The Haus

The Haus
H – wie The Haus

Am Sonntag bin ich mal wieder einem meiner Lieblingshobbys nachgegangen: dem Schlangestehen

Vier Stunden stand ich damals für die MoMa Ausstellung (und hatte Glück – denn nie wieder war die Wartezeit so kurz während der gesamten Ausstellungsdauer!), fast eine Stunde für den Photography Playground, anderthalb Stunden für Frida Kahlo, eine Stunde für Olafur Eliasson.

Wie dem auch sei: es hat sich jedes Mal gelohnt – so auch für THE HAUS.

Was ist THE HAUS* überhaupt? Laut Beschreibung der Homepage:

THE HAUS ist die fresheste* Urban Art Galerie – ever! Auf dich warten 108 überkrasse Kunsträume zum Anschauen, Fühlen, Erleben und Erinnern. Alles geschaffen von 165 Künstlern aus Berlin und der ganzen Welt. Doch sei dir bewusst, dass THE HAUS geschaffen wurde, um zerstört zu werden – Ende Mai schließt THE HAUS seine Pforten und die Abrissbirne folgt!

Also: Es handelt sich um ein altes Bankgebäude, das im Juni abgerissen werden wird. Bis dahin wurde das Gebäude 165 Künstlerinnen und Künstlern überlassen, die dort 108 Räume auf fünf Etagen gestaltet haben.

Wo? Nürnberger Str. 68 (quasi gegenüber des Aquariums)

Wann? Jetzt bis 31. Mai, Dienstag bis Sonntag 10 bis 20 Uhr

Wir standen so ein Stündchen, aber das war wirklich sehr OK, denn was man dafür bekommt, sind verhältnismäßig leere Räume, die man dann auch wirklich in Ruhe entdecken kann.

Aus der Frida Kahlo Ausstellung habe ich optisch v.a. Hinterköpfe mitgenommen. Das war im THE HAUS gar nicht so. Die 199 Leute, die rein dürfen, verteilen sich gut auf die Räume.

Was mich etwas genervt hat, war das Gebot die Handys in Tüten zu packen. Ich finde ja, man kann erwachsenen Menschen auch einfach sagen: „Leute, Handy bitte in die Tasche.“

The Haus
Handyverbot für die Gäste

In allen Reportagen zu THE HAUS und auch dort in der Schlange gabs immer einen kulturpessimistischen Vortrag darüber, dass Handys nerven, dass sie den Kunstgenuss kaputt machen, dass niemand mehr hinschaut, dass alle nur knipsen und dann weiterziehen.

Finde ich argumentativ total albern. Selbst wenn: Was geht das eine andere Person an, wie ich Kunst verdaue?

(Tatsächlich drucke ich immer einige Fotos aus und klebe sie in unser Familientagebuch, wo wir festhalten, wem welches Kunstwerk von wem warum am besten gefallen hat. Ich google dann die Künstlerinnen und Künstler, folge ihren Seiten oder instagram-Streams und habe dann zukünftig auf dem Schirm, wo sie wieder ausstellen.)

Was ich verstehen könnte, wäre ein Argument derart, dass fotografiert und verbreitet wird, ohne dass die Künstlerinnen und Künstler Anerkennung dafür bekommen oder dass sie auf dem Foto oft nicht genannt werden. Damit bringt es ihnen ja nichts, wenn tausende von Menschen ihre Werke liken und teilen.

Ich finde aber, sowas kann man auch anders lösen. Twittername oder Facebookseite z.B. an die Räume, Schilder mit Hashtags, die man verwenden kann etc.

Die Ausstellung selbst (keine Fotos, ihr müsst selbst hingehen, das Buch zur Ausstellung, das ich sehr gerne gekauft hätte, war schon 8 Stunden nach Ausstellungseröffnung ausverkauft und kann auch nur vor Ort und nicht im Internet gekauft werden…) war wirklich sehr sehenswert.

Ein Großteil Graffiti, viel Kunst mit Klebebändern, Gips, ein Raum, der mich an den Nebelraum von Olafur Eliasson erinnert hat, Bäume, Moos, Laub und mein persönliches Highlight – eine Art Höhle mit leuchtenden Blüten und flirrenden Kiefernadeln.

Ich hab leider ein sehr schlechtes Gedächtnis und konnte mir wegen des Fotoverbots auch nicht die Namen der Künstlerinnen und Künstler „notieren“, sonst hätte ich die hier gerne verlinkt. Nach über 100 Räumen, kann ich leider auch nicht über die Homepage rekonstruieren wer wo ausgestellt hat.

Sehr schön auch die Filme, die dort gezeigt wurden. U.a. über Ad-Busting. Ad-Busting war mir bislang unbekannt und ich musste wirklich laut lachen als ich das Schredderprojekt von Farewell gesehen habe, der an diese Werbekästen, die Werbeplakate rauf- und runterfahren, einfach Cutter anbaut und sie so zu großen Schreddermaschinen umfunktioniert.

Die ganze Serie „Urban Explorers“ auf ARTE Creative kann ich sehr empfehlen!

Ein bisschen metalustig fand ich auch dem Umstand, dass bei einigen Künstlern, die ihre Kunst v.a. im öffentlichen Raum auf Züge und Gebäude sprühen, stand: Please respect the artwork

Ach, ich klinge jetzt ein wenig übellaunig wie Luise Koschinsky… dabei ist die Ausstellung wirklich absolut großartig. Geht hin.

Man kann sogar in Kunst pullern! (Die Toiletten sind auch komplett umgestaltet, aber offiziell benutzbar – was ein bisschen lustig ist, wenn man wirklich pullern muss und sich an den Kunstinteressierten vorbei quetscht und zu verstehen geben muss, dass man jetzt wirklich mal Pipi müsste)

Ich hab auch gesehen, dass Schwangere, Menschen mit Kleinkindern und sehr alte Leute netterweise aus der Schlange gezogen und vorgelassen werden.

Der Eintritt ist frei und somit ist der Kunstgenuss nicht abhängig davon, ob man sich sowas leisten kann oder nicht. Extraliebe dafür!

(Und alle, die es sich leisten können – am Ende der Ausstellung kann man spenden – was man auch tun sollte – denn Kunst kostet Material und Arbeitszeit).

Einen guten Eindruck zu den Räumen bekommt man übrigens hier im Lunatix Dance Project Video.

Ansonsten:

 


 

*Bitte immer ganz hip aussprechen, ja? [Sii Haus!] [frräscheste Örban Art!]

Pictoplasma 2016

Seit 2009 kenne ich das Pictoplasma-Festival. An Qualität hat die Ausstellung seitdem nicht verloren – lediglich am Punkt Besucherfreundlichkeit könnte gearbeitet werden.

Seit 2009 besuche ich regelmäßig das Pictoplasma Festival – genauer gesagt – den Ausstellungsteil des Festival. Neben den Ausstellungen gibt es zahlreiche Vorträge, Workshops, Partys und Screenings, die mir bislang leider entgangen sind.

Das Festival findet immer irgendwann im Mai statt und dieses Jahr parallel zur re-publica und blogfamilia, so dass ich nur das Wochenende Zeit hatte, mir die Orte anzuschauen, die ausstellen. („Orte“ übrigens, weil es manchmal nur Mauern sind, die man anschauen kann)

Die Selbstbeschreibung des Festivals lautet wie folgt:

The festival showcases latest trends in figurative character design, from fine to urban arts, illustration, animation and graphic design. Creators, producers and fans meet for an unconventional conference with cutting-edge artist presentations, curated screening programmes bring the latest animation eye-candy to the big screen, and a series of exhibitions and group-shows invite visitors to experience original works and outstanding character craftsmanship.

Die erste Ausstellung war noch im Haus der Kulturen der Welt, dann gab es ein Konzept, das sich Character Walk nannte und in der Praxis so aussah, dass es mehrere Routen nah zusammenliegender Galerien gab, die unterschiedliche KünstlerInnen ausstellten.

pictoplasma: Aafke Mertens, In Search for Metstli
Aafke Mertens, In Search for Metstli
2016 ist nicht besucherfreundlicher als 2009

In der Zwischenzeit ist der Character Walk allerdings so weit verstreut, dass es eher sowas wie Caracter Hiking – die drei Tages Tour geworden ist. Die meisten Werke sind derzeit in der Urban Spree Galerie zu sehen. Für alle anderen Sachen muss man laufen. Manchmal 10 min von einem Ort zum anderen, um dann drei Ausstellungsstücke zu sehen. Kann man machen und bei schönem Wetter kein Problem – so richtig besucherfreundlich ist es nicht (zumal man auch zwischen den Stadtbezirken wechseln muss – einige Galerien sind in Mitte, andere in Friedrichshain und ein Teil in Neukölln).

Irgendwie finde ich das schade.

Ich habe schon 2013 über die mangelnde Zugänglichkeit der Pictoplasma geschrieben:

Die Organisatoren solcher Festivals scheinen so – nennen wir es – betriebsblind zu sein, dass sie nicht mehr die Perspektive des (Kunst)Konsumenten einnehmen können und mit Worthülsen und so verwirrend die einzelnen Projekte beschreiben, dass man (zumindest ich) absolut nichts mehr versteht. Ich klicke mich durch die Webseiten und bin froh, wenn ich rausfinde, zu welcher Zeit die Ausstellung überhaupt stattfindet. Der Rest – böhmische Dörfer.

Ohne die entsprechenden Bilder, die Werke der Künstler zeigen, käme ich nie auf die Idee mir das Ganze anzuschauen.

pictoplasma: Jan de Coster, Robots on the Brink of Consciousness
Jan de Coster, Robots on the Brink of Consciousness

Vielleicht will das Festival aber gar nicht zugänglicher sein. Vielleicht geht dann auch der Zauber verloren? Ich weiß es nicht…

Um alles zu sehen, muss man einmal quer durch die Stadt

Ich habe mir für jeden Stadtteilwalk eine Google Karte angelegt (unten eingeblendet der Mitte-Walk).  Aufwändig und leider fällt mir wie jedes Jahr zu spät ein, rechtzeitig darüber zu bloggen und die Karte öffentlich zu machen, so dass andere sich die Arbeit nicht machen müssen. Für 2017 stelle ich mir einen Reminder.

Warum die Organisiatoren nicht die selbe Idee haben, ist mir rätselhaft. Das Festival ist sehr mediennah und eine App würde perfekt in das Format passen. (Vermutlich verpassen sie das Jahr für Jahr wie ich).

pictoplasma: Astrid Sattler, Stoned Olives
Astrid Sattler, Stoned Olives
Los geht’s! Heute ist die letzte Gelegenheit…

Dieses Jahr stellen die KünstlerInnen an insgesamt 14 Orten aus. Heute ist leider schon der letzte Tag, um die Arbeiten der insgesamt 23 KünstlerInnen zu sehen. Gute Startpunkte sind die Villa Elisabeth
in der Invalidenstr. 3, 10115 Berlin oder das Urban Spree, Revaler Str. 99
10245 Berlin. Dort (und an allen anderen Orten auch) liegen Flyer aus, die Auskunft über alle Orte und KünstlerInnen geben. Die Flyer enthalten auch kleine Karten, mit denen man sich orientieren kann.

Der Besuch der Pictoplasma ist übrigens kostenlos.

pictoplasma: Wilfried Wood, Queen
Wilfried Wood, Queen

Transmediale 2013

2001 war ich das erste Mal auf der transmediale. Bis 2011 bin ich jedes Jahr hingegangen. Jedes Jahr versuchte ich vorher auf der Website zu lesen, was es in der Ausstellung zu sehen gibt. Nach gut einer Stunde gab ich auf. Jedes Jahr. Die transmediale Website ist die unverständlichste Website (zumindest in deutsch/englisch – selbstverständlich gibt es chinesische Seiten, die ich weniger verstehe, man soll ja nicht verallgemeinern), die ich kenne.

Wenn man erstmal vor Ort ist, erkennt man schnell, dass die Website nicht das einzige Unverständliche an der transmediale ist. Die Ausstellungsobjekte sind zum größten Teil ebenfalls völlig unverständlich, die begleitenden Texte kryptisch und voller pseudointellektueller Worthülsen.

2012 bin ich deswegen nicht hingegangen und dann habe ich im Boschblog einen Beitrag zu einem Ausstellungsobjekt gesehen. Die Installation bestand aus großen Stangen, die von der Decke hingen und unter Strom standen. Man konnte sie anfassen um einen Stromschlag zu bekommen.

Ich beobachte das Spektakel eine Weile, traue mich aber zunächst nicht, mir einen Stromstoß versetzen zu lassen. […] Obowohl man weiß, dass etwas passieren wird, ist der Schreck enorm. Die meisten lachen, nachdem sie sich davon erholt haben. Eine junge Frau fällt zu Boden, was aber eher dem Schreck als der Stärke des Stromstoßes geschuldet ist.

Was der Künstler uns damit sagen will? Man weiß es nicht, niemand erklärt es. Der Reiz, es ausprobieren zu wollen, wird dennoch stärker. Ein paar Biere später werde ich mutig: ich unterschreibe, dass ich zur Mitwirkung an diesem Kunstwerk bereit bin, meinen Tod in Kauf zu nehmen, und erhalte im Gegenzug einen Stempel auf das Handgelenk, der mich für den Zutritt zum Elektrozaun berechtigt. Die Bekannte zieht mit (eigentlich hat sie mich überredet) und wir entscheiden uns für die Romantikvariante. Wir halten einander an den Händen, sie berührt den Minuspol, ich den Pluspol. (Vermutlich aber umgekehrt.) Dann passiert es: es funkt zwischen uns beiden.

Das fand ich wahnsinnig romantisch und war traurig, dass ich 2012 nicht da war. Also rufe ich heute wieder die Website auf und bin traditionell genervt. Aber dann denke ich, hey, im Berliner Westen warst Du schon lange nicht und das Haus der Kulturen der Welt, das macht was her, da gehst Du jetzt einfach trotzdem hin.

Tatsächlich finde ich von zwanzig Objekten jedes Jahr mindestens drei, die es am Ende wert waren, die Ausstellung zu besuchen. Das Motto dieses Jahr „back where pluto was a planet“. Meine Recherchen haben ergeben, dass das Akronym BWPWAP in Netzkreisen verwendet wird „wenn man auf die jüngste Vergangenheit verweisen will, einen Zeitpunkt, der nur einen Wimpernschlag zurückliegt, in Bezug auf die technologischen Standards aber schon Lichtjahre entfernt zu sein scheint.

In irgendeinem anderen Artikel habe ich gelesen, man solle sich locker machen und nicht immer versuchen zu verstehen, was die transmediale eigentlich wolle. Also mache ich mich jetzt locker wie sonstwas.

Zwei Dinge finde ich im Vorfeld schon nett. Erstens die Sprachausgaben der Website („back where pluto was a planet I’ve would have been a flash animation“) und die mobile Website ist hübsch.

Mehr heute Nachmittag, wenn wir wiederkommen und ich mich ordentlich in dieses luftleere Wording reingesteigert habe. So lange lesen Sie bitte meine Hackfleischbesprechungen. Kunst und  aufgeblasene Worthülsen kann ich nämlich auch.

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Tja. Das wars wohl mit mir und der transmediale. Eine lange Beziehung zerbricht. Wir haben uns auseinandergelebt. Ich denke, es ist besser, wenn jeder seiner Wege zieht.

Das Rohrpostsystem, (das einzige Ausstellungsstück, das man spontan verstehen kann) wird erst um 16.30 Uhr angeworfen.

Alles andere muss man sich erlesen. Wenn man das fleißig tut, entdeckt man nach einer Stunde einen Metawitz.

Der Rest – ein Rätsel. Auch mit Beschreibung. Um mal Kind 2.0 zu zitieren: „Mama, da hätten die sich aber auch ein bisschen mehr Mühe geben können.“

Manche Dinge, musste man anfassen und irgendwie mit Ihnen interagieren, damit etwas passiert. Leider sieht man das den Exponaten nicht an. Mir wäre z.B. völlig entgangen, dass es doch ein Paar knuffige Sachen gab.

(„Desktop – Gravity Edition„, 2007 von Jacob Nielsen)

Ohne freies WLAN, instagram und vine, hätte ich mich sehr wahrscheinlich zu Tode gelangweilt.

ArtPod „Imaginäre Reisen“

ArtPod – zeitgenössische Kunst für Kinder mit der Ausstellung „Imaginäre Reisen“ hat uns schwer begeistert. Bis zum 16.12.2012 kann man sie noch im Amerika Haus bestaunen.

Mindestens einmal in der Woche schreit Kind 2.0 auf dem Weg in die Kita: „Maaamaaaa, schau mal daaaaa KUNST!!!“ Wir begutachten dann das referenzierte Objekt und wägen gemeinsam ab, ob der Wind Müll nur exotisch angeordnet hat oder ob es wirklich einen menschlichen Erschaffer gibt. Eindeutig bestimmen lässt sich das nicht immer.

Auf Kunst im  Lebensraum ist Kind 2.0 durch Werke der Straßenkünstlergruppe bosso fataka aufmerksam geworden. Für sehr kurze Zeit konnten wir z.B. einen Stuhl bewundern, der an einer der Säulen am Frankfurter Tor befestigt war.

Ich habe von kunsttheoretischen Ansätzen keine Ahnung und kann nur schwer erklären, warum mir eine bestimmte Art von Kunst zusagt und v.a. auch warum ich sie für lebensnotwendig halte – aber den meisten Bezug habe ich zur zeitgenössischer Kunst. V.a. dann wenn sie erfahrbar und im wahrsten Sinne des Wortes begreifbar ist. Zu meinen persönlichen Highlights gehört deswegen das von Hornbach gesponsorte Projekt in einem Haus in der Torstraße 166 und auch viele Ausstellungselemente unterschiedlicher Ausstellungen im Hygienemuseum Dresden (z.B. „Gehirn und Denken“ oder „Glück – Welches Glück„)

In meiner Elternzeit hatte ich jeweils eine Museumsjahreskarte und habe die Kinder schon im Babyalter munter mitgeschleppt. Zu einer meiner schönsten Erinnerungen gehört eine Szene mit meinem damals 4 jährigen Patenkind, mit dem ich eine Ausstellung anschaute. Es fragte mich bei jeder Skulptur und bei jedem Bild: „Wie heißt die Kunst?“ und „Warum hat der/die KünstlerIn das gemacht?“.

Ich weiß, dass v.a. letztere Frage nach der Intention, das typische Was-will-uns-der-Kunstschaffende-sagen, v.a. den Kunstschaffenden selbst auf die Nerven geht. Aber mir gefällt die Frage. Ich weiß es nämlich ebenso wenig wie das Kind, das fragt. Also unterhalten wir uns und stellen Hypothesen auf und ich finde, die kindlichen Ansätze sind völlig gleichberechtigt zu meinen Interpretationen und manchmal lenken sie meine Aufmerksamkeit zu ungesehenen und unbedachten Aspekten.

Wie für mich gemacht ist deswegen die Galerie ArtPod im Amerika Haus, die am 03.11.2012 ihre erste Ausstellung namens „Imaginäre Reisen“ eröffnet hat:

ArtPod stellt in wechselnden Ausstellungen Arbeiten von international agierenden Künstlern aus, die sich auf das Experiment freuen, ihre künstlerische Neugier mit Kindern zu teilen. Die ausgewählten Werke zeichnen sich aus durch ihre Kraft, die Phantasie der Ausstellungsbesucher in Schwingung zu versetzen, Freude und Staunen hervorzurufen.

Die Ausstellung ist unfassbar großartig. Das ganze Konzept ist toll. Am Eingang können die Kinder sich einen Stempel aussuchen. Kinder und Stempel ist schon ein Mysterium für sich. Ich habe gesehen, wie ein ca. 13 jähriger Junge nach uns reinkam und sich richtig freute, dass er einen Eingangsstempel aussuchen durfte. Dann bekommen die Kinder erklärt, dass es Exponate gibt, die man anfassen darf (grüne Hand) und welche, die nur zum Anschauen bestimmt (rote durchgestrichene Hand) sind. Ich würde schätzen, dass das Verhältnis grün zu rot ca. 80 zu 20 ist.

Während der ganzen Ausstellung gibt es außerdem ReisebegleiterInnen. Ich vermute KunststudentInnen – ähnlich wie damals die MOMAnizer. Sie passen auf, dass im Enthusiasmus nicht gleich das ganze Kunstwerk zerlegt wird und ermuntern die Kinder (und Erwachsenen) andererseits die Ausstellungsstücke zu erfahren. Sie stellen Fragen oder lenken die Aufmerksamkeit auf ungesehene Details. Sie schlendern durch die Räume und Gänge und unterhalten sich mit den Kindern. Beispielsweise gibt es ein großes Holzschiff, das man herumschieben kann. Es sieht aus wie aus Papier gefaltet. Kind 2.0 saß darin und ruderte und ruderte. Einer der Ausstellungsbegleiter kam zu ihm und hat gefragt, wohin die Reise ginge. Man tauschte sich kurz aus und eine halbe Stunde später, als Kind 2.0 erneut im Boot saß, hielt man wieder Smaltalk. Wie sei es in Indien gewesen, was hätte Kind 2.0 erlebt – es entstand ein erstaunliches Gespräch.

Kind 3.0 stand im wesentlichen vor Begeisterung kreischend in einem Raum, der komplett zu einer Half-pipe verbaut war. Die Half-pipe war mit Hunderten von Pingpongbällen befüllt und diese wurden durch ein Gebläse im Kreis geschleudert. Die Kinder durften Bälle aus dem Kreislauf entnehmen und an unterschiedlichen Stellen wieder reinwerfen.

Das waren nur zwei von über 20 Objekten (22 Künstler in 12 Räumen). Die Kinder konnten sich frei bewegen und haben sich teilweise sehr lange an einzelnen Ausstellungsstücken erfreut. Als Erwachsene würde ich normalerweise nie 20 Minuten bei einem Objekt verbringen – aber ich fand das wunderbar, denn tatsächlich gibt es selbst an einem schnöden Holzstück viel zu entdecken.

Wir verbrachten gut drei Stunden in der Ausstellung. Ich schätze, ohne die Kinder hätten wir insgesamt zwanzig Minuten gebraucht. Aber genau das finde ich großartig. Ich bin regelrecht beseelt nach Hause gegangen. Ich weiß nach wie vor nicht, was mir so gut daran tut, aber es ist selten, dass ich so zufrieden bin wie am Ende dieses Nachmittags.

Deswegen: Wenn ihr Kinder habt oder mögt (es müssen ja gar nicht die eigenen sein) und wenn ihr Geduld und etwas für Kunst übrig habt, plant die Ausstellung bis zum 16.12.2012 ein.

Amerika Haus am Bahnhof Zoo
Hardenbergstr. 22-24, 10623 Berlin

 

03. November – 16. Dezember 2012
Öffnungszeiten: Mi, Do, Fr 14:00 – 17:00 (vormittags offen für Schulklassen
nach Anmeldung Tel: 0173-6079796 oder info@artpod.org), Sa – So 11:00 – 17:00

KünstlerInnen: Dominik Lejman (PL), Ellen Harvey (UK), Wolfgang Karl May (DE), Max Frey (AT), Egill Saebjornsson (IS), Ethan Hayes-Chute (US), Kirstine Roepstorff (DK), Michael Johansson (SE), Nina Braun (DE), Katharina Lackner (AT), Rebecca Raue (DE), Konrad Mühe (DE), Olafur Eliasson (DK), Stefan Saffer (DE), Andy Graydon (US), Thilo Frank (DE), Sophie Erlund (DK), Franz Hoefner und Harry Sachs (DE), Sebastian Hempel (DE), Hollie Chastain (US), Guy Ben-Ner (IL), Eduardo Basualdo (AR), Gaby Taplick (DE), Dustin Schenk (DE), David Krippendorff (DE)

Vielen Dank an Caroletta von Kinderzimmerkunst, die mich mit Ihrem Artikel zu dieser Ausstellung gebracht hat!

Die Liebe und Neukölln

Nacht und Nebel in Neukölln und ein Abend ohne Kinder.

Letzten Monat bin ich nach Jahren das erste Mal mit meinem Mann ausgegangen. Dass es Jahre dauerte, hat im Wesentlichen zwei Gründe. Erstens haben wir keine Verwandtschaft im Umkreis von 400 km. Die Kinder sind an niemanden weiter gewöhnt als an uns. Zweitens habe ich ein großes Problem von meinen Kindern getrennt zu sein. Lange Zeit war es für mich undenkbar sie „alleine“ zu lassen. Als das erste Kind sechs Monate alt war, bin ich mal ins Kino gegangen (ohne meinen Mann, der war bei den Kindern) und es war grauenhaft. Jeden Meter, den ich mich weiter weg bewegt habe, habe ich als physischen Schmerz empfunden und endlich im Kino angekommen, bin ich während des Films eingeschlafen.

Jetzt haben wir drei Kinder und wahrscheinlich wird man da lockerer und was ebenfalls nicht zu vernachlässigen ist, wir haben einen wunderbaren Babysitter gefunden. Letzten Monat sind wir gemeinsam nach Potsdam gefahren und diesen Monat haben wir unseren freien Abend genutzt, das Nacht und Nebel Festival in Neukölln anzuschauen.

Ich hatte aufgrund der Beschreibung sehr romantische Vorstellungen von dem Kunstfestival: „Mit einem Film starten, dann ins Theater oder zu einer Lesung gehen, eine Ausstellung besuchen und den Abend auf einer der vielen Parties beschließen. Für jeden Geschmack ist in dieser bunten Nacht etwas dabei! Gleichzeitig können Sie sich mit dem Taxi von einer Location zur nächsten chauffieren lassen. Und das alles kostenlos.

Wir haben uns zu einer Führung durch die Galerien des Reuter-Kiezes angemeldet und ich dachte, dass wir in einer kleinen Gruppe von 10-15 Kunstinteressierten von Galerie zu Galerie ziehen und vielleicht ein wenig über die Hintergründe der Künstler und Ausstellungen erfahren würden.

Tatsächlich standen am Treffpunkt rund fünfzig Leute. Der freundliche Führer spannte einen Schirm auf und wir liefen ihm im Gänsemarsch hinterher. Er erzählte hier und da was über die Ecken Neuköllns und deren Namengeber, holte überraschte Galeristen aus den zu besichtigenden Räumen, die alle mit Variationen von „Hallo, ihr seid zu viele, um reinzukommen…“ begannen, sich dann aber im Laufe des eigenen Vortrags darüber bewußt wurden, dass es vielleicht doch als so etwas wie ein unerwarteter Erfolg der Festivalausrichter gedeutet werden konnte, wenn solche „Massen“ sich für die ausgestellten Arbeiten interessierten. (Bei allen idealistischen Motiven, geht es sicherlich doch auch ums Verkaufen und je mehr Leute, desto größer die Wahrscheinlichkeit eines seiner Werke an den Mann zu bringen.)

Da die Galerien tatsächlich meistens 20qm große Räume waren und man aus Zeitgründen nur an den Werken vorbei ziehen konnte ohne sich etwas genauer anzusehen, entschied unserer Führer, dass wir zunächst alle Ausstellungslokalitäten ansteuern würden, die Galeristen und Künstler das berichteten, was sie berichten wollen und wir uns hinterher aufteilen würden, um die Ausstellungen tatsächlich anzusehen.

Die Runde, die wir machten, war wirklich groß (nach 1,5 Stunden hatten wir erst die Hälfte gesehen) und v.a. unglaublich vielseitig.

Auf der Route lagen u.a. der Laden „arm und sexy“ (Reuterstr. 62), der Arbeiten von KünstlerInnen aus dem Psychosozialen Initiative Moabit e.V. und „normalen“ Menschen unter dem Motto „Makellos“ präsentiert: „[…] In der Ausstellung fügt sich „Insider“- und „Outsider“-Kunst zu einem harmonischen Ganzen: Die teils abstrakten, teils gegenständlichen, teils konzeptuellen Arbeiten verbindet künstlerische Qualität, kreative Individualität und der aufmerksame Blick für feine Details.“

Wir wanderten weiter zu einer Bürogemeinschaft, die unter dem Motto „Heute bin ich die Prinzessin“ Zeichnungen von Mike Klar zeigte.

Suchten dann den „Kunstraum Art-Uhr“ (Weichselstraße 52) auf, der das Festival in „Nacht und Leben“ umbenannt hatte, weil die Assoziation zu dem Nacht und Nebel-Erlass, der europaweit die Deportationen von Widerstandskämpfern nach sich zog, zu stark sei. Es wurden Werke von Margret Holz ausgestellt, die sich mit den letzten Manuskripten des Philosophen Walter Benjamin auseinandersetzten, der sich 1940 das Leben nahm, als ihm klar wurde, dass seine Flucht vor den Nazis nicht erfolgreich sein würde.

Danach sahen wir uns Arbeiten von Jordi Castells Pruñonosa an, der in der Bürogemeinschaft „IM BÜRO“ ausstellte: „Der menschliche Jäger verfolgt seine Beute in ihrer natürlichen Umgebung. Er präsentiert das Büro als Jagdrevier im Prozess des Aussterbens.“

Nach zwei Stunden klinkten wir uns aus der Gruppe aus und erfreuten uns noch an Nackten in Schaufenstern, die im Schwarzlicht ihre Bodypaintinggemälde am Körper tanzend zur Schau stellten und waren ein bißchen traurig, dass wir es nicht zum Maskenball und der Haarspende-Station geschafft hatten.

Um einen angemessenen Überblick zu bekommen, hätten wir wahrscheinlich 6-8 Stunden gebraucht und dann nochmal ein Paar Tage, um sich die Arbeiten im Detail anzuschauen. Erfreulicherweise sind die meisten Ausstellungen noch ein Paar Wochen geöffnet und es lockt als nächste Veranstaltung der Advents-Parcours im Dezember.

Ich liebe Berlin wegen solcher Angebote. Ich liebe die Vielseitigkeit und die Möglichkeit in völlig fremde Welten einzutauchen und sich mit Dingen zu beschäftigen, die überhaupt nichts mit der eigenen Alltagsrealität zu tun haben und am meisten liebe ich meinen Mann, der diese Interessen mit mir teilt <3.

Übrigens würde mich interessieren, wie KünstlerInnen selbst die Neuköllner Szene empfinden. Auf mich wirkte sie nicht so elitär und kalt wie ich es gelegentlich an anderen Orten kennen gelernt habe. Sie wirkt auf mich freundlich und aufgeschlossen und die Galeristen aufrichtig kunstbegeistert.

Taxis, die laut Beschreibung der Festivalorganisatoren hätten sichtbar sein müssen, haben wir  übrigens kein einziges gesehen und so legten wir alles zu Fuß zurück und ich war froh, dass ich mich für flache Schuhe entschieden hatte. Als wir ausreichend durchgefroren waren, setzten wir uns noch in eine Bar, tranken hastig unsere Getränke und quetschten uns wieder in die auch um 24 Uhr völlig überfüllte U8, um nach Hause zu kommen.

Die Kinder hatten sich den Berichten unseres Babysitters alleine ins Bett gebracht und selbst das Jüngste war im Rahmen seiner sprachlichen Möglichkeiten eigenständig genug zu signalisieren, dass es lieber alleine einschliefe als sich etwas von einer Person vorsingen zu lassen, die nicht Mama oder Papa war. Es deutete auf die Tür und sagte „Ab!“.

Wir schnick schnack schnuckten noch aus, wer am nächsten Morgen aufstehen müsste und stellten fest, dass es wirklich an der Zeit war, wieder gemeinsam ohne plärrende und zappelnde Kinder auszugehen.

Alles Verrückte!

Vandalismus in Reinform. Furchtbar! Oder Schönes aus Adhäsionsfolie.

Ich mag Kunst. Vor allem wenn sie für alle verfügbar ist. Deswegen habe ich mich gefreut, als ich den mit Frischhaltefolie befestigten Stuhl an eine der Säulen am Frankfurter Tor entdeckt habe. Ich war nicht die einzige. Als ich dastand, um ein Foto zu machen, gesellten sich andere dazu und wir plauderten ein wenig. Die inhaltliche Aussage ist natürlich nicht so tiefsinnig wie der Hackfleischdarstellungen in Werbeprospekten, aber alleine die Idee Kunst im öffentlichen Raum zu machen, die nichts zerstört oder beschädigt, gefällt mir.

Das war was ich dachte, als von hinten eine zeternde Frau ankam und ohne Zögern damit begann an der Folie zu reißen. „Was soll das? Was sind das für Menschen? Verrückte!!!“, schrie sie dabei. „Was machen sie denn da?“, erkundigte ich mich. „Abreißen!“ „Warum“, wollte ich wissen, „das ist doch hübsch.“

„HÜBSCH?“ Ihr Kopf wurde rot während sie wutentbrannt weitere Stückchen Folie zerfetzte. „HÜÜÜÜBSCH? DAS IST VANDALSMUS! VANDALISMUS!!!!“ In blinder Zerstörungswut riss sie die Folie ab, verhedderte sich darin, wurde wütender, riss erneut und zerrte wie wild, schrie nach ihrem Mann, der gefälligst eine Schere holen sollte.

VANDALISMUS!!!“ schallt ihre Stimme durch den Durchgang des Frankfurter Tors. Immer wieder, bis sie den letzten Milimeter Folie abgerissen hatte. Der Stuhl krachte zu Boden, sie tritt auf ihn ein: „V A N D A L I S M U S!!!

Schade. Mir hat’s gefallen. Aber die Kinder wissen jetzt wenigstens was Vandalismus ist.

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Nachtrag: Der Stuhl ist von bosso fataka gewesen. „Turn trash into scuplture

Filme, nacherzählt

Für mich die beste Veranstaltung des Jahres und zwar Jahr für Jahr: Das Festival des nacherzählten Films. Seit es existiert, gehe ich hin. Nur 2009 musste ich es ausfallen lassen weil Kind 3.0 zu den Festivaltagen geboren wurde*.
Das Prinzip ist ganz einfach: Ein oder mehrere Redner erzählen etwas nach, das verfilmt wurde. Hilfsmittel aller Art sind unzulässig. Es spielt jedoch keine Rolle, ob man ein Film, eine Serie, ein Musikvideo, das eigene Hochzeitsvideo, eine Dokumentation oder eine Werbung nacherzählen möchte.
Das Ergebnis ist faszinierend. Von Bud Spencer Filmen, über Tierdokumentationen, Filme, die kein Mensch kennt, bis hin zu 50er Jahre Serien – alles wird nacherzählt, nachgesungen oder sogar pantomimisch dargestellt. Ich habe in all den Jahren noch keinen Beitrag gesehen, den ich als schlecht empfunden habe. Ich habe Tränen gelacht und geweint. Das Festival ist ganz wunderbar.
Anscheinend finden das andere auch, denn die Zuschauerzahlen steigen, nur an Nacherzählern mangelt es (zumindest im Vorfeld, so dass die Organisation des Festivals erschwert wird).
Glücklicherweise melden sich im Laufe der beiden Festivalabende weitere Freiwillige, so dass auch in diesem Jahr auf 27 Nacherzählungen präsentiert wurden.
Ich bewundere die Nacherzähler und besonders diejenigen, die sogar spontan auf die Bühne kommen. Jahr für Jahr nehme ich wunderbare Inspirationen für Serien und Filme mit und mir bleiben (film)begeisterte Menschen mit einer unglaublichen Ausstrahlung und Präsenz in Erinnerung.
Am liebsten würde ich jedem einzelnen Nacherzähler nach dem Festival um den Hals fallen und mich tausend Mal bedanken.
Meine absoluten Favoriten in diesem Jahr waren „Invictus“ und „Missfits (Serie)“, sowie der Dauerbrenner „Vom Winde verweht“. Danke für diese beiden tollen Abende!

Hier einige sehr grandiose Beispiele:
Herr der Ringe 1-3 (1. Teil) und Texas Chainsaw Massacre

 

Gewinner der silbernen Linde Januar 2011: Andres Blumenthal „Mamma Mia!

*Übrigens nicht unbedingt ein Grund, denn es gibt eine Nacherzählerin, die sich zum errechneten Geburtstermin mal locker flockig auf die Bühne gestellt hat und ihren Lieblingsfilm nacherzählt hat.