Wenn die Eltern zu Besuch kommen. pic.twitter.com/TUV34r3R50
— Home of Smart (@homeofsmart) May 2, 2017
Ich selbst habe seit vielen Jahren kein Fernsehgerät mehr. Fernbedienungen der Art wie im Tweet gezeigt, kenne ich nur aus dem Urlaub (wo, egal wie klein die Ferienwohnung ist, mindestens ein Fernseher rumsteht) oder wenn ich _meine_ Eltern besuche. Dort ist es ganz selbstverständlich ein Fernsehgerät zu haben, die Programme kommen per Satellit und meistens gibt es einen Festplattenrekorder.
Ein typisches Szenario ist folgendes: Die Eltern sind unterwegs, ich langweile mich und denke: „Hm. Schon seit Monaten nicht ferngesehen, mach‘ ich doch mal das Empfangsgerät an.“ Ich stehe also vom Sofa auf, wo ich vorher interessiert eine Fernsehzeitschrift gelesen habe, öffne den Schrank, in dem das Fernsehgerät versteckt ist und finde mindestens fünf Fernbedienungen. Durch Abgleich der Gerätemarken versuche ich zunächst die Fernbedienung zu finden, die das bildgebende Medium steuert. Dort drücke ich auf „Power“. Meistens zeigt der Monitor dann eine Meldung der Art: Empfangsquelle nicht gefunden. Also scrolle ich alle möglichen Quellen durch. Die HDMI Eingänge, Scart, DVI, VGA, USB und auch den anderen Krempel von dem ich noch nie gehört habe. Vorher habe ich ebenfalls durch Betätigen des Powerknopfes das Satellitenempgangsgerät aktiviert.
Gefühlte 15 Minuten später habe ich endlich ein Bild. Werbung um genauer zu sein. 7 Zeichen der Hautalt… ich schalte um… Werbung. Werbung. Werbung. Fünf Minuten später drücke ich wieder „Power“ um das bzw. die Geräte auszuschalten.
Damit ich es bei der Vielzahl der Fernbedienungen und der Vielzahl der Knöpfe nicht mit der Angst zu tun bekomme, nehme ich die Fernbedienungen übrigens genauso wahr, wie sie oben abgeklebt sind. Ich frage mich auch, wofür sind die anderen Schalter? Benutzt sie jemand? Macht man mehr als an/aus, Programm hoch/runter und laut/leise? Und wenn ja, warum ist das so ein Usability-Dreck? Und v.a. warum wird so ein Tweet so oft gelikt?
Ich wollte schon Weihnachten über die Unart schreiben, sich über die eigenen Eltern in Sachen Technikhilflosigkeit lustig zu machen, habs dann aber wieder vergessen. Über die Feiertage fahren ja viele zu ihren Eltern und lösen dort Technikprobleme. Da häufen sich die Hahaha-meine-dummen-Eltern-Tweets und Beiträge auf den sozialen Plattformen.
Eingefallen ist mir das Ganze wieder als ich den Artikel „Die sieben Stufen der großelterlichen Internetnutzung“ las. Da wird sich ein bißchen darüber lustig gemacht, wie schwer es Menschen fällt einen Einstieg in Thema Internet zu finden, wenn sie nicht schrittweise mitgewachsen sind.
Interessanterweise ist dieser Einstieg meist WhatsApp (was ich prinzipiell von Whatsapp halte, kann man gerne unter Let’s talk – about Messenger nachlesen), gespeist von dem Wunsch mehr Kontakt zu den Enkeln zu haben, deren Kommunikation eben nicht mehr über Briefe oder Festnetztelefonie einzufangen ist.
Dass WhatsApp so verbreitet ist, scheint eben auch an der grundsätzlich einfachen Bedienbarkeit zu liegen (und einem mangelnden Bewusstsein für Datenschutz). Jedes Kind versteht WhatsApp und früher oder später eben auch jede Oma und jeder Opa.
Alle anderen Apps und Plattformen sind meist sehr viel schwieriger zu vermitteln.
Aber darüber wollte ich gar nicht schreiben. Ich wollte eigentlich darüber schreiben, dass man auch wertzuschätzen könnte, dass ältere Menschen, die sich vielleicht lange nicht mit Technik beschäftigt haben, versuchen aufzuholen.
