den Kindergarten, Mutter geht max. 20 Stunden arbeiten, Vater geht wieder Vollzeit arbeiten.

Kind wird krank, Mutter kümmert sich.

Kind hat Vorsorgetermin beim Kinderarzt, Mutter geht hin.

Um 15 Uhr ist Frühlings-, Sommer-, Weihnachtsfeier, Mutter geht hin. (Vater erscheint um 18 Uhr zum Abschluss des Festes und holt die Familie ab).

Es gibt Amtsgänge zu erledigen (Kitagutschein, Schulanmeldung, Hortanmeldung, Infotage weiterführende Schule), Mutter geht hin.

Nachfrage: Warum nicht mal (oder nur ausnahmsweise) der Vater?

Antwort: „Das geht nicht, der Arbeitgeber sieht das nicht gerne“ oder „Das geht nicht, das schadet der Karriere“ oder „Das geht nicht, der Gehaltsausfall ist viel größer, der Mann verdient eben viel besser.“

Ich sach mal als berufstätige Frau so: Mein Arbeitgeber war immer korrekt und höflich, aber von Herzen freut der sich auch nicht, wenn ich ausfalle. Warum es also scheinbar der männlichen Karriere deutlich abträglicher als der weiblichen Karriere sein soll, wegen der Kinder auszufallen, erschließt sich mir nicht.

Haupt-Antwort (inhaltlich) auf meinen Tweet war stets: Einfache Rechnung. Derjenige, der weniger Geld verdient, nimmt zuerst seine Krankentage, dann der andere. 

oder

Kannst ja mal mitrechnen: Wenn mein Mann einen Kinderkrankentag nimmt, fehlt drei Mal so viel an Einkommen.

So denken und handeln offenbar sehr, sehr viele. Man entscheidet sich frei [1], wählt das Zuverdiener- oder Einverdiener-Modell und dreht sich dann im Kreis. Denn 20-Stunden-Jobs sind eben in den meisten Fällen nicht so abwechslungsreich und gut bezahlt wie Vollzeitstellen. Es gibt dann in der Regel den männlichen Hauptverdiener und die weibliche Zuverdienerin, die in Relation eben nicht die Hälfte eines Vollzeiteinkommens sondern nur einen Bruchteil des männlichen Vollzeiteinkommens verdient und deswegen, so das Argument oben, eben die Ausfallzeiten für das Kind (oder die Kinder) übernimmt.

Das wiederum führt dazu, dass sie langfristig nicht besser verdienen wird, dass sie die Stunden nicht aufstocken wird, was wiederum dauerhaft dazu führt, dass das Argument „Aber er verdient eben mehr, da wären wir ja schön doof, wenn der Vater mit dem Kind zuhause bleibt.“ gilt.

Kino mit den Kindern oder gleichberechtigte Elternschaft. Das könne ich ja gerne mal den Kindern erklären.

Hmmm.

Fast ein Drittel aller Ehen werden geschieden.

Das obige Modell: Mann verdient, Frau kümmert sich um die Kinder ist eigentlich ein langfristig angelegtes Modell. Man nimmt die Gefälle in Kauf, weil man ja ein Team ist. Die Frau investiert Lebenszeit in die Familie, der Mann investiert Lebenszeit in den Job. Es gibt ein Familieneinkommen, das geteilt wird. Wenn die Rente kommt, gilt das immer noch. Die Frau hat dann fast (oder gar keine) gesetzliche Rente, aber der Mann ja und das teilt er.

Für die Frau gilt diese Vereinbarung in der Regel bis ans Lebensende und zwar unabhängig davon, ob die Scheidung kommt, oder nicht.

Sie muss nämlich damit dauerhaft leben, dass sie womöglich jahrelang nicht oder wenig gearbeitet und sich dafür um die Kinder gekümmert hat.

Für den Mann gilt die Vereinbarung oft (#notallmen) bis zur Scheidung.

Ich habe leider keine Zahlen zum Thema Eheverträge gefunden. Persönlich kenne ich kein Paar, das mit Ehevertrag geheiratet hat. Ich würde denken, es handelt sich nach wie vor um eine Minderheit, die mit Ehevertrag heiraten.

Es bleibt also eine mündliche Vereinbarung, die im Falle einer Scheidung durchgestritten werden muss. Aber plötzlich hat man das nicht gemeinsam entschieden, sondern die Frau wollte ja nie arbeiten und jetzt ist sie selbst schuld, dass sie nicht ordentlich verdienen kann, dass sie nicht finanziell unabhängig ist…

Aber egal. Vielleicht werde ich aufgrund der Beobachtungen in meinem Freundes- und Bekanntenkreis zynisch.

Ich wollte noch auf ein paar andere Gedanken raus, die ich in dem Zusammenhang hatte:

Kennt ihr z.B. gut verdienende Männer, die ihren Frauen, die gerade wenig oder gar nicht arbeiten, weil sie das als Paar mit Kindern so geregelt haben, z.B. private Rente oder eine Pflegeversicherung zahlen, so dass sie im Vergleich zu ihm auch auf dem Papier im Alter nicht schlechter dastehen?

(Wie viele Paare kennt ihr, bei denen der Mann sein Gehalt einfach auf ein Familienkonto überweisen lässt und die Frau kann frei darüber verfügen? Wie viele, wo nur ein Teil darauf geht? Wie viele, bei denen die Frauen Geld zugewiesen bekommen?)

Und um jetzt endlich auf das Thema gleichberechtigte Elternschaft zurück zu kommen: Für mich sind Vater und Mutter grundsätzlich erstmal gleichwertige Elternteile. Das Kind wird geboren, weder der Mann noch die Frau haben Vorerfahrungen, man wurschtelt sich so rein. Elternschaft hat dann für mich immer mehr etwas mit aufgebauten Kompetenzen und gemachten Erfahrungen zu tun, die sich wiederum auf die Elter-Kind-Bindung auswirken.

Zum Elternsein gehört für mich Kinderalltag. Füttern, Windel wechseln, zum Kinderarzt gehen, vorlesen, basteln, zu Kinderfesten gehen, am Krankenbett wachen, fünf Mal pro Nacht aufwachen, nochmal fünf Mal pro Nacht aufwachen, und nochmal obwohl man echt nicht mehr kann, Stress haben, weil in einem wichtigen Meeting die Kita anruft: Kind ist gefallen, Platzwunde, vor der Geschäftsreise am Kopf des Kindes Läuse entdecken (Kind kann nicht in die Schule!), todmüde nach der Arbeit kochen, nach dem Kinderinsbettbringen noch einen Kuchen backen, etc.

Das erleben, diese Erfahrungen machen, diesen Stress aushalten, das hat a) was für mich mit Elternschaft zu tun und b) sich das gerecht zu teilen, hat für mich was mit gleichberechtigter Elternschaft zu tun.

Alles andere ist für mich Schönwetterelternschaft. Kann man machen, schadet den Kindern nicht, ist nicht verwerflich, hat auch nichts damit zu tun, ob der Elternteil das Kind liebt oder nicht, ist aber eben nicht gleichwertig mit dem was der/die Partner/in leistet und erlebt, wenn er/sie die ganze Palette mit begleitet.

Nach der Kleinkindphase (und dann fortlaufend), ist es für mich eine Überlegung wert, ob man wirklich immer nach dem Geld gehen muss und was das auch langfristig für Effekte hat.

Ja, vielleicht verdient ein Partner an dem Tag mehr, aber wenn es dem „Karriereaufbau“ des anderen Partners dienlich ist (z.B. Probezeit, Konferenz, Möglichkeit gute Kontakte knüpfen, Fortbildung etc.), wieso dann nicht mal die rein betriebswirtschaftlichen Aspekte zugunsten einer zukünftigen beruflichen Entwicklung zurück stecken? Wieso nicht gemeinsam daran arbeiten, dass der 2. Partner langfristig in einer ähnlich guten beruflichen Position ist wie Partner 1?

Ich kenne genau drei Paare, die so handeln. Aus verschiedensten Gründen gibt es da einen Partner der/die deutlich mehr verdient als der/die andere. Dennoch übernimmt der gut verdienende Partner Krankentage oder lässt einen Job sausen (sofern z.B. freiberuflich), um dem anderen Elternteil ein berufliches Aufholen zu ermöglichen.

Rechnet sich oft nicht – sie machen es aber trotzdem. Eben aus den genannten Gründen: gleichberechtigte Partnerschaft und gleichberechtigte Elternschaft, gleichwertige Bindung zum Kind.

Unvorstellbar für die allermeisten (wenn ich wieder in die Antworten auf meinen Tweet schaue): Es gibt gut verdienende Väter, die sich einen Tag mit ihrem kotzenden Kind um die Ohren hauen, während die Mutter (schlechter bezahlt) arbeiten geht.

Für mich persönlich (bitte nochmal oben lesen: mir ist klar, dass ich privilegiert bin wegen der guten Kinderbetreuung, meiner Ausbildung und meines Jobs) habe ich gelernt: Gleichberechtigung in der Partnerschaft und in der Elternschaft bedeuten oft nicht den effizientesten, den effektivsten Weg zu gehen oder die rechnerisch wirtschaftlichste Entscheidung zu treffen.

Und speziell in den Fällen, in denen es wirklich nicht darum geht, ob man am Ende seine Fixkosten gut bezahlen kann, sondern darum, ob man am Ende des Monats 230 oder 320 Euro übrig hat, ist es für mich wirklich nicht nachvollziehbar, warum man(n) sich trotzdem immer auf dem Ich-verdiene-halt-mehr-Argument ausruht.


[1] Ich sehe da eher strukturelle Probleme, an denen auch die Politik noch deutlich drehen könnte, denn wenn Kinderbetreuung nicht da ist, absurd teuer oder qualitativ minderwertig ist, entscheidet man natürlich auf einer völlig anderen Basis als wenn man sein Kind günstig und liebevoll betreut weiß.