Kleiner Exkurs:
Ich kenne einen ähnlichen Effekt aus dem Sport. Mir wurde als Kind und Jugendliche in der Schule ständig gesagt, dass Mädchen zu doof seien, um z.B. Bälle zu werfen. Wenn ich also möglichst weit werfen sollte, stand neben mir ein Sportlehrer, der lustige Sprüche parat hatte wie „So Jungs, jetzt mal vorsichtig – v.a. hinter Patricia – sie wirft jetzt gleich einen Ball.“ Natürlich hätte der Lehrer auch mal was von Armstellungen, Wurfwinkel, Schrittfolgen, Stellung der Füße etc. sagen können, aber darauf wurde verzichtet. Es gab eben die, die gut werfen konnten und die, die es nicht konnten: z.B. mich
So entmutigt, habe ich mich gedrückt wo es nur ging. Dementsprechend fehlte mir die Übung und ich blieb auf dem Niveau einer Grundschülerin. Später als am Strand z.B. Volleyball gespielt wurde, war ich immer die Pupe, der der Ball auf den Kopf fiel.
To keep a long story short: Mir wurde es nie richtig gezeigt und dann habe ich den Anschluss verloren. Je mehr Erfahrung andere sammelten, desto größer wurde der Abstand zwischen denen und mir. Irgendwann war der Abstand so groß, dass ich das Problem für mich als „Ich bin halt unsportlich, wahrscheinlich irgendein Defekt im Kleinhirn“ abhakte.
So ist es offenbar mit Technik auch. Wer sich geistig ausklinkt und sich dann nur Menschen gegenüber sieht, die gefühlte Lichtjahre voraus sind, der traut sich einfach nicht mehr Schritt für Schritt aufzuholen und Fragen zu stellen.
(Dabei liegt es oft nicht an den Eltern sondern daran, dass man z.B. berufsbedingt daran gewöhnt ist Schmerzen zu ertragen was Usability/Logik angeht, weil man sich mit Systemen auseinandersetzen muss, die man freiwillig niemals bedienen würde, wenn man die Wahl hätte. Oder es liegt daran, dass älteren Menschen unfassbare Scheiße aufgeschwatzt wird. Wenn ich z.B. an den Handyvertrag denke, der meiner Mutter angedreht wurde, dann würde ich den Verkäufer gerne verklagen. Selbiges gilt für bestimmte Smartphonemodelle, die so ****** sind, dass ich googeln musste, wie man es anstellt!)
Es ist unfair und herablassend sich über Menschen lustig zu machen, die sich bemühen aufzuholen. Wie schnell man selbst abgehängt ist, merke ich immer wieder, wenn ich sehe, was meine Kinder alles wissen und können und v.a. wie angstfrei sie an solche Systeme gehen. Und das ist nämlich auch ein Thema: Die Angst Dinge kaputt zu machen.
Nach einigen Erfahrungen wissen wir tolle Poweruser eben: Wenn man vorher ein Backup macht, dann kann man alles ausprobieren und wenn dann wirklich mal was kaputt geht, dann stellt man eben den Stand des Backups wieder her.
Ich habe in meinem Umfeld einige extrem technikaffine Menschen, die mir schon stunden- und tagelang Dinge erklärt haben. Ich durfte immer fragen, ausprobieren, noch mehr fragen und manchmal hab ich Dinge auch einfach gemacht bekommen, weil ich keine Lust und keinen Ehrgeiz hatte mich mit einem speziellen Problem auseinanderzusetzen. Das hat mir sehr geholfen.
Außerdem bin ich tatsächlich der festen Überzeugung: Ganz oft liegt es nicht an den Menschen (die etwas nicht verstehen), sondern an den Systemen, die scheiße sind. Eine Mikrowelle*, deren Grundfunktion „Erhitzen durch Mikrowellen“ nicht ohne Lesen der Bedienungsanleitung aktivierbar ist, ist eine Scheißmikrowelle. Auch wenn sie 200 Funktionen mehr hat als ein anderes Modell.
Deswegen liebe EinsteigerInnen: Herzlich Willkommen im Internet. Schön, dass Sie sich durchgekämpft haben. Wenn Sachen nicht funktionieren, wie sie sollen, dann sind nicht immer Sie schuld – manchmal sind auch die Sachen doof.
*Gilt auch für Apps, Telefone, Computer, Tablets und sonstige Hardware